Bruce Sterling – Schismatrix

Mechanisten oder Former: am Scheideweg der Evolution

Der Homo sapiens der Zukunft hat zwei Möglichkeiten, um über sich hinauszuwachsen: Entweder er ist ein Former und lässt seine Gene gezielt manipulieren, oder er ist ein Anhänger der Mechs, die ihre Körper durch implantierte Chips und Cyborg-Modifikationen aufrüsten. Beide Gruppen führen seit Jahrzehnten einen Kampf darum, wessen Technologie die bessere ist.

Abélard Lindsay, ein Mech, der bei den Formern ein diplomatisches Training absolviert hat, lehnt sich gegen die Dogmen beider Gesellschaften auf und wird auf dem Mond ins Exil geschickt. Durch seine Ausbildung fällt es ihm nicht schwer, sich in eine günstige Position zu bringen – doch eine emotionale Entscheidung lässt ihn alles über Bord werfen und ins All aufbrechen, wo sich das Schicksal der Menschheit entscheiden wird … (Verlagsinfo) „Schisma“ bedeutet (auch religiöse) „Spaltung“, und darum geht es.

Der Autor

Bruce Sterling war der eigentliche Wortführer („Vincent Omniaveritas“) des Cyberpunk und neben William Gibson und Walter Jon Williams der wichtigste Autor dieser postmodernen Richtung der Science-Fiction. Seine Anthologie „Mirrorshades“ (dt. als „Spiegelschatten“, bei Heyne als Nr. 06/4544 erschienen) setzte seinerzeit Maßstäbe. Sie gilt als die beste und wichtigste Anthologie der achtziger Jahre.

Er hat Artikel für die Magazine Wired, Newsweek, Fortune, Harper’s, Details und Whole Earth Review geschrieben. Den Hugo Gernsback Award für die beste Science Fiction-Novelle gewann er gleich zweimal, u.a. für „Taklamakan“. Er lebt in der Universitäts- und Industriestadt Austin in Texas und hat schon mehrmals Deutschland besucht. Eine seine Stories spielt in Köln und Düsseldorf.

Handlung

In ferner Zukunft hat sich die Menschheit in zwei Lebensformen gespalten. Denn der Homo sapiens, so Sterling, hat zwei Möglichkeiten, um über sich hinauszuwachsen: eine biologische, indem er seine eigene Erbsubstanz zwecks optimaler Anpassung an veränderte Umwelten manipuliert – und eine technische, indem er immer mehr mechanische und elektronische Hilfsmittel in seinen Organismus integriert.

Die SHAPER bzw. FORMER sind den ersten, biologischen Weg gegangen, haben sich zu Meistern der Biotechnik entwickelt, den auf dem Gebiet des Kloning und der Veränderung des Körpers nichts unmöglich erscheint. Sie werden auch SCHWÄRMER genannt (siehe dazu den Erzählband „Die Zikadenkönigin“).

Die MECHANISTS oder MECHs haben den zweiten Weg gewählt und leben – typisch für einen Cyberpunk-Roman – im Interface mit ihren Computern in der elektronischen Welt der Datennetze, dem Cyberspace.

So sind zwei neue Menschenrassen entstanden, die nebeneinander existieren und eifersüchtig über die Monopole ihrer Technologie wachen.

Dieser Roman in drei Teilen erzählt die Abenteuer von des Mech-Mönchs Abélard Lindsay, der, auf den Mond in die Verbannung geschickt, die seltsamen Enklaven der Asteroidenbewohner besucht und dort auch prompt zwischen die Fronten der sich bekriegenden Konzerne gerät.

Durch seine Ausbildung fällt es ihm nicht schwer, sich in eine günstige Position zu bringen – doch eine emotionale Entscheidung lässt ihn alles über Bord werfen und ins All aufbrechen, wo sich das Schicksal der Menschheit entscheiden wird: Er schließt einen cleveren Deal mit einer Alien-Königin ab (denkt er zumindest)…

Mein Eindruck

Mit „Schismatrix“ brachte Sterling drei Dinge zu einem krönenden Abschluss: 1) seinen eigenen sechsteiligen Story-Zyklus um das Mechanisten/Former-Universum und somit 2) seine eigene Future History. Und 3) schloss dieser Roman praktisch die kurze Ära – sie dauerte nur drei Jahre – des Cyberpunk ab. Danach erstarrte diese Richtung in Formelhaftigkeit und Nachahmung.

Es ist kein Vergnügen, „Schismatrix“ zu lesen, da sich seine Struktur der flüssigen Lektüre bzw. deren Verständnis widersetzt. Vielmehr ist es Sterlings Eigenart, einerseits so viele Eindrücke und Begriffe in möglichst wenig Raum zu drängen als auch andererseits dieses Neue von allen Perspektiven in pro und contra zu betrachten, dass sich zwangsläufig Sprünge ergeben – Sprünge zwischen Begriff A und Begriff B, zwischen Szene A und Szene B. Man kann sich also nur darauf einlassen, wohin einen der Autor führt. Von der Handlung ist mir beispielsweise nach Jahren nichts mehr in Erinnerung – offenbar spricht Sterling eher den Intellekt als das Gefühl an – ganz im Gegensatz etwa zu Gibsons „Neuromancer“ (1984).

Der große Wurf „Schismatrix“ ist wohl der – recht bemühte – Versuch, eine sowohl post-darwinistische als auch post-humane Evolution aufzuzeigen. Der kritische Ansatz Sterlings ist heutzutage aktueller denn je: Klone von Menschen, also Former-Produkte, wird es in naher Zukunft ebenso geben wie mit Prothesen aufgerüstete Cyborgs (= Mechanisten), die in den Cyberspace integriert sind. Menschen mit implantierten Chips sind heute (2018) nichts Ungewöhnliches mehr.

Taschenbuch & E-Book: 524 bzw. 437 Seiten
Originaltitel: Schismatrix, 1985
Aus dem Englischen von Roland Fleissner
ISBN-13: 978-3453031456

www.heyne.de

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