Douglas Preston/Lincoln Child – Ice Ship. Tödliche Fracht

Das geschieht:

Geologe Nestor Masangkay ist unheilbar dem Meteoriten-Fieber verfallen. Große Steine, die aus dem Weltall auf die Erde fallen, tun dies bevorzugt dort, wo es entweder bitterkalt oder drückend heiß, auf jeden Fall aber unwirtlich, einsam und gefährlich ist. Die Isla Desolación ist ein Paradebeispiel für diese Regel: eine einsame Insel beim Kap Hoorn, der Spitze Südamerikas. Früher wäre Masangkay sicherlich mit seinem besten Freund, Partner und Schwager Sam MacFarlane in diese Wildnis gereist, aber nach einem Zerwürfnis sucht er solo – und so stirbt er auch, als sich ein just entdeckte Meteorit von seiner spektakulär aggressiven Seite zeigt; er ist wohl nicht ohne Grund von feuerroter Farbe.

Weit entfernt in den USA will Palmer Lloyd, ein Selfmade-Milliardär reinsten Wassers, ein eigenes Museum gründen, das die seltensten Exponate dieses Planeten beherbergen soll. Ein gewaltiger Meteorit wäre da willkommene Zugabe. Lloyds will den Meteoriten von der Isla Desolación, koste es was es wolle. Eli Glinn, Chef der Firma „Effective Engineering Solutions“, übernimmt den Job. Er heuert Sam MacFarlane an und lässt den 250-Meter-Tanker „Rolvaag“ zum Frachtschiff umbauen.

Die chilenische Regierung, die vor Ort das Sagen hat, wurde nur in dürren Worten informiert; ansonsten ließ Lloyd Schmiergeld-Dollars sprechen. Doch Commandante Vallante, ein unbestechlicher Marine-Offizier, denkt gar nicht daran, die Yankees gewähren zu lassen. Daher weicht er der „Rolvaag“ mit seinem Zerstörer nicht von der Seite. Dabei haben die Meteoritenjäger mit eigenen Problemen zu kämpfen. Das Objekt ihrer Begierde erweist sich als störrisch, brandgefährlich und schließlich als gar nicht von dieser Welt. Viele Leichen später befindet sich der rote Stein zwar an Bord der „Rolvaag“, aber dort geht der Totentanz erst richtig los …

Schublade und Baukasten

„Ice Ship“ ist ein (hierzulande mit einem idiotisch ‚übersetzten‘ aber wohl als kassenträchtig erachteten Titel versehene) Streich des Erfolgsduos Preston & Child, die seit Mitte der 1990er Jahre die Welt des Unterhaltungsromans in jedem neuen Jahr mit mindestens einem neuen Reißer bereichern. Das Genre Wissenschaftsthriller mischt sich dabei mit dem guten, alten Abenteuer-Roman, und dieses Gebräu wird mit einigen Spritzern Horror und Science-Fiction zum trivialen aber zündenden Bestseller-Cocktail abgeschmeckt.

Von Buch zu Buch wird dabei das Rezept jeweils ein bisschen geändert, wobei der Verkaufserfolg stets fest im Auge behalten wird. Dem erfahrenen Leser verrät dies, wohin der Hase läuft: Mit echten Überraschungen ist hier nicht zu rechnen. Stattdessen wird eine simple, tausendfach bewährte Story – die Jagd nach dem verborgenen Schatz – mit Spannungselementen bestückt, die ebenfalls ihre Existenzberechtigung schon reichlich unter Beweis gestellt hat. Das ist eiskalter Kommerz, der manchmal grinsen lässt, weil er gar zu dreist zur Schau gestellt wird.

Da ist die absolute Eindimensionalität der Protagonisten. Preston & Child beschreiben keine Menschen, sondern wandelnde Klischees. So ist ausnahmslos jede Hauptfigur durch schwere persönliche Verfehlungen in der Vergangenheit gezeichnet. Der Geologe hat den Freund verraten, der Milliardär ist ein Charakterschwein, der Chefmechaniker hat in Vietnam Mist gebaut, seine Assistentin ist ein Spitzel, der Kapitän hing an der Flasche, der chilenische Kommandant ist schlicht verrückt. Solche Wunden trägt jeder triviale Actionheld auf dem Präsentierteller vor sich her, um Authentizität zu symbolisieren.

Eine Story zum (unfreiwilligen) Fürchten

Doch „Ice Ship“ leidet wesentlich stärker unter seiner Story, ein tödlicher Schaden, der die Handlungsmaschine lahmen lässt. Um was geht es eigentlich in diesem Buch? Ein großer Meteorit wird entdeckt, er soll unter schwierigen Umweltbedingungen geborgen werden, außerdem kommt menschliche Konkurrenz ins Spiel, unter der jeder Schatzjäger zu leiden hat. Ganz sicher kein neuer aber ein funktionstüchtiger Plot.

Doch was machen Preston & Child daraus? Die Hälfte ihrer Geschichte geht darüber hin, die große Expedition an das Ende der Welt zu planen und vorzubereiten. Das wird recht interessant und leidlich glaubwürdig in Szene gesetzt – beide Verfasser sind schließlich Naturwissenschaftler, die zu recherchieren wissen. Trotzdem sollte die Musik auf der Isla Desolación spielen. Stattdessen strecken Preston & Child die Handlung künstlich mit ellenlangen Schilderungen stürmischer Schiffsfahrten oder unterirdischen Hightech-Mätzchen.

Vielleicht liegt die Misere von „Ice Ship“ in der Tatsache begründet, dass Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ein großer Stein ist. Der rote Meteorit mag ja Tod bringende Blitze von sich schleudern – er ist trotzdem nur ein Brocken, der bewegungslos im Boden steckt. Dieses Handikap müsste ausgeglichen werden, aber die schriftstellerischen Fähigkeiten der Autoren ist selbst bei günstiger Beurteilung allzu limitiert. Man vergleiche „Ice Ship“ mit „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“), dem ersten und noch immer mit gewaltigem Abstand besten Buch von Preston & Child. Dort stand den Helden ein sehr bewegliches und schlaues Monster gegenüber. In dieser Story gab es keine toten Punkte. Dagegen kommt der Meteorit einfach nicht an. Die ohnehin allzu aufgesetzte finale Enthüllung, was er denn wirklich ist, ändert daran nichts mehr.

Wie man die Tube wirklich auspresst

Ist „Ice Ship“ also ein überflüssiges Buch? Nein; höchstens ein enttäuschendes, weil es eine Preston & Child als Erzähler auf dem Weg nach unten zeigt. Die Autoren haben skrupellos (oder talentarm) der Quantität den Vorzug vor der Qualität gegeben und sind Inzwischen zu Fließband-Garnspinnern degeneriert, die gemeinsam oder solo ‚neue‘ Titel förmlich auf den Buchmarkt feuern. Zwar maulen selbst treue bzw. anspruchslose Leser, die sich den Schematismus der Preston-&-Child-Werke nicht mehr schönreden können, doch der Erfolg ist dem Duo bisher treu geblieben, sodass es keinen Grund sieht, von seinem Muster abzuweichen.

Andererseits wird das Genre, das Preston & Child für sich gewählt haben, von so vielen Nulpen und Versagern beackert, dass unser Duo noch immer als Garant für immerhin unterhaltsame Action gut abschneidet. „Ice Ship“ liest sich flott und locker, zumindest die Landschafts- und Naturbeschreibungen sind sehr gut gelungen, immer passiert irgendetwas, und ansprechend übersetzt wurde das Spektakel auch noch: eine brauchbare Feierabend-Lektüre also.

Da die Preston-&-Child-Thriller in einem gemeinsamen Universum spielen, sind Verbindungen zwischen einzelnen Werken nicht nur möglich, sondern an der Tagesordnung. Eli Glinn und seine „EES“ tauchen in der 2011 begonnenen Serie um den Miet-Abenteurer Gideon Crew wieder auf. 2016 erschien mit „Beyond the Ice Limit“ sogar eine direkte ‚Fortsetzung‘ von „Ice Limit“.

Autoren

Douglas Preston wurde 1956 in Cambridge, Massachusetts geboren. Er studierte ausgiebig, nämlich Mathematik, Physik, Anthropologie, Biologie, Chemie, Geologie, Astronomie und Englische Literatur. Erstaunlicherweise immer noch jung an Jahren, nahm er anschließend einen Job am „American Museum of Natural History“ in New York an. Während der Recherchen zu einem Sachbuch über „Dinosaurier in der Dachkammer“ – gemeint sind die über das ganze Riesenhaus verteilten, oft ungehobenen Schätze dieses Museums – arbeitete Preston bei St. Martin’s Press von einem jungen Lektor namens Lincoln Child zusammen. Thema und Ort inspirierten das Duo zur Niederschrift des Romans „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“), der zum ersten Band einer sehr erfolgreichen und weiterhin fortgesetzten Reihe um den FBI-Agenten und Mystery-Spezialisten Aloysius Pendergast wurde. 2011 begann das Duo eine zweite Serie um den ehemaligen Meisterdieb Gideon Crew.

Wenn Preston das Hirn ist, muss man Lincoln Child, geboren 1957 in Westport, Connecticut, als Herz des Duos bezeichnen. Er begann schon früh zu schreiben, entdeckte sein Faible für das Phantastische und bald darauf die Tatsache, dass sich davon schlecht leben ließ. So ging Child – auch er studierte übrigens Englische Literatur – nach New York und wurde bei St. Martins Press angestellt. Er betreute Autoren des Hauses und gab selbst mehrere Anthologien mit Geistergeschichten heraus. 1987 wechselte Child in die Software-Entwicklung. Mehrere Jahre war er dort tätig, während er an den Feierabenden mit Douglas Preston an „Relic“ schrieb. Erst seit dem Durchbruch mit diesem Werk ist Child hauptberuflicher Schriftsteller. (Douglas Preston ist übrigens nicht mit seinem ebenfalls schriftstellernden Bruder Richard zu verwechseln, aus dessen Feder Bestseller wie „The Cobra Event“ und „The Hot Zone“ stammen.)

Selbstverständlich haben die beiden Autoren – die auch Solo-Romane veröffentlichen – eine eigene Website ins Netz gestellt. Hier wird man großzügig mit Neuigkeiten versorgt (und mit verkaufsförderlichen Ankündigungen gelockt).

Taschenbuch: 527 Seiten
Originaltitel: The Ice Limit (New York : Warner Books 2000)
Übersetzung: Klaus Fröba
www.droemer-knaur.de

eBook: 762 KB
ISBN-13: 978-3-426-55726-6
www.droemer-knaur.de

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