Karen Duve – Die entführte Prinzessin (Lesung)

Wenn Ritter Bredur dem baskarischen Prinzen Diego beim Festmahl nicht ein Bein gestellt hätte, wäre die Brautwerbung um Prinzessin Lisvana nur eine Formsache gewesen. So aber führt der folgende Zwist zur Entführung der Dame durch die Baskarier. Doch in Baskarien wird Diego seiner Dame nicht froh: Sie verweigert die Heirat. Während Diego um Fassung ringt, bricht Ritter Bredur gen Baskarien auf, um seine Liebste aus den Klauen Diegos zu befreien. – Und wo kommt jetzt der Drache vor?

Die Autorin

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt mit zahlreichen Tieren auf dem Lande. Ihre beiden ersten Romane „Regenroman“ und besonders „Dies ist kein Liebeslied“ waren laut Verlag Bestseller und wurden in 13 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien ihre Weihnachtsgeschichte „Weihnachten mit Thomas Müller“ im |Eichborn|-Verlag. Das gleichnamige Hörbuch eroberte im November 2004 den ersten Platz auf der hr2-Bestenliste für Kinder- und Jugendbücher (hr = Hessischer Rundfunk).

Der Sprecher

Gerd Wameling, geboren 1948 in Paderborn, begann seine Bühnenkarriere in Frankfurt/M. am Theater am Turm. 1974 ging er nach Berlin an die „Schaubühne“, deren Ensemble er fast 20 Jahre lang angehörte. Seit 1981 ist er Gastprofessor an der HdK Berlin. Seit 1992 arbeitet Wameling frei und spielt regelmäßig am Berliner Renaissance-Theater. In Film und TV war er u. a. in Wim Wenders „In weiter Ferne so nah“, Peter Steins „Trilogie des Wiedersehens“ und der ZDF-Krimiserie „Bella Block“ zu sehen. Wameling hat bereits bei mehreren Hörbuchproduktionen als Sprecher mitgewirkt.

Hinweis

Etwas ungewöhnlich: Der Sprecher liest die von der Autorin selbst neu geschriebene Hörbuchfassung nach den Motiven des Romans. Man sollte also das Hörbuch keinesfalls mit dem Buch verwechseln. Der Kasus liegt also genau so wie bei Frank Schätzings Hörspiel „Der Schwarm“.

_Handlung_

In einem seltsamen Königreich, das so hoch im Norden liegt, dass schon im Oktober dicke Eiszapfen an den Holzhütten und Holzpalästen hängen, wohnt Prinzessin Lisvana. Sie ist so schön wie kaum eine andere Prinzessin ihrer Zeit (des Mittelalters), aber etwas eigensinnig und vor allem so arm wie sonst keine. Denn außer massenweise Mücken im Sommer und meterhohem Schnee im Winter gibt es im „Nordland“ Snögglinduralthorma nicht besonders viel.

Und wahrscheinlich wäre Lisvana von dieser trostlosen Gegend auch niemals weggekommen, hätte sich nicht eines Tages der berühmte und (wie es so schön im Marketing-Deutsch heißt) „vielfach preisgekrönte“ Sänger Penegrillo vorgenommen, den Verbandsrekord der fahrenden Sänger zu brechen und möglichst viele Königreiche in einer Saison zu besuchen.

Auch das wäre wahrscheinlich folgenlos geblieben, hätte König Rothafur den Sänger nicht einfach einkassiert und einen langen Nordlandwinter auf seinem Schloss festgesetzt, um sich einmal vom ewigen Rentierwitzeerzählen zu entlasten. Penegrillos Huldigungslied, ihm selbst vom endlosen Vortrag vor dem ungehobelten Nordlandpublikum schon längst schal geworden, verschafft Lisvana einen sagenhaften Ruf – und der erreicht schließlich auch schließlich den „schwarzen Prinzen“, Diego von Baskarien.

Er ist der Thronfolger eines verschwenderisch reichen und hochzivilisierten Landes am schönen blauen Mittelmeer. Doch Diego hat ein Problem: Seine prunksüchtige Mutter Isabella liebt ihre weltberühmten Gärten mehr als ihn. Also kleidet er sich aus Protest stets in Schwarz und ernährt sich ausschließlich vegetarisch, um möglichst viele Pflanzen zu vernichten. Kein Wunder, dass ihn nicht nur Lisvanas Liebreiz lockt, sondern in seinen Ohren das Nordland wie Verheißung klingt.

Als Diego mit seiner Flotte an der unwirtlichen Nordlandküste auftaucht, mit seinem Vater Leo I. an Land geht und vor den Toren des Schlosses König Rothafurs Einlass begehrt, vergisst Lisvana vor Entzücken über seinen graziösen Anblick ihren früheren Verehrer Ritter Bredur. Auch ihre Kammerzofe Rosamonde freut sich für ihre Herrin – und insgeheim für sich selbst, sieht sie doch eine Gelegenheit, den langen Nordlandnächten Adieu zu sagen.

Wenn Ritter Bredur dem baskarischen Prinzen Diego beim Schwertertanz nicht aus Eifersucht ein Bein gestellt hätte, wäre die Brautwerbung um Prinzessin Lisvana nur eine Formsache gewesen. So aber führt die folgende Rauferei zwischen Nordländern und Gästen zur Entführung der Dame durch die Baskarier. König Rothafurs Hofnarr Pezzi spielt dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Zum Lohn darf er mitsegeln. Rosamonde segelt selbstredend mit ihrer Herrin mit.

Doch in Baskarien wird Diego seiner Dame nicht froh: Sie verweigert die Heirat. Und das, obwohl sie mit kostbaren Klamotten und Klunkern geradezu überschüttet wird. Doch Lisvana kommt sich unter den abschätzigen Blicken der Königin vor wie ein aufgezäumtes Pferd, was sie trotzig werden lässt.

Während Diego um Fassung ringt, bricht Ritter Bredur gen Baskarien auf, um seine Liebste aus den Klauen Diegos zu befreien. Dabei erringt er ein Zauberglöckchen, das ihm drei Wünsche gewähren soll, sagt das alte Hutzelweib, doch leider erfolgt die Lieferung der drei Wünsche nicht ganz nach seinen Erwartungen.

Immerhin bekommt er eine Art Mitfahrgelegenheit. Ein Magier und Drachenzüchter namens Friedlin Gaspaglori reitet gerade seinen jungen Drachen Grendel nach Rapunzien, wo er an den Drachenkämpfen teilnehmen will. Und Rapunzien liegt zum Glück auf dem Weg nach Süden, Richtung Baskarien. Nachdem sie ihre jeweilige Lebensgeschichte ausgetauscht haben, trennen sie sich in aller Freundschaft, und Ritter Bredur kann sich in Verkleidung endlich dem Schloss nähern, in dem seine Herzallerliebste gefangen gehalten wird, wie er glaubt.

_Mein Eindruck_

Dies ist natürlich erst der Anfang zu einer ganzen Serie von kuriosen Abenteuern, wie sie einem barocken Roman zustehen. Solche pikaresken Romane hat es ja in der alten DDR ein paar von Irmtraud Morgner gegeben. Mir fallen die „Abenteuer der Trobadora Beatriz“ ein. Doch anders als im Picaro-Roman ufern die Abenteuer keineswegs zwecks Unterhaltung aus, sondern erfüllen alle eine genau festgelegte Funktion. Deshalb taucht im letzten Akt auch Friedlin Gaspaglori wieder auf, der die Prinzessin Lisvana seinerseits entführt hat. Sein Drache Grendel freut sich über die angenehme Gesellschaft. Dass Bredur und Diego die holde Schöne befreien müssen, versteht sich ja wohl von selbst. Sie greifen zu unorthodoxen Mitteln.

Überhaupt ist der gesamte Roman von „unorthodoxen Mitteln“ durchzogen, sei es nun auf Seiten der Figuren oder auf Seiten der Autorin, die ihre Geschichte fast schon wie eine Parodie aufzieht, ohne sie wie eine Parodie aussehen zu lassen. Die Hauptsache ist jedoch, dass sie jede klischeebehaftete Erwartung seitens des Lesers / Hörers konterkariert und unterläuft. Zauberglöckchen funktionieren nicht richtig, Drachen sind liebebedürftig, Magier sind Drachenzüchter und Zwerge steigen zu mächtigen Hofschranzen auf.

Bekannte Märchenelemente des 18. und 19. Jahrhunderts mischen sich mit phantastischen Reiseberichten des 16. und 17. Jahrhunderts, welche wiederum mit Phantasien aus Tausendundeiner Nacht kombiniert werden. Doch die wundersamen Kulissen erschlagen an keiner Stelle das Grundthema: die Erziehung der Herzen in einer wechselhaften Dreierbeziehung: Lisvana steht zwischen Diego und Bredur, doch ihr Standpunkt scheint nie ganz klar zu sein – das Vorrecht der Frau – und zwar bis zum letzten Kapitel. Wird sie dem „Ruf ihres Herzens“ folgen oder doch lieber Stellung und Reichtum wählen? Ich werde es nicht verraten.

Es ist auch ein Familienroman. Schließlich geht es um die Auseinandersetzung zwischen den beiden Königsfamilien aus Nordland und Baskarien. Beide müssen sich erst zusammenraufen, bevor eine neue Familie entstehen kann, die von Lisvana gegründet werden wird. Überraschende Wendungen auch noch in letzter Sekunde sind also zu erwarten.

Lisvanas Ankunft erinnerte mich seltsamerweise an jene Wochen und Monate der Jahre 1989 und 1990, als die bis dahin (vermutlich!) darbenden DDR-Bürger endlich den „goldenen Westen“ bereisen und dort mit ihrem „Begrüßungsgeld“ ausgiebig shoppen gehen durften. Bananen waren – zunächst – enorm begehrt. Und so kommt Lisvana auch das leuchtende Baskarien am blauen Mittelmeer vor: das reinste Schlaraffien. Äußerlich zumindest – wie es in den Herzen der Herrscher aussieht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Genau wie (vermutlich!) bei den Wessis. Das Märchen als „west-östlicher Divan“.

In sprachlicher Hinsicht ist Duves Erzählstil etwas gewöhnungsbedürftig. Wer jahrelang an Übersetzungen von angelsächsischen Fantasy-Werken gewöhnt ist und nichts anderes kennt, wird erst einmal stutzig, wenn er folgende Vokabeln liest oder hört: plieren, spreiten oder gar schnorchen. Wahrscheinlich muss derjenige erst einmal im DUDEN nachschlagen, was er sich darunter vorzustellen hat. Aber die genannten Wörter sind natürlich Extrembeispiele.

_Der Sprecher_

Gerd Wamelings Stimme verfügt über eine schier unglaubliche Wandlungsfähigkeit. Ob es nun ein junger Angsthase wie Diego oder polternder König wie Diegos Vater Leo ist, sei es ein alter Magier wie Friedlin oder ein Kräuterweib im Wald – stets kann der Sprecher seine Stimme der jeweiligen Figur entsprechend verwandeln. Nach einer Weile fällt dem Zuhörer gar nicht mehr auf, dass er es nur mit einem Sprecher zu tun und nicht mit einem Dutzend. Nur bei den vielen jungen Frauen, die auftreten, stößt Wameling an Grenzen: Die Damen klingen alle irgendwie gleich.

Am besten gefiel mir die Szene, in der Ritter Bredur besoffen und frustriert in einer baskarischen Kneipe hockt und sich von zwei Werbern anheuern lässt, mit der königlichen Flotte in die Südsee zu segeln, um die seltene und sagenumwobene Gorontie zu suchen, die die Königin so sehnsüchtig für ihre Gärten begehrt. Der edle Ritter wacht erst wieder an Bord auf und wird wie ein gewöhnlicher Schiffsjunge zum Deckschrubben verdonnert, da kennt der Käptn keine Gnade. Und welch ein Zufall: Auch Prinz Diego, der sich nun „Pedro Galbano“ nennt, ist an Bord. Er freundet sich mit dem Neuen an, der sich seinerseits „Ramón“ nennt. Gemeinsam segeln sie zur Insel der Glückseligkeit.

In diesem Abschnitt muss der Sprecher seine Stimme selbst verstellen, um sie den verdeckten Identitäten der beiden Edlen anzupassen.

_Unterm Strich_

Duves Liebesmärchen bietet mit schräger Romantik und antiheroischer Action wunderbar ironische Unterhaltung. Die Autorin spielt mit vielen Formen und lässt kein Klischee unzerrupft hinter sich. Wie dargestellt, funktioniert der Roman auf mehreren Ebenen und bietet etliche Ansätze für Diskussionen, sogar hinsichtlich der Rückkehr der DDR-Länder ins alte Rest-Deutschland. Sprachlich zeigt sich Duve frech und selbstbewusst, so dass sich der Leser bzw. Hörer mitunter recht ungebräuchlichen Vokabeln gegenübersieht. Aber damit will sie uns offensichtlich zum Gebrauch der eigenen grauen Zellen anregen.

Der Sprecher Gerd Wameling bietet einen sehr abwechslungsreichen Vortrag, in dem praktisch jede Figur eine eigene Stimme erhält. Nur die vielen jungen Damen – von Lisvana über Rosamonde bis hin zu Sarilissa, der Haremsprinzessin – fand ich schwer zu unterscheiden. Nun ja, Wameling ist ja selbst nicht weiblich, insofern fällt ihm die Intonation nicht so leicht. Und eine Lisvana mit Fistelstimme verbitten wir uns gleich von vornherein. Es ist nicht Wameling, der aus dem Harem ausbricht (als Eunuch), sondern Ritter Bredur …

317 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3821853789