Kirsten Wulf – Tanz der Tarantel

Die Fotojournalistin Elena von Eschenberg hat sich gerade ein halbes Jahr in ihrer neuen Wahlheimat Lecce eingelebt, in die sie in Kirsten Wulfs erstem Apulienkrimi „Aller Anfang ist Apulien“ vor ihrem untreuen Ehemann geflüchtet war, als sie schon wieder über ein Verbrechen stolpert – oder besser noch: als sie sich mitten in ein Verbrechen hineinfotografiert. Eine Recherche über die traditionelle Musik des Salent und den dort beheimateten, polkaähnlichen Volkstanz, Pizzica, führt Elena in das kleine Städtchen Galatina, wo sich hinter der Wärme, dem Licht und den Wohlgerüchen des Südens Enttäuschung, Hass und Kriminalität verbergen.

Der vorgeblich so heimatverbundene Pizzica-Star Nicola Capone handelt heimlich mit den Jahrhunderte alten Olivenbäumen der halb verfallenen elterlichen Masseria, die sein ambitionierter Bruder gern zu einem Hotel mit Golfplatz umbauen möchte. Doch Nicola werden nicht seine kriminellen Machenschaften, sondern die Sünden seines Vaters zum Verhängnis.Von dem Moment an, als Elena die Leiche des begabten Musikers und sein Mobiltelefon findet, kann auch der resolute und vorsichtige Commissario Cozzoli, der zunächst noch wegen eines lange erwarteten Mafiaprozesses in Mailand festsitzt, nichts dagegen tun, dass die naive Elena von den geheimnisvollen Geschichten um die Pizzica, die angeblich dazu diente, das Tarantelgift aus dem Körper der Gebissenen herauszutanzen, immer weiter in den Fall hineingezogen wird, bis nicht nur das Leben ihres Sohnes in Gefahr ist, sondern auch ihr eigenes an einem seidenen Faden hängt.

Neben den schon im ersten Band lieb gewonnen Figuren wie dem homosexuellen Onkel Gigi nebst seiner On-Off-Beziehung Ettore oder Gigis tief religiöser Schwester, der Nonne Beatrice, sowie des bärbeißigen Commissario Cozzoli, trifft der Leser auf viele neue, interessante Charaktere wie Luciana, die starke Frau an der Seite des Frauenschwarms Nicola, die über die Stadtgrenzen hinaus für ihre süßen Pastetchen und ihre Leidensfähigkeit in Beziehungsangelegenheiten bekannt ist. Dann ist da noch Christina, die scheue aber hochtalentierte Sängerin, die von ihrer kräuterkundigen Großmutter, großgezogen wurde, weil ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, und die nun Nicolas Pizzica-Gruppe der großen Liebe wegen verlassen möchte.

Doch die Stärke des Romans ist nicht der einigermaßen konstruierte Kriminalfall, bei dessen Aufklärung man des Öfteren „Hängematte“ rufen möchte, weil so gar keiner der Beteiligten auf das mehrmals angesprochene Symbol des Dolce Vita unterm Olivenbaum anspringt. Der Roman lebt vor allem durch die sehr stimmungsvollen Beschreibungen der Landschaft und Musizierszenen wie diese: „Ein Rasseln, es wurde lauter, Spot auf das Tamburin, die Geige setzte Töne darauf, das Akkordeon brandete auf. Die Melodie war erkennbar und plötzlich stand dort Christina. Mittendrin. Und erhob ihre Stime. Es waren die Tamburine, die das Gerüst, die Schwingungen, den Puls der Musik bestimmten, aber Christina, die dem Klang die Farbe gab. Die Piazza tanzte und jubelte. … alle drehten und wirbelten umeinander, hoben die Arme, Frauen schwangen bunte Tücher. Elena stand auf der Bühne… und betrachtete das Spektakel von oben durch den Sucher ihrer Kamera. … Massimo, Nicolas adretter Bruder, der um eine junge lachende Frau herumstolzierte, sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt, er hielt sie in der Luft, war ihr zugeneigt, aber berührte sie niemals. Pizzica-Pizzica, ein Spiel, ohne eine einzige Berührung.“

Auch die zahlreichen Marotten der Süditaliener, über die man als nicht Betroffener nur Schmunzeln oder den Kopf schütteln kann, machen den Roman lebendig. Das beginnt bei der Darstellung des Aberglaubens und wie er tatsächlich heute noch das tägliche Leben in kleinen Gemeinden beeinflusst oder einfach nur benutzt wird, um Geld zu verdienen. Während Elena alle Mythen begierig aufsaugt, bildet Cozzoli einen skeptischen Gegensatz und holt den Leser immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Originell sind ebenso die zahlreichen Seitenhiebe auf Besonderheiten nicht nur des italienischen Südens. So erscheint Cozzolis großer, persönlicher Einsatz im Mafiaprozess wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel, da er vermutlich Fallen gelassen werden muss, weil es (wie es bei Prozessen in Italien tatsächlich häufiger der Fall ist) den Angeklagten immer wieder gelingt, die Verhandlungen zu verschleppen. Charakteristisch auch die Tatsache, dass im Sommer alle öffentlichen Einrichtungen nur mit Minimalbesetzungen laufen und deshalb alle Anfragen lange dauern. Das Phänomen, dass das Leben eines jeden immer von Nachbarn beobachtet und kommentiert wird, gilt auch für kleine italienischen Gemeinden.

Man merkt deutlich, dass die Autorin während ihrer Zeit in Lecce umfassende Kenntniss über das Leben im Süden gewonnen hat. Daher kann sie die hellen und auch die dunklen Seiten Apuliens darstellen, ohne dem Leser die Lust an diesem wunderbaren Landstrich und seinen Bewohnern zu verderben. Deshalb schnell zugreifen! Kirsten Wulfs „Tanz der Tarantel“ ist ein leichter Sommerkrimi, der sich flüssig liest und nach dem Lesen das gute Gefühl hinterlässt, gerade aus einem verrückt-erholsamen Italienurlaub aufgetaucht zu sein.

Taschenbuch: 368 Seiten
ISBN: 978-3462046441

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