John Connolly – In tiefer Finsternis [Charlie Parker 3]

Ein Privatdetektiv stößt auf einen kriminellen Sektenchef, dessen ‚Kirche‘ eng mit terroristischen Neo-Nazis und fanatischen Fundamentalisten zusammenarbeitet. Der unheilige Bund gedenkt sich nicht in seine selbst auferlegte Mission zur „Reinigung“ der sündhaften Gesellschaft pfuschen zu lassen und tritt zum mörderischen Gegenangriff an … – Enorm spannender, wie immer sehr düsterer (dritter) Thriller der Charlie Parker-Serie, der vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Sektenwesens spielt und diese Kulisse recht dramatisch wenn auch um des Spektakulären (hoffentlich) arg überspitzt nutzt.

Das geschieht:

Charlie „Bird“ Parker, Privatdetektiv in Scarborough bei Portland im US-Staat Maine, wird vom Konzernmagnaten Jack Mercier für einen ungewöhnlichen Fall angeheuert. Kürzlich wurde die Tochter seines ehemaligen Kompagnons tot im ihrem Wagen aufgefunden; Grace Peltier hat sich offenbar eine Kugel in den Kopf geschossen. Ihr Vater glaubt nicht daran. In der Tat findet Parker rasch Unstimmigkeiten. Stattdessen hat sie sich anscheinend im Rahmen ihrer Doktorarbeit tödliche Feinde gemacht: Sie forschte über die Aroostook-Baptisten, eine fundamentalistische Sekte, deren zwanzig Mitglieder sich in den 1960er Jahren mit ihrem Führer, dem charismatischen aber diktatorischen Reverend Faulkner, in die tiefen Wälder nahe Eagle Lake zurückzogen und dann spurlos verschwanden.

Kurz nach Grace Peltiers Verschwinden kommen bei Rodungsarbeiten die Gebeine dieser Baptisten ans Tageslicht. Die Menschen wurden ermordet, ein Rätsel, das zunächst ‚nur‘ eine historische Tragödie zu sein scheint. Doch die Bluttat liegt erst vierzig Jahre zurück. Es gibt noch Täter und Mitwisser, die es vorziehen, dass die Aroostook-Baptisten weiterhin begraben bleiben, und die Spuren weisen in Richtung der „Bruderschaft“, einer Sekte, welcher offiziell der scheinheilige Prediger Carter Paragon vorsteht.

Es wird gemunkelt, die „Bruderschaft“ stehe im Bund mit diversen extremistischen religiösen und rechtsgerichteten Gruppen, die für Demonstrationen und Anschläge auf Abtreibungskliniken, Selbsthilfegruppen für Aidskranke, Synagogen und ähnlich ‚gottlose‘ Einrichtungen verantwortlich gemacht werden. Möglicherweise ist Grace Peltier bei ihren Forschungen dem düsteren Geheimnis ein wenig zu nahe gekommen. Zu denken gibt, dass sie vor ihrem ‚Selbstmord‘ ein Interview mit Paragon führen wollte.

Dessen Reaktion auf Parkers Beharren auf eine Unterhaltung belegt dessen schlechtes Gewissen: Der Detektiv wird hingehalten, bedroht und schließlich verprügelt. Als er trotzdem nicht lockerlassen will, schicken ihm die „Bruderschaft“ und ihre gemeingefährlichen Spießgesellen gleich mehrere Schläger und Attentäter auf den Hals, die sich nur ihrem Glauben aber nicht irdischen Gesetzen verpflichtet fühlen …

Krieger, gegen die Gott sich nicht zu wehren vermag

Neben den weiterhin unentbehrlichen Serienkillern erfreuen sich fanatisierte Sekten und wirrsinnige Fundamentalisten derzeit im Krimigenre großer Aufmerksamkeit. Spätestens seit „Nine-Eleven“ ist das verständlich aber schon vorher haben diverse Anschläge von „Gotteskriegern“ unterschiedlichster (Irr-) Glaubensrichtungen der breiten Öffentlichkeit die Präsenz einer scheinbar neuen, tatsächlich aber uralten Form der Kriminalität vor Augen geführt – den Terror derer, die sich im religiösen Wahn jeglichen Gesetzen, Regeln und sogar jeder Menschlichkeit enthoben fühlen, um im Dienst der „guten Sache“, die stets ausschließlich ihre Sache ist, den Gottlosen und Unmoralischen den Kampf erklären.

Wie gesagt ist das Problem kein aktuelles. John Connolly belegt es am Beispiel des US-Staates Maine, der ihm sowie dem Privatdetektiv Charlie „Bird“ Parker Heimat ist. In diesem weiten aber menschenleeren Land suchen und finden sich seit Jahrhunderten Menschen, die dem oben skizzierten Profil entsprechen und sich von der sündhaften Welt absondern wollen, um in stiller Einfalt und ungestört ihren Glauben zu leben sowie ihre obskuren, wahnwitzigen oder mörderischen Kreuzzüge gegen das, was sie hassen, planen zu können.

Durch Ausschnitte aus der fiktiven Doktorarbeit der Grace Peltier entwirft der Verfasser eine Geschichte des Sektenwesens in Maine. Deren Kenntnis ist hilfreich, um verstehen zu können, was sich hierzulande erst allmählich als tickende Zeitbombe zu offenbaren beginnt: Es ist denkbar falsch und sogar dumm, die Augen vor dem Treiben solcher unerfreulicher Zeitgenossen zu verschließen. Selbstverständlich übertreibt es Connelly, wenn er seine „Bruderschaft“ im Verbund mit rassistischen Hillbillys, Waffennarren und Terroristen präsentiert. Glücklicherweise bilden diese Gruppen ein Pack, das sich in der Realität nur schwer unter einen Hut bringen lässt: Immer gibt es einen Propheten oder Anführer, der über seine Schäflein und Schafsköpfe bestimmten will. Koalitionsfähig sind sie dagegen nur bedingt oder gar nicht. Als Nährboden für reale Kriminalität und somit als Auslöser für einen spannenden Thriller taugt das Thema indes allemal, zumal John Connelly sein ausgiebig recherchiertes Wissen in eine fesselnde Geschichte umsetzt.

Die Hölle liegt wirklich unterirdisch

Weniger fest verfugt als in den ersten beiden Bänden der Charlie-Parker-Serie hat der Autor dieses Mal den philosophischen Unterbau. Parkers Detektivarbeit ist stets auch eine Reise ins Reich des Bösen. Es ist für ihn eine fassbare Größe, die womöglich unabhängig von den Menschen existiert aber diesen gern als Wirt benutzt. Die unfassbar brutalen und bizarren Morde, mit denen Parker immer wieder konfrontiert wird, können diese Auffassung theoretisch stützen. Connolly verstärkt diesen Eindruck, indem er in einer Einleitung sowie durch in den Text eingeschobene Passagen eine lichtlose Welt tief unter der Erdkruste beschreibt, wo das essenziell Böse lebt und sich in ewiger Gier verfolgt und bekämpft, bis es durch die Dummheit eines oder mehrerer Menschen befreit wird und in die Oberwelt gelangt, wo es sich austobt, bis es endlich bezwungen und in seine Hölle zurückgeschickt werden kann.

Dieses mittelalterlich wirkende Bild wird durch Connollys Hang zum Übernatürlichen unterstrichen. Mit „Bad Men“ (dt. „Die Insel“) hat er 2003 einen ‚echten‘ Geisterthriller verfasst. Seitdem werden die übernatürlichen Elemente auch in den Parker-Romanen deutlicher und zahlreicher. Der Detektiv sieht Gespenster und diese sind keine Visionen, sondern ‚real‘. Parker sieht sich zudem als Anwalt für die Toten, die selbst keine Gerechtigkeit mehr für ihr gewaltsames Ende einfordern können. Für den strengen Krimifan, der seine literarische Kost gern pur und ohne Zusatzstoffe genießt, mag diese zusätzliche Handlungsebene verwirrend wirken oder gar ärgerlich sein. Vielleicht hilft es zu wissen, dass der US-Staat Maine auch die Heimat von Stephen King ist, der noch stärker als Connelly seine Heimat mit allerlei über- und außerirdischen Kreaturen bevölkert.

Der Detektiv, der Geister sieht

Womöglich ist ein Ausweichen ins Phantastische auch deshalb notwendig, weil Charlie Parker in seinem dritten Abenteuer nicht mehr die zutiefst verstörte Person ist, die er noch war, als er den „Fahrenden Mann“ jagte, der seine Familie abgeschlachtet hatte. Weiterhin grübelt Charlie zuviel doch der milde Wahnsinn, der ihn lange beherrschte, ist abgeklungen. Inzwischen gibt es sogar wieder eine Frau in seinem Leben. Die Verbindung zum Mordfall Grace Peltier ist kaum noch als persönlich zu bewerten. Die eigentümlich bedrückende Atmosphäre, die einen Charlie-Parker-Krimi auszeichnete, muss deshalb auf andere Weise erzeugt werden, was nicht durchgängig gelingt.

Einerseits übernehmen Geister diesen Job, andererseits weiß Connolly sehr glaubhaft zu machen, dass die Dämonen der Finsternis in den Prediger Paragon und vor allem seine Hintermänner gefahren sind, denn diese kommen gar zu unmenschlich daher. Die tückische Miss Torrance, vor der selbst der schmierige Paragon zittert, der irre Elias Pudd, der Spinnen über alles liebt, als Mordinstrument einsetzt und selbst von einer abstammen könnte, seine zungenlose, wahnsinnige, von Krebsnarben zerfressene Partnerin, der unmenschliche jüdische Rachekiller Golem – sie sind so überzeichnet, dass sie aus einem James-Bond-Film stammen könnten. Dennoch gelingt Connolly das Kunststück sie nicht lächerlich sondern (meist jedenfalls) bedrohlich wirken zu lassen.

„In tiefer Finsternis“ ist auch ein Krimi-Familiendrama, ebenfalls ein altehrwürdiges Subgenre, das u. a. Ross MacDonald mit seinen Romanen um den Privatdetektiv Lew Archer zur Vollendung gebracht hat. Der eigentliche Fall tritt hinter tragischen, lange verdrängten und vertuschten Familiengeheimnissen zurück, die schließlich zu neuem Leben erwachen und Tod & Verderben über die mittelbaren oder unmittelbaren Schuldigen bringen. In diesem Fall ist es das Drama der Familien Mercier und Peltier, welche auf quälende Weise miteinander verbunden oder besser aneinander gefesselt sind. Dieser Teilplot ist indes nicht so eindrucksvoll gelungen wie die Beschreibung von Parkers Sturz unter die von Bösartigkeit & Wahnsinn gezeichneten Fanatiker. So kann „In tiefer Finsternis“ die Intensität der ersten beiden Charlie-Parker-Romane nicht mehr erreichen. Das heißt allerdings nicht, dass John Connolly hier schlechte Arbeit abliefert: Auch dieser Thriller fesselt und fasziniert mehr als das Gros der immer gleichen Psychopathen-Reißer.

Autor

Obwohl er die Odyssee eines US-amerikanischen Privatermittlers beschreibt, wurde John Connolly 1968 im irischen Dublin geboren, wuchs dort auf, studierte und arbeitete (nach einer langen Kette von Aushilfsjobs) als Journalist (für „The Irish Times“), was er fortsetzt, obwohl sich der Erfolg als freier Schriftsteller inzwischen eingestellt hat. Die amerikanischen Schauplätze seiner Charlie-„Bird“-Parker-Thriller kennt Connolly aber durchaus aus eigener Erfahrung; schon seit Jahren verbringt er jeweils etwa die Hälfte eines Jahres in Irland und den Vereinigten Staaten.

Verwiesen sei auf die in Form und Inhalt wirklich gute Connolly-Website, die nicht nur über Leben und Werk informiert, sondern quasi als Bonus mehrere Gruselgeschichten und Artikel präsentiert.

Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Killing Kind (London : Hodder & Stoughton 2001)
Übersetzung: Georg Schmidt
http://www.ullsteinbuchverlage.de

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