Interview mit Philipp Röttgers und Dorothee Schröder zu ihrem Buch über JACK THE RIPPER

London 1888. Die Whitechapel-Morde erschüttern die ganze Stadt und sorgen weltweit für Schlagzeilen. Was passierte wirklich? Eine spannende Reise ins „dunkelste London.“ „Ich bekomme mein Geld schon zusammen. Sieh nur, was für eine hübsche Haube ich habe.“ Wenige Stunden, nachdem Mary Ann „Polly“ Nichols sich mit diesen Worten von ihrem Hausverwalter verabschiedet hat, wird sie ermordet in der Buck’s Row in Whitechapel aufgefunden. Es ist der 31. August 1888 und der Beginn des sogenannten „Herbst des Schreckens“… Im Herbst 1888 erschüttert eine Mordserie das viktorianische London. Der Mörder wird nie gefasst, sein Name „Jack the Ripper“ geht um die ganze Welt.

Philipp Röttgers und Dorothee Schröder werfen einen Blick auf das Leben der Frauen, die dem Mörder zum Opfer fielen. Sie berichten über die Polizeiarbeit, stellen Verdächtige der damaligen Ermittler vor und beschreiben anhand von Zeugenaussagen, Polizeidokumenten und Zeitungsartikeln detailliert, was sich in den Mordnächten zugetragen hat. Eine umfangreiche und faktenbasierte Chronologie der Ereignisse im „Herbst des Schreckens“. (Amazon.de)

Buchwurm: Wie seid ihr beiden AutorInnen auf das Thema „Jack the Ripper“ gekommen?

Philipp Röttgers: Als ich 16 oder 17 war, habe ich aus einer Eingebung heraus den Begriff „Jack the Ripper“ gegoogelt, bin auf die deutsche Seite jacktheripper.de gestoßen und war sofort fasziniert von dem Mysterium, aber vor allem auch der sozialen Geschichte. Ich hatte schon immer ein Faible für englische Literatur und Kultur, habe es auch studiert. Am meisten fasziniert mich Londons Geschichte. Schnell habe ich festgestellt, dass die „Whitechapel-Morde“ ein Fenster in das Jahr 1888 öffnen und man von dort aus in alle Richtungen der Londoner Geschichte gehen kann, weil man sich mit bestimmten Gebäuden, Persönlichkeiten oder den Menschen auf den Straßen beschäftigt. Der „Herbst des Schreckens“ ist für mich der ideale Startpunkt gewesen, um tiefer in Londons Geschichte einzutauchen.

Dorothee Schröder: Ich habe Anglistik studiert und mich immer schon für die Geschichte Londons interessiert. Philipp und ich haben öfter über das Thema „Jack the Ripper“ gesprochen. Dadurch wurde mein Interesse geweckt. Als wir das erste Mal zusammen in London waren, haben wir die Tatorte besucht und sind danach tiefer in das Thema eingestiegen.

Illustrated_Police_News_-_Jack_the_Ripper

Hat dies mit eurem Projekt London beyond time and place“ zu tun? Wie hängt beides zusammen?

P: Angestoßen durch die „Whitechapel-Morde“ habe ich mich immer mehr mit Londons Geschichte beschäftigt und je tiefer ich eingedrungen bin, desto mehr habe ich versucht dem „Geist“ der Stadt, dem „spirit of place“ näherzukommen. Was macht diese Stadt aus, welche Themen und Motive wiederholen sich, wie kann man das erklären? Dazu kommt, seitdem ich das erste Mal da gewesen war, wusste ich „Dies ist mein Ort.“ Mit keinem Ort fühle ich mich so verbunden wie mit London. Daher habe ich das Projekt „LONDON BEYOND TIME AND PLACE“ ins Leben gerufen.

D: „LONDON BEYOND TIME AND PLACE” ist ein Projekt, wo wir uns nicht linear mit der Londoner Geschichte beschäftigen, sondern, wie der Name schon sagt, jenseits von Zeit und Raum. Da der Mythos „Jack the Ripper“ auch 135 Jahre nach den Morden noch lebendig ist und auch heute noch viele Touristen ins Londoner East End zieht, kann man hier beispielhaft sehen, welche Wirkung manche Ereignisse in dieser Stadt haben. Es gibt immer noch Orte, wo man die Atmosphäre von 1888 nachspüren kann, und wo man sich vorstellen kann, dass man beim Einbiegen in die nächste schmale Gasse mitten im viktorianischen Zeitalter landet.

Gibt es noch andere Themen auf eurer Webseite? Wenn ja, welche?

P: Es gibt viele Themen, mit denen wir uns beschäftigen: Dickens‘ London, Londons Geister und ähnliches. Vor allem die mystischen, düsteren Seiten der Stadt faszinieren mich. Im Jahr 2020 habe ich eine Interviewreihe gestartet, in der ich mich mit Londonern über ihre Stadt unterhalte und wie sie von ihr beeinflusst werden. Zu meinen Gästen gehören AutorInnen, SchauspielerInnen, HistorikerInnen usw. Außerdem bieten wir themenbezogene self-guided walks zum Download an, die durch unterschiedliche Gegenden abseits der Touristenrouten führen.

Die Whitechapel-Morde 1888, die uns immer noch schaudern lassen, sind vollständig und akkurat recherchiert und umfassend dokumentiert.
Das Verblüffende besteht darin, dass sich unglaublich viele Widersprüche und Ungereimtheiten in den „Fakten“ finden.
Wie konnte es dazu kommen und wie wirkte das auf euch?

D: Dafür gibt es sicher mehrere Gründe. Die Polizeiarbeit und die interne Kommunikation waren nicht gut organisiert. Außerdem gab es zu wenig Polizisten. Viele Polizeiakten existieren nicht mehr, sodass die Informationen zum Teil aus Zeitungsberichten stammen. Dies gilt beispielsweise für die Zeugenbefragungen bei den gerichtlichen Untersuchungen. Wir wissen, dass die Presse während der Mordserie eine ständige Auflagensteigerung erfuhr. Je reißerischer berichtet wurde, desto größer war die Nachfrage. Es ist daher zu vermuten, dass nicht alles, was gedruckt wurde, tatsächlich (so) stattgefunden hatte.

Dorset Street um 1902

Warum wurde Jack the Ripper nie gefasst?

D: Wir gehen davon aus, dass der Täter ortskundig war und vermutlich sogar in Whitechapel lebte. Er kannte jede Straße und jeden Durchgang. Daher gelang es ihm, nach den Taten unerkannt zu entkommen. Man muss sich vorstellen, dass Whitechapel 1888 ein sehr stark bevölkerter Stadtteil war. Das Leben spielte sich rund um die Uhr auf der Straße ab, Geschäfte und Kneipen waren die ganze Nacht geöffnet und viele Menschen waren auf den Straßen unterwegs. Vermutlich fiel der Täter in dunkler Kleidung und auf schlecht beleuchteten Straßen gar nicht auf.

Wer könnte Jack the Ripper in Wahrheit gewesen sein? Ihr habt da ein paar Kandidaten aufgestellt…

P: Ich persönlich habe keinen festen Kandidaten. Ich möchte es auch gar nicht wissen – auch wenn wir seit Jahren auf der Suche nach der Identität des Mörders sind, das Faszinierende an dem Mysterium besteht ja auch darin, dass wir sie nicht kennen. Ganz allgemein denke ich, dass es jemand aus dem East End war, der sich dort auskannte und so in den Mordnächten ungesehen entkommen konnte.

D: Ich kann und möchte mich auch nicht festlegen.

In welcher Hinsicht ergänzt dieses Buch eure Webseite, oder ist es eher umgekehrt?

P: Wenn man so möchte, ist unser Self-Guided „Jack the Ripper Walk“ auf der Website eine Ergänzung zum Buch. Das Buch ist u.a. entstanden, weil ich sowohl von internationalen Ripperologen als auch von deutschen Schulklassen, die ich durch das East End geführt habe, gefragt wurde, ob es ein deutsches Buch gibt, das einen Überblick über die Mordserie gibt. Da es wenig deutsche Literatur gibt, die sich mit den reinen Fakten beschäftigt, haben wir uns daran gemacht, eines zu schreiben. Jetzt im Nachgang stellen wir auf der Website als Podcast oder Video viele deutsche Inhalte zu dem Thema hoch, quasi als Bonusmaterial.

Wird es weitere solche schönen Bücher zu London geben, bspw. zum Guy Fawkes Anschlag (der sich ja bald wieder jährt)?

P: Wir überlegen durchaus, weitere Bücher über London zu verfassen. Allerdings müssen wir uns immer fragen, ob bestimmte Themen deutsche LeserInnen interessieren und wenn ja, ob diese dann nicht des Englischen mächtig sind und eher Bücher britischer AutorInnen lesen. An Guy Fawkes hatte ich noch nicht gedacht (und bis zum 5. November ein Buch dazu zu verfassen, könnte etwas knapp werden), aber es kommt bestimmt noch mehr von uns!

D: Wir waren gerade wieder in London und haben viel Material gesammelt, das wir jetzt sichten und sortieren. Mal schauen, was dabei herauskommt.

(c) Das Interview führte Michael Matzer.