Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Khoury, Raymond – Scriptum

Auf den Spuren eines Dan Brown möchten heutzutage verständlicherweise sehr viele Autoren wandeln, insbesondere wenn es um die sagenhaften Verkaufszahlen von Browns Verschwörungsthrillern geht. So wundert es kaum, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren von immer mehr Kirchenthrillern geflutet wird, die allerdings oftmals nicht einmal annähernd auf der Brown’schen Erfolgswelle mitschwimmen können. Denn ein kirchengeschichtlicher Hintergrund – am besten natürlich unter Mitwirkung eines Geheimbundes – sowie ein relativ spartanischer und rasanter Schreibstil alleine reichen noch nicht aus, um beim Leser dasjenige Kribbeln hervorzurufen, das man beim Lesen von „Illuminati“ verspürt.

Auch Raymond Khoury hat sich mit den Tempelrittern und einem dunklen Vatikangeheimnis zwei sehr erfolgreiche Komponenten herausgepickt, die gepaart mit dem verkaufswirksamen Titel samt optisch hervorstechenden Buchcover praktisch einen Bestseller garantieren. Und richtig, „Scriptum“ verkauft sich hervorragend und wird an Weihnachten sicher so manch einen Bibliophilen erfreut haben. Doch eins muss man gleich vorweg feststellen: Dies widerfährt Khoury nicht ganz zu Unrecht, denn sein Buch sticht aus den zahlreichen mittelmäßigen Thrillern erfreulich positiv heraus. Doch beginnen wir zunächst beim Inhalt:

Im New Yorker Metropolitan Museum werden in einer Sonderausstellung Schätze des Vatikans präsentiert, die sich auch die hübsche Archäologin Tess Chaykin, ihre Mutter und ihre Tochter ansehen wollen. Doch dann tauchen plötzlich vier in Tempelrittertracht verkleidete Reiter auf, die einen Wachmann köpfen, die Besuchermenge in Schach halten und sich einige Schätze ergreifen. Tess kann dabei nur knapp einem der bedrohlichen Reiter entgehen, der sich zielsicher einen unscheinbaren Kasten greift und dazu geheimnisvolle lateinische Worte spricht. Nach dem Überfall schnappen die Reiter sich eine prominente Geisel und verschwinden über alle Berge.

Nachdem Tess ihren Schrecken überwunden hat und auch ihre Tochter wohlbehalten in die Arme schließen kann, fragt sie sich bald, warum der eine Reiter zielbewusst den so unbedeutend wirkenden Kasten erbeutet hat, der im Katalog als Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen geführt wird. Doch Tess‘ Gefühl sagt ihr gleich, dass dahinter mehr stecken muss. Bald stellt sie eine Verbindung des Überfalls zu den Tempelrittern her und beginnt mit ihren eigenen Nachforschungen.

Dies aber ist FBI Special Agent Sean Reilly ein Dorn im Auge, da er weiß, dass Tess sich durch ihre eigene Ermittlung unbewusst in große Gefahr begibt. Denn nach dem Überfall auf das Metropolitan Museum werden nach und nach die Leichen der Reiter aufgefunden. Irgendjemand verfolgt seine eigenen Ziele und ermordet zielsicher die Museumsräuber. Sogar der Vatikan hat einen Verbündeten in New York, der dafür sorgen will, dass ein gut gehütetes Geheimnis im Verborgenen bleibt. Während Tess ihren Nachforschungen nachgeht und sich allmählich in Reilly verliebt, werden die beiden von den Verfolgern zu den Verfolgten …

Raymond Khoury bedient sich einiger erfolgsversprechender Komponenten für seinen Tempelritterroman, die Garanten für seinen großen Verkaufserfolg sind: In Manier eines Dan Brown lässt er zwei Protagonisten auf den Plan treten, die gut aussehend sind und mutig agieren und sich natürlich im Laufe der Geschichte ineinander verlieben und folglich alle Gefahren gemeinsam durchstehen können. Aber in den Biografien beider Hauptfiguren finden sich dunkle Episoden, die ihr heutiges Leben noch überschatten und dafür sorgen, dass die Liebe zwischen Tess und Sean nur langsam gedeihen kann. Khoury bedient hier sämtliche Klischees und langweilt dadurch an mancher Stelle, doch verlangt inzwischen wohl kaum noch jemand nach realistischen Figuren in aktuellen Spannungsromanen.

Glücklicherweise aber geschieht diese Liebelei zwischen Tess und Sean nur nebenbei und steht nicht im Zentrum der Geschichte. Khoury konzentriert sich vielmehr darauf, seine Tempelrittergeschichte zu entwickeln. In einem rasanten Erzähltempo präsentiert er uns historische Informationen über die Tempelritter und ihre Verbindung zum Vatikan. Hierfür lässt er zwischendurch einige Kapitel in weiter Vergangenheit spielen, wo wir neue Protagonisten kennen lernen, die damals das große Geheimnis des Vatikan gehütet haben.

„Scriptum“ spielt an verschiedenen, teils recht exotischen Schauplätzen, zwischen denen Khoury hin und her blendet, um dadurch immer mehr Spannung aufzubauen. Besonders die erste Buchhälfte fällt dadurch sehr spannend aus. Ab der Hälfte jedoch übertreibt der Autor es ein klein wenig mit seinen Ausführungen. Hier überschlagen sich die Ereignisse dermaßen, dass Spannung und Glaubwürdigkeit darunter zu leiden haben. Die Ereignisse erscheinen nicht mehr so ausgefeilt, sondern eher wie eine bloße Aneinanderreihung von gefährlichen Situationen. Da der Leser sich zudem recht sicher sein kann, dass Tess Chaykin und Sean Reilly diese Gefahren überstehen werden, fehlt dem Leser etwas die Gänsehaut.

Stilistisch hat sich Raymond Khoury stark an Dan Brown orientiert; so zaubert er nicht nur ein Vatikangeheimnis aus dem Ärmel, das an dasjenige aus Sakrileg erinnert, sondern er bedient sich ebenfalls der kurzen Kapitel, die schon bei Brown für ein rasantes Erzähltempo gesorgt haben. Dennoch merkt man, dass die Geschichte bei Khoury bei weitem nicht so raffiniert ausgeklügelt ist wie bei seinem berühmten Kollegen. Dies ist auch ein großes Manko, mit dem „Scriptum“ zu kämpfen hat, denn das wohlgehütete Geheimnis, das Khoury uns so sensationsversprechend präsentiert, wirkt nicht sonderlich innovativ, sodass an dieser Stelle viel aufgebaute Spannung verpufft. Hier hätte ich mir eine größere Sensation gewünscht, die vielleicht noch kein anderer Autor verwendet hat.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Raymond Khoury mit seiner Geschichte sehr wohl zu unterhalten weiß und mit „Scriptum“ einen rasanten und spannenden Roman vorgelegt hat, den man gerne und gebannt liest. Doch leider kann Khoury nicht vollkommen überzeugen; Dan Brown hat die Messlatte mit „Illuminati“ und „Sakrileg“ einfach zu hoch gelegt, sodass Khoury diese Marke nicht erreichen kann. Den Vergleich verliert Khoury durch seine wenig innovative Geschichte, die leider nicht an jedem Punkt überzeugen kann und auch nicht mehr neu wirkt, außerdem übertreibt der Autor es am Ende seines Buches etwas zu sehr. Etwas weniger Action hätte der Glaubwürdigkeit seines Romans gut getan. Insgesamt ist „Scriptum“ somit zwar überaus lesenswert und versüßt die Zeit bis zum nächsten Brown-Thriller gut, ganz oben in einer Liga mit Brown oder Eco kann das vorliegende Buch allerdings nicht mitspielen.

Zeilinger, Anton – Einsteins Spuk

Der bekannte Physiker und Nobelpreisträger [Richard Feynman]http://de.wikipedia.org/wiki/Richard__Feynman prägte einst den Satz „Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht“ und brachte damit die Schwierigkeiten der Quantenphysik auf den Punkt. Dennoch birgt dieses Teilgebiet der Physik eine Faszination, welche sogar auf Nicht-Wissenschaftler überspringt. So wird beispielsweise in |Star Trek|-Newsgroups heftig über Quantenmechanik diskutiert, denn dort gibt es zahlreiche Tüftler, die sich Gedanken darüber machen, unter welchen Bedingungen die Warp-Geschwindigkeit doch möglich ist, obwohl bereits Einstein feststellte, dass Lichtgeschwindigkeit die begrenzende Geschwindigkeit ist (zumindest für Materietransport).

Mit diesen Fragen und noch vielen anderen mehr beschäftigt sich der nicht minder berühmte [Anton Zeilinger,]http://de.wikipedia.org/wiki/Anton__Zeilinger der insbesondere bekannt ist für das Phänomen der „Quantenteleportation“ und der erst kürzlich mit der Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität Berlin ausgezeichnet wurde. Ein besonderes Anliegen ist dem österreichischen Physiker aber auch die populärwissenschaftliche Vermittlung schwieriger quantenmechanischer Fragen, die sich oftmals dem gesunden Menschenverstand entziehen. So durfte ich selbst auf einer Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft erleben, wie der große Anton Zeilinger mit strahlenden Augen und einigen Geschichten aus dem Nähkästchen einem teilweise fachfremden Publikum seine Forschungsarbeit vorstellte, sodass jeder einzelne Zuhörer seine Aha-Erlebnisse hatte. Beeindruckt von dieser Leistung, freute ich mich umso mehr auf „Einsteins Spuk“, welches beginnend bei den Grundlagen der Quantenphysik das Feld aufrollt, bis Zeilinger sich auch komplizierten Vorgängen der Verschränkung widmet.

In „Einsteins Spuk“ beginnt Anton Zeilinger tatsächlich bei den grundlegenden Prinzipien der (Quanten-)Physik, er erklärt ausführlich den Welle-Teilchen-Dualismus des Lichtes und stellt dabei die bahnbrechenden Experimente vor. Einen besonderen Schwerpunkt legt Zeilinger auf das Doppelspaltexperiment, welches er seine zwei imaginären Physikstudenten Alice und Bob auch durchführen und diskutieren lässt. In Exkursen erzählt Zeilinger über Glasfasertechnik oder auch die [Unschärferelation,]http://de.wikipedia.org/wiki/Heisenbergsche__Unsch%C3%A4rferelation die sich nicht ohne weiteres auf makroskopische Objekte wie ein Auto anwenden lässt. Später erklärt der Autor, was man sich unter der Polarisation von Licht vorzustellen habe und taucht dabei immer tiefer in die Physik ein.

Das Besondere an diesem Buch ist allerdings nicht nur der Inhalt an sich, welchen wohl jeder einigermaßen kundige Physiker hätte erklären können, sondern die Art, wie Zeilinger uns sogar schwierigste Physik präsentiert. In vielen Situationen lässt er seine jungen Studenten Alice und Bob zum Experiment treten und erzählt eigentlich „nur“ die Geschichte dieser beiden neugierigen jungen Studenten. Alice und Bob hören eine spannende Vorlesung bei Prof. Quantinger – dessen Name wohl nicht nur zufällig dem des Anton Zeilinger ähnelt – und führen angespornt von dem neuen Wissen eigene Experimente durch. Angeleitet durch Quantinger und seine Mitarbeiter arbeiten Alice und Bob an verschiedenen Versuchen und diskutieren die Erkenntnisse miteinander. Und genau dies sind die spannendsten Stellen im Buch. Anfangs wissen Alice und Bob nicht viel über die Probleme der Quantenmechanik, doch anhand von ausgewählten Experimenten kommen sie nach und nach der Natur des Lichtes und der [Quantenverschränkung]http://de.wikipedia.org/wiki/Quantenverschr%C3%A4nkung auf die Spur, die Einstein einst „spukhafte Fernwirkung“ genannt hat.

Während Alice und Bob also ihren Lernprozess durchmachen, haben wir teil an ihren Fragen und Gedankengängen. Durch gezielte Fragen und Versuche durchschauen die beiden Physikstudenten immer besser, was bei Quantingers Experimenten wirklich passiert. Und obwohl die beiden natürlich deutlich schneller lernen als der normale Student, helfen sie den Lesern dabei, selbst neue Erkenntnisse zu gewinnen. Alice und Bobs Fragen und Diskussionen sind es, an denen wir uns inhaltlich und fachlich entlang hangeln können und somit schließlich selbst der Quantenmechanik auf die Spur kommen. Fast schon wie ein Roman wird uns hier die Geschichte der Quantenphysik erzählt, sodass man bei der Lektüre zwischendurch sogar vergisst, dass man hier ein populärwissenschaftliches Buch in der Hand hält.

Doch Zeilinger erzählt mehr als nur diese Geschichte, in welcher Alice und Bob zwischen Vorlesung und Experiment hin- und herpendeln. Zwischendurch wohnen wir selbst Quantingers Vorlesung über die [Polarisation]http://de.wikipedia.org/wiki/Polarisation bei und lernen somit zeitgleich mit unseren beiden Protagonisten einiges mehr über das Licht. Methodisch erweist Zeilinger sich als sehr vielfältig, sein populärwissenschaftliches Buch wird aufgepeppt durch Cartoons und nette Anekdoten, außerdem helfen uns viele Bilder dabei, die teils komplizierten Gedankengänge Zeilingers nachzuvollziehen. Dennoch wird es wohl für jeden Leser irgendwann einen Punkt im Buch geben, an dem er fachlich aussteigen muss. Speziell die Bell’sche Ungleichung eignet sich wohl nicht sonderlich gut für die Vermittlung an fachfremdes Publikum.

Aber nichtsdestotrotz schafft Zeilinger es nicht nur, dem geneigten Leser inhaltlich eine Menge neues Wissen mit auf den Weg zu geben, er regt darüber hinaus zum verstärkten Nachdenken über philosophische Konsequenzen der Quantenmechanik an. So wird sich der Leser sicher einige Gedanken darüber machen, was bei der Teleportation eines Menschen passieren könnte oder was wäre, wenn wir wirklich alle keinen freien Willen hätten. Und wer am Ende immer noch nachvollziehen kann, was Anton Zeilinger hier schreibt, der wird sogar erfahren, wie Zeilingers Verschränkungsexperimente im Detail funktionieren und wie Quantenkryptografie prinzipiell abläuft. Inhaltlich hat der Autor hier also eine Menge hineingesteckt, was auf den ersten Blick vielleicht gar nicht auffallen mag. Doch „Einsteins Spuk“ ist nicht nur unglaublich lehrreich, sondern macht darüber hinaus richtig Spaß zu lesen, weil Physik hier nicht nüchtern dargeboten wird, sondern eingepackt wird in eine nette Geschichte, an der jeder interessierte Leser Gefallen finden wird.

So steigt am Ende meine Hochachtung vor Anton Zeilinger noch weiter an, denn wer ein so kompliziertes Teilgebiet der Physik wie die Quantenmechanik so lebendig und interessant darstellen und eingängig erklären kann, der beweist, dass er nicht nur ein begeisterter Physiker ist, sondern sein Wissen auch gerne an andere weitergeben möchte. In diesem Sinne freue ich mich auf seine weiteren populärwissenschaftlichen Werke, die sicherlich nicht minder spannend ausfallen werden!

Loewe, Elke – Sturmflut

Nach der Veröffentlichung ihres dritten Kriminalromans [„Engelstrompete“, 1055 welcher von den Ereignissen in der kleinen idyllischen Stadt Augustenfleth erzählt, legt die deutsche Autorin Elke Loewe nun mit „Sturmflut“ einen Roman vor, der sich der großen Flut von 1717 widmet, bei der Tausende von Menschen ihr Leben verloren haben. Dass die Autorin selbst in der Ostemarsch beheimatet ist und ihr die Deichlandschaften daher besonders am Herzen liegen, kann man dabei aus jeder einzelnen Zeile herauslesen.

Im Zentrum der Geschichte aus „Sturmflut“ stehen Joenes Marten und seine gesamte Familie. Joenes‘ Frau Geeske ist hochschwanger und erwartet ihr fünftes Kind, welches schließlich an Weihnachten während der Flut geboren werden soll. Zusammen haben Joenes und Geeske bereits zwei Töchter und zwei Söhne und scheinen eine glückliche Ehe zu führen. Doch da gibt es auch noch Joenes‘ blinden Bruder Claus, mit dem Joenes sich gar nicht gut versteht. Die beiden verbindet ein schicksalhafter Unfall, über welchen wir erst im weiteren Verlauf der Romanhandlung mehr erfahren.

Catharina vom Moor erschreckt kurz vor Weihnachten die Marschbewohner mit ihren unsäglichen Voraussagen von Tod und wildem Wasser. Die wunderliche Frau ist mit dem zweiten Gesicht ausgestattet und daher bei den Deichbewohnern nicht sehr beliebt. Doch Joenes glaubt an ihre Vorhersagen und nimmt sich vor, zusammen mit seinem Bruder Claus das Familienboot auf Vordermann zu bringen. Als jedoch Claus anreist, schiebt Joenes seine Pläne auf, bis es zu spät ist. Genau an Weihnachten im Jahr 1717 nämlich, als bei Geeske die Wehen einsetzen, steigt auch das Wasser an. In den Wassermassen werden die beiden Brüder getrennt, Joenes flüchtet sich mit seinen Kindern, Claus entkommt mit Geeske. Er kann der hochschwangeren Frau gerade noch bei ihrer Geburt assistieren, da versinkt die erschöpfte Frau auch schon in den Fluten. Und auch die beiden Mädchen überleben diese Nacht nicht. Als der Morgen kommt, ist Joenes Witwer und ein verlorener Mann. Er kann seine neue Tochter nicht annehmen und sucht sein Glück in anderen Dingen …

An und für sich erzählt Elke Loewe somit eine tragische und im Grunde packende Familientragödie, die viel Potenzial enthält. Umrahmt wird die Familiengeschichte von der großen Flutkatastrophe, bei der viele Todesopfer beklagt werden mussten und etliche Menschen ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Im ersten Teil ihres Buches legt Loewe viel Wert auf die Vorstellung der Familie Marten. In vielen Einzelheiten lernen wir die Menschen kennen, wohlwissend, dass ihnen ein furchtbares Schicksal bevorsteht. Ungefähr auf der Hälfte der Erzählung steigt schließlich das Wasser an und führt zu einer dramatischen Wendung in der Romanhandlung. Haben wir die Familie Marten vorher noch als glücklich und zufrieden kennen gelernt, so verlieren drei geliebte Menschen in nur einer einzigen Nacht ihr Leben, sodass am Morgen nichts mehr ist wie zuvor. Auf nur wenigen Seiten wird die Nacht der Flut abgehandelt, im weiteren Verlauf widmet sich Elke Loewe ausgiebig den Folgen der Überschwemmung, denn nach dem Deichbruch schaffen es die Menschen nicht, die Löcher im Deich zu stopfen und das Wasser loszuwerden. Viele Jahre soll es dauern, bis hier erste Erfolge verbucht werden können.

In der Deichreparatur sieht Joenes Marten nach der Flut den Sinn seines Lebens; wie besessen widmet er sich den Aufräumarbeiten und verlässt dafür seine restliche Familie. Seine beiden Geschwister müssen sich fortan um die Kinder kümmern, seine neue Tochter Maria Magdalena will Joenes nicht einmal sehen. Doch obwohl Joenes eine wichtige Rolle bei den Reparaturen des Deiches spielt, rückt die Familie Marten in den Hintergrund. Leider führt dies zu einem deutlichen Spannungsabfall, denn die intensive Vorstellung der Familie hatte in mir die Erwartung hervorgerufen, dass Elke Loewe auch nach der schicksalhaften Nacht die Familiengeschichte weitererzählen würde. Während somit auf den ersten hundert Seiten durch die Ahnung der bevorstehenden Katastrophe stetig Spannung aufgebaut wird, erzählt die Autorin in der zweiten Hälfte ihres Buches viel zu viel über die Deichreparatur und die damit verbundenen Probleme. Viel mehr hätte mich das Familienschicksal interessiert, obwohl Joenes durch sein absonderliches Verhalten immer mehr Minuspunkte beim Leser sammelt. Sein Verhalten ist mir nicht verständlich geworden, selbst seinen Kindern gegenüber ist Joenes rücksichtslos und lässt sie einfach bei seinem blinden Bruder zurück. Schade, dass Elke Loewe im zweiten Teil des Buches den Schwerpunkt auf die Deicharbeiten gesetzt hat und Joenes Marten eine so wenig nachvollziehbare Wendung vollzogen hat; hierdurch wird viel Potenzial verspielt.

Sprachlich mutet das Buch gewöhnungsbedürftig an, der Satzbau ist ziemlich altmodisch und entspricht nicht den heutigen grammatikalischen Regeln, so haben Nebensätze oft den gleichen Aufbau wie Hauptsätze, worüber man beim Lesen immer wieder stolpert. Auch die Wortwahl ist ungewohnt und dadurch teilweise etwas ungeschickt. Insbesondere Metta mit ihrem ewigen „nützt nichts“ strapaziert auf Dauer sehr die Nerven der Leser.

Punkten kann Elke Loewe auf der anderen Seite durch ihre eindrucksvollen Landschaftsbeschreibungen, denen man anmerkt, wie sehr das Herz der Autorin an ihrer Heimat hängt. Hierdurch wird eine sehr dichte Atmosphäre aufgebaut, die durchaus zu überzeugen weiß, allerdings die Schwachpunkte der Romanhandlung nicht ausbügeln kann.

Insgesamt verfügt das Buch über gute Ansätze. Die Familientragödie mitten in der Naturkatastrophe hätte viele Möglichkeiten eröffnet, aber die Verwicklungen zwischen Joenes, Claus und Geeske sind dann doch zu klischeebesetzt und durchsichtig, als dass sie wirklich für Spannung hätten sorgen können. Die erste Hälfte des Buches ist recht gut gelungen und lässt auf eine spannende zweite Hälfte hoffen, die dann aber leider nicht kommt. Am Ende langweilt das Buch schließlich mehr, als es dem Leser lieb sein kann, sodass ein eher mittelmäßiger Eindruck zurückbleibt sowie der Wunsch, dass Elke Loewe als nächstes lieber wieder einen Augustenfleth-Kriminalroman schreiben möge.

Remin, Nicolas – Schnee in Venedig

Auf den venezianischen Spuren einer Donna Leon wandelt nun in seinem Erstlingsroman auch der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph Nicolas Remin, der mit „Schnee in Venedig“ einen lesenswerten Roman mit nur einigen kleinen Schönheitsfehlern vorgelegt hat. Manch einer mag ihm vorwerfen, dass er auf etwas zu viele klischeebesetzte Figuren zurückgegriffen hat, doch jede Leserin, die schon jetzt den weihnachtlichen Ausstrahlungen der zuckersüßen Sissi-Filme entgegenfiebert, wird sich über das Wiedersehen mit der Kaiserin von Österreich in diesem Buch sehr freuen und Remin ein paar Fehlgriffe mehr verzeihen als der strenge männliche Leser.

Zunächst startet „Schnee in Venedig“ mit einem Prolog, welcher im Jahre 1849 spielt und sehr lange nicht in den Zusammenhang mit der restlichen Romanhandlung gebracht werden kann und daher vielleicht etwas zu schnell in Vergessenheit gerät. Schon auf Seite 13 springen wir ins Jahr 1862 und begleiten Emilia Farsetti auf ihrem Weg zur Arbeit, der sie zur |Erzherzog Sigmund| – einem Österreichischen Raddampfer – führt. Dort entdeckt sie in Kabine 4 zwei Leichen und lässt unüberlegt einige Dokumente verschwinden, was sie später noch bereuen wird. Hofrat Hummelhauser aus Wien wird mit zwei Schusswunden aufgefunden, eine unbekannte junge Dame neben ihm wurde erwürgt und in den Hals gebissen. Der Fund wirft viele Fragen auf, denn wer ist die unbekannte Dame, die nicht auf der Passagierliste steht, und welche Dokumente hat Emilia Farsetti an sich genommen?

Commissario Tron wird zu dem Fundort hinzugerufen, wo ihm allerdings schnell der Fall von Oberst Pergen wieder entzogen wird, der zu wissen meint, dass diese beiden Morde im Zusammenhang mit einem geplanten Attentat auf die Kaiserin von Österreich stehen. Tron allerdings gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und forscht auf eigene Faust nach – genau wie Elisabeth von Österreich, die einen Brief ihres Gatten vermisst und nun dem Mord an Hofrat Hummelhauser auf den Grund gehen möchte, da dieser den verloren gegangenen Brief überbringen sollte.

Zeitgleich zu den Vorbereitungen zu einem Maskenball im Palazzo der Trons geschehen weitere Morde, die immer mehr Fragen aufwerfen und Tron in seinem Glauben bestärken, dass Oberst Pergen nicht den wahren Täter gefunden hat.

Nicolas Remin hat sich für seinen Debütroman eine faszinierende Welt ausgesucht, welche den Rahmen zu seiner Kriminalgeschichte bildet. Das verschneite Venedig mit seinen Gondeln und Maskenbällen gepaart mit einer mutigen Elisabeth von Österreich, die uns hier nicht annähernd so zerbrechlich präsentiert wird, wie wir sie aus anderen Erzählungen kennen, ergeben eine interessante Mischung, die zu unterhalten weiß. Als eingefleischter Sissi-Fan muss man sich zunächst an die Wandlung der Elisabeth gewöhnen, doch gewinnt die kaiserliche Figur, die sich nur aufgrund eines fehlenden Briefes ihre eigenen Nachforschungen anstrengt und sich dabei heimlich aus dem Palast stiehlt, schnell an Sympathie.

Es sind die Charaktere in diesem Buch, welche den Reiz ausmachen, denn auch der ärmliche Tron mit seinen berühmten Vorfahren und der exzentrische Polizeichef, der seine Süßigkeiten auf keinen Fall mit anderen teilen und auch beim Mittagessen gefälligst nicht gestört werden möchte, gefallen sehr gut und animieren den Leser zum Schmunzeln. Überhaupt beweist Remin an mancher Stelle einen trefflichen Humor, wenn zum Beispiel eine Leiche ins Wasser geworfen wird und dann festgestellt werden muss, dass sich dummerweise direkt unter der Abwurfstelle ein Boot befindet, welches die Leiche aufgefangen hat. Remin entwirft nicht nur zum Teil skurrile Charaktere, sondern auch manch eine Situation, die mich zum Schmunzeln gebracht hat.

Zwei Handlungsfäden sind es, die sich durch das gesamte Buch ziehen und die Handlung vorantreiben; so begleiten wir auf der einen Seite Commissario Tron bei seinen Ermittlungen, die er nun als Privatmann fortführen muss, und wir werden Zeuge, wie Elisabeth zur Gräfin Hohenembs wird, die sich unerlaubterweise aus dem Palast stiehlt, um ebenfalls herauszufinden, wer hinter dem Mord an Hofrat Hummelhauser steckt. Das Schema zweier paralleler Handlungsstränge ist altbekannt, verwirrend empfand ich allerdings den Zeitsprung, den wir beim Wechsel von einem Schauplatz zum nächsten durchmachen müssen, denn Tron agiert stets in der Vergangenheit, während die Passagen rund um Elisabeth in der Gegenwart verfasst sind. Eventuell mag dies ein geschickter literarischer Kniff sein, für mich bedeutete dieser Wechsel im Zeitverlauf allerdings immer wieder eine Störung im Lesefluss, auf die ich gerne verzichtet hätte.

Dafür überzeugt Remin in anderen Belangen auf ganzer Strecke, seine romantischen und vielfarbigen Beschreibungen des winterlichen Venedigs ermöglicht es seinen Lesern, ganz in diese fremde und faszinierende Welt einzutauchen und das ungemütliche Herbstwetter vor dem eigenen Fenster vollends auszublenden. Ganz nebenbei erfährt man sogar ein klein wenig über venezianische Geschichte und Venedigs Verbindungen zu Österreich. Abgesehen von den Zeitsprüngen empfand ich Remins bildhaften und sympathischen Schreibstil als sehr erfrischend und angenehm, seine Zeilen liest man einfach gerne, sie machen Spaß und unterhalten gut. Diese Pluspunkte auf stilistischer Ebene sorgen dafür, dass man Remin inhaltlich dafür ein paar Schnitzer nachsieht, auch das etwas kitschig anmutende Ende passt ja irgendwo in ein Buch, in welchem Sissi eine Hauptrolle spielt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Nicolas Remin zwar keinen perfekten Debütroman vorgelegt hat, aber ganz sicher einen unterhaltsamen Kriminalroman, der vielleicht nicht ganz so rasant geschrieben ist wie bei Mankell, der uns dafür aber in eine unglaublich interessante und fremdartige Welt entführt, in die man sehr gerne eintaucht. Nur wenige Dinge trüben ein klein wenig den Lesegenuss, die meiste Zeit aber bereitet dieses Buch einfach nur Freude und macht schon jetzt neugierig auf den im Januar erscheinenden Nachfolger „Venezianische Verlobung“, den ich mir sicher nicht entgehen lassen werde.

Paolini, Christopher – Eragon – Der Auftrag des Ältesten

Endlich wird das aufregende Abenteuer des jungen Eragon, welches in [„Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter“ 1247 seinen Anfang gefunden hat, weitererzählt, und wir erfahren, was nach der ersten spannenden Schlacht in Farthen Dûr passiert ist. Doch der zweite Teil der Drachenreiter-Trilogie hat wie so viele andere Übergangsbände damit zu kämpfen, dass dieses Buch keinen echten Anfang und kein Ende hat. So bleibt wie so oft direkt nach dem Zuklappen des zweiten Bandes ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurück, weil noch so viele Dinge ungeklärt blieben, auf deren Aufklärung wir sicher noch einige Zeit warten müssen.

_Die Reise geht weiter_

Nur knapp sind die Varden einer großen Niederlage entkommen, nur mit Aryas und Saphiras Hilfe konnte Eragon gerettet werden. Doch die Verluste sind groß, die verräterischen Zwillinge haben Murtagh verschleppt, und nachdem die Elfin Arya seine blutige Kleidung findet und seinen Geist nicht ertasten kann, wird Murtagh für tot erklärt. Eragon dagegen konnte den gemeinen Schatten Durza töten und dadurch eine Wendung zum Guten hervorbringen. Aber in Farthen Dûr wurde nur die erste Schlacht ausgefochten, die entscheidende Schlacht gegen Galbatorix und seine hinterhältigen Anhänger steht noch aus.

Nach Ajihads Tod brauchen die Varden einen neuen Anführer, doch anstatt in weiser Voraussicht einen starken Vardenführer zu wählen, werden im Ältestenrat zahlreiche Intrigen gesponnen, bis Ajihads junge Tochter Nasuada auserwählt wird, weil der Ältestenrat sie aufgrund ihrer Jugend und Unerfahrenheit für manipulierbar und formbar hält. Doch der Ältestenrat hat sich geschnitten, denn Nasuada hat sich bereits auf ihre kommende Aufgabe eingestellt und sichert sich Eragons Treue und Unterstützung zu. Eragon, der noch eine weitere Allianz eingehen wird, schafft sich mit diesen Entscheidungen allerdings nicht nur Freunde …

Im Zentrum der Geschichte steht die Fortsetzung von Eragons Ausbildung in Ellesmera, der berühmten Elfenstadt, in der die Königin Islanzadi herrscht. Doch während Eragon bei den Elfen wichtige neue Zaubersprüche und die Elfensprache lernt, ahnt er nicht, in welcher Gefahr sein Cousin Roran in Carvahall schwebt. Dorthin hat Galbatorix nämlich seine Soldaten und Ra’zac geschickt, um Roran als Geisel zu nehmen und dadurch an Eragon heranzukommen. Als die Schatten schließlich Rorans geliebte Katrina gefangen nehmen, greift Roran in seiner Verzweiflung zu drastischen Maßnahmen. Er überredet das gesamte Dorf, mit ihm nach Surda zu ziehen, um sich dort dem Widerstand der Varden anzuschließen. Eine gefahrenvolle Reise wird den Bewohnern von Carvahall bevorstehen …

_Die Zeichen stehen auf Krieg_

Nach dem Ende des ersten Bandes der Drachenreiter-Trilogie war bereits die Zielsetzung für den aktuellen zweiten Band klar, denn der Kampf gegen Galbatorix ist noch lange nicht zu Ende, genau wie Eragons Ausbildung, die dringend fortgesetzt werden muss. Und so überrascht uns Christopher Paolini in seinem fast 800-seitigen Werk nicht sonderlich, wenn er sich genau diesen Punkten widmet. Doch gleich von Anfang an packt uns Paolini, indem er Intrigen spinnt und Allianzen entstehen lässt, die für genug Brisanz sorgen. Kurz nach Eragons Ankunft in Ellesmera erwartet uns schließlich das erste große Überraschungsmoment, welches der junge Autor geschickt in seine Geschichte einfließen lässt, um seine Leser immer mehr an seine Erzählung zu fesseln.

Zunächst entwickelt Paolini seinen Handlungsstrang in Farthen Dûr, welcher direkt im Anschluss an die erste Schlacht einsetzt. Die Varden müssen große Verluste hinnehmen, die Zwerge haben gar ihr großes Wahrzeichen verloren, das Arya und Saphira zerstört haben, um Eragon retten zu können. Die Verluste sind trotz siegreicher Schlacht groß und müssen zunächst verkraftet werden. Die Geschichte fasziniert von Anfang an und weiß zu unterhalten, ohne dass zunächst viel Spannung aufgebaut wird. Dies passiert erst, als Paolini eine zweite Handlungsebene eröffnet, die größtenteils in Carvahall spielt. Eragons Heimatdorf wird nämlich von Galbatorix‘ Soldaten und Ra’zac bedroht, die Roran gefangen nehmen wollen, aber auf unerwartet großen Widerstand treffen. Die Bewohner von Carvahall wehren sich tapfer, können irgendwann aber einfach nur noch die Flucht ergreifen, auch wenn diese viele Gefahren mit sich bringt.

Dieser zweite Handlungsstrang und die Wechsel zwischen den beiden Schauplätzen sorgen für stetig anwachsende Spannung, die unweigerlich auf nur ein Ziel hinweisen kann, nämlich auf einen großen Kampf am Ende des Buches, auf den die Leser allerdings über 700 Seiten lang warten müssen. Erst spät geht Paolini zielgerichtet auf die Schlacht zu, in der viele verschiedene Völker aufeinander treffen.

_Lehrstunden_

Eine etwas längere lesetechnische Durststrecke ist während Eragons Ausbildung in Ellesmera zu überstehen. Diese Lehrstunden bei seinem neuen Meister werden sehr detailliert und in allen Einzelheiten geschildert, die schon etwas Geduld und Ausdauer erfordern. Zwar spielt Paolini wieder alle seine Trümpfe aus, indem er farbenfrohe Bilder von Ellesmera entwirft und uns in eine fremde und faszinierende Welt entführt, doch präsentiert er uns über eine lange Buchstrecke hinweg wenig Neues. Nur die Passagen in Carvahall sorgen hier für das gespannte Kribbeln, sodass ich mir tatsächlich von der Rahmengeschichte mehr gewünscht hätte.

Auch wenn wieder einige Anleihen bei anderen berühmten Fantasywerken zu bemerken sind, entfernt Paolini sich stetig von seinen Vorbildern. Nur „Der Herr der Ringe“ blitzt wieder einmal an einigen Stellen durch; so wurde hier Eragon eine schmerzliche Wunde durch die Ra’zac (das Paolinische Pendant zu den Tolkien’schen Nazgul) zugefügt, die nur durch besondere Kräfte zu heilen ist und ihn zunächst immer wieder schwer beeinträchtigt. Auch die Flucht der Einwohner von Carvahall mag an diejenige von Edoras nach Helms Klamm erinnern. Selbst in der Schlacht am Ende des Buches sind Parallelen nicht von der Hand zu weisen, denn die lebensnotwendige Verstärkung trifft auch bei Paolini fast schon zu spät ein. Dennoch muss man auch im zweiten Teil der Drachenreiter-Trilogie wieder neidlos zugeben, dass Christopher Paolini dennoch eine eigene Welt entwirft, die er uns in schönen Bildern und lautmalerischen Worten präsentiert. Er schafft es sogar, seine Skeptiker zu überzeugen und zu Fans seines fantastischen Alagaësia zu machen.

Paolini entscheidet sich hierbei für einen jungen und strahlenden Helden, der bei den Elfen geformt und am Ende verwandelt und von seinen Narben befreit wird. Spätestens mit dieser Entscheidung entfernt Paolini sich spürbar von Tolkien, der Frodo bewusst tragisch gezeichnet hat, um die ewig andauernde Last des Ringes zu kennzeichnen. Doch schon diese kleine Differenz ist es, die „Eragon“ eine ganz andere Prägung verleiht und die die Drachenreiter-Trilogie insbesondere auch deutlich kindgerechter macht.

Punkten kann Paolini wieder einmal in seiner überzeugenden Charakterzeichnung, die er in diesem Band noch weiter gestaltet. Besonders Eragon und Saphira lernen wir hier von ganz neuen Seiten kennen, die vorher noch nicht aufgeblitzt sind. Aber auch Roran erhält Gestalt und bekommt viel mehr Raum zugestanden, welchen er problemlos füllen kann. Von Roran möchte man gerne mehr lesen, er hat seinen starken Charakter bereits bewiesen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie er zu seinem Cousin steht, der für das ganze Unglück von Carvahall verantwortlich ist. Doch dieser Konflikt ist es, der bereits neugierig auf die Fortsetzung macht, in welcher die beiden Cousins zusammen noch wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.

Neben der etwas langwierigen Erzählweise im Mittelteil des Buches sind es nur Winzigkeiten, die den Lesegenuss trüben mögen, wie die teils längeren Passagen, die in Zwergen- oder Elfensprache abgedruckt sind und nicht in einer Fußnote übersetzt werden. Zweifeln wird der aufmerksame Leser auch, wenn ganz Carvahall an nur einem Tag von einem mächtigen Schutzwall umzogen wird, den die Bewohner gemeinsam errichten. Etwas unklar ist mir außerdem, warum Arya ihrem Drachenreiter-Schützling wichtige elfische Gepflogenheiten erst direkt vor ihrer Ankunft in Ellesmera mitteilt und die lange Zeit der Reise zuvor nutzlos verstreichen lässt. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch sicherlich um Unstimmigkeiten, über die man angesichts der fantastischen Erzählweise gerne hinweg sehen wird.

_Nun heißt es warten_

Wie schon im ersten Teil, so endet auch „Eragon – Der Auftrag des Ältesten“ völlig offen. Wieder ist eine Schlacht geschlagen, ein vorübergehender Sieger steht fest, doch das Aufeinandertreffen von Eragon und Galbatorix hat Christopher Paolini sich für seinen heiß erwarteten Abschlussband der Drachenreiter-Trilogie aufgehoben. Das vorliegende Buch hat als Übergangsteil einen sehr schweren Stand, zumal der Mittelteil sehr lang gezogen erscheint, dennoch entwickelt Paolini seine Figuren und seine Geschichte sehr schön weiter. An manchen Stellen weiß er zu überraschen und so präsentiert er gen Ende noch einmal eine unerwartete Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte. Insgesamt gefiel mir der Eröffnungsband ein klein wenig besser, da ich mir die Erzählung im aktuellen Roman etwas straffer gewünscht hätte, doch es sind im Grunde Kleinigkeiten, die es zu bemängeln gibt, sodass ich schon jetzt ungeduldig dem Abschluss der Trilogie entgegen fiebere!

http://www.eragon.de/

|Originaltitel: Inheritance Trilogy 2: The Eldest
Übersetzt von Joannis Stefanidis
800 Seiten, mit Lesebändchen
gebunden, 22,7 × 15 cm|

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem

Auch Taavi Soininvaara zählt zu den glücklichen Preisträgern eines bekannten Buchpreises, denn sein Roman „Finnisches Requiem“ wurde als bester finnischer Kriminalroman ausgezeichnet. Zugegebenermaßen verliere ich langsam den Überblick über die verliehenen Kriminalpreise, auch wenn mich derlei Werbung auf den Buchdeckeln immer wieder zum Kauf eines Buches überzeugt. Doch „Finnisches Requiem“ zeigt einmal mehr, dass Autoren oft völlig zu Recht ausgezeichnet werden. Der vorliegende Roman stellt allerdings keinen herkömmlichen Kriminalroman dar, Soininvaara präsentiert uns eher einen packenden politischen Thriller, in welchem er aktuelle Probleme und Meinungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung diskutiert.

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem weiterlesen

Kirstilä, Pentti – Nachtschatten

Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.

_Mord im Dunkeln_

Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.

Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.

Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.

Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …

_Wer bin ich?_

Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.

Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.

Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.

_Pluspunkte_

Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.

_Unterm Strich_

Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.

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Brunhoff, Jean de – Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten, Die

Wie könnte man die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten besser veröffentlichen als im Jumboformat? Dieses Buch beeindruckt schon auf den ersten Blick durch sein großes Format, die schöne Leinenbindung und das niedliche Coverbild. Ich möchte denjenigen Elefantenliebhaber kennen lernen, der an diesem Buch vorbeigehen könnte – mir ist es nicht gelungen.

Jean de Brunhoff schuf in den Jahren 1931 bis 1937 mit Babar einen Klassiker, der auch heute noch die Herzen der Kinder und Kindgebliebenen höher schlagen lässt. Einst war es Jeans Frau, die den kleinen Elefanten als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigenen Kinder erfand, ihr Mann gab dem Elefanten schließlich einen Namen, zeichnete die Bilder dazu und machte sich dadurch unvergessen.

Diesen Monat veröffentlicht der |Diogenes|-Verlag eine Neuauflage der vier Geschichten um Babar und seine Familie im wunderschönen aber leider nicht ganz preisgünstigen Jumboformat. Doch mit diesen Büchern ergänzt man seine private Bibliothek mit vier Werken, die in keinem Haushalt fehlen sollten. An diesen Geschichten werden Jung und Alt ihre helle Freude haben.

„Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ bildet den Auftakt zu der kleinen Buchreihe um Babar und stellt uns den kleinen Helden genauer vor. Der Inhalt ist schnell erzählt, denn im Vordergrund der nur 47 Seiten kurzen Erzählung stehen eindeutig die Bilder. Babar lebt zusammen mit vielen Freunden und Bekannten im Dschungel, bis ein Jäger eines Tages seine Mutter erschießt. Traurig und verzweifelt beschließt der kleine Babar, dass er in die Stadt auswandern möchte. Dort angekommen, ist er begeistert von der modernen Technik und vor allem von der schicken Kleidung.

Babar trifft auf eine vornehme alte Dame, die ihm Geld schenkt, damit der kleine Elefant sich einkleiden kann. Doch als er im Kaufhaus ankommt, fasziniert ihn der Fahrstuhl so sehr, dass er so lange auf und ab fährt, bis der Liftboy es ihm verbietet. Anschließend sucht Babar sich einen schicken grünen Anzug mit einem passenden Hut aus. Als modischer Elefant freundet er sich auch mit der alten Dame an und lebt sein eigenes Stadtleben. Eines Tages jedoch trifft Babar zwei Bekannte aus dem Dschungel wieder, die sich in die Stadt verirrt haben, und langsam bekommt der kleine Elefant Heimweh …

Auf der Inhaltsebene passiert im Grunde genommen nicht viel in diesem allzu dünnen Buch, sodass auch kleine Kinder schon alles verstehen dürften, wenn sie die Geschichte von ihren Eltern vorgelesen bekommen. Darüber hinaus sind die Sätze sehr einfach formuliert, es gibt keinerlei komplizierte Wörter, lange Satzkonstrukte oder Ausschmückungen. Für ältere Leser mag sich dieser Schreibstil daher sehr spartanisch und ungeschickt anhören, aber die Geschichte vom kleinen Elefanten ist natürlich vornehmlich für jüngeres Publikum geschrieben. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass der Text in Schreibschrift abgedruckt ist, wie Kinder sie in der Schule lernen. So eignet sich „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ nicht nur hervorragend zum Vorlesen, sondern auch zum Selbstlesen für ABC-Schützen, die sich alleine an die ersten Bücher heranwagen wollen.

Der Lerneffekt der erzählten Geschichte ist allerdings eher gering; nach dem Tod von Babars Mutter tauchen im Prinzip keine Schwierigkeiten mehr auf. Als Babar in die fremde Stadt kommt, trifft er sofort auf eine freundliche Dame, die ihm weiterhilft, und auch später löst sich vieles in Wohlgefallen auf. Die Geschichten um Babar sind daher nicht mit „Benjamin Blümchen“ zu vergleichen, der stets bei jedem Problem zur Stelle ist und den Kindern Werte wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft vermittelt. „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ ist recht einfach gestrickt und lebt von ihren Bildern.

Zum leichteren Verständnis für die junge Leserschaft tragen die herrlichen Zeichnungen bei, die den Text wunderbar dokumentieren. Jean de Brunhoff schafft es überzeugend, Stimmungen auszudrücken, seinen Elefanten sieht man stets an, wie sie sich gerade fühlen. So entdecken wir einen betrübten Babar, der gerade seine Mutter verloren hat, aber am Ende auch einen optimistischen, erfahrenen und glücklichen Babar, der mit seiner Verlobten zurück in den Dschungel kehrt. Durch den Fünffarbdruck erhalten die Zeichnungen ihren ganz eigenen Charme, man merkt ihnen an, dass ein menschlicher Maler mit viel Liebe am Werke war und nicht nur ein Computer, der die Bewegungen und Mimiken der Figuren simuliert hat. Heutzutage wären solche Zeichnungen natürlich viel perfekter und lebensechter, doch meiner Meinung nach wäre das dem Gesamteindruck gar nicht zuträglich. Babar ist genau so perfekt, wie wir ihn in diesem Buch bewundern dürfen.

Die Bilder sind bis ins kleinste Detail ausgestaltet; schauen wir uns zum Beispiel [Babar als modisch gekleideten Elefanten]http://www.celesteville.com/images/bafterdinner.jpg an, dann bemerken wir, dass sich mit seiner neuen Kleidung sogar seine Körperhaltung verändert hat. Er steht aufrecht und stolz da und steckt vornehm seine Hand in die Hosentasche. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen!

Auch etwa 70 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Babar immer noch lesenswert und eine Bereicherung für jede Büchersammlung; dieses Buch dürfte an Weihnachten so manches beschenkte Kind glücklich machen. Bei mir wird „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ jedenfalls einen Ehrenplatz einnehmen und ganz sicher keinen Staub ansetzen. Denn dieses Buch muss man immer wieder durchblättern, schon weil die Bilder allerliebst sind.

Wer sich selbst von der Schönheit der Zeichnungen überzeugen möchte, sollte dies [hier]http://www.celesteville.com/ tun.

Paturi, Felix R. – letzten Rätsel der Wissenschaft, Die

„Was ist überhaupt Wissenschaft?“ – dieser Frage versucht Felix R. Paturi im Vorwort seines aktuellen Buches auf den Grund zu gehen, denn wenn er schreibt, dass „tief in seinem Herzen so mancher Naturwissenschaftler bestreitet, dass die Geisteswissenschaften und die seit einiger Zeit dazugekommenen Sozialwissenschaften überhaupt einen Anspruch darauf erheben können, Wissenschaften genannt zu werden“, dann führt der Autor bereits einen aktuellen und schon lange brodelnden Konflikt an. Wissenschaft ist ein so weit gefasster Begriff, dass wir heutzutage nicht ohne Spezialisierung auskommen. Dies führt zwar zur Herausbildung zahlreicher Experten, aber auch dazu, dass die einzelnen Fachrichtungen sich immer weiter auseinander entwickeln. Doch Felix R. Paturi versucht in seinem aktuellen Wissenschaftsbuch den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen. Obwohl der Autor von Haus aus laut Verlagsinformation Physiker ist, öffnet er sich anderen Themen, zeigt sein weit gefächertes Interesse und wagt hier den mutigen Schritt, all diese Ideen und Rätsel in nur einem Buch aufzugreifen.

Schon der Wissenschaftsbegriff wirft unzählige Fragen auf, doch auch der Begriff des „Rätsels“ ist diskussionswürdig. Felix R. Paturi versteht darunter die ungeklärten Fragen der einzelnen Wissenschaftszweige, nicht aber die Rätsel aus Rätselzeitschriften, da diese bereits beantwortet sind und für die Wissenschaft kein Rätsel (mehr) darstellen. Den wirklichen Rätseln, für die noch kein Mensch eine Lösung gefunden hat, widmet sich der Autor im vorliegenden Buch.

Das Vorwort gibt einen guten Einstieg in die Thematik und macht bereits deutlich, welche Fragen sich in diesem Zusammenhang stellen. Paturi beantwortet sie jedoch nicht wirklich, sondern fordert seine Leser dazu auf, sich ihre eigene Meinung über den Wissenschaftsbegriff zu bilden. Ein Blick in das [Inhaltsverzeichnis]http://www.eichborn-verlag.de/s2/default.asp?SeID=&id=472&tid=1604&x=1&y=1 zeigt die Breite der vorgestellten Themen, wo so ziemlich jeder halbwegs interessierte und weltoffene Leser genug Aspekte finden dürfte, die ihn ansprechen.

Zunächst geht Paturi physikalischen Fragen auf den Grund. Obwohl in der Physik viele Rätsel gelöst werden konnten und mit der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik zwei umfassende Theorien zur Verfügung stehen, die beide für sich stimmig sind, widersprechen sie sich doch gegenseitig. Ein aktueller Lösungsansatz ist die mysteriös anmutende Stringtheorie, die sich jeder Vorstellungskraft entzieht. Dennoch schafft Paturi es ohne Formeln und auf nur wenig Raum, diese Theorie in Grundzügen vorzustellen und verschafft sich dadurch bereits meine Hochachtung. Auch die Frage nach der Dunklen Materie und woraus sie bestehen kann, wird thematisiert. Sogar die Quantenteleportation (also das „Beamen“ auf kleinster Ebene) und die merkwürdigen Folgen der Überlichtgeschwindigkeit werden uns verständlich gemacht; wobei ich mir in diesem Fall eine erläuternde Skizze gewünscht hätte, die sicherlich ohne Worte deutlicher gemacht hätte, was Paturi in einigen Sätzen zu erklären versucht.

Im Anschluss daran bringt der Autor uns Naturphänomene näher, von denen jeder schon einmal etwas gehört hat, aber über die wir oft noch nicht viel wissen. Hier erfahren wir, warum im sagenumwobenen Bermudadreieck zahlreiche Schiffe verschwunden sind, wir wundern uns über riesige Felsbrocken, die sich von ganz alleine zu bewegen scheinen, und wir grübeln darüber nach, wie die Maya einen Schädel aus Kristallstein schleifen konnten, der auch mit modernster Technik unmöglich herstellbar ist. Spätestens an dieser Stelle dürfte Paturi auch den letzten Leser fasziniert haben. Denn er schildert hier Phänomene, die leicht verständlich sind, aber doch unglaublich wirken. Niemand kennt eine plausible Lösung für den wundersamen Maya-Schädel, den es eigentlich gar nicht geben dürfte.

Etwas weniger spektakulär muten Schleifspuren in der Wüste an, deren Ursprung ebenfalls ungeklärt ist. Sensationslüsterne Möchtegernwissenschaftler sehen selbstverständlich außerirdische Besucher als Verursacher der mysteriösen Spuren, doch kritisiert Paturi derlei Spinnereien ganz offen, seiner Meinung nach sind es genau solche Populisten, die die Wissenschaft und ihre seriösen Erkenntnisse in Verruf bringen. Allerdings gibt es viele Phänomene, die völlig unglaublich sind, aber dennoch wissenschaftlich erklärt werden wollen. Wie kann beispielsweise die Homöopathie heilen, obwohl kein Wirkstoff in einem homöopathischen Mittel mehr nachweisbar ist? Oder wieso wachsen und gedeihen Pflanzen besser, wenn man mit ihnen spricht und sie liebevoll behandelt? Und was ist es, das einen Geistheiler auszeichnet? In diesen Punkten berührt Felix R. Paturi Grenzwissenschaften, denen vor allem viele Naturwissenschaftler sehr kritisch gegebenüber stehen. Die Klärung und Vorstellung dieser esoterisch anmutenden Aspekte fand ich nicht immer überzeugend, zumal sich die Frage stellt, ob Geistheilung wirklich zu den Wissenschaften gezählt werden kann.

Natürlich darf in einer populärwissenschaftlichen Abhandlung nicht die Frage nach der Schöpfung und ihrem Ursprung fehlen. Von vielen Seiten beleuchtet Paturi dieses Problem und regt erneut seine Leser dazu an, sich ebenfalls ihre Gedanken über diese Fragestellungen zu machen. Zu diesen Rätseln gibt es keine Lösungen, folglich werden uns in „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ auch keine angeboten, sondern lediglich Lösungsansätze, zu denen wir unsere eigenen Überlegungen anstellen können und sollen.

Im Kapitel über Religionswissenschaft widmet der Autor sich den verschiedenen Gottesbeweisen oder auch der Theodizee, also der Frage nach Gottes Allmacht und der Existenz des Bösen auf dieser Welt. Dies erscheint mir der schwächste Abschnitt des Buches zu sein, da hier nicht nur ungelöste Rätsel auftauchen, sondern Gott an sich bereits ein Rätsel darstellt, das wohl nur jeder für sich selbst lösen kann. Auch scheint das Zahlenwunder des Koran nicht viel mehr als bloße Rechnerei zu sein; wenn sich ein Mathematiker mit einem beliebigen Buch lange genug beschäftigt, wird er in diesem sicherlich eine Menge Auffälligkeiten entdecken, die dem reinen Zufall entspringen. Diesem Kapitel merkt man deutlich an, dass es schwer ist, über ein Thema wie „Gott“ wissenschaftlich zu diskutieren, wenn dessen bloße Existenz bereits ein ungelöstes Rätsel darstellt.

Am Ende macht Paturi sich an die Präsentation aktueller mathematischer Rätsel, wie den Milleniumsproblemen. Mit Hilfe weniger Formeln versucht der Autor, uns zu erklären, was es mit der jeweiligen Fragestellung auf sich hat. Doch sind diese Probleme größtenteils nur für Leser interessant und halbwegs verständlich, die sich auch über die Schule hinaus mit der Mathematik beschäftigt haben. Als Schlusskapitel erscheint mir die Mathematik mit ihren abstrakten Rätseln daher ein gewagtes Unterfangen zu sein.

Rückblickend erstaunen die Fülle an Themen, die uns Paturi präsentiert, und die große Anzahl auftauchender Fragen. Paturi versucht den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen, außerdem möchte er seine Leser zum eigenen Nachdenken anregen, doch kann dies nicht bei jedem Thema gelingen. Hätte der Autor sich nur auf ein einziges Gebiet konzentriert, hätte er wahrscheinlich eine kleinere Leserschaft angesprochen, doch hätte diese womöglich das ganze Buch mit gleichbleibend großem Interesse gelesen. Bei dieser Fülle von Themen tauchen zwangsläufig Rätsel auf, die nicht jeden Leser ansprechen oder die auch nicht jedem erklärbar gemacht werden können. Für dieses Buch muss man als Leser schon viel eigenes Interesse an verschiedenen Disziplinen mitbringen, sonst werden auch Paturis engagierte Versuche, uns die Wissenschaft näher zu bringen, scheitern. Der Buchtitel verspricht etwas zu viel; natürlich kann es sich hierbei nicht um die „letzten Rätsel“ handeln, denn es gibt selbstverständlich noch mehr, zumal immer wieder neue Rätsel auftauchen werden, die nach einer Lösung suchen.

Für wissenschaftlich vielfältig interessierte Leser bietet Felix R. Paturi mit diesem Buch einen breiten Überblick über die verschiedenen Disziplinen, der erfolgreich zum Nachdenken anregt, da es dem Autor gelingt, auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen, sodass selbst Leser ohne spezielle Vorkenntnisse begeistert werden können. Das umfassende Literaturverzeichnis am Ende des Buches bietet die Gelegenheit, sich noch weiter in spezielle Themen zu vertiefen. „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ wirft Fragen auf und kann natürlich wenige klären, dennoch schafft das Buch Verständnis in vielen Bereichen und erweitert den Horizont seiner Leser. Dies kann man wohl nicht von vielen Büchern behaupten.

Szerb, Antal – Halsband der Königin, Das

Der bekannte ungarische Literaturprofessor Antal Szerb feiert zur Zeit international seine Wiederentdeckung. Nachdem mit Erfolg seine beiden Romane „Die Pendragon-Legende“ und „Reise im Mondlicht“ wieder aufgelegt worden sind, veröffentlicht der |dtv| nun Szerbs Geschichtszeugnis „Das Halsband der Königin“, in welchem der Autor seinen Lesern in eigenen Worten die damalige [Affäre]http://de.wikipedia.org/wiki/Halsbandaff%C3%A4re mitsamt seinen Protagonisten vorstellt.

Zunächst spricht uns Antal Szerb persönlich an und teilt uns seine Absichten mit, er möchte mit seinem Buch nämlich nicht allein die inzwischen geklärte Skandalgeschichte um das berühmte Kollier erzählen, sondern diese nur als Ausgangspunkt nehmen, um uns mehr zu berichten vom damaligen Leben kurz vor der Französischen Revolution. So passt es auch wunderbar ins Bild, dass sich Szerb zunächst ausführlich den Hauptfiguren der zu erzählenden Geschichte widmet. In langen Kapiteln stellt er uns den Kardinal Rohan vor, der am Ende eine wenig glückliche Figur in der Affäre abgeben wird, aber auch die Hochstaplerin Jeanne de Valois erhält genug Raum, damit sich ihre Handlungsweise und ihr Charakter für uns erschließen. Selbst der zwielichtige Magier [Cagliostro]http://de.wikipedia.org/wiki/Alessandro__Cagliostro wird uns von Antal Szerb präsentiert, obwohl er in der eigentlichen Angelegenheit nur am Rande eine Rolle spielt.

Natürlich vergisst Szerb auch nicht, sich umfassend der französischen Königin [Marie Antoinette]http://de.wikipedia.org/wiki/Marie__Antoinette zu widmen, die im Volk nicht sonderlich beliebt war, allein schon, weil sie in Österreich geboren wurde. Die Halsbandaffäre schließlich brachte sie noch mehr in Verruf, da damals nicht genau geklärt werden konnte, ob sie wirklich nur das unwissende Opfer war, oder ob sie diesen Vorfall selbst inszeniert hat, um Kardinal Rohan in Misskredit zu bringen und in die Bastille sperren zu lassen. Im vorliegenden Buch wird uns Marie Antoinette als Modekönigin geschildert, die sich aber auch leidenschaftlich für Theater und Opernbälle erwärmen konnte, sie war laut Szerb darüber hinaus eine spöttische und kritische Königin mit einem destruktiven Geist.

Nach einer sehr umfassenden Präsentation der Hauptcharaktere, die schon ein wunderbar farbenfrohes Bild der damaligen Zeit entwirft, widmet sich Antal Szerb der eigentlichen Halsbandaffäre, die ihren Lauf nimmt, als die beiden Juweliere Boehmer und Bassenge das besagte Kollier nicht verkaufen können. Auch Marie Antoinette lehnt den Kauf ab, weil ihr der Preis zu hoch erscheint. Einige Zeit später ersinnt Jeanne de Valois ihre Intrige und redet Kardinal Rohan ein, die Königin wolle durch seine Vermittlung das Kollier heimlich erwerben. Stattdessen behält Jeanne es selbst, zerlegt es in seine Einzelteile und verkauft die Steine mit Hilfe ihres Mannes, um von dem dadurch gewonnenen Reichtum in Saus und Braus zu leben.

Als der Skandal auffliegt, werden einige hochrangige Persönlichkeiten in die Bastille gebracht. Der darauf folgende Prozess erregt großes allgemeines Interesse in der Bevölkerung und macht nochmals deutlich, wie sehr die Franzosen ihre Königin verachtet haben.

Gut recherchiert und von offenkundiger eigener Faszination motiviert, erzählt uns Antal Szerb von der Halsbandaffäre, die für ihn Sinnbild der Zeit kurz vor der Französischen Revolution ist. Er nimmt diesen Skandal als Aufhänger für seine Erzählung, hat aber darüber hinaus noch so viel mehr zu berichten. So nutzt Antal Szerb die Gelegenheit, um uns vor allem die Hauptcharaktere so ausführlich vorzustellen, dass sie uns fast wie lebendige Menschen vor Augen stehen. Viele ihrer Eigenarten erfahren wir und auch Dinge und Handlungen, die sie ausgezeichnet und berühmt gemacht haben. In diesen Vorstellungen werden auch bereits Lesersympathien verteilt, obwohl der Autor sich bemüht, alle Figuren möglichst neutral zu charakterisieren. Dennoch wird schnell deutlich, dass die geldgierige Jeanne de Valois zwar gerissen und schlau war, aber auch verlogen und hinterhältig. Am Ende steht sie als die Hauptschuldige da, was historisch durchaus auch erwiesen ist.

Zunächst empfand ich diese lange Vorstellung der wichtigen Personen als unnötig und anstrengend, da Szerb mir zu viel Zeit brauchte, um zum Punkt zu kommen. Am Ende muss aber auch ein skeptischer Leser wie ich einsehen, dass dies mehr als beabsichtigt ist und notwendig erscheint, wenn man ein derart ausführliches und umfassendes Bild des ausklingenden 18. Jahrhunderts entwerfen will. Erst auf der Hälfte des Buches widmet der Autor sich der eigentlichen Affäre, und auch diese Erzählung unterbricht er, um weitere Figuren auf den Plan zu bringen. Doch obwohl es über weite Strecken eigentlich nicht um das Kollier geht, geschehen so viele Dinge, dass Szerbs Bericht nicht langweilig wird. Zudem bemüht der Autor sich, uns die Fakten und Ereignisse so einfach wie möglich zu schildern, auch wenn dies angesichts der Fülle von Informationen nicht immer gelingen kann. Historisch weniger bewanderte Leser werden ihre Schwierigkeiten haben, die Übersicht zu behalten, da Szerb viele Fakten, Personen und Episoden nennt, doch lernen wir hierbei ganz nebenbei auf unterhaltsame Weise etwas über französische Geschichte.

„Das Halsband der Königin“ ist ein Abbild der Zeit Ludwig des XVI. Szerb bringt uns das damalige Hofzeremoniell, die Sitten und Gepflogenheiten näher, er berichtet umfangreich von den handelnden Personen, sodass sie im Laufe der Geschichte immer plastischer werden und sich in das Gesamtbild einfügen. Er nimmt sich Zeit, um etwas über Musik und Kunst zu erzählen und sorgt auf diese Weise dafür, dass wir das Gefühl bekommen, als wären wir mittendrin in der Halsbandaffäre und würden Kardinal Rohan und Jeanne de Valois auf ihrem Weg begleiten. Dieses Buch ist kein Roman im eigentlichen Sinne, da Szerb sich auf die bekannten Fakten stützt und es hierbei belässt, er dichtet keine eigene Geschichte um die früheren Geschehnisse herum. Dies führt dazu, dass sich „Das Halsband der Königin“ nicht so leicht lesen lässt wie beispielsweise Szerbs Erfolgsromane, auch finden wir keine wörtliche Rede, da es sich lediglich um eine Nacherzählung handelt. Für historisch interessierte Leser gibt es in diesem kleinen Werk allerdings viel zu entdecken. Ich bin mir sicher, dass man auch bei mehrfachem Lesen immer neue Informationen aufsammeln kann, wenn man sich auf Szerbs Erzählweise einlässt und sich von ihm in die Zeit der Halsbandaffäre entführen lässt.

Weitere Rezensionen zu Antal Szerbs Werken bei |Buchwurm.info|:
[„Die Pendragon-Legende“ 955
[„Reise im Mondlicht“ 1292

Haas, Marc Alexander – Dunkelheit der Tage, Die

|“Viele hatten sich anfangs ein organisches Dunkel vorgestellt, eine pulsende Bauchhöhle der Metropole, eine tropfende, schleimabsondernde Peristaltik, die nach Licht und Zellen griff, die sich von Ausscheidungen nährte und nie gesehene blasse Kreaturen gebar, um eine erdabgewandte Seite zu bevölkern. Nässe und Moder hatten sie erwartet, rätselhafte Geschöpfe, transparente Schädellose, die in schwarzen Pfützen wimmelten, Altäre der Nacht metertief unter der Stadt.“|

Marc Alexander Haas‘ Roman „Die Dunkelheit der Tage“ erzählt die Geschichte einer Stadt und seiner eigentlich so alltäglichen Bewohner. Wir begegnen Maria, die sich nach der Trennung von Eric zu ihrer Freundin Greta in deren Kneipe flüchtet und die bei einem kleinen Zwischenfall im Supermarkt nicht nur den Obdachlosen Elias kennen lernt, sondern auch Henri, in den sie sich verliebt. Henri ist nach einem Brand arbeitslos und nimmt daher gezwungenermaßen einen Aushilfsjob auf dem Schrottplatz an. Er ist zu stolz, um auf das Angebot seines Freundes Tito zurückzugreifen, für ihn zu arbeiten. Maria und Henri nähern sich einander ganz allmählich an, und im Laufe des beschriebenen Jahres erleben wir Höhen, aber auch einige Tiefen ihrer Beziehung mit.

In der Geschichte treffen wir auf Greta, die in Scheidung von Paul lebt, der ihr zunächst noch hinterherläuft, dann aber bald eine neue Freundin hat. Greta ist die Einzige, die an Vincent herankommt. Er ist vielleicht der geheimnisvollste Charakter in der „Dunkelheit der Tage“, denn er taucht nur ganz sporadisch auf, eigentlich ist er stets auf der Suche nach dem tätowierten Mörder seiner geliebten Freundin Lara. Vincent ist ein undurchsichtiger Charakter, an den wir nicht herankommen, da auch seine Bekannten ihn nicht durchschauen können. Dennoch geht von ihm eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Wir lernen Elias kennen, der in einer kleinen Baracke haust, aber immer wieder zugegen ist, wenn sich kleine Dinge ereignen; so passiert ihm im Supermarkt ein kleines Missgeschick, welches nur Henri durch sein beherztes Eingreifen ausbügeln kann. Elias möchte keine Hilfe seiner Freunde und Bekannten annehmen und feiert daher sogar Weihnachten und Silvester bei eisiger Kälte im Freien, aber immer wieder zeigt er seine Hilfsbereitschaft, er assistiert bei einer Geburt und hilft einer gehässigen Frau nach einem Sturz in ihren Rollstuhl hinein.

Dies sind nicht die einzigen Charaktere, die uns vorgestellt werden. Auf weniger als 400 Seiten stellt Marc Alexander Haas uns eine Vielzahl von verschiedenen Menschen vor und erzählt Teile ihrer Lebensgeschichte. So erfahren wir viele ihrer Eigenarten, Episoden aus ihrer Vergangenheit, aber wir erleben auch ihr aktuelles Leben mit. Im Laufe des Jahres in dieser dunkel gezeichneten Stadt werden Menschen begraben, aber wir schauen auch bei einer Geburt zu. Während die Jahreszeiten wechseln, findet also auch ein kleiner Wechsel der Generationen statt. Die Beziehung zwischen Maria und Eric ist vorbei, doch gibt es nach dem Kennenlernen zwischen Maria und Henri neue Hoffnung. So trostlos, wie Marc Haas uns die unbekannte Stadt präsentiert, baut er auch immer wieder kleine Oasen der Zuversicht ein, die die Geschichte leichter verdaulich machen, auch wenn wir sowohl Armut und Obdachlosigkeit als auch Arbeitslosigkeit und Beziehungskrisen miterleben müssen.

„Die Dunkelheit der Tage“ ist die Biografie einer Stadt samt einem Teil seiner Bewohner, viele völlig unterschiedliche Charaktere verfolgen wir und lernen dabei auf der einen Seite den armen Elias kennen, der für sein Überleben betteln gehen muss, aber wir treffen auch Tito, der von seinem vielen Geld Häuser kauft, die er einfach nur verfallen lassen möchte. Der Roman ist ein Wechselspiel aus Zuversicht und Verzweiflung. Nehmen wir beispielsweise Maria und Henri, die sich kennen lernen, als es Maria nach der Trennung von Eric nicht gut geht. An dieser Stelle muss Henri seine Arbeitslosigkeit verkraften, während es für Maria neue Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt gibt, da Gretas Exmann ihr eine Ausstellung in Aussicht stellt. Aber kaum hat dieser eine neue Freundin, löst sich diese Hoffnung in Luft auf. Doch Henri kann helfen, denn er weiß sofort, dass Tito Maria helfen kann. Schon geht es mit den beiden bergauf, doch dann muss Henri den Aushilfsjob auf dem Schrottplatz annehmen und erfahren, dass sein neuer Arbeitgeber dubiose Geschäfte tätigt. Wir erleben alleine an diesem Teil der Geschichte ein ständiges Auf und Ab kennen.

Marc Alexander Haas gelingt der Aufbau einer dichten Atmosphäre und die authentische Zeichnung unterschiedlicher Charaktere. Allerdings fordert er viel von seinen Lesern, er überfrachtet seine Erzählweise völlig, sodass wir einen langen Atem brauchen, um uns durch das Dickicht an Adjektiven, Schachtelsätzen und Metaphern zu kämpfen. Viele Kunstworte werden eingefügt, um eine Sprache zu schaffen, die vielleicht in den Kontext passen mag, die ich aber nicht wie andere Rezensenten als musikalisch bezeichnen möchte, sondern als schwafelig und ermüdend. Auch ist die Geschichte völlig zerpflückt durch den ständigen Wechsel der Schauplätze. Kaum begleiten wir eine Figur auf einem Teil ihres Weges, springen wir schon zu einer anderen Person und erleben mit dieser eine Episode. Dieser ständige Wechsel ohne jeglichen roten Faden führt zu Verwirrung und dazu, dass wir Haas‘ Gedankengängen nicht so recht folgen können.

Meiner Meinung nach hätte der Autor sich auf die Zeichnung einiger weniger Charaktere konzentrieren sollen, dann wären sie uns vielleicht näher gebracht worden, aber Haas versucht die Vorstellung zahlreicher Personen auf wenig Raum und unterbricht seine Erzählung oftmals durch Einschübe, die uns inhaltlich nicht voranbringen, sondern in schier unerträglich schwülstiger Art und Weise eine Szenerie beschreiben wollen:

|“Schilf raschelt spröde; blasse, sehnsuchtsvolle Geschöpfe schälen sich aus der Finsternis, während drüben, im Dunkel des anderen Ufers, der Angler kauert. Geduldig bringt er seine Rute aus, schält das Gebein, aus dem er seine Haken schnitzt. Er zieht harlekineske Fische aus dem stillen Gewässer, und neben ihm hockt friedfertig der Tod. Verirrte Gestalten in der formlosen Dämmerung, vertraut und unvorstellbar fern zugleich, wie Karrenspuren aus der Bronzezeit. Ein Nachen liegt für den Wanderer bereit, er schwoit vor einer pulsenden Höhle, einem Gebirge aus Rauchquarz, von einer rätselhaften Lichtsystole durchblutet.“|

Wer sich von derart überladener Sprache nicht abschrecken lässt, sondern sie womöglich als Kunst bezeichnet, und wer die Geschichte einer Stadt und seiner Figuren kennen lernen möchte, der mag sich mit der „Dunkelheit der Tage“ anfreunden können, ich persönlich bin mit der Erzählung nicht warm geworden. Zu zerpflückt erschien mir der Text, zu schwafelig die Sprache und auch das Schicksal der Charaktere berührte mich nicht. Das vorliegende Buch ist kein Unterhaltungsroman, sondern ein schwer verdauliches Stück Literatur, das seine Leser herausfordert und viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen benötigt. Leider wird man nicht durch eine interessante Geschichte belohnt, sondern nur durch kleine Episoden verschiedener Charaktere, mit denen man sich nur halbwegs anfreunden kann.

Mary Higgins Clark – Hab Acht auf meine Schritte

Mary Higgins Clark hat sich schon seit langem einen Namen als Grand Dame der Spannungsliteratur gemacht, ihre erfolgreichen Romane zeichnen sich meist durch ausgeklügelte Plots mit psychologischem Hintergrund aus, die sich vom oft anzutreffenden Mittelmaß erfreulich abheben. Auch in ihrem aktuellen Thriller „Hab Acht auf meine Schritte“ versetzt Mary Higgins Clark sich und ihre Leser in die Rolle eines unschuldigen Opfers, mit dem es mitzufühlen gilt. In den letzten 25 Jahren hat die berühmte Autorin über 20 Kriminalromane veröffentlicht, die überwiegend zu internationalen Bestsellern avancierten.

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Hoffman, Jilliane – Morpheus

Nach dem großen Erfolg ihres Debütwerkes [„Cupido“, 699 welches international die Bestsellerlisten erobern konnte, legt Jilliane Hoffman mit „Morpheus“ nun ihren zweiten Roman vor, der direkt an „Cupido“ und seine Erfolge anknüpfen soll und sich dabei inhaltlich so stark an seinem Vorgänger orientiert, dass der neue Thriller kaum als in sich abgeschlossene Fortsetzung gelten kann.

William Bantling sitzt seit inzwischen drei Jahren im Todestrakt und wartet auf seine Hinrichtung. C.J. Townsend arbeitet dagegen immer noch als Staatsanwältin, obwohl sie im Cupido-Fall Beweismittel unterschlagen hat und weiß, dass Bantling für Taten im Gefängnis sitzt, die er nicht begangen hat. Diese Gedanken verfolgen C.J. immer noch auf Schritt und Tritt, auch wenn sie im Grunde genommen sicher ist, dass sie das Richtige getan hat. Doch der Cupido-Fall holt C.J. bald ein, als nämlich in Miami nacheinander vier Polizisten brutal ermordet und verstümmelt werden. Bei diesen handelt es sich genau um diejenigen Beamten, die von der illegalen Fahrzeugkontrolle, die schließlich zu Bantlings Festnahme geführt hat, gewusst haben.

Obwohl C.J. seit drei Jahren glücklich mit Dominick Falconetti liiert ist und auch seinen Heiratsantrag angenommen hat, weiß Dominick immer noch nichts von den früheren Machenschaften seiner Freundin. Als C.J. eine Botschaft des Polizistenmörders, den die Presse |Morpheus| getauft hat, erhält, flieht sie in Panik und trennt sich von Dominick, weil sie ihm nicht die Wahrheit sagen möchte. Ihre Flucht führt sie zunächst zu Bantlings Anwältin Lourdes Rubio, die C.J. abfällig begegnet und eine Wiederaufnahme im Fall Cupido ankündigt. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis C.J. nach Miami zurückgerufen wird, weil Bantlings neuer Anwalt Berufung eingelegt hat und den Fall mit neuen Beweismitteln neu aufrollen will.

C.J. ist in Panik: Auf der einen Seite fürchtet sie sich vor Morpheus, der nach und nach die damaligen Zeugen ermordet und sie als Nächste im Visier haben muss, und auf der anderen Seite möchte sie William Bantling nicht mehr unter die Augen treten. Doch es kommt zu einer neuen Anhörung und damit zu einer Konfrontation zwischen C.J. und ihrer Vergangenheit, die sie gerne vergessen möchte …

Genau nach ihrem altbekannten Schema erzählt Jilliane Hoffman auch ihren neuen Thriller; sie lässt ihre Leser nicht lange warten, sondern schildert zügig den ersten Mord. Victor Chavez, der aufgrund eines anonymen Anrufes im Cupido-Fall die illegale Fahrzeugkontrolle durchgeführt hat, ist dabei das erste Opfer des brutalen und rücksichtslosen Polizistenmörders. Doch dauert es nicht lange, bis weitere Opfer gefunden werden. Die Spur führt in das kolumbianische Drogenmilieu, denn einer der ermittelnden Beamten kann die Verstümmelungen der Leichen als so genannte Kolumbianische Krawatte identifizieren. Die Polizei weiß daraufhin schnell, wo genau sie zu suchen hat, zumal alle ermordeten Cops ihre Spuren im Drogenmilieu hinterlassen haben. Doch C.J. zieht ihre eigenen Schlüsse, denn nur sie weiß, dass alle Mordopfer ihre Mitwisser sind. Nach und nach werden die Zeugen ermordet, bis neben Lourdes Rubio nur noch C.J. übrig bleibt.

Die Handlung ist zweigeteilt. Zunächst erscheint uns „Morpheus“ wie ein normaler Thriller, es werden brutale Verbrechen geschildert und Spuren gedeutet, doch etwa ab der Hälfte geht es nur noch um pure Juristerei. Wir begleiten die ängstliche C.J. zu ihren Nachforschungen in der Bibliothek, zu ihren richterlichen Anhörungen und hoffen für sie, dass sie einer Neuauflage des Cupido-Falles entgehen kann. Detailliert erfahren wir alle juristischen Schritte und Feinheiten, alle Fehler, die im Cupido-Falle begangen wurden, und wir lernen die Möglichkeiten kennen, die Bantling noch für seine Berufung bleiben. Im zweiten Teil des Romans lässt Jilliane Hoffman durchblicken, dass sie sich auf diesem Gebiet gut auskennt, doch leider driftet sie mir dabei zu sehr ins Grisham-Genre ab. Die eigentliche Mordserie rückt hier komplett in den Hintergrund, um Morpheus geht es so gut wie gar nicht mehr.

Hoffmann orientiert sich meiner Meinung nach auch zu stark an ihrem Debütroman. Da „Cupido“ erfolgreich war, möchte sie offensichtlich genau dort wieder ansetzen, doch muss dies Bemühen zwangsläufig scheitern. Morpheus ist kein eigenständiger Roman, sondern eine direkte Fortsetzung, die viele Wiederholungen aus „Cupido“ enthält und somit oft auf der Stelle tritt. „Morpheus“ ist ohne Kenntnis des Vorgängerromans kaum lesbar und kündigt am Ende auch nicht gerade sehr subtil eine weitere Fortsetzung an. Wo „Cupido“ noch neu und spannend war, ist der vorliegende Roman nur vorhersehbar und abgekupfert. „Morpheus“ kann kaum mit neuen Aspekten dienen und ist in der zweiten Hälfte dank der ganzen Rechtsverdreherei kaum noch spannend, obwohl das Buch aufgrund der knappen Sprache schnell gelesen ist.

Auch in der Figurenzeichnung kann Hoffman nicht punkten. Alle auftretenden Figuren sind stereotyp und eindimensional. C.J. Townsend ist immer noch das arme Opfer, das nun nicht mehr nur unter seiner Vergewaltigung zu leiden hat, sondern auch unter der Misshandlung durch ihren ehemaligen Psychiater, der sie über Jahre hinweg als Schachfigur in seinem eigenen kranken Spiel eingesetzt hat. Dennoch ist C.J. natürlich beruflich erstaunlich erfolgreich und privat glücklich liiert, sodass bald die Traumhochzeit mit dem gut aussehenden Dominick Falconetti ansteht, der sie im letzten Buch noch vor dem sicheren Tod gerettet hat.

„Morpheus“ ist ein enttäuschender Abklatsch von „Cupido“, bringt kaum neue Erkenntnisse, sondern erzählt haargenau nach dem gleichen Schema viele bereits bekannte Dinge und wärmt den Bantling-Fall nochmals auf. Während das Buch zunächst rasant und spannend beginnt, hält sich Jilliane Hoffman ab der Hälfte lediglich mit langatmiger Juristerei auf und langweilt somit ihre treuen Leser. Auch die Auflösung des aktuellen Polizistenmordes mitsamt seinem Showdown weiß nicht zu überzeugen, zu konstruiert klingt der ganze Fall, zu unrealistisch wirkt es, wenn C.J. Townsend die x-te lebensgefährliche Situation nahezu unbeschadet übersteht. Mit dem Holzhammer kündigt Hoffman schließlich die nächste Fortsetzung an und verscherzt es sich dadurch gänzlich mit ihren Fans. Von „Cupido“ war ich sehr positiv überrascht und „Morpheus“ ist über weite Strecken alles andere als langweilig, dennoch finde ich es schade, dass Jilliane Hoffman ihre bereits bekannte Geschichte lediglich auf ein weiteres Buch ausgedehnt hat.

Lukianenko, Sergej – Wächter der Nacht (Nochnoi Dozor)

Wieder einmal gerät ein Buch in die Schlagzeilen, das laut einigen Kritikern besser und spannender sein soll als „Der Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“, doch den Vergleich gegen das große Werk von J.R.R. Tolkien haben vor Sergej Lukianenkos „Wächter der Nacht“ schon andere Bücher verloren. In Russland allerdings ist Lukianenkos Trilogie tatsächlich erfolgreicher als das meistverkaufte Fantasybuch, und auch der zugehörige [Film]http://www.waechter-der-nacht.de schlägt dort alle Rekorde. Inwiefern dieser Vergleich zwischen den verschiedenen Fantasybüchern überhaupt gerechtfertigt ist, wollen wir uns nun ansehen.

_Lichtgestalten_

In Moskau leben die Lichten und die Dunklen in einem wackligen Waffenstillstand, die Lichten sorgen als Wächter der Nacht in den dunklen Stunden für Ordnung, während die Dunklen tagsüber die Wache übernehmen. Anton arbeitet als lichter Magier bei der Nachtwache und muss eines Nachts beobachten, wie eine Vampirin den 12-jährigen Jegor anlockt, um dessen Blut zu trinken. Doch dies ist verboten, und so kann Anton gerade noch rechtzeitig einschreiten, doch sowohl der Junge als auch die Vampirin können fliehen. Viel beunruhigender sind allerdings andere Ereignisse: Auf seiner nächtlichen Runde hat Anton in der U-Bahn eine Frau beobachtet, die einen bedrohlichen schwarzen Wirbel über ihrem Kopf schweben hat. Im Grunde genommen sind solche Wirbel alltäglich und werden durch Flüche hervorgerufen. Die verfluchte Person wird nun einige Unglücke zu verkraften haben, doch der besagte Wirbel über dem Kopf der unbekannten Frau ist anders. Anton schafft es nicht, ihn aufzulösen, der Wirbel nimmt eher noch dramatischere Ausmaße an.

Antons Chef beschließt daraufhin, den schwarzen Wirbel von seiner Nachtwache aufhalten zu lassen, muss aber zusehen, wie dieser größer und größer wird und schließlich eine Höhe von über dreißig Metern annimmt. Dies würde eine Katastrophe bedeuten, die große Teile von Moskau zerstören und viele Menschenleben kosten würde. Schließlich kommt es zum Showdown, bei dem Anton eine große Rolle spielen wird.

_Der neue Tolkien?_

Vergleiche mit J.R.R. Tolkien versprechen immer einen Anstieg der Verkaufszahlen, auch wenn sie in den seltensten Fällen angebracht sind. Lukianenko schreibt zwar ebenfalls im Fantasygenre wie sein berühmter Vorgänger, doch da hören die Ähnlichkeiten fast schon auf. Während Tolkien mit Mittelerde eine ganz eigene Welt entworfen und seinen Elben sogar eine eigene Sprache verpasst hat, greift Lukianenko auf das bekannte und existente Moskau zurück und lässt dort lediglich die Anderen auf den Plan treten. Die Anderen sind Lichte oder Dunkle mit magischen Fähigkeiten, die zwar auf unterschiedlichen Seiten des Rechts kämpfen, doch beide ihre Schattenseiten haben. Das Zwielicht – die Schattenwelt – ist das Reich, in dem sie sich bewegen und wo sie unbeobachtet durch normale Menschen bleiben können. Lukianenko greift also auf das bekannte Erfolgsmuster zurück, nämlich auf den Kampf zwischen Gut und Böse, wobei allerdings die Grenzen in diesem Fall stark verwaschen sind. In „Wächter der Nacht“ haben auch die Lichten ihre dunklen Seiten. So intrigiert sogar der Chef der Nachtwache gegen seine eigenen Wächter. Und auch Anton tut nicht nur Gutes. Um an eigene Kraft zu gelangen, muss er Menschen ihre Freude nehmen. Bei Sergej Lukianenko gibt es erfreulicherweise also keine Schwarzweiß-Zeichnungen, auch wenn die Sympathien dennoch klar verteilt sind. Die gesamte Geschichte ist nämlich aus Antons Sicht erzählt, sodass er der Sympathieträger schlechthin ist.

„Wächter der Nacht“ hat weder mit dem „Herr der Ringe“ noch mit „Harry Potter“ viel gemeinsam, daher erscheint dieser Vergleich weit hergeholt. Dennoch muss sich Lukianenko nicht verstecken, sein Buch weiß zu unterhalten und präsentiert uns eine spannende Welt jenseits der uns bereits bekannten. Der unsichere Waffenstillstand zwischen Licht und Dunkel birgt genug Lesestoff für den langen ersten Teil der Trilogie, es werden uns insgesamt drei Episoden erzählt, in denen stets Anton, Swetlana – die Frau mit dem schwarzen Wirbel – und der kleine Jegor im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Welche Rolle diese drei Figuren im Gesamtkontext einnehmen, erahnen wir dabei erst nach und nach. Lukianenko versteht es gekonnt, uns zunächst im Dunkeln zu lassen und einige falsche Fährten auszulegen.

Die Welt, die Sergej Lukianenko uns präsentiert, ist düster und erscheint nahezu hoffnungslos. Wenn sich schon die Lichten und die Dunklen gegenseitig bekriegen, obwohl sie doch den Frieden bewahren sollen, wie soll es dann weitergehen? Viele Szenen spielen sich nachts ab, wenn die Wächter der Nacht ihren Dienst antreten – solcherart zeichnet Lukianenko ein bedrohliches und furchteinflößendes Bild Moskaus. „Wächter der Nacht“ kommt ganz ohne friedliche Oasen im Sinne des Auenlandes aus und auch märchenhafte Figuren wie die Elben fehlen völlig. Das vorliegende Buch wirkt dadurch auf der einen Seite realistischer, auf der anderen Seite fehlt ihm aber ein wenig vom magischen Glanz eines „Herr der Ringe“. Dennoch halte ich beide Bücher weiterhin für nicht miteinander vergleichbar, beide stehen nicht in Konkurrenz zueinander, da sie sich stark voneinander unterschieden und Lukianenko seine ganz eigene Fangemeinde um sich scharen wird.

_Einsamer Held_

Der erste Teil der Trilogie um die Anderen in Moskau ist aus Sicht Antons geschrieben, der seinen Dienst bei der Nachtwache angetreten hat, aber gleich vor große Aufgaben gestellt wird. Seine magischen Fähigkeiten sind zwar schon gut entwickelt, doch kann sein Chef bereits sehen, dass Anton nie über den zweiten Grad hinauskommen wird, die Laufbahn eines großen Magiers ist Anton also verwehrt. Trotzdem wird er mit wichtigen Aufgaben betraut, die die Zukunft der Lichten beeinflussen werden. Wir begleiten Anton dabei stets auf seinen Wegen, erfahren aber nicht alle seine Pläne. In der dritten Episode erfährt er Dinge über das Schicksalsbuch, die er uns vorenthält, und auch über sein Vorhaben lässt er uns im Dunkeln. So lernen wir Anton zwar kennen und freunden uns mit ihm an, eine gewisse Distanz wird dabei aber nie überbrückt. Nichtsdestotrotz mag ich mir gar nicht vorstellen, dass die nächsten beiden Teile der Trilogie vielleicht nicht mehr aus seiner Sicht erzählt sein könnten, denn dann würde mir definitiv etwas fehlen. Gerade durch seine kleinen Fehler und Eigenarten wirkt Anton authentisch und sympathisch. Manchmal ist er ein Einzelkämpfer, obwohl es neben ihm doch viel mächtigere Magier gibt. Dennoch versucht Anton manchmal das Unmögliche, hat dabei aber stets das Gute im Blick und möchte ebensolches bewirken.

Neben Anton spielen Jegor und Swetlana eine wichtige Rolle, doch tauchen sie in diesem Band noch nicht so häufig auf, werden aber sicherlich in den Folgebüchern noch größeres Gewicht erhalten. Sowohl Swetlana als auch Jegor bleiben für uns undurchsichtig, auch wenn Teile ihrer Zukunft deutlich dargelegt werden. Aber es scheint, als habe sich ihr Schicksal noch nicht entschieden, und so dürfen wir gespannt sein, wie sich Swetlana und Jegor in der Trilogie weiterentwickeln. Zumindest eines ist klar: Auch sie erhalten einen Teil der Lesersympathien, auch wenn sie uns lediglich aus Antons Sicht geschildert werden und wir die beiden daher nicht gut genug kennen lernen.

_Mehr davon_

„Wächter der Nacht“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die sich dem Schattenreich Moskaus widmet und bereits viele Fragen aufwirft. Das Buch ist zwar in sich abgeschlossen, dennoch erklärt es am Ende nicht alles und lässt uns mit einigen Spekulationen zurück. Schon jetzt dürfte daher die Ungeduld der Leser auf die zu erwartende Fortsetzung groß sein. Sprachlich bedient Sergej Lukianenko sich einfacher Mittel, schmückt aber mit ausführlichen Beschreibungen und fantastischen Details seine Geschichte aus. Man merkt dem Text an, dass kein wortverliebter Literaturprofessor am Werke war, sondern ein kreativer Autor, der seine Leser dennoch zu fesseln weiß und an einigen Stellen viel Sinn für Humor beweist. Das Buch zu lesen, bereitet viel Freude, da man sich in einer ganz fremden Welt verlieren kann, außerdem macht es neugierig auf die Fortsetzung, die hoffentlich bald in deutscher Sprache erscheinen wird.

|Siehe ergänzend hierzu auch die [Rezension 1828 von Dr. Michael Drewniok.|

Baltscheit, Martin / Schwarz, Christine – Ich bin für mich

Lesen ist wieder „in“: Wenn Elke Heidenreich im Fernsehen Buchtipps gibt und mit glänzenden Augen von ihren Lieblingsbüchern berichtet, dann verkaufen sich diese Bücher daraufhin meist erstklassig. Verfolgt man im Anschluss an ihre Sendung „Lesen!“ die Bestsellerlisten, so wird sich der Großteil ihrer Empfehlungen recht weit oben anfinden, so auch „Ich bin für mich“, ein nur 40-seitiges Bilderbuch mit wenig Text, das in Deutschland aktueller denn je ist. Denn bei den Tieren herrscht Wahlkampf, genau wie bei uns.

Alle vier Jahre wird im Reich der Tiere der Löwe einstimmig zum König gewählt, doch in diesem Jahr kommt alles anders. Die kleine Maus muckt nämlich auf und beschwert sich, dass es immer nur einen Kandidaten gäbe und man somit ja kaum von einer Wahl sprechen könne. Daraufhin beschließen die Tiere, weitere Kandidaten aufzustellen. Aus jeder Tiergruppe tritt jemand vor, um eine flammende Wahlkampfrede zu halten. So versprechen die Mäuse, dass von nun an keine Katze mehr eine Maus verspeisen solle, sondern dass es andersrum kommen werde. Wird die Maus gewählt, dann jagen fortan die Mäuse die Katzen. Die Katze verspricht das genaue Gegenteil, nämlich dass es nie mehr an Mäusefleisch mangeln solle und dass die Jagd auf die Maus eröffnet sei. Auch der Karpfen schwingt sich zu einer Rede auf, wird unter Wasser aber von niemandem verstanden. Der Strauß zeichnet blühende Bilder seiner kommenden Regentschaft, möchte einen teuren Flughafen mit allerlei Schnickschnack erbauen lassen, steckt aber schnell den Kopf in den Sand, als jemand sich anmaßt, danach zu fragen, wie das denn finanziert werden solle. Auch bei den Tieren läuft es also nicht viel anders als bei uns Menschen.

Der Tag der Wahl rückt näher und bringt ein überraschendes Ergebnis (vertrauenswürdig durch den Maulwurf ausgezählt …), denn jedes Tier – außer dem Löwen – hat für sich selbst gestimmt. Fortan regieren daher mehrere Könige gleichzeitig, das Chaos ist vorprogrammiert …

In wunderschönen und mehr als treffenden Bildern präsentieren uns Martin Baltscheit und Christine Schwarz eine vordergründig so lustige Geschichte, die uns zum Schmunzeln bringt, aber auch eine Geschichte, hinter der sich mehr verbirgt. „Ich bin für mich“ überzeichnet die Problematik im Wahlkampf zwar deutlich und verkürzt alles auf nur knapp 40 Seiten, doch erkennt der Leser viele wirkliche Probleme wieder. Dort lassen sich nämlich Tiere bzw. Tierparteien aufstellen, die nur ihre eigenen Interessen vertreten wollen und die natürlich auch im krassen Gegensatz zu den Interessen einer anderen Partei stehen. So sind die Schwierigkeiten natürlich vorprogrammiert, wenn am Ende die Mäuse neben den Katzen herrschen, denn ihre beiden Wahlversprechen sind nicht miteinander vereinbar. Auch bei den Tieren werden also mitreißende Reden geschwungen, die für die potenziellen Wähler das Paradies auf Erden versprechen, aber nicht so weit denken, wie das denn finanziert werden solle oder wie realistisch solche Pläne überhaupt sein können. Zunächst geht es nur darum, genug Wähler zu überzeugen und die Wahl zu gewinnen. Erst im Anschluss bemerken die Tiere, dass es solcherart wohl doch nicht geht, denn im Tierreich bricht die Anarchie aus.

„Ich bin für mich“ vermittelt in Grundzügen das Prinzip der Demokratie, und die kleine Maus ist es in diesem Buch, die bemerkt, dass man von einer richtigen Wahl gar nicht sprechen könne, wenn es gar keinen Gegenkandidaten gibt. Da ist wohl etwas Wahres dran. Zwar könnte man den Löwen immer noch abwählen, aber wenn das Tierreich dann unregiert wäre, kämen ganz andere Probleme auf die Tiere zu. Was also tun? Die Lösung ist ganz einfach: Neue Kandidaten müssen her und werden auch schnell gefunden. Aber der Lernprozess für die Tiere ist bitter, denn die erste Lösung ist offensichtlich auch nicht die beste, wenn am Ende jeder Kandidat genau eine Stimme bekommt und somit auch kein eindeutiger König gefunden ist. Und wieder ist es die kleine Maus, die auf den Plan tritt und versucht, die Situation im Tierreich wieder in den Griff zu bekommen. Auch dort scheinen Neuwahlen die einzige Lösung zu sein. Ohne Mehrheit regiert es sich offensichtlich selbst bei den Tieren schlecht.

Auf amüsante Weise und mit einem Augenzwinkern dargeboten, führen uns die Tiere vor, wie man es besser nicht machen sollte. „Ich bin für mich“ ist dabei durchweg farbig bebildert und macht somit auch einfach Spaß beim Durchblättern, selbst wenn man den Text dabei nicht liest. Dabei verdeutlichen die Bilder auf eindrucksvolle Weise in der Mimik und Gestik der Tiere, wie diese sich fühlen und was sie momentan denken. So sieht man beispielsweise auf dem ersten Bild den glücklichen Löwen, wie er stolz seine Krone trägt und in den Händen einen Bierkrug und eine angebissene Bockwurst hält, die es zur Feier seiner Wiederwahl gab. Auf einem anderen Bild erscheint uns der Löwe dagegen ängstlich, als er das professionelle Wahlplakat der Mauspartei entdeckt, das sein eigenes Plakat deutlich übertrifft. Nach der verloren gegangenen Wahl ist der Löwe in bedrückter Pose auf einer Wiese abgebildet, dieses Mal jedoch ohne seine Krone. Immer unterstreichen die Bilder auf treffende Weise den nebenstehenden Text. Herzallerliebst sieht auch das kahle Schaf aus, das für sein Recht auf Wolle plädiert und darauf besteht, dass fortan Pullover selbst gestrickt werden müssen. Der Schäferhund dagegen, der für Recht und Ordnung steht, zeichnet sich durch einen strengen und fast schon gemeinen Gesichtsausdruck aus. Alle Bilder sind wirklich sehr gelungen und tragen zum schönen Gesamteindruck des Buches bei.

Geeignet ist „Ich bin für mich“ für Jung und Alt, wobei Kinder sicherlich die Hintergründe nicht so gut verstehen können, sich aber dennoch an den hübschen Bildern erfreuen können. Auch wenn der Preis für die wenigen Seiten recht hoch erscheint, so rechtfertigen die schönen Zeichnungen und das Din-A4-Format des Buches diesen doch wieder. Das Buch ist sehr schnell durchgelesen und durchgeblättert, doch nach dem ersten Durchlesen und einer kleinen Überraschung am Buchende beginnt man eigentlich gleich von vorne, um alle Bilder nochmals genau unter die Lupe zu nehmen. „Ich bin für mich“ ist ein Buch, das gerade hochaktuell ist und damit umso empfehlenswerter, zumal man es immer wieder gerne durchblättert. Ausnahmsweise kann ich mich Elke Heidenreich daher nur anschließen: „Ich bin für mich“ sollte man definitiv lesen!

Franzen, Jonathan – Schweres Beben

Jonathan Franzen hat sich mit den [„Korrekturen“ 1233 einen Namen gemacht als großartiger Erzähler, der seine Leser auch in Büchern epischer Länge mit nur wenig Inhalt zu unterhalten und zu fesseln weiß. Seine Stärken liegen in einer scharfen Beobachtungsgabe und einem fantastischen Erzähl- und Formuliertalent, die zum Erfolg seines Bestsellerromans deutlich beigetragen haben. Aus verkaufsstrategischen Gründen ist es nur verständlich, dass nun auch Jonathan Franzens frühere Werke ins Deutsche übersetzt werden. „Schweres Beben“ wurde bereits im Jahre 1992 in den USA veröffentlicht und damit neun Jahre vor den „Korrekturen“, sodass man als Leser seine Erwartungen niedriger halten sollte. Allerdings ist dies nach der mehr als erfreulichen Lektüre der „Korrekturen“ nur schwer möglich …

_Erschütternd_

In Massachusetts bebt die Erde. Kaum ist Louis Holland in die Nähe seiner ungeliebten Schwester Eileen gezogen und kaum hat er sich mit seiner Stiefgroßmutter Rita Kernaghan verabredet, platzt dieses Date auch schon wieder, da Rita das einzige Opfer des kleinen Erdbebens geworden ist. Louis‘ Mutter Melanie erbt daraufhin große Aktienpakete des Chemiekonzerns Sweeting-Aldren im Wert von etwa 20 Millionen Dollar. Doch das Unternehmen gerät in die Schlagzeilen, als behauptet wird, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer nicht korrekt entsorgt. Mehrfach erschüttern kleine Beben die Stadt, manchmal sind die Beben so schwach, dass Louis sie gar nicht bemerkt.

Zufällig lernt der 23-jährige Louis die sieben Jahre ältere Seismologin Renée Seitchek kennen, die eine interessante Theorie hat. Bei einer umfassenden Literaturrecherche hat sie nämlich Hinweise darauf gefunden, dass das Chemie-Unternehmen über tiefe Bohrlöcher verfügt, über die eigentlich nach Erdöl gesucht werden sollte. Doch Renée glaubt nicht daran. Sie ist der Überzeugung, dass Sweeting-Aldren seine Abwässer in den Boden pumpt und dadurch diese Erdbeben hervorruft. In den 70er Jahren hatte es bereits eine erste Erdbebenwelle gegeben, die ganz plötzlich aufgehört hat.

Louis und Renée verlieben sich ineinander, doch als die beiden Louis‘ Sachen aus seiner Wohnung holen, damit er bei seiner neuen Freundin einziehen kann, steht plötzlich eine alte Bekannte vor der Tür. Überraschend taucht nämlich Lauren auf, in die Louis einst verliebt war. Geblendet von ihren optischen Reizen, mit denen die bereits 30-jährige Renée nicht mithalten kann, entscheidet sich Louis daher für Lauren. Renée versucht daraufhin auf eigene Faust, Sweeting-Aldren zu überführen und begibt sich damit in große Gefahr. Doch das Schlimmste steht der Gegend rund um Boston noch bevor, denn eine weitere (Natur-)Katastrophe wird die Erde erbeben lassen …

_Franzen goes Brockovich_

Während das erste Erdbeben zunächst noch völlig harmlos wirkt, zumal es so schwach ist, dass kaum jemand es wahrnimmt und es auch nur ein Todesopfer zu beklagen gibt (welches zufällig im angetrunkenen Zustand auf einem Barhocker gestanden und sich beim Sturz tödlich verletzt hat), so spitzen sich die Ereignisse schnell zu, als eine Folge von Erdbeben zu verzeichnen ist. Darüber hinaus scheint mehr hinter den Beben zu stecken als eine natürliche Ursache, denn Renée Seitchek kann anhand wissenschaftlicher Veröffentlichungen plausibel machen, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer in den Boden pumpt und dadurch die Erdbeben auslöst. Doch das Chemieunternehmen ist mächtig, und somit begibt Renée sich unwissentlich bald in Lebensgefahr.

Thematisch zieht sich die Aufdeckung eines großen Umweltskandals durch das ganze Buch und hält ein wenig die losen Handlungsfäden zusammen. Immer wieder entdeckt Renée neue Hinweise auf die dubiosen Machenschaften des Chemiekonzerns und immer wieder bebt die Erde und erinnert die Menschen an die drohende Gefahr. In Art einer Erin Brockovich versucht auch Renée Seitchek, andere Leute von ihrer zunächst abwegig klingenden Theorie zu überzeugen. Die Beweise sind dünn, dennoch verdichten sie sich im Laufe von Renées Nachforschungen.

Jonathan Franzen greift sich hier ein Thema heraus, das auch heute noch brandaktuell ist, da nach wie vor das Problem einer umweltgerechten Entsorgung von schädlichen Abwässern besteht. Unternehmen standen schon häufig unter dem Verdacht, heimlich ihren Müll so einfach wie möglich zu entsorgen. Welche Auswirkungen dies haben kann, zeigt Franzen in „Schweres Beben“ auf.

_Familiengeschichte_

Aber es geht um mehr: Die Umweltthematik taucht zwar immer wieder auf und hat dem Buch auch seinen Titel verliehen, doch wäre Jonathan Franzen nicht Jonathan Franzen, wenn er nicht auch die Geschichte einer auseinander brechenden Familie erzählen würde. In diesem Falle erfahren wir die Geschichte der Familie Holland, die nach dem ersten kleinen Beben einen unerwarteten Geldsegen zu verkraften hat. Während das Erbe den Marihuana-rauchenden Vater kaum interessiert, zerbricht Mutter Melanie fast an der Angst, das Geld wieder zu verlieren. Und während Eileen sich von ihrer nun reichen Mutter gleich eine teure Eigentumswohnung sponsern lässt, geht Louis wieder einmal leer aus. So weit ist dies für den männlichen Holland-Sprössling nichts Neues, denn Eileen kam noch nie mit ihrem eigenen Geld aus und bettelte schon immer (erfolgreich) ihre Mutter an. Aber dieses Mal kommen auch private Probleme hinzu, denn nach einer anfänglich glücklichen Liebelei mit Renée lässt Louis sich zu schnell von der hübschen Lauren den Kopf verdrehen. Auch beruflich läuft es für Louis alles andere als erfolgreich, denn seinen Job bei einem kleinen Radiosender hat er verloren, nachdem ein fanatischer Abtreibungsgegner den Sender gekauft hat. Louis’ Leben hat also ebenfalls schwere Beben zu verkraften, zeitgleich gehen sein Privat- und Berufsleben den Bach herunter und von seiner Familie kann er auch kaum Rückhalt erwarten. Wäre Louis zumindest an seiner privaten Misere nicht selbst schuld, könnte er einem fast leidtun.

Anders als in den „Korrekturen“ setzt Franzen seinen Schwerpunkt ganz klar auf die Vorstellung nur eines Protagonisten, nämlich die von Louis Holland, über den Rest seiner Familie lesen wir nur ganz nebenbei etwas. Neben Louis erhalten auch Renée Seitchek und ihr Kollege Howard Chun eine ausführliche Präsentation, doch während Renée im Laufe des Romans eine wesentliche Rolle spielt, bleibt Howard immer nur im Hintergrund und ist für die Handlung nicht wirklich wichtig. Warum Franzen sich also viel Zeit nimmt, um auch Howard darzustellen, ist mir nicht klar geworden.

_Thematische Überfrachtung_

Jonathan Franzen scheint ein Faible für lange Romane zu haben, „Schweres Beben“ füllt in der deutschen Übersetzung ganze 685 Seiten und ist voll gepackt mit Informationen über die handelnden Personen, die Spekulationen über mögliche Umweltsünder, über Episoden, die die Handlung ausschmücken und auch bestückt mit allerhand Beiwerk. Die Geschichte wirkt etwas zusammenhanglos. An einer Stelle braucht Franzen einen etwa 50-seitigen Exkurs, bei dem er sogar einen Schlenker über die Geschichte der Indianer macht, um Louis zu erklären, welche familiären Verwicklungen die Familie Holland mit dem Chemiekonzern aufzuweisen hat. Oft entsteht der Eindruck, dass Franzen nicht genug zu sagen hat, als dass es 685 Seiten spannend füllen könnte. Während er sein Meisterwerk mit liebevoller Figurenzeichnung ausgestattet hat, die gerne eien solchen Umfang einnehmen konnte, schafft er es nicht, uns die Familie Holland so zu präsentieren, dass sie uns ans Herz wachsen könnte. Familie Lambert war einfach etwas Besonderes, wir haben sie lieb gewonnen, weil sie eigen und ein wenig chaotisch, aber doch so normal war. An Familie Holland ist kaum etwas normal, auch werden einem die Menschen kaum sympathisch, da sie immer wieder von einem Unglück ins nächste geraten und sich dies meist selbst eingebrockt haben.

Kurz: Der Funke mag nicht so recht überspringen. Der Leser wird nicht recht warm mit dem Buch und auch die Figuren erscheinen uns teilweise sehr nervig (wie Lauren) oder unentschlossen (wie Louis). Besonders Louis‘ Verhalten bleibt meist nicht nachvollziehbar, er dreht sich wie die Fahne im Wind und scheint gar nicht zu wissen, was er eigentlich möchte. Zwar ist er erst 23, dennoch würde ich einem selbstständigen jungen Mann in diesem Alter doch etwas mehr Entschlossenheit zutrauen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Franzen oftmals unangekündigt in der Zeit hin- und herspringt. Wir bleiben über lange Strecken stets bei Louis Holland und begleiten ihn überall hin, allerdings auch in seine gedanklichen Ausflüge in die eigene Vergangenheit. So ist es eine echte Herausforderung für den Leser, an jeder Stelle den Überblick zu behalten über die Zeit, in der die momentane Handlung spielt.

_Wortgewandt_

Während Franzen leider keine so mitreißende (Familien-)Geschichte zu erzählen hat, wie ich es mir erhofft hatte, so punktet er deutlich im sprachlichen Bereich. Schon 1992 in seinem zweiten Roman beweist Franzen, dass er mit Sprache umgehen kann. Lange Schachtelsätze, die sich teilweise über ganze Absätze ziehen, sind keine Seltenheit, doch sind sie stets so formuliert, dass man beim Lesen nie den Überblick verliert. „Schweres Beben“ ist wunderbar zu lesen und macht auf sprachlicher Ebene auch einfach Spaß.

An einigen Stellen zeigt Franzen auch hier, dass er den geübten Blick für Kleinigkeiten hat. So beobachtet er oftmals Dinge, die den meisten Menschen gar nicht auffallen würden. Diese Eigenart hat die „Korrekturen“ zu etwas Besonderem gemacht, im vorliegenden Buch ist davon leider noch zu wenig zu spüren. Man merkt einfach, dass Jonathan Franzen erst eine Entwicklung durchmachen musste, bevor er zu solch überzeugendem Erzähltalent gelangen konnte, wie er es in seinem Bestseller bewiesen hat.

_Warten auf einen neuen Franzen_

„Schweres Beben“ kann praktisch nur enttäuschen, will man es doch mit seinem Nachfolgeroman vergleichen. So ungerecht der Vergleich mit einem so viel jüngeren Buch auch ist, so gerechtfertigt erscheint er doch angesichts der Begeisterung, die die „Korrekturen“ ausgelöst haben. Das vorliegende Buch zeigt in Ansätzen, wo Jonathan Franzens Stärken liegen. Natürlich steht auch hier eine kuriose Familiengeschichte im Mittelpunkt des Geschehens, wobei die Handlung zusammengehalten wird durch den vermuteten Umweltskandal der Firma Sweeting-Aldren. Thematisch hat Franzen sein Buch etwas überfrachtet, oftmals schweift er in seiner Erzählung ab und verlangt von seinen Lesern dadurch einen langen Atem. Inhaltlich ist „Schweres Beben“ durchaus interessant und auch hochaktuell, dennoch weiß das Buch nicht mitzureißen. Für die 685 Seiten sind Ausdauer und Durchhaltevermögen erforderlich. Auch wenn „Schweres Beben“ sicherlich nicht schlecht ist, gehört es nicht zu den Büchern, die man unbedingt gelesen haben muss.

Jodi Picoult – Beim Leben meiner Schwester

Dürfen Eltern sich ihr Wunschkind aussuchen, um damit bestimmte Zwecke zu erfüllen? Was ist, wenn Eltern ein krebskrankes Kind haben und sich den idealen Spender „designen“ lassen? Die heutige Wissenschaft macht vieles möglich, doch führen manche Praktiken zu schier unlösbaren ethischen Problemen. Jodi Picoult schildert in ihrem neuen Roman eine dramatische Familiengeschichte, die genau diese Fragen aufwirft und den Leser zum Nachdenken anregen soll und auch wird.

Ich will leben

Anna Fitzgerald ist nur 13 Jahre alt, als sie ihrer krebskranken Schwester Kate eine Niere spenden soll. Dies ist der Moment, in dem Anna beschließt, sich einen Anwalt zu nehmen, um ihren Eltern die Entscheidungsgewalt in medizinischen Fragen wegnehmen zu lassen. In den Gelben Seiten findet sie den erfolgreichen Anwalt Campbell Alexander, der ihren Fall übernehmen soll. Der jedoch zeigt sich zunächst skeptisch und lässt sich nur durch die ihn erwartende Publicity zu diesem Pro-bono-Fall hinreißen. Annas Eltern Sara und Brian sind überrascht, als sie eine Vorladung vom Gericht bekommen. Sara, die früher als Anwältin gearbeitet hat, beschließt spontan, ihren Fall selbst zu vertreten.

Doch geht es nicht nur um Annas Leben, sondern auch um das ihrer älteren Schwester Kate. Im Alter von zwei Jahren wurde bei Kate eine spezielle Form der Leukämie festgestellt. Da ihr Bruder Jesse als Spender nicht in Frage kam, beschlossen Sara und Brian damals, noch ein Kind zu zeugen und zwar eines, das in allen Punkten als Spenderin für Sara passen würde. Schon das Nabelschnurblut wird für Kate gespendet, in den Jahren danach schließen sich Lymphozyten-, Granulozyten- und sogar eine Knochenmarksspende an. Einen Großteil ihrer Kindheit hat somit auch Anna im Krankenhaus verbracht, geholfen hat es ihrer Schwester immer nur zeitweise. Als schließlich Kates Nieren versagen, könnte nur Anna ein Organ spenden, da ansonsten das Risiko für Kate zu groß wäre. Die Zeit drängt, denn Kate geht es immer schlechter.

Die Verfahrenspflegerin Julia wird vom Gericht bestellt, um sich ein Bild von Anna und ihrer Familie zu machen. In vielen Gesprächen lernt sie Annas Motive und die ihrer Eltern kennen. Doch auch Julia ist ratlos angesichts der sich ihr dargestellten Situation. Gleichzeitig kämpft sie mit privaten Problemen, denn zu ihrer Highschoolzeit hatte sie einst eine kurze Affäre mit Campbell Alexander, damals allerdings hatte er sie sitzen gelassen. Nun flammt die alte Liebe erneut auf.

An allen Fronten erleben wir persönliche Dramen mit, denn in der Familie Fitzgerald liegt einiges im Argen …

Perspektivenwechsel

„Beim Leben meiner Schwester“ ist aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst lernen wir Anna kennen, die uns ihre Entscheidung mitteilt, dass sie keine Niere für ihre Schwester spenden möchte, da sie bereits oft genug im Krankenhaus gewesen ist. Anna schaltet daraufhin Campbell Alexander als ihren Anwalt ein. Auch aus der Sicht des erfolgreichen Staranwalts erfahren wir einen Teil der Geschichte, er gibt offen zu, dass er Annas Fall zunächst als reine Werbung für sich selbst ansieht und daher den Fall pro bono übernimmt. An Alexanders Seite begleitet ihn stets sein Servicehund Judge, obwohl der Anwalt doch gar nicht blind ist. Welche Funktion Judge in seinem Leben einnimmt, erleben wir hautnah mit, als Anna gerade vor Gericht ihre Aussage macht. Auch die Verfahrenspflegerin Julia erzählt ihren Teil der Geschichte, sie berichtet von den Verletzungen, die Campbell Alexander ihr zugefügt hat, als er sie damals zu Schulzeiten fallen gelassen hat, wir lernen ihre Schwester kennen und begleiten Julia auf ihren Besuchen bei Anna und ihrer Familie.

Aus Saras Perspektive wird die Familiengeschichte von Kates Krankheit erzählt. Dieser Teil der Geschichte setzt ein, als Kate zwei Jahre alt ist und Sara zum ersten Mal merkwürdige blaue Flecken bei ihr entdeckt, woraufhin nach etlichen Tests schließlich Leukämie diagnostiziert wird. Sara berichtet von ihrer Entscheidung, ein passendes Kind zu bekommen, das als Spenderin für Sara fungieren kann, und sie ertappt sich dabei, wie sie dieses ungeborene Kind gar nicht als eigenständige Persönlichkeit wahrnimmt, sondern nur als geeignete Spenderin: „Obwohl ich im neunten Monat bin, obwohl ich reichlich Zeit zum Träumen hatte, habe ich mir über dieses Kind noch keine besonderen Gedanken gemacht. Wenn ich an diese Tochter denke, dann nur daran, was sie für die Tochter tun kann, die ich bereits habe.“ Später erfahren wir aus Saras Sicht, wie Kates Krankheit sich weiterentwickelt, wie Kate schließlich bei der Chemotherapie einen anderen Patienten kennen lernt, in den sie sich verliebt. Wir werden Teil von Kates Krankengeschichte und erfahren insbesondere Saras Gründe für die vielen Behandlungen und auch für Annas Spenden.

Brian dagegen begleiten wir häufig zu seinen Einsätzen. Der Familienvater arbeitet als Feuerwehrmann und rettet andere Leben, wo ihm dies bei seiner eigenen Tochter so schwer fällt. Die Feuerwehr hat mit einem Brandstifter zu kämpfen, der verlassene Hütten anzündet und zunächst nicht gefasst werden kann. Doch aus Jesses Perspektive werden wir recht schnell Zeuge der Brandstiftungen, denn Jesse hat seine eigenen Probleme zu verarbeiten. Während seine Schwestern ständig im Mittelpunkt des Familiengeschehens stehen – die eine wegen ihrer schweren Krankheit und die andere wegen ihrer Spenden – bleibt er außen vor und rebelliert gegen die Nichtbeachtung durch seine Eltern. Sein Zimmer verfügt über einen separaten Eingang, sodass Jesse unbemerkt kommen und gehen kann.

Zunächst ist dieser ständige Perspektivenwechsel sehr gewöhnungsbedürftig, da man sich zu Beginn jedes Kapitels neu einfinden muss, doch später empfand ich dies als gelungenes Stilmittel, da uns die handelnden Personen dadurch sehr nahe gebracht werden. Wir erleben die Probleme und Sorgen jedes Einzelnen hautnah mit und lernen auch die Gründe für ihr Handeln kennen. So paradox es auch erscheinen mag, so verstehen wir dadurch sowohl Annas Weigerung zu einer Organspende als auch Saras Gründe für die Nierentransplantation. Jodi Picoult schafft es überzeugend, uns jede Perspektive deutlich zu machen, wir begleiten jeden Protagonisten immer wieder auf Schritt und Tritt und fühlen auch mit jedem mit. Das Handeln jeder Person wird verständlich, auch wenn besonders Annas und Saras Wünsche miteinander kollidieren.

Nach und nach wird offenkundig, welche Probleme die Familie Fitzgerald mit sich auszumachen hat. Die Interessen ihrer beiden Töchter stehen praktisch im Gegensatz zueinander. Um die kranke Tochter gesund zu machen, muss die gesunde Tochter immer wieder ins Krankenhaus und sogar eine schwere Knochenmarkstransplantation über sich ergehen lassen, die Anna nicht gut verträgt. Die Familie ist kurz vor dem Auseinanderbrechen, was auch den Eltern auffällt, die sich plötzlich nichts mehr zu sagen haben. Zusammengehalten werden die fünf eigentlich nur durch die zu überstehenden Krisen und durch Kates Krankheit, die nur bekämpft werden kann, wenn alle füreinander da sind. Doch speziell Jesses und Annas Interessen bleiben dabei häufig auf der Strecke. So darf Anna nicht auf das Eishockeyseminar fahren, auf das sie sich so gefreut hatte, weil sie in der Zeit eventuell für weitere Spenden gebraucht werden könnte.

„Bis dahin ist ausgeschlossen, dass sie nach Minnesota fährt. Nicht weil ich Angst habe, Anna könnte dort etwas passieren, sondern weil ich Angst habe, Kate könnte etwas passieren, wenn ihre Schwester nicht da ist. […] Und dann brauchen wir Anna – ihr Blut, ihre Stammzellen, ihr Gewebe – und zwar hier.“

Unlösbar

Jodi Picoult hat einen sehr persönlichen Roman vorgelegt, der uns die Personen wunderbar näher bringt und der es schafft, mit jedem mitfühlen zu lassen. Inhaltlich hat sie sich ein Thema herausgesucht, das ethisch schwierig zu beurteilen ist und gerade moralisch unlösbar erscheint. Wir können Annas Standpunkt sehr gut nachvollziehen, dass sie ihre Niere nicht spenden möchte, da dies einen schweren Eingriff in ihre eigene Gesundheit darstellen würde und sie danach ihr geliebtes Eishockeyspiel aufgeben müsste. Anna möchte mit ihren 13 Jahren endlich die Chance auf ein einigermaßen normales Leben haben und die Chance darauf, erwachsen zu werden (obwohl sie uns in den meisten Situationen doch schon sehr erwachsen vorkommt). Doch verbunden ist dies unweigerlich mit Kates Tod. Wie soll man hierzu eine Lösung finden? Jodi Picoult hat sich ein Ende ausgedacht, das dem Leser das Nach- und Weiterdenken ermöglicht. Sie präsentiert uns nicht ihre eigene Lösung, sondern schafft es sehr geschickt, diese Schwierigkeit zu umschiffen. Vielleicht trägt Picoult am Ende ein wenig dick auf, doch vielleicht war dies auch die einzig mögliche Auflösung in diesem Buch?!

„Beim Leben meiner Schwester“ regt zum eigenen Nachdenken an. Wie würde man selbst in dieser Situation reagieren? Ist es überhaupt gerechtfertigt, sich ein Wunschkind wie Anna erschaffen zu lassen, welches von Anfang an die Aufgabe des Spenders zu übernehmen hat? Aber ist es nicht auch völlig normal, dass Eltern alles Menschenmögliche versuchen wollen, um ihr krankes Kind zu retten? All dies sind Fragen, auf die es keine richtige und keine falsche Antwort gibt, daher fällt es uns schwer, das Buch aus der Hand zu legen und abzuschalten. Wenn wir das Buch am Ende zuklappen, rollt uns vielleicht sogar die eine oder andere Träne über die Wange, denn wir müssen loslassen von uns lieb gewonnenen Figuren. Durch die so persönlichen Schilderungen im Laufe der Geschichte haben wir uns besonders mit Anna richtig angefreundet, eine so „persönliche Beziehung“ habe ich nur selten zu Romanfiguren aufgebaut – und das, obwohl die reine Handlung des Buches nur eine gute Woche umfasst.


Etwas Besonderes

„Beim Leben meiner Schwester“ drückt auf die Tränendrüse, vielleicht ist es daher eher ein Buch für Frauen, ganz bestimmt ist es jedoch ein Buch, das Einfühlungsvermögen benötigt und die Bereitschaft, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Jodi Picoult hat ein Buch vorgelegt, das mich tief bewegt und mitgerissen hat. Der Roman ist flüssig geschrieben und schnell durchgelesen, dennoch ertappt man sich immer wieder dabei, dass man über die geschilderte Situation nachdenkt. Ein wenig störend empfand ich die beginnende Liebesgeschichte zwischen Campbell und Julia, ein reiner Familienroman wäre auch passend gewesen, insgesamt fügt sich aber sogar diese Liebelei ganz gut in das Gesamtgeschehen ein, da wir dadurch auch den Staranwalt aus einer ganz anderen Perspektive kennen lernen dürfen.

Das vorliegende Buch ist ein ganz persönliches Erlebnis, das ich jedem, der sich für dieses Thema und die damit verbundenen Fragen interessiert, nur wärmstens ans Herz legen kann.

Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: My Sister’s Keeper
ISBN-13: 978-3492247962
www.piper.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (9 Stimmen, Durchschnitt: 4,11 von 5)

Mankell, Henning – Vor dem Frost

Nachdem seine erfolgreiche Krimireihe rund um Kurt Wallander mit der „Brandmauer“ seinen Abschluss gefunden hat und Mankell seine Leser in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ mit dem Kommissar Stefan Lindman bekannt gemacht hat, ermittelt in „Vor dem Frost“ erstmals Linda Wallander, obwohl sie eigentlich noch nicht offiziell im Polizeidienst angefangen hat. Der Generationenwechsel in Ystad hat nun stattgefunden, und nach dem Erfolg des Krimis mit Stefan Lindman als Hauptfigur hat dieser nun auch seinen Einsatzort gewechselt und arbeitet fortan ebenfalls in Ystad an der Seite des alternden und immer noch schlecht gelaunten Kurt Wallander. Ob Henning Mankell seiner neuen Krimiheldin ein überzeugendes Debüt gewidmet hat, wollen wir uns nun näher besehen …

_Bitte melde dich!_

Frisch von der Polizeischule kehrt Linda Wallander zurück nach Ystad. Da sie noch auf eine eigene Wohnung warten muss, zieht sie zunächst zu ihrem Vater Kurt, auch wenn dies zu allerlei Schwierigkeiten führt, da beide sehr impulsiv reagieren und somit immer genug Zündstoff für Streitereien gegeben ist. Leider reicht das Geld bei der Polizei nicht aus, um Linda sofort einzustellen, sodass sie ungeduldig auf ihren Einsatz warten muss. In der Zwischenzeit baut sie zwei alte Freundschaften zu ihren Schulfreundinnen Zebra und Anna wieder auf. Doch eines Tages ist Anna verschwunden, obwohl sie sonst doch immer so pünktlich und zuverlässig war. Mit Hilfe eines Dietrichs verschafft Linda sich Zugang zu Annas Wohnung und beginnt auf eigene Faust, das Verschwinden ihrer Freundin zu untersuchen. Vater Kurt hat dafür allerdings gar kein Verständnis, da er nicht an ein Verbrechen glaubt, zumal auch Annas Mutter überhaupt nicht beunruhigt zu sein scheint.

Gleichzeitig geschehen noch weitere mysteriöse Dinge in Ystad: Über dem Marebosjö fliegen brennende Schwäne, kurze Zeit später berichtet ein Bauer, dass jemand eines seiner Kälber angezündet hat. Kurt Wallander befürchtet Schlimmstes, sein Gefühl sagt ihm, dass hier nicht nur ein verrückter Tierquäler am Werke ist, sondern dass diese Taten Auftakt sind zu mehr. Und wirklich, nahe von Schloss Rannesholm wird in einer versteckt liegenden Waldhütte eine brutal ermordete Frau gefunden, der Kopf und Hände abgeschlagen wurden. Neben den Leichenteilen entdecken die Polizisten auch eine Bibel, in die jemand eigene Gedanken und Interpretationen hineingeschrieben hat.

Zufällig findet Linda in Annas Tagebuch einen Hinweis auf die ermordete Frau aus dem Wald und schafft dadurch eine Verbindung zwischen Annas Verschwinden und dem Mord an Birgitta Medberg. Auch führt ein Hinweis die junge Polizeianwärterin nach Kopenhagen, wo sie von einem hageren Mann bewusstlos geschlagen wird. Ihr Vater ist außer sich und bezieht seine Tochter nun offiziell in die Ermittlungen mit ein. Doch die Zeit rennt den Polizisten davon …

_Alles neu macht der Frost_

Um Wiederholungen zu vermeiden, beendete Henning Mankell zur Trauer seiner treuen Leser die erfolgreiche Kriminalreihe um Kurt Wallander, nur um allerdings mit einem kleinen Trick Kurt Wallanders Tochter in das Zentrum des Geschehens zu rücken. Wollte Linda in den vergangenen Romanen noch Möbelpolsterin werden, so eröffnete sie ihrem Vater am Ende seines letzten offiziellen Kriminalfalles zu seiner großen Überraschung (aber auch Freude), dass sie den gleichen Weg einschlagen möchte wie er. Nun also begleitet der Leser Linda bei ihren Ermittlungen und Gedankengängen, während ihr Vater in den Hintergrund rückt.

Doch so ganz kann Mankell hiermit nicht überzeugen. Zunächst schafft er es nicht glaubwürdig, uns Lindas Entscheidung für die Polizeikarriere zu erklären. Zwar hatte Mankell bereits in den vergangenen Romanen immer angedeutet, dass Lindas Berufswünsche mehrfach wechselten, doch plötzlich scheint sie vollkommen überzeugt zu sein von ihrem (neuen) eingeschlagenen Weg. Darüber hinaus nimmt ihre Vorstellung zu viel Raum in diesem Buch ein. Ein großes Plus in Henning Mankells Büchern ist seine liebevolle Figurenzeichnung, die immer weiter chronologisch fortgesetzt wird, sodass uns seine Krimihelden richtig ans Herz wachsen. Doch da Linda bislang immer nur eine kleine Nebenrolle innehatte, muss Mankell fast von vorne beginnen. In der „Rückkehr des Tanzlehrers“ gelang ihm die Gratwanderung zwischen einer überzeugenden Charakterisierung und einer, die die Spannung zu sehr ausbremst, sehr gut. In seinem ersten Linda-Wallander-Roman verliert er allerdings oftmals den eigentlichen Kriminalfall aus den Augen.

Da Linda noch nicht offiziell als Polizeianwärterin arbeitet, ermittelt sie wie schon ihr Vater zuvor auf eigene Faust und eher am Rande der Legalität. An den eigentlichen Ermittlungen in dem Fall der brennenden Tiere und der brutal ermordeten Frau Birgitta Medberg nehmen wir daher kaum Anteil. Genau das war es allerdings, was mich bei den bisherigen Mankell-Krimis so fasziniert hat. Wir waren bei jedem Schritt der Polizei hautnah dabei, wir haben an den Besprechungen und an den leidigen Pressekonferenzen teilgenommen, wir haben Nybergs schlechte Laune und Kurt Wallanders Ungeduld gespürt, doch dieses Mal ist alles anders. Von Anfang an rückt Linda Wallander in den Mittelpunkt des Geschehens, wir erfahren einiges aus ihrer Vergangenheit, über ihre abgebrochenen und gescheiterten Selbstmordversuche, über die schlechten Launen und Wutausbrüche ihres Vaters und über ihre Freundschaft zu Anna und Zebra. Allerdings bekommen wir von der eigentlichen polizeilichen Ermittlung viel zu wenig mit. Die personelle Komponente überwiegt in weiten Teilen der Romanhandlung, sodass der Spannungsbogen in „Vor dem Frost“ erstmals nicht perfekt gelungen ist, wie wir das inzwischen von Henning Mankell praktisch erwarten.

Interessant dagegen ist es, die bereits bekannten handelnden Personen aus Lindas Blickwinkel kennen zu lernen. So erscheinen besonders ihre Eltern unter ganz anderem Licht, aber auch Ann-Brit Höglund lernen wir von einer neuen Seite kennen.

Manchmal fehlte mir der rote Faden, der durch das Buch führt. Zwischendurch wechselte häufiger die Perspektive; so haben wir nicht nur Linda bei ihren Nachforschungen begleitet, sondern auch Birgitta Medberg auf ihrem unbekannten Pfad, der geradewegs zu ihrem Mörder geführt hat, und auch einen Unbekannten, der in der Eröffnungsszene die Schwäne in Brand steckt und auch weitere Pläne und Gedanken kundtut. Darüber hinaus erschienen mir Lindas Ermittlungen oftmals wenig zielgerichtet und vor allem wenig vernünftig. Sie tappt blindlings in die eine oder andere Falle und verliert natürlich im entscheidenden Augenblick ihr Handy (dessen Akku selbstverständlich fast leer war). Stellenweise häufen sich die Zufälle etwas zu sehr, sodass der Roman an Glaubwürdigkeit verliert. Auch erschienen mir einige Situationen nicht schlüssig zu sein; so werden wir Zeuge, wie Linda Wallander aus Wut ihrem Vater einen Aschenbecher an den Kopf wirft, woraufhin eine Platzwunde seine Stirn ziert. Wenn Kurt allerdings wirklich solche Wutausbrüche hat und impulsiv handelt, wie uns vorher weisgemacht wurde, passt seine relativ gelassene Reaktion nicht zu seinem sonstigen Verhalten.

_Thematisches_

Wie gewohnt greift sich Henning Mankell ein heißes Thema heraus, um das er seine Romanhandlung herum aufbaut. In „Vor dem Frost“ spielen fanatische religiöse Gemeinschaften eine Rolle, die ihr ganz eigenes Ziel verfolgen. Darüber hinaus setzt die eigentliche Handlung Ende August 2001 ein und spielt sich somit kurz vor den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center ab. An Lindas erstem offiziellen Arbeitstag muss sie schließlich im Fernsehen die tragischen Bilder der Terroranschläge ansehen. Sehr bewusst legt Mankell hier seine eigene Romanhandlung parallel zu den damaligen Ereignissen an, sodass nicht nur die Mankell’schen Figuren gerade ihre Anschläge planen, sondern im wahren Leben die Terroristen ebenfalls.

Leider bleiben am Ende die wahren Gründe für die geplanten Anschläge der religiösen Fanatiker etwas im Dunkeln. Mankell deutet zwar eine schwache Begründung an, doch weiß diese nicht zu überzeugen. Gerade die Hintergründe und die Motivation der religiösen Gemeinschaft hätte Mankell noch weiter ausführen können, um ihr Tun und Handeln vielleicht in Ansätzen erklärbar zu machen.

_Altbewährtes_

Selbstverständlich bleibt Henning Mankell sich weiterhin treu; seinem Roman stellt er einen Prolog voran, der im Jahre 1978 spielt und zunächst keinen Zusammenhang zu den späteren Ereignissen hat. Erst nach knapp 200 Seiten erfährt der Leser die Verbindung zwischen den weit zurückliegenden Geschehnissen und dem aktuellen Kriminalfall. Hier führt Mankell seine Handlungsstränge zusammen und beantwortet mit einem Schlag zahlreiche Fragen. Doch das mindert die Spannung nicht im Geringsten, da die Polizei weiterhin im Dunkeln tappt und Linda gar nicht ahnt, welchen Gefahren sie sich aussetzt. Mit unserem Wissensvorsprung können wir Linda, ihrem Vater und seinen Kollegen also bei ihrer Arbeit zusehen und überprüfen, ob sie die richtigen Spuren verfolgen.

Obwohl die Handlung nicht so strafft erzählt ist wie gewohnt, ist auch der vorliegende Roman schwer aus der Hand zu legen. Nach einem gemächlichen Einstieg mit den brennenden Schwänen und der ausführlichen Vorstellung Linda Wallanders lässt Mankell seine Akteure auf den Plan treten. Zwar geschieht am Anfang kein brutaler (Menschen-)Mord, doch animieren auch die brennenden Tiere zum Mitfiebern, da bereits klar ist, dass sie nur Auftakt zu größeren Taten sein können. Doch dann dauert es auch nicht lange, bis Birgitta Medbergs Leichenteile merkwürdig drapiert entdeckt werden und Lindas Sorgen um Anna immer schwerwiegender werden.

_Nach dem Frost_

Obwohl „Vor dem Frost“ seine Erwartungen nicht alle erfüllen kann, ist es dennoch ein Krimi der Extraklasse. Lediglich verglichen mit Henning Mankells bisherigen Kriminalromanen fällt die Begeisterung etwas geringer aus. Fast alle bekannten Erfolgskomponenten des schwedischen Bestsellerautors finden sich hier wieder, nur Linda überzeugt als neue Krimiheldin (noch?) nicht ganz. Ihr Vorgehen ist zu unüberlegt und auch ihre Person wirkt nicht so sympathisch wie die ihres Vaters. Zeitweise hält Mankell sich zu sehr mit seinen Beschreibungen auf und bremst dadurch die Handlung aus, auch häufen sich die Zufälle manchmal zu sehr, wodurch die Glaubwürdigkeit etwas leidet. Lesenswert ist der erste Linda-Wallander-Fall allemal, doch muss sie sich ihre Lorbeeren erst noch verdienen.

Magnusson, Kristof – Zuhause

|“Alles war in bester Ordnung. Warum auch nicht? Ich hatte nichts gegen Weihnachten. Das Problem war, dass Weihnachten oft etwas gegen mich hatte.“|

Kristof Magnusson hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Vor fast genau einem Jahr habe ich ihn durch Zufall auf einer Lesung erleben dürfen, bei der er aus seinem damals noch unvollendeten Erstlingsroman „Zuhause“ vorgelesen hat. Der sympathische junge Autor und seine eindrucksvolle Lesung sorgten dabei für zahlreiche Lacher im Publikum und für eine ausgelassene Stimmung, sodass ich sicherlich nicht die Einzige bin, die seitdem erwartungsvoll auf die Veröffentlichung von Magnussons Debütwerk gewartet hat (und nun auch sehnsüchtig auf eine Fortsetzung hofft).

_Merry Christmas_

Lárus Lúðvígsson dreht Dokumentarfilme über Vögel in seiner zweiten Heimat Hamburg und möchte nun Weihnachten zusammen mit seiner Jugendfreundin Matilda und ihrem Freund Svend in Island feiern. Was er aber nicht weiß, ist, dass sich Matilda von Svend getrennt hat, weil er und ihre ganze Beziehung ihr zu perfekt vorgekommen sind. Nur nach und nach eröffnet Matilda Lárus, dass sie nun in eine schmuddelige Wohngemeinschaft gezogen ist, obwohl sie doch so stolz auf ihre eigene Wohnung war. Außerdem möchte sie nicht mehr als wandelnder „Expo-Pavillon“ (also als Reiseleiterin) arbeiten, sondern lieber Suppenköchin werden. Doch auch Lárus verschweigt seiner langjährigen Freundin einiges, denn er traut sich nicht zu sagen, dass sein Freund Milan ihn vor kurzem verlassen hat. Dennoch ist Lárus enttäuscht und versteht nicht, warum Matilda ihm nicht gleich alles anvertraut hat. Gleichzeitig bringt er es nicht übers Herz, Matilda von seiner Trennung zu erzählen. So brechen die beiden zusammen zum Flughafen auf, um Milan abzuholen, obwohl Lárus sehr genau weiß, dass dieses Vorhaben völlig vergeblich sein wird. Erstmals muss ihre Freundschaft größere Krisen überstehen …

Doch so kurz vor Weihnachten passiert noch mehr in Island: Matilda und Lárus werden Zeugen, wie die Wohnung von Lárus‘ ehemaligem Schulkameraden Dagur abbrennt. Da dieser ganz in der Nähe ist, kann er noch zur Rettung einiger ihm lieb gewonnener Dinge eilen. Todesmutig (oder auch lebensmüde) stürzt Dagur sich in die Flammen und wirft Teile seiner CD-Sammlung und einige Kleidungsstücke aus dem Fenster. Anschließend zieht Dagur ebenfalls in Matildas Wohngemeinschaft ein. Lárus und Dagur, die sich zu Schulzeiten nicht ausstehen konnten, freunden sich zaghaft an. Doch Lárus wird nicht schlau aus Dagur, der immer wieder auf seine Familie schimpft, aber nicht verraten möchte, was zwischen ihnen vorgefallen ist. Als Dagur sich in Lárus verliebt, sein merkwürdiges Verhalten aber nicht erklären möchte, rasen die beiden auf eine Katastrophe zu …

Gleichzeitig versucht Lárus, seine Erinnerungen an Milan und ihre gescheiterte Beziehung in Worte zu fassen. Diese Briefe möchte er an ein Institut für Liebeskranke in Zürich schicken, das anonym diese Erinnerungen aufbewahrt, damit ihre Besitzer sich nicht mehr mit ihnen herumquälen müssen. Durch diese Briefe gelangt Lárus zu ganz neuen Einsichten, die er langsam verarbeiten muss.

_Lebenskrisen_

Kristof Magnusson erzählt einen Roman über eine Gruppe von Menschen um die 30, die ihre ganz eigene Lebenskrise überstehen müssen und dabei einige Hindernisse zu überwinden haben. Zunächst beginnt „Zuhause“ als „Feel-good“-Roman, der mit viel Wortwitz geschrieben ist und zu Beginn trotz der beiden Trennungen sehr heiter klingt. Es hat den Anschein, als würden sich Lárus und Matilda über ihr Wiedersehen und auf das bevorstehende Weihnachtsfest freuen. Erst nach und nach bröckeln die Fassaden und beide müssen sich eingestehen, dass viel geschehen ist und nicht nur ihre Freundschaft sich verändert hat, sondern auch Lárus und Matilda selbst. Auf ihre jeweils eigene Art versuchen die beiden nun, mit diesen Veränderungen und ihrem Leben klarzukommen. Während Lárus, der komischerweise in Island für tot erklärt wurde, seine Hoffnungen in die aufgeschriebenen Erinnerungen setzt und gar nicht bemerkt, in welches Unglück sich Dagur stürzt, flüchtet sich Matilda in ihre Wohngemeinschaft und lässt sich mit einem fragwürdigen DJ ein, der es auf Lárus abgesehen hat.

Auf nur knapp mehr als 300 Seiten erkennt vor allem Lárus, dass er in der Vergangenheit einige Fehler gemacht hat und die Trennung von Milan eigentlich nicht ganz plötzlich kam, sondern ziemlich vorhersehbar war. Dennoch fällt Lárus diese Einsicht sehr schwer, da er in seinen aufgeschriebenen Erinnerungen zum ersten Mal sein eigenes Verhalten reflektiert und zu seinen Fehlern stehen muss. Erst im Laufe der Zeit bemerkt Lárus, dass er selbst sich ändern und sein eigenes Zuhause finden muss. Dabei kommt er ganz unbeabsichtigt hinter ein altes Familiengeheimnis.

Zusammen mit seinen Protagonisten macht der Roman eine spürbare Veränderung durch. Während die Erzählung anfangs vor Wortwitz sprühte und es keine Seite gab, auf der man nicht zumindest zum Schmunzeln verleitet wurde, wird die Wortwahl mit der Zeit ernster und melancholischer. Der feine Humor ist zwar durchweg spürbar, doch werden die erheiternden Episoden seltener und Magnusson präsentiert uns nicht mehr allzu abstruse Geschichten, von denen er zu Beginn zahlreiche einstreute. So merkt man auch der Erzählweise an, dass Lárus durch ein ziemlich tiefes Tal wandern muss, welches sowohl seine Gedanken betrifft als auch seine körperliche Gesundheit, die unter einigen Unfällen schwer zu leiden hat.

_Achtung: Wortwitz_

„Zuhause“ weiß auf seine eigene Art zu begeistern, das Buch ist sehr liebevoll geschrieben und genau beobachtet. Mit seiner treffenden Wortwahl und seinen teilweise mehr als passenden Metaphern verleiht Kristof Magnusson seinem Debütroman das gewisse Etwas und beweist, dass er mit Worten spielen kann und dies offenbar auch gerne tut. Es sind die kleinen Geschichten am Rande und die eingestreuten Episoden, manchmal aber auch nur einzelne Füllwörter, die mich mitgerissen und begeistert haben. Besonders auf der ersten Hälfte unterhält „Zuhause“ auf grandiose aber feinsinnige Weise. Kein Witz kommt aufdringlich daher oder wirkt peinlich, jede Zeile macht einen sympathischen Eindruck, sodass man sich einfach nur wohlfühlt in diesem Buch und in diesen Worten.

Magnusson beschreibt teils urkomische und herzerfrischende Episoden, deren Lektüre einfach Freude bereitet; er beobachtet selbst feine Nuancen wie beispielsweise den Unterschied zwischen „sich gegenseitig anschweigen“ und „jeder für sich schweigen“ und hebt sich damit positiv von der Masse ab.

S. 30: |“Das hatte sie von ihrem Vater. Der war beim Straßenbauamt von Reykjavík für die Geschwindigkeitsbegrenzungen zuständig, setzte Eisenrohre in den Asphalt und ließ Betonschwellen vor Kindergärten sowie Blindenheimen gießen. Er war auf einem Bauernhof am Ende einer langen holprigen Schotterpiste im Südland groß geworden, und problemlos befahrbare Straßen schienen ihm noch immer suspekt zu sein.“|

S. 32: |“Es war einer von diesen stillen, triumphalen Momenten, in denen ich gern die Fähigkeit besessen hätte, nur die linke Augenbraue heben zu können.“|

„Zuhause“ steckt voller Musik; in der Art eines Nick Hornby streut Kristof Magnusson zu vielen Situationen die passenden Musikzitate ein, die allerdings größtenteils eher unbekannt sind und daher eher weniger zu Ohrwürmern beim Leser führen. Dennoch könnte ich mir gut einen Soundtrack zu diesem Buch vorstellen, der die beschriebenen Situationen unterstreicht.

_Iceland meets Germany_

Obwohl die Romanhandlung komplett in Island spielt, gibt es immer wieder Rückbezüge auf Deutschland, da Lárus an Ereignisse aus Hamburg zurückdenkt oder seine Beziehung zu Milan reflektiert, die sich in Deutschland abgespielt hat. Lárus ist 30 Jahre alt und hat in beiden Ländern eine Wohnung, obwohl er schon als Kind mit seinem Vater nach Hamburg umgezogen ist. Dennoch zieht es Lárus immer wieder in seine Heimat, da er sich ihr weiterhin verbunden fühlt. Auch gibt es dort Matilda, mit der ihn eine tiefe Freundschaft verbindet. Es wird deutlich, dass Lárus sich noch nicht für sein Zuhause entschieden hat und erst noch herausfinden muss, ob er es in Island oder Deutschland finden wird.

Für Lárus stehen seine zwei Zuhause für völlig unterschiedliche Kulturen und für zwei voneinander getrennte Leben. Mit Deutschland verbinden ihn die Erinnerungen an Milan und die Angst, in einige Städte zu reisen, in denen die beiden gemeinsam gewesen sind. Zu Weihnachten verlässt Lárus daher seine deutsche Heimat, um sich in seine isländische Vergangenheit zu flüchten, nur um allerdings festzustellen, dass die Zeit dort auch nicht stehen geblieben ist und Matilda nicht mehr sein Fels in der Brandung ist, sondern ihr Leben in eine andere Bahn gelenkt hat. So begleiten wir Lárus auf einer ganz persönlichen Reise, auf der er mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und sich darum bemühen muss, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen.

_Home Sweet Home_

Am Ende bleibt eigentlich nur noch festzustellen, dass „Zuhause“ einfach Freude bereitet; Kristof Magnusson schreibt sympathisch, liebevoll und mit viel Wortwitz. Dabei zeichnet er Figuren, die zwar eine chaotische Phase durchmachen, aber gerade dadurch menschlich wirken, sodass wir beim Lesen mit ihnen fiebern und uns stellenweise durchaus mit ihnen identifizieren können. Inhaltlich geht es um Lárus‘ Identitätsfindung und um eine geheimnisvolle Familiengeschichte, die im Grunde genommen nicht wirklich spannend ist. Wen interessiert bei dieser wunderbaren Schreibweise noch, was mit Lárus‘ Mutter wirklich passiert ist? Wir registrieren diese Informationen ganz am Rande, konzentrieren unsere Aufmerksamkeit aber weiterhin auf die persönlichen Schicksale und Lárus‘ Weiterentwicklung und natürlich auf die amüsanten Episoden, die uns zum Lachen bringen.

„Zuhause“ beginnt sehr vielversprechend und überzeugt durch seinen Wortwitz, zum Ende hin lässt dies etwas nach, dennoch macht Magnussons Erstlingswerk Lust auf mehr, sodass ich schon jetzt auf eine Fortsetzung hoffe.

Franz, Andreas – Teuflische Versprechen

_Auf der Flucht_

Bei einem Einkaufsausflug kann die junge Maria ihren beiden Bewachern entkommen. Völlig orientierungslos läuft sie durch die Straßen und flüchtet sich in die Praxis einer ihr unbekannten Psychologin. Dort erzählt Maria einen Teil ihrer Lebensgeschichte. Mit 17 wurde ihr in ihrer Heimat Moldawien versprochen, dass sie in Deutschland als Aupairmädchen arbeiten könne. Doch zunächst wird Maria nach Jugoslawien verschleppt, wo sie Deutsch lernen muss und gefügig gemacht wird. Mehrere Männer vergewaltigen sie abwechselnd. Auch in Frankfurt arbeitet sie nicht als Aupairmädchen, sondern als Edelhure in einem geheimen Bordell, in welchem nur berühmte Männer verkehren, die in den höchsten Kreisen sitzen und als Politiker oder auch Anwalt bekannt sind.

Die Psychologin Verena Michel weiß sich keinen Rat und ruft noch spätabends bei ihrer besten Freundin Rita Hendriks an, von der sie sich Hilfe erhofft. Auch Rita ist entsetzt von der Geschichte, die Maria zu erzählen hat. Am nächsten Tag trifft sich Rita mit einem befreundeten Journalisten, der zur Zeit an einem Buch über das organisierte Verbrechen in Deutschland arbeitet. Dietmar Zaubel kennt sich aus in diesen Kreisen und verweist Rita an Hauptkommissarin Julia Durant. Doch leider erreicht Rita Hendriks telefonisch nur Julia Durants Kollegen und kann Julia lediglich eine Nachricht zukommen lassen. Bevor Rita sich mit Durant treffen kann, erhält sie Besuch von einem angeblichen Blumenboten, der sie zu Tode foltert, weil er Marias Aufenthaltsort erfahren möchte.

Am gleichen Tag findet man auch den Journalisten Zaubel ermordet auf. Da Julia Durant von Hendriks und Zaubels Bekanntschaft weiß, ahnt sie sofort eine Verbindung zwischen beiden Morden. Ritas letztes Telefonat führt die Polizei schließlich zu Verena und zu der verängstigten Maria. Julia Durant kümmert sich um Maria und besorgt ihr eine sichere Wohnung. Anschließend stellt sie sich dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität, auch in dem Bewusstsein, dass sie diesen Kampf wohl nur verlieren kann, weil so hochrangige Persönlichkeiten darin verwickelt sind, dass keine Verfahren gegen sie eingeleitet werden können. Dennoch findet sich eine kleine Gruppe zusammen, die das geheime Bordell ausheben möchte. Um den Drahtziehern auf die Schliche zu kommen, macht Polizist Kullmer sich auf die Suche nach dem ominösen Marco Martini, von dem er angeblich 15 junge Frauen aus den Ostblockstaaten kaufen möchte. Das Spiel beginnt …

_Sodom und Gomorrha_

Andreas Franz fasst in seinem aktuellen Julia-Durant-Krimi ein heißes Eisen an, nämlich das organisierte Verbrechen, das sich hauptsächlich in den oberen Schichten der Gesellschaft abspielt und daher meist ungesühnt bleibt, weil immer jene Leute darin verwickelt sind, die alles vertuschen können. In seinem Roman zeichnet Franz ein düsteres Bild, das den Leser erschreckt und sicherlich auch erschrecken soll. Etwas paranoid beginnt man sich beim Lesen zu fragen, ob die Missstände in der heutigen Gesellschaft tatsächlich so groß sind und ob Macht und Ansehen wirklich reichen, um von Gefängnisstrafen verschont zu bleiben.

In der Person der Julia Durant bezieht Franz eindeutig Stellung zu diesem Thema und macht deutlich, dass es immer noch Menschen mit Idealen gibt, die nicht davor zurückschrecken, diesen aussichtslosen Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufzunehmen. „Teuflische Versprechen“ zeigt, dass der Kampf zwar aussichtslos erscheint, aber die Mühen dennoch wert ist, auch wenn es vielleicht nur darum geht, ein Zeichen zu setzen. Inhaltlich gefällt „Teuflische Versprechen“ vom Grundkonzept daher sehr gut, an Düsternis und Hoffnungslosigkeit könnte der Krimi durchaus mit einem Mankellschen Roman konkurrieren, nicht jedoch, wenn es um die geschickte Inszenierung eines mitreißenden und ausgefeilten Plots geht. Hier offenbaren sich bei Andreas Franz einige Schwächen und Unstimmigkeiten.

So halte ich es für ziemlich unrealistisch, dass eine alleinstehende Frau sofort eine Wildfremde bei sich aufnimmt und gleich am ersten Abend sofort eine Vertrauensbasis zwischen den beiden Frauen zu spüren ist. Verena und Maria haben keine Scheu voreinander, entkleiden sich in Gegenwart der anderen Frau und bewundern gegenseitig ihre Figur, was ich doch etwas übertrieben finde. Auch dürfte so viel Hilfsbereitschaft, wie Verena Maria entgegenbringt, eher die ganz große Ausnahme sein. Aber hier setzt Franz dem Ganzen noch die Krone auf, als Rita Hendriks sich nämlich zu Tode foltern lässt, um nur nicht Marias Aufenthaltsort preiszugeben. Rita hat Maria nur ein einziges Mal getroffen und kennt sie kaum. Man kann wohl annehmen, kein normaler Mensch würde sich foltern lassen, um einen (fast) Unbekannten zu schützen.

Später inszenieren Julia Durant und ihre Kollegen schließlich eine Undercoveraktion, die mir wie eine ziemlich unüberlegte Hauruck-Aktion vorkommt; innerhalb weniger Tage wird ein Polizist in die Kreise des organisierten Verbrechens eingeschleust und hat sofort einen wasserdichten Lebenslauf parat, der jeglicher Überprüfung durch die Verbrecher standhält. Und obwohl bei dieser Aktion zahlreiche Menschen eingeweiht werden müssen, haben Durant und Co. so viel Glück, dass kein Verräter dabei ist (obwohl doch eigentlich überall die organisierten Kriminellen sitzen). Mir erscheint dies mehr als unwahrscheinlich, insbesondere vor dem Hintergrund der doch so ausweglos erscheinenden Situation. Auch das Buchende wirkt weichgespült, als hätte Andreas Franz den Mut verloren, seinem Kriminalfall ein angemessenes Ende zu verpassen.

Diese Unstimmigkeiten trüben den Gesamteindruck des Buches dann doch ein wenig, zumal gerade der Schluss nicht überzeugen kann.

_Krimihelden wie im Bilderbuch_

Auch die Figurenzeichnung macht einen schlichten Eindruck. Julia Durant erscheint zu perfekt, obwohl sie als alleinstehende und sich manchmal einsam fühlende Krimiheldin doch eigentlich recht realistisch wirken müsste. Aber auch hier relativiert Andreas Franz die negativen Seiten, fast als würde er seinen Lesern etwas anderes nicht zumuten wollen. So kommt Julia Durant mit einem pensionierten Pfarrer als Vater daher, der seine Tochter über alles liebt und der Meinung ist, dass Gott etwas ganz Besonderes mit seiner Tochter vorhat und sie daher aus gutem Grund Kriminalkommissarin geworden ist. Natürlich ist Julia Durant nicht einmal ansatzweise korrupt und umgibt sich auch nur mit vollkommen vertrauenswürdigen Kollegen, die sich ebenfalls ganz selbstlos in den Kampf gegen das organisierte Verbrechen stürzen. Am Ende greift Andreas Franz dann noch tiefer in die triefende Kitschecke und zerstört dadurch eigenhändig das vorher so düster beschriebene Bild.

Neben Julia lernen wir nur wenige Kollegen näher kennen, aber auch hier treffen wir nicht auf normale Alltagshelden, sondern auf Menschen, die selbst in großer Angst nie den Mut verlieren und immer den kühlen Überblick behalten. Die Klischees und Absonderlichkeiten setzen sich auch bei den anderen auftauchenden Personen fort, wie eben bei der völlig selbstlosen Rita Hendriks.

Leider wirken diese eindimensionalen Charaktere kein bisschen authentisch oder realistisch, sodass eine Identifikation nicht möglich wird und man sich auch nicht so recht in die Situationen einfühlen kann. Alles erscheint zu abstrus, als dass wir in die Geschichte eintauchen könnten.

_Pageturner par excellence_

Dem gegenüber muss man Andreas Franz zugute halten, dass er seine Leser dennoch fesseln kann. Besonders während der Einleitung der Undercoveraktion kann man das Buch kaum aus der Hand legen, weil die Ereignisse sich überschlagen und an mehreren Fronten gleichzeitig entscheidende Dinge passieren. Hier werden dann auch zwei Handlungsstränge zusammengeführt, sodass der Leser sich langsam ein klares Bild davon machen kann, was denn nun eigentlich vorgefallen ist und welche Verbrechen aufzudecken sind.

Andreas Franz‘ Schreibweise ist kurz und prägnant und trägt dadurch ebenfalls zum flüssigen Lesevergnügen bei. Der Roman ist kurzweilig und unterhaltsam, auch wenn sich die Unstimmigkeiten später immer mehr häufen.

Insgesamt bleibt ein mittelmäßiger Eindruck zurück. In Ansätzen gefällt „Teuflische Versprechen“ dabei wirklich gut. Anfangs zeichnet Andreas Franz ein düsteres Bild des organisierten Verbrechens und fesselt seine Leser durch die schrecklichen Dinge, die Maria hat erleiden müssen. Eigentlich hätte Franz daraus eine packende Geschichte schreiben können (müssen!), wenn er den Mut bewiesen hätte, nicht jede negative Seite durch positive Ereignisse zu relativieren. Ein weichgespültes Buchende passt so rein gar nicht in das Gesamtkonzept und wirkt ziemlich lieblos. Wäre dies nicht bereits der achte Krimi um Julia Durant und ihre Kollegen, würde ich behaupten, in der Figurenzeichnung wäre noch viel Raum für Weiterentwicklung, so allerdings empfinde ich diese eindimensionalen Charaktere als enttäuschend. Positiv fällt dagegen die flüssige Schreibweise auf, die dazu beiträgt, das Buch zu einem Pageturner zu machen.