Cornwell, Bernard – Zeichen des Sieges, Das

Bernard Cornwells „Das Zeichen des Sieges“, das macht der relativ austauschbare deutsche Titel nicht auf Anhieb klar, ist ein Roman über die englisch-französische Schlacht bei Azincourt. Diese Schlacht von 1415, bei der Henry V. einem weit größeren französischen Heer gegenüberstand und trotzdem – entgegen aller Wahrscheinlichkeit – gewann, ist ein Teil des kollektiven englischen Bewusstseins. In die Literaturgeschichte ist sie spätestens mit Shakespeares Bearbeitung des Stoffes in „Henry V.“ eingegangen. Der zentrale Monolog, Henrys „St. Crispinus-Rede“, ist seitdem zum Vorbild für Dutzende aufpeitschende Reden eines Feldherrn vor seiner verschreckten Armee geworden – entsprechende Szenen zum Beispiel aus „Braveheart“ oder auch „Der Herr der Ringe“ stehen damit alle in Shakespeares – und damit auch in Azincourts – Tradition.

Cornwell versucht gar nicht erst, damit zu konkurrieren. Anstatt die Ereignisse aus der Sicht Henrys oder zumindest eines seiner Adligen zu erzählen, sucht er sich einen ziemlich unwahrscheinlichen Protagonisten für seinen Roman aus: den Waldhüter Nicholas Hook. Hook ist zwar nicht unbedingt einfältig, aber überdurchschnittlich gebildet ist er auch nicht. Er ist ein guter Bogenschütze und das ist es, was ihm zunächst den Hals rettet. Denn gleichzeitig ist er auch vom Pech verfolgt, was dazu führt, dass er als Vogelfreier endet, weil er einen Priester schlägt (der gerade dabei war, ein Mädchen zu vergewaltigen – Hook hat also bei aller Tolpatschigkeit das Herz auf dem rechten Fleck). Doch bevor Hook nun in der Versenkung verschwinden kann, nimmt ihn Lord John Cornewaille unter seine Fittiche, der auf der Suche nach Soldaten für Henrys Feldzug in französisches Territorium ist.

Und so findet sich Hook bald bei der langwierigen Belagerung von Harfleur wieder. Er erlebt mit, wie Henrys Armee durch die Ruhr dezimiert wird und wie die Belagerung für die Engländer letztendlich nur erfolgreich verläuft, weil Harfleur schließlich kapituliert. Mittlerweile ist jedoch zu viel Zeit vergangen und die Armee ist zu stark geschwächt, um den Feldzug weiter fortführen zu können und so beschließt Henry, nach Calais (damals englisch) zurück zu marschieren. Doch bei Azincourt stellen sich dem traurigen Häufchen Engländer dann doch noch die französischen Truppen entgegen: Eine scheinbar ausweglose Situation.

Cornwell ist nicht umsonst einer der erfolgreichsten Autoren historischer Romane. Mit Hilfe genauester Recherche und literarischer Begabung schafft er es, komplizierte historische Zusammenhänge verständlich und sogar kurzweilig dar zu stellen. Bei ihm sind weder Belagerung noch Schlacht eine simple Fußnote. Stattdessen wirft er den Leser mitten hinein in diese doch sehr fremde Welt des Mittelalters und lässt ihn mit den Figuren mit fiebern. Auch wenn man den Ausgang der Schlacht kennt, gelingt es Cornwell doch immer wieder, so viel Spannung aufzubauen, dass man beim Lesen an seinen Geschichtskenntnissen zweifelt – vielleicht haben die Engländer ja doch verloren?

Ein besonderer Glücksgriff ist Cornwell mit seinem Protagonisten Hook gelungen. Man könnte in ihm durchaus den typischen Landbewohner seiner Zeit sehen. Bis er in Henrys Armee landet, hat er noch nie über den Tellerrand der Provinz geschaut. Er kennt nur sein Dorf, nur seine eigene kleine Familienfehde. Politik? Religion? Die größeren Zusammenhänge? Ein König, der die Krone von Frankreich beansprucht? Das sind alles böhmische Dörfer für Hook. Davon hat er keine Ahnung – und vor allem verspürt er auch kein großes Bedürfnis, an seiner Ignoranz etwas zu ändern. Große Gedanken sind also seine Sache nicht. Als er über Henrys Ansprüche auf den französischen Thron nachdenkt, kommt er zu folgendem Schluss: „Hook verstand den Streit nicht. Er hatte nur verstanden, dass es irgendwo in der Familiengeschichte des Königs eine Hochzeit gegeben hatte, die Henry auf den französischen Thron führte, und vielleicht war er der rechtmäßige König von Frankreich und vielleicht auch nicht, doch das kümmerte Hook nicht.“ Was ihn kümmert ist, dass Lord John ihn gut behandelt, dass er weiß, wo der Feind steht und dass sein Langbogen einsatzbereit ist.

Der Langbogen ist in dieser Geschichte nämlich von zentraler Bedeutung. Die englischen und walisischen Bogenschützen waren Henrys entscheidender Vorteil gegenüber den Franzosen, und indem Cornwell einen Bogenschützen zum Protagonisten macht, kann er dem Leser gleichzeitig viel über das Thema Langbogen erklären. So lernt man nicht nur, wie ein Bogen oder wie Pfeile hergestellt werden, sondern unter anderem auch, welche Kraft es kostet, einen Langbogen überhaupt zu spannen. Das ist nämlich viel schwerer als es aussieht!

In der abschließenden Schlacht bei Azincourt zieht Cornwell dann alle Register. Mehr als einhundert Seiten lang schildert er die Angriffe der verschiedenen Parteien, die Schlachtordnung, den Morast, durch den die Soldaten waten müssen und auch die hinderlichen Rüstungen, die zwar einigermaßen vor Pfeilen schützen, die einen aber auch blind und schwerfällig machen. Hier, mitten in der Schlacht, fühlt sich Cornwell sichtlich zu Hause. Mit vielen Details – und selbstverständlich sind diese zum größten Teil blutiger und brutaler Natur – malt er ein Schlachtengemälde, das den Leser mit nimmt – ihn begeistert, ängstigt, fasziniert. Denn natürlich ist so eine Schlacht keine glorreiche Angelegenheit: „Dies war nicht der Ort für die feine Anmut eines Turnierkämpfers, nicht der Ort, um Kunstfertigkeit am Schwert zu zeigen, dies war ein Ort zum Abschlachten und Töten, zum Hacken und Verwunden, ein Ort, den Feind das Fürchten zu lehren.“ Und genau das machen Hook und seine Kumpane auch, als Leser sollte man also einen starken Magen mit bringen.

Mit „Das Zeichen des Sieges“ ist Cornwell wieder ein mitreißender Historienroman gelungen, der neben sympathischen Charakteren und Spannung als schönen Nebeneffekt auch noch einiges an geschichtlichem Wissen wirklich anschaulich und verständlich vermittelt. Ach, und unterhaltsam ist der Roman natürlich auch noch!

|Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
ISBN-13: 978-3805208789
Originaltitel: |Azincourt|
Deutsch von Karolina Fell|
http://www.rowohlt.de/
http://www.bernardcornwell.net/

_Bernard Cornwell beim Buchwurm:_

[Stonehenge 113
[Die Galgenfrist 277
[Der Bogenschütze (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1) 3606
[Der Erzfeind (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 3) 3619