James Blaylock, K. W. Jeter, Tim Powers, Mike McGee – Steampunk: The Beginning

Optisches Schmankerl: Sammlerstück für Steampunk-Freunde

Steampunk ist heute nicht mehr nur ein literarisches Genre, dessen Etikett 1987 scherzhaft von Blaylock erfunden wurde. Es ist heute eine weltumspannendes kulturelles Phänomen, das besonders bei der Jugend Anklang findet. Steampunk bedeutet einerseits „zurück in die Zukunft mit den Viktorianern“, aber auch Eintauchen in einen alternativen Geschichtsverlauf, hat also nichts mit Utopia zu tun.

Das vorliegende Buch bildet teils einen Ausstellungskatalog aus 91 Illustrationen zu den drei Romanen, die den Steampunk begründeten und von dem Triumvirat James Blaylock, Tim Powers und K.W. Jeter verfasst wurden (Genaueres dazu weiter unten). Weil das Trio an der California State University Fullerton studierte, haben Studierende und Lehrende es unternommen, zunächst eine Ausstellung zu Ehren dieser Anfänge zu organisieren und diese dann als Buch zu veröffentlichen. Es ist mit Sicherheit schon jetzt ein gesuchtes Sammlerstück. Aber es gibt noch jede Menge interessantes Drumherum.

Zum Titelbild

Das Titelbild zeigt drei Gentlemen, die eigenartig große Augengläser tragen: Goggles, eine Art Fliegerbrille. Solche Goggles sind inzwischen zum optischen Markenzeichen des Steampunk geworden. Wichtiger als das Äußere sind jedoch die drei Objekte, die sie jeweils in den Händen halten: einen Fisch, eine Violine und eine Taschenuhr. Diese drei Dinge sind jeweils symbolisch einem der drei Romane zuzuordnen, also Augen auf! Im Hintergrund sieht man die Silhouette Londons im immerwährenden Nebel, aus dem ein lenkbares Luftschiff (die Bezeichnung „Zeppelin“ wird aus Copyrightgründen vermieden) hervorbricht.

Ich habe das Buch 2013 in San Francisco bei Alexander Books gekauft und den Kauf nicht bereut.

Die Autoren

1) James P. Blaylock

James P. Blaylock wurde 1950 in Long Beach, Kalifornien geboren und studierte bis 1974 Englisch an der California State University (Fullerton). Zur Zeit lebt Blaylock in Orange, Kalifornien und lehrt kreatives Schreiben an der Chapman University.

Zusammen mit K.W. Jeter und Tim Powers gilt James P. Blaylock zu Recht als einer der phantasievollsten Autoren der Zunft. Zusammen schuf dieses Trio das Unter-Genre „Steampunk Science Fiction“, eine Mischung als viktorianischem Krimi, Cyberpunk und Science Fiction-Ideen, so etwa in seinen Romanen „Homunculus“ und „Land der Träume“.

Von Blaylock erschienen mehrere phantastische Romane, so etwa „Hokusais Gral“ und „Die letzte Münze“ bei Heyne sowie bei Ullstein. Mit seinen Fantasyromanen (The Elfin Ship, 1984ff) parodierte er die Tolkien-Hysterie der siebziger Jahre. Von Powers und Jeter unterscheidet er sich insofern, dass fast nie Technik vorkommt. McGee nennt seine Phantastik „fabulism“, also Fabulieren.

2) Tim Powers

Tim Powers wurde 1952 in Buffalo nahe den Niagarafällen geboren. Er zählt mittlerweile zu den bekanntesten Autoren anspruchsvoller Phantastik. Er wurde mehrfach mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet -–u.a. für „The Anubis Gates“ – und mit dem World Fantasy Award. Er lebt mit seiner Frau Serena in Kalifornien.

Der Durchbruch gelang ihm mit dem Roman „The Drawing of the Dark“, in dem er die geheime Geschichte der Belagerung Wiens im 16. Jahrhundert schildert. Dabei ein spezielles Bier eine offenbar wesentliche und positive Rolle.

Wichtige Romane: Die Tore zu Anubis Reich (1983; Heyne 06/4473 und 9305); Zu Tisch in Deviants Palast (Heyne 06/4582); In fremderen Gezeiten (On Stranger Tides, Heyne 06/4632); Die kalte Braut (The stress of her regard, Heyne 06/4816); Dionysos erwacht (Earthquake Weather #1, 06/9172), Der Fischerkönig (Earthquake Weather #2, 06/9173), Expiration Date; Last Call; Declare.

3) K.W. Jeter

Kevin Wayne Jeter, 1950 geboren, wird zu den herausragenden zeitgenössischen Autoren der SF in den USA gezählt. Jeter ist ein Freund von James Blaylock und Tim Powers und bildet mit ihnen das Ur-Triumvirat des Steampunk-Untergenres.

Schon der 1965 veröffentlichte Roman „Seeklight“ ließ sein großes Talent erkennen. Es folgten u.a. „The Dreamfields“ (1976) und „Morlock Night“ (1979), eine gelungene Fortsetzung von H.G. Wells’ berühmtem Roman „Die Zeitmaschine“ (1895). Bekannt wurde Jeter nicht zuletzt durch seine drei Fortsetzungen von Philip K. Dicks verfilmtem Roman „Blade Runner“ (1982ff).

Sein SF-Roman „Dr. Adder“ (siehe meine Rezension) – nicht nur von Philip K. Dick in den höchsten Tönen gelobt – ist ein Meilenstein der modernen SF (dt. bei Ed. Phantasia). Daneben verfasste Jeter zahlreiche teils preisgekrönte unheimliche Romane. In „Infernal Devices / Das Erbe des Uhrmachers“ betreibt er ein ebenso versiertes wie ironisches Spiel mit allen Klischees viktorianischer Unterhaltungsliteratur.

Inhalte

1) Vorwort von Mike McGee

Der Herausgeber dieses Buches beschreibt die Anfänge des Steampunk und die Rolle, die dabei die Fullerton Uni spielte. Hier befindet sich seit den siebziger Jahren eine Fakultät für die Darstellenden Künste (Visual Arts), die von eminenter Bedeutung werden sollte – nicht zuletzt für die Künstler, die in diesem Buch vertreten sind.

Zwei Dozenten, nämlich Jane Hipolito und Willis E. McNelly (genau: der Autor der DUNE Encyclopedia), hatten genug von der hochnäsigen Haltung der Verlage gegenüber jeder Art von Science Fiction und begannen, eigene Anthologien herauszugeben – die heute gesuchte Sammlerstücke sind: SF als Kulturkritik und Parodie des etablierten SF-Business. Schon 1971 und 1972 konnten Hippolito und McNelly so Freundschaften zu den SF-Autoren Frank herbert und Philip K. Dick aufbauen. Ja, er schaffte es sogar, Dick, immerhin einen HUGO-Preisträger, aus San Francisco weg- und ins Orange Country bei L.A. zu locken.

Dick verbrachte hier seine letzten Lebensjahre (1972-82). Die drei Studenten Powers, Jeter und Blaylock holten ihn vom Flughafen ab und freundeten sich mit ihm an. In zahllosen Gesprächen entwickelten sie eine neue Art von Science Fiction. Die Studenten schrieben das, was heute als Steampunk bezeichnet wird, und Dick verfasste seinen unheimlichsten Roman, nämlich „A Scanner Darkly“ (1977, verfilmt mit Keanu Reeves), sowie „Blade Runner“ (1982), den visuell folgenreichsten aller seiner Romane.

Dick verewigte Jeter und Powers als die Figuren Kevin und David in seinem visionären Roman „VALIS“ (1981). Angeblich erfand er auch William Ashbless, eine fiktive Dichterfigur, derer sich die drei bedienten. Jeter durfte drei Fortsetzungen zu „Blade Runner“ verfassen, eine seltene Ehre. Wäre Dick nicht schon mit 53 gestorben, hätte Steampunk, die Gegenbewegung zum Cyberpunk, wahrscheinlich schon viel früher großen Einfluss gehabt. So wurde er zu einer Art Dauerbrenner.

Allerdings unterläuft McGee auf S. 6 ein Fehler: Nicht Jeters Roman „Morlock Night“ (1979) wird in diesem Buch, wie er behauptet, illustriert, sondern sein Roman „Infernal Devices“ (1987).

2) Einleitung, von Cliff Cramp

Cliff Cramp war seinerzeit Dozent an der Fullerton-Uni, ein sogenannter „Titan“, als ihn ein Student mit der Bemerkung umhaute, dass hier, an dieser Uni, die Geschichte der Science Fiction umgeschrieben wurde. „Wow, das ist so cool!“, will er gesagt haben und schlug sofort mit seinen Studenten im Internet – man hatte bereits WLAN im Hörsaal – in der Wikipedia die Biografien der drei Autoren nach: Jeter, Powers und Blaylock.

Viel wichtiger war für Cramp jedoch „Blade Runner“ von Dick: Der Film habe „große Bedeutung für Visual Development Illustratoren in der Filmindustrie“ (im nahegelegenen Hollywood). Man denke nur an das Labor des Erfinders, der vorzeitig altert (Sebastian?): Künstliche, aber mechanische Menschen, die mit den künstlichen, aber biogenetisch erzeugten Androiden kontrastieren. Na, die Viktorianer wären entzückt gewesen, ganz besonders H.G. Wells. In seinem Roman „Die Zeitmaschine“ züchten die brutalen Morlocks die zarten Eloi als Nahrung. Die Eloi als Androiden – warum nicht?

Cramp hatte die Idee zur Ausstellung mit Illustrationen zu den drei oben genannten Romanen. Daraus entstand dieses Buch. Es demonstriert das, was die Faklultät für die Darstellenden Künste anstrebt und ausführt: das Verstehen, anwenden, üben und weiterentwickeln darstellender Begriffe, Methoden und Techniken.

3) The Early Days of Steam: von Tim Powers

Endlich kommt einer der hier Gefeierten selbst zu Wort: Powers. Von ihm erfahren wir endlich, worauf es im Steampunk eigentlich ankommt und was ihn unterscheidet. Erstens das London der Viktorianer. Charaktere wie Sherlock Holmes, Bill Sykes und der teuflische Mr Hyde (aus „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“) sind von geradezu ikonischer Bedeutung. 1976 machten das Autorentrio seinen Abschluss in Fullerton und versuchte sich als Schriftstellergespann, wobei allerdings jeder einen eigenen Ansatz verfolgte.

Sie hatten schon etwas veröffentlicht, als ein britischer Verleger Stories um König Artus haben wollte. Das Trio teilte sich die möglichen Epochen auf; Jeter schrieb „Morlock Nights“ eine Fortsetzung von „Die Zeitmaschine“. Er hatte die Viktorianische Epoche bekommen und stieß bei seiner Recherche auf ein epochales, dreibändiges Werk, das für die Entwicklung des Steampunk bestimmend wurde: „London Labour and the London Poor“ von dem Journalisten Henry Mayhew.

Powers nennt dieses Werk eine „Goldmine“ und „Enzyklopädie“ für jeden Autor, der sich mit den verborgenen Schattenwirtschaften und exzentrischen Aktivitäten (legal, illegal, scheißegal) der Bevölkerung, die unterhalb des Radars der Zeitungen und Bürokraten lebte. Von hier stammen die unglaublich schrägen Einfälle der Autoren in den drei Gründungsromanen.

4) My Life in the Steam Trade, von James Blaylock

Blaylocks Beitrag ist doppelt so lang wie das seiner Vorgänger und steht erst auf S. 49ff. Er erzählt, wie er zu seiner lebenslangen Faszination mit den Viktorianern kam und den Begriff „Steampunk“ erfand. Das ist für literaturhistorisch Interessierte aufschlussreich, würde hier aber zu weit führen. Ein Beispiel: Schon E.R. Burroughs, der Schöpfer von Tarzan, erwähnt in einem seiner Romane über die Hohlwelt Pellucidar eine Maschine, die in die Tiefe graben kann. Das hat Blaylock offenbar zu seinem eigenen Roman „The Digging Leviathan“ inspiriert, „eine nicht-Unsteampunk-eske Geschichte“, wie Powers ironisch findet. Diese Maschine, die man auch bei Cherie Priest wiederfindet, soll einen Tunnel graben, der bis zum Mittelpunkt der Erde reicht.

Nachdem er alles von und über Sherlock Holmes, H.G. Wells und Jules Verne gelesen hatte, empfahl ihm Powers die Lektüre von P.G. Wodehouse. Dieser produktive Autor erfand den Butler Jeeves und seinen Herrn Bertie Wooster. Die Kombination aus Wodehouse und R.L. Stevenson („Dr. Jekyll“, „Markheim“, „Leichendieb“) soll ihn ca. 1976 zum Verfassen seiner ersten Story „The Ape-Box Affair“ inspiriert haben. Über die 40 Dollar Honorar des Magazin-Herausgebers freute er sich königlich – wie über einen erfolgreichen Mord, den er ungestraft verübt hat. So gesehen wurde Blaylock zu einem der vergnügtesten und erfolgreichsten Mörder der Literaturgeschichte.

Die ILLUSTRATIONEN

Hier beginnt der Hauptteil des Buches, der die Seiten 12 bis 108 umfasst.

1) Tim Powers: The Anubis Gates (Die Tore zu Anubis‘ Reich)

Jeder der drei Teile wird mit einer Inhaltsangabe eröffnet. Es sind insgesamt 91 Illustrationen zu betrachten. Jede Abbildung verfügt über ihre eigene Bildunterschrift, Urheberangaben und ein Buchzitat, das zum Bild passt.

Ägyptische Zauberer, Zigeuner, zwei Zeitreisende, ein Unterweltreich der Bettler (vgl. Mayhew) und das Wecken altägyptischer Götter bilden die thematische Bildersprache von „The Anubis Gates“. Besonders die Bettler-Organisation des Clowns Horrabin hat es den Künstlern angetan. Zu ihr gehört auch die gut bewaffnete Bettlerin Jacky alias Elizabeth Jacqueline Tichy. Sie bildet mit dem Zeitreisenden Darrow ein Gespann, das von Gog-Face Joe, einem Werwolf, bedroht wird. Natürlich trägt auch Jacky die obligatorischen Goggles, die einfach de rigeur sind.

2) James P. Blaylock: Homunculus (dito)

„Homunculus“ spielt im viktorianischen London, aber nicht in einem London, wie es aus der Geschichte bekannt ist, sondern eher wie in den Phantasien von Wells , Verne und Stevenson. Da gibt es einen seltsamen Männerclub, wo man der Alchimie frönt. Ein seltsames Luftschiff mit einer Leiche als Steuermann kreist über London, und ein außerirdisches Raumschiff wird immer wieder erwähnt, verbunden mit einigen Artefakten. „Durch die nächtlichen Gassen des viktorianischen London schleicht ein buckliger Zwerg und erweckt Tote zum Leben“, lautet der deutsche Untertitel, erstaunlicherweise völlig zu Recht.

Blayblock wollte eigentlich ein Strandbummler und Erforscher der Meeresfauna werden, bevor es ihn in die Literatur verschlug. Man merkt den Szenen mit dem buckligen zwerg, der Fiwsche züchtet und immer wieder ausnimmt, an, dass sich der Autor bestens mit dieser Materie auskennt. Käptn Powers‘ Tabak- und Pfeifenladen ist natürlich Tim Powers gewidnet. Ein Spielzeugmacher tritt auf und Geldfälscher, der sich als Shiloh, den Sohn Gottes, ausgibt. Außerdem treten weitere Erfinder, Industrielle und eine holde Maid auf, die es vor einem grässlichen Schicksal zu bewahren gilt.

3) K.W. Jeter: Infernal Devices (Das Erbe des Uhrmachers)

London zu Beginn des 20. Jahrhunderts. George Dower, der einzige Sohn und Erbe eines genialen Uhrmachers und Erfinders von Automaten, hat zwar den Laden seines Vaters geerbt, leider aber nicht dessen Genialität. Deshalb ist es ihm auch nur selten möglich, Reparaturen an den kleinen Kunstwerken durchzuführen, die sein Vater schuf. Dafür ist er auf die Kenntnissse seines Faktotums Mr. Creff angewiesen. Zusammen halten sie den Uhrmacher-Laden in Clerkenwell Green seit zwei Jahren am Leben.

Als ein seltsamer Fremder in seinen Laden tritt, um die Reparatur eines seltsamen Apparates bittet und ihm eine silberne Münze als Bezahlung überlässt, ändert sich Georges Leben. Der erste Hinweis, dass mit dem dunkelhäutigen Auftraggeber, den Creff als „verrückten Äthiopier“ ankündigt, etwas nicht stimmt, ist eine Geschmacksprobe von dem, was George zunächst für Blut gehalten hat – der Mann war durch eine herausspringende Metallfeder verletzt worden. Aber statt des Kupfergeschmacks von Menschenblut schmeckt Mr. Dower Salzwasser…

Die Suche nach der Herkunft der Münze und des fischähnlichen Fremden führt ihn in einen bislang völlig unbekannten Stadtteil Londons. Hier gerät er zwischen die Fronten zweier mächtiger Geheimgesellschaften, die schon seit Jahrhunderten gegeneinander Krieg führen. Sein Auftauchen wirkt wie ein Katalysator, der die Maschinerien in Gang setzen soll, mit denen die Geheimgesellschaften die Erde in zwei Teile spalten wollen…

Fische! In allen Größen und Farben spielen sie eine Rolle, gekleidet in viktorianische Klamotten. Ebenso wichtig sind Automata, die sich wie Menschen bewegen und beispielsweise Violine spielen können. Einer dieser Automaten ist ein Abbild von George Dower, sehr zu dessen Bedauern und zu unserer Verwirrung und Belustigung. Denn George wird von der lüsternen Miss McThane für einen Callboy gehalten und entführt, um amourösen Zwecken zu dienen…

ANHANG + BONUS

1) Biographische Skizzen

„The Viewer’s Companion“ ist stilecht als viktorianische Enzyklopädie gestaltet. Sogar das Papier ist auf eine Art Pergament getrimmt. Hier werden die drei Autoren, die zwei Herausgeber MgGee und Cramp sowie sämtlichen Künstler mehr oder weniger eingehend in Text und Bild vorgestellt.

2) „The Ape-Box Affair“, Kurzgeschichte von James P. Blaylock

„The Ape-Box Affair. A Wild Tale of an Orang-Outang“ ist hier komplett abgedruckt, allerdings nicht am Stück. Der Leser muss sich die einzelnen Teile zwischen den Lexikoneinträgen zusammensuchen. Der Stil einer viktorianischen Produktion wird also auch in dieser Hinsicht völlig durchgehalten.

Die Handlung

Der exzentrische Erfinder Langdon St. Ives (vgl. „Homunculus“) startet in Nordengland ein Raumschiff. Es soll in seiner kugelförmigen Kapsel einen Orang-Utan zu den Sternen bringen, oder wenigstens zum Mond. Allerdings hat er vergessen, dem Primaten die gewohnte Belohnung bereitzulegen: Pflaumen. Erzürnt über das Ausbleiben seiner Belohnung beginnt der Menschenaffe, sämtliche Knöpfe auf dem Steuerpult zu drücken. Das Raumschiff stürzt ab – direkt auf den Londoner Kensington Park. Glücklicherweise bremst der Ententeich den Sturz und der Raumfahrer kann durch die Luke leicht entsteigen. Er denkt daran, ein Kästchen mitzunehmen, das ihn mit Atemluft versorgt hat.

Die ungenehmigte und unangekündigte Landung dieses Aliens bleibt nicht unbemerkt. Ein Mann namens Old Hornby bemerkt den Vorfall und alarmiert die Polizei. Inspektor Marleybone alarmiert den Bürgermeister Bastable und beide setzen sich in Marsch, um die Fremden von den Sternen zu begrüßen. Vorerst aber macht sich unser astronatischer Primat auf die hungrige Suche nach Pflaumen. Schon bald wird er auf einem Straßenmarkt fündig und schnappt sich den ganzen Karren voll, den er entführt.

Unterdessen macht sich Jack Owlesby, der Ziehsohn des genialen Spielzeugmachers Keeble, mit einer hypermodernen Schatulle auf den Weg zu seiner Angebeteten Olivia, der schönen Tochter des übelwollenden Lords Placer, der in einer Villa am südlichen Ende der Stadt wohnt. Nun trifft es sich, dass Inspektor Marleybone und der Bürgermeister Jack nahezu über den Haufen fahren und sein Kästchen in den Büschen landet. Dort fällt es den gierigen Händen von Old Hornby in die Hände, der es für das Kästchen des Raumfahrers hält. Später fällt Jack das Atemluft spendende Kästchen des Menschenaffen in die Hände, das er flugs Olivia zu schenken gedenkt.

Diese Verwechslung führt zu herrlich aufregenden und komischen Szenen in London. Möglicherweise gibt es sogar ein Happy-end.

Mein Eindruck

Obwohl diese Kurzgeschichte als literarische Fingerübung betrachtet werden kann, so sind doch schon wichtige Elemente zu beobachten: die markanten Figuren; das Thema Raumfahrt & Aliens; verrückte und nicht so verrückte Erfinder; Verwechslung; Chaos in der Stadt in allen Bevölkerungsschichten. Außerdem winkt das Glück den Liebenden und der grantige Brautvater bekommt sein Fett weg. Das sind zwar standardmäßige Komödientricks, aber sie werden geschickt genutzt, um die Handlung in Gang zu bringen und abzuschließen.

Was bei der Lektüre wirklich auffällt, ist die geschliffene und nahezu stilechte Erzählsprache und -haltung. Der Chronist wendet sich direkt an sein Publikum und gibt vor, aufrichtig zu sein. Das Gegenteil ist vermutlich der Fall, denn wie kämen sonst Orang-Utan, Raumschiff und Alien-Hysterie zusammen? Wie auch immer: Der Erzählstil stammt wohl von P.G. Wodehouse (siehe oben) und wirkt „very British indeed“. Nur ein paar kleine Wörter verraten den amerikanischen Autor, so etwa die Verwendung von „pretty“ statt „rather/quite“. Dennoch macht der Stil die Lektüre zu einem wahren Vergnügen – sofern man des Englischen bestens mächtig ist.

3) Danksagungen

Der Dank muss natürlich an die Illustratoren und die Veranstalter der Ausstellung gehen, aber auch an den Verlag, der dieses feine Buch zuwege gebracht hat.

Unterm Strich

Solche großformatigen Bildbände nennen die Angelsachsen „coffee-table books“. Sie sind meist so groß wie die Hülle einer antiken Langspielplatte und in Leinen gebunden. Das vorliegende Buch ist unwesentlich kleiner als eine LP-Hülle und hat einen Umschlag aus Pappe statt Karton.

Das schmälert jedoch nicht das optische Vergnügen am Betrachten der 91 Illustrationen. Auch die Lektüre macht Spaß – noch mehr allerdings, sofern der Leser die drei hier gemeinten Romane gelesen hat. Aber das ist keine Grundbedingungen. Man kann den Bildband auch als Appetitanreger nutzen, um sodann die Romane zu lesen.

Das Buch ist zunächst natürlich für Steampunk-Aficionados gedacht, aber auch als Sammlerstück für Leute, die sich für grundlegende Werke der Phantastik und deren Historie begeistern können. Zu diesem erlauchten Kreis zählen mittlerweile „Homunculus“, „The Anubis Gates“ und „Infernal Devices“.

Der deutsche Leser sucht vergeblich nach einer Übersetzung und dürfte auch in absehbarer Zeit keine bekommen. Er muss sein bestes Englisch aufwenden, um die Einführungen sowie Blaylocks Kurzgeschichte zu lesen. Alternativ kann man sich aber auch nur dem optischen Genuss der 91 Abbildungen hingeben.

Auf der letzten Seite etwa sehen wir die drei Autoren vom Titelbild erneut. Jeter (links) hält lässig eine mehrläufige Flinte, die an ein Gatling-Maschinengewehr erinnert; Powers (Mitte) trägt eine grüne Brille und eine Pfeife (in „Homunculus“ tritt er ja als Pfeifen- und Tabakwarenhändler Captain Powers auf); und Blaylock (re.), ausstaffiert mit einem Kampfstock, trägt um den Hals die obligatorischen Goggles, also eine Art Schutz- oder Fliegerbrille. Es sind diese feinen Details, die das Buch zur vergnüglichen Fundgrube für den Fan und Sammler machen.

Taschenbuch: 120 Seiten
Originaltitel: Steampunk: The Beginning
ISBN-13: 9781584235095

www.gingkopress.com

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