Hannah Kent – Das Seelenhaus

Island im Jahr 1829: Jón Jónsson, seine Frau Margrét und ihre beiden Töchter Steina und Lauga sind außer sich, als ihnen der Landrat verkündet, die mehrfache Mörderin Agnes Magnúsdóttir bis zur Bestätigung ihres Todesurteils durch den Obersten Gerichtshof in Kopenhagen auf ihrem Hof unterzubringen. Voller Angst vor der Verbrecherin versucht die Familie Agnes so gut es geht zu meiden. Nur der von ihr als seelischer Beistand berufene Hilfspfarrer Tóti nimmt sich ihrer an. Schon bald gibt er es auf, sie in religiösen Fragen beraten zu wollen. Stattdessen taucht er und mit ihm der Leser immer tiefer in die tragische Lebensgeschichte der Verurteilten ein.

Im Wechsel mit der Darstellung der Situation aus Sicht der Familie auf den Kornsáhof, die zunächst nur von Angst und Hass geprägt ist, erzählt Agnes nüchtern und abgeklärt von ihrem harten und entbehrungsreichen Leben. Bereits als Kind von Vater und Mutter verlassen, musste sie sehr früh lernen, harte Arbeiten auf verschiedenen Höfen zu verrichten. Immer wieder war sie dabei gezwungen, wegen der großen Armut ihrer Dienstherren weiterzuziehen, nirgends ein Zuhause zu finden, bis sie sich in Nathan Ketilsson verliebt und sich das erste Mal in ihrem Leben Liebesgefühle und den Traum von einer gemeinsamen Zukunft gestattet. Ein Traum, der sich schlussendlich in einen Alptraum verwandelt, aus dem es kein Entrinnen gibt, obwohl man gleich der Familie, je mehr man von Agnes‘ Geschichte erfährt, an ihrer Schuld zu zweifeln und daher zu hoffen beginnt, dass vielleicht doch ein Wunder geschieht.

Die Autorin Hannah Kent hat für ihren Debütroman „Das Seelenhaus“ eine historische Begebenheit gewählt, von der sie während eines Austauschjahrs in Island erfahren hatte. Bei Anges Magnúsdóttir handelt es sich tatsächlich um die letzte Person, die in Island mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Resultate ihrer umfangreichen Recherche hat Kent den einzelnen Kapiteln in Form von Briefen und anderen Dokumenten vorangestellt. Aus den spärlichen Funden hat sie eine Geschichte gewebt, die Magnúsdóttir nicht rehabilitieren kann oder soll, aber eine mögliche Erklärung für die schreckliche Bluttat bietet.

Ihre Figuren sind rau und ungeschliffen wie das Land. In der Abgeschiedenheit der Höfe gedeihen Vorurteile und Ängste, denen mit der öffentlichen Hinrichtung der Mörderin und ihrer zwei mutmaßlichen Komplizen Genüge getan werden soll. Aber die Autorin zeigt auch, wie man mit harter Arbeit und Hilfsbereitschaft, die Herzen dieser einfachen Menschen gewinnen kann. Aus Agnes spricht trotz mangelnder Schulbildung eine intelligente und warmherzige Seele, die ihre Situation präzise einschätzen kann. Hannah Kent findet für sie eine ungekünstelte, aber berührende Sprache, die es dem Leser stellenweise schwer macht, die Melancholie des Textes nach dem Lesen wieder abzuschütteln: „Sie wissen nichts von mir. Und ich schweige. Ich will mich vor der Welt verschließen, ich will mein Herz verhärten und an den Dingen festhalten, die mir noch nicht genommen sind. Ich darf nicht zulassen, dass ich vergehe. In meinem Innersten werde ich an mir festhalten und dort all die Dinge bewahren, die ich gesehen und gehört und gefühlt habe.“

Diese nüchterne Gewissheit über die Unabänderlichkeit der Dinge liest sich berührender als jede lamentierende Darstellung von Verzweiflung und ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht daran glaube, dass man diese Atmosphäre in der bereits angekündigten Verfilmung umsetzen können wird. Daher empfehle ich dringendst, diesen sowohl sprachlich als auch inhaltlich beeindruckenden Roman zu lesen, zumal Droemer hier mit einem Hardcover, stabilem Papier, Lesebändchen und ansprechendem Schutzumschlag ein Buch herausgegeben hat, das sich auch nach mehrmaligem Lesen noch ordentlich im Bücherregal ausnimmt.

Hardcover: 384 Seiten
Originaltitel: Burial Rites
ISBN: 978-3426199787

www.droemer-knaur.de

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