John Connolly – Das schwarze Herz [Charlie Parker 1]

Der Mord an seiner Familie konfrontiert einen Polizisten nicht nur mit dem gnadenlosen Täter, sondern stürzt ihn in eine düstere Zwischenwelt, in der Leben und Tod nahtlos ineinander übergehen. – Der erste Band der Charlie-Parker-Serie ist mit Abstand der beste: Noch halten sich die übernatürlichen Elemente in Grenzen, während die psychologischen Abgründe mit seltener Intensität ausgeleuchtet werden: ein moderner Klassiker.

Das geschieht:

Im Dezember des Jahres 1996 sucht der „Fahrende Mann“ die Familie von Charles „Bird“ Parker, Detective des New York Police Department, heim. Er häutet Frau und Kind bei lebendigem Leibe und stellt mit den Leichen Szenen aus Anatomie-Lehrbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts nach: Damit will der „Fahrende Mann“ seinem ‚Publikum‘ die menschliche Sterblichkeit nahebringen. Parker wird durch die grauenvolle Tat völlig aus der Bahn geworfen. Er quittiert den Dienst und beginnt, den Täter auf eigene Faust zu suchen – vergeblich. Aber der „Fahrende Mann“ hat Parker nie aus den Augen gelassen. Als dieser nach New York zurückkehrt, meldet er sich ebenso einfallsreich wie blutig zurück und kündigt Parker weitere Morde an.

Während Polizei und FBI hektisch aber erfolglos die Spur aufzunehmen versuchen, ermittelt Parker, der inzwischen als Privatermittler aktiv geworden ist, einen scheinbar ganz anderen Fall. Catharine Demeter ist verschwunden. Offensichtlich ist sie in ihre Heimatstadt Haven im tiefen Süden der USA untergetaucht. Zu Parkers Schrecken stellt sich heraus, dass die örtliche Mafia ihre Hände im Spiel hat. Sonny Ferrera, sadistisch-geistesgestörter Sohn des mächtigsten Paten der Stadt, ergötzt sich an mörderischen Snuff-Spielchen. Eine regelrechte Folter- und Mord-Industrie hat sich in seinem Umfeld etabliert, um für ständigen Nachschub an minderjährigen Opfern zu sorgen. Parker kann die gesamte Kindermörder-Mafia auffliegen lassen. Niemand überlebt das anschließende Massaker, doch im Moment des Todes spielt einer der Täter einen letzten Trumpf aus: Der „Fahrende Mann“ stand in Kontakt zu seinen mörderischen ‚Kollegen‘!

Parker muss wieder bei Null beginnen. In den Sümpfen von Louisiana nimmt er die Spur des „Fahrenden“ wieder auf. Er gerät in einen örtlichen Gangsterkrieg, lernt einige zwielichtige Gesetzeshüter kennen und ist rasch in einem lebensgefährlichen Katz-und-Maus-Spiel gefangen. Mehr als einmal muss Parker seine für Freund wie Feind unerwartete Unterstützung zum Einsatz bringen: Angel und Louis, das schwule Paar aus dem Ghetto von New York, sind Profis in Sachen Einschüchterung und Mord, doch auch ihre Begleitung schützt Parker nicht vor der Rückkehr in den Albtraum seines Lebens …

Der Beginn ganz besonderer Schrecken

Wieder geht ein Serienkiller auf seine düstere Reise durch Amerika. Realiter mag dieser merkwürdige Menschenschlag an Zahl stetig zunehmen, doch in der Kriminalliteratur treten die mehr oder wenig durchgeknallten Massenschlächter inzwischen merklich auf der Stelle und einander auf die Füße.

Wie hebe ich mich als Schriftsteller von den lieben Kollegen ab, wenn ich nicht den x-ten Hannibal-Lecter-Klon auf die ahnungslose Normalbürgerschaft loslassen möchte? Eine Möglichkeit: Ich kreiere ein Monster, das noch ein paar Umdrehungen irrsinniger und vor allem brutaler ist als seine Vorgänger. Allerdings wird es auch hier schwierig, noch eine Nische zu finden, dabei originell und vor allem halbwegs realistisch – soweit man das im Unterhaltungsroman verlangen kann – zu bleiben.

John Connelly kann erstaunlicherweise alle drei Grundvoraussetzungen erfüllen. Dass er die Komponenten dann auch noch zu einer rasanten, gleich zweifach (dazu unten mehr) höllisch spannenden und sogar psychologisch stimmigen Geschichte zusammensetzt, nimmt endgültig für „Das schwarze Herz“ ein und führt dazu, dass man sich den Namen dieses Schriftstellers merken wird.

Ganz, ganz schwarze Welt

Dabei tut Connolly eigentlich alles, um es sich mit dem strengen Kritiker zu verderben. Keine Spur von angedeuteter oder ‚versteckter‘ Gewalt, die dann seltsamerweise als legitimes Handlungselement gilt. Statt dessen wird aus allen Rohren gefeuert, gestochen oder anderweitig gemetzelt, und die Zahl der auf diese Weise zu Tode gekommenen Opfer und Täter wird nur noch übertroffen durch die Menge der mehr oder weniger (meist mehr) verwesten Leichen, die an meist höchst ungemütlichen Orten zum Vorschein kommen und deren Zustand geradezu liebevoll beschrieben wird. Keine Lektüre für die Freunde des englischen Landhaus-Krimis also!

Connollys Bemühungen, einem allzu strapazierten Thema neue Aspekte abzugewinnen, tragen nicht durchgängig Früchte. „Das schwarze Herz“ präsentiert eigentlich zwei separate Handlungsstränge, deren Verbindung nur locker und arg konstruiert ist. Die Entlarvung des kindermordenden Mafiosi und die Ausrottung seiner Bande gipfeln in einem furiosen Höhepunkt, der an düsterer Eindringlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

Damit hat der Roman aber gerade erst seine Halbzeit erreicht und die Geschichte vom „Fahrenden Mann“ völlig aus den Augen verloren. So überrascht nicht, dass der Spannungsbogen erst einmal abbricht. Nur allmählich kommt die Handlung wieder in Gang, aber sie nimmt einen völlig anderen Verlauf als bisher und entwickelt sich nicht wirklich logisch aus der Vorgeschichte.

Zu neuen, noch dunkleren Ufern

Allerdings heißt das nicht, dass Connolly der Versuch misslänge, das Interesse seiner Leser zurückzugewinnen. Die zweite Hälfte des Romans gehört dem „Fahrenden Mann“. Die Figur wird geschickt nach dem Vorbild des klassischen Kino-Monsters eingesetzt, das am wirkungsvollsten erschrecken kann, wenn es nicht ständig ins Bild tritt, sondern sich im Schatten hält. Sparsam dosiert und dieses Mal hauptsächlich durch seine Taten und nicht durch sein Tun wirkend, gewinnt der „Fahrende Mann“ tatsächlich die Qualitäten jenes biblischen Dämonen, als dessen Inkarnation er sich sieht. Dass viel von dieser Wirkung im konventionellen Finale verpufft, ist ein grundsätzliches Problem, das nicht Connolly anzulasten ist.

Auch dem Südstaaten-Schauplatz weiß Connolly neue Aspekte abzugewinnen – und sei es nur durch den willkommenen Verzicht auf morsche Mississippi-Romantik und „In-der-Hitze-der-Nacht“-Klischees. Die Figuren sind bis auf wenige Ausnahmen wie die im südlichen Ambiente notorische, in Würde verblühte, schwergewichtige, schwarze „Big Mamma“ vorzüglich gezeichnet.

Wie es sich für einen Thriller auf der Höhe seiner Zeit gehört, haben auch die ‚Guten‘ durchweg mindestens einen attraktiven Knacks; es lässt sie menschlicher wirken und erregt außerdem die Aufmerksamkeit stets nach einer interessanten Rolle spähender prominenter Schauspieler im Rahmen einer möglichen und hoffentlich einträglichen Verfilmung. Folgerichtig wurden bereits im Roman die Rollen streng nach Proporz besetzt – der weiße Held, seine (in Grenzen) emanzipierte Gefährtin (unentbehrlich als Sympathieträgerin und vor allem als Beinahe-Opfer im großen Finale) und einige größere und viele kleine Nebenrollen für schwarze Darsteller.

Doch in diesem Auftaktband seiner inzwischen vielfach fortgesetzten Serie hält Connolly die Waage zwischen plakativer Drastik und seelentiefer Niedertracht. Im Wissen um die ‚Fortsetzung‘ der Parker-Saga lässt sich manche Unverständlichkeit nachträglich besser einschätzen. Connolly hat die Grenze zwischen Thriller und Mystery in den späteren Bänden weiter in Richtung Geisterreich verschoben. Wenn es gelang, entstand eine eigentümliche, spannende Mischung, in der das Übernatürliche keineswegs fehl am Platze wirkte. Die Intensität von „Das schwarze Herz“ konnte Connolly indes nur noch selten erreichen.

Autor

Obwohl er die Odyssee eines US-amerikanischen Privatermittlers beschreibt, wurde John Connolly 1968 im irischen Dublin geboren, wuchs dort auf, studierte und arbeitete (nach einer langen Kette von Aushilfsjobs) als Journalist (für „The Irish Times“), was er fortsetzt, obwohl sich der Erfolg als freier Schriftsteller inzwischen eingestellt hat. Die amerikanischen Schauplätze seiner Charlie-„Bird“-Parker-Thriller kennt Connolly aber durchaus aus eigener Erfahrung; schon seit Jahren verbringt er jeweils etwa die Hälfte eines Jahres in Irland und den Vereinigten Staaten.

Verwiesen sei auf die in Form und Inhalt wirklich gute Connolly-Website, die nicht nur über Leben und Werk informiert, sondern quasi als Bonus mehrere Gruselgeschichten und Artikel präsentiert.

Taschenbuch: 525 Seiten
Originaltitel: Every Dead Thing (London : Hodder & Stoughton 1999)
Übersetzung: Jochen Schwarzer
www.ullsteinbuchverlage.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)