Fritz Leiber – Hexenvolk

Ausgerechnet eine Universität wird zum Stützpunkt eines Hexenclubs, der seine Privilegien mit tödlichen Flüchen zu sichern weiß. Ein junger Professor und seine Frau bekämpfen die Zauberfrauen mit ihren eigenen Mitteln … – Nach über einem halben Jahrhundert wirkt dieser phantastische Klassiker ungemein frisch. Spannend und überzeugend bringt Leiber das Thema in die Gegenwart: Qualitäts-Horror für Leser, die vom Genre mehr als scheinbrünstige Vampirchen fordern.

Das geschieht:

Norman Saylor, Professor für Soziologie am Hampnell College, ist mit seinem Leben zufrieden. Verheiratet ist er mit der schönen Tansy, und in dem Piranha-Becken aus Missgunst und Eifersucht, der das alltägliche Universitätsdasein darstellt, weiß er sich gut zu behaupten; aktuell sieht es sogar so aus, als werde Norman zum Dekan seines Fachbereichs ernannt.

Deshalb fällt der ehrbare Wissenschaftler aus allen Wolken, als er eines Tages unter den Habseligkeiten seiner Frau auf eine imposante Sammlung eindeutiger Glücks- und Schutzzauber-Utensilien stößt. Auch im Haus findet Norman überall Talismane. Empört stellt er Tansy zur Rede, die zugeben muss, sich schon seit längerer Zeit als Amateur-Hexe zu betätigen, um ihren Norman gegen die Attacken missgünstiger Kollegen zu schützen.

Um sie aus ihrem abergläubischen Wahn zu reißen, zwingt Norman Tansy, sämtliches Zauberzeug zu verbrennen. Damit setzt eine Kette seltsamer Missgeschicke und Unfälle ein. Norman wird des wissenschaftlichen Plagiats verdächtigt. Eine Studentin will von ihm belästigt worden sein. Ein durchgefallener Examenskandidat will ihn erschießen. Der Betondrache vor dem Bürofenster wird lebendig und verfolgt ihn. In seinem Kopf ertönt eine Stimme, die einen grausamen Tod ankündigt.

Lange kämpft Norman um eine rationale Erklärung, bis er sich der Erkenntnis stellen muss, dass Tansys Magie nicht nur funktioniert hat, sondern er und sie sich nunmehr schutzlos den Tücken der Welt stellen müssen. Schlimmer ist jedoch die Gewissheit, mit einem tödlichen Fluch belegt zu sein. Eine unsichtbare Macht belauert das Paar, denn auch Tansy weiß längst, was vorgeht. Als sie Norman überlistet und den Fluch heimlich auf sich nimmt, ist der Zeitpunkt gekommen, sich dem hinterlistigen Hexenvolk von Hampnell offen zu stellen …

Alle Frauen sind Hexen

Bevor Hardcore-Feministinnen und Gutmenschen ob dieser Überschrift in kollektives Protestgeheul ausbrechen, sei ihnen und den anderen Lesern versichert, dass a) diese Aussage um der ihr innewohnenden Provokation vom Rezensenten dreist aus dem Zusammenhang gerissen wurde, um Aufmerksamkeit für diese Zeilen zu erregen, und b) Autor Fritz Leiber zwar tatsächlich meint, was er schreibt, ohne die Hexerei, wie er sie definiert, und jene, die sich ihrer bedienen, abzuwerten.

„Hexenvolk“ markiert, wie Christian Endres in einem informativen Nachwort ausführt, neben wenigen anderen Werken den Beginn des ‚modernen‘ Horror-Romans. Mit allem ihm zur Verfügung stehenden Talent – und das war beträchtlich – bemühte Leiber sich, das Genre von Friedhofsstaub, Spinnweben, alten Flüchen und anderen Elementen eines allzu ‚klassisch‘ gewordenen Horrors zu befreien und ins 20. Jahrhundert zu holen. Gleichzeitig verließ er die üblichen, d. h. abgelegenen Spukstätten und siedelte die Handlung inmitten der modernen Stadt an: Der „urban horror“ war geboren! (Dass er heute zur Schnittmenge zwischen Glitzer-Grusel und Liebesschmalz heruntergekommen ist, darf nicht Leiber angelastet werden, der die Meyers, Adrians oder Davidsons dieser Buchwelt nicht mehr erleben musste.)

Mit einigem Aufwand macht er sich daran, die Magie mit der Wissenschaft zu vermählen. Im Krieg mit den drei bösen Hexen aus Hampnell wird der Skeptiker Saylor zum echten Gegner, als es ihm gelingt, die Faktoren des heftig wogenden Zauberkampfes in eine mathematische Formel zu fassen, die sich berechnen lässt: Magie ist keine Wahnvorstellung, sondern eine Grauzone der Wissenschaft und – noch wichtiger – letztlich auch den Naturgesetzen untergeordnet.

Frauen haben intuitiv Zugang zu diesem Zwischenreich. Sie könnten die Welt regieren, so Leiber, wenn sie nur wollten – aber sie wollen nicht. Auf der anderen Seite können auch Männer sich durchaus magischer Praktiken bedienen, aber sie sind zu rational, was nach Leiber einen Tunnelblick beinhaltet, der nur das Offensichtliche fokussiert und den hexenden Frauen ihren Freiraum lässt.

Ein Mann muss umdenken

Wie mühsam der Umdenkprozess ist, verdeutlicht der Autor am Beispiel des Soziologen Norman Saylor. Er ist Herr Jedermann, zudem tief und selbstzufrieden in seinem Fachwissen geerdet. An die Realität von Magie mag er anfänglich nicht einmal theoretisch denken. Mit einem Faktenschwall und beruhigender Stimme ‚überzeugt‘ er Gattin Tansy, sich ihrer Amulette und anderer Hexenmittel zu entledigen. Damit raubt er nicht nur ihr den Schutz, sondern stört ahnungslos die Balance einer Welt, deren Alltag zumindest in Hampnell aktuell auf Magie basiert. Nicht einmal die daraus resultierenden Verwerfungen können Saylor anfänglich eines Besseren belehren, bis ihn die jenseitige Welt in Gestalt eines steinernen Drachen buchstäblich in den Hintern zu beißen droht. Als Saylor die Magie akzeptiert, ist dies ein widerwilliger Prozess. Immer wieder ruft er sich selbst zur Ordnung: Er ist doch ein ‚vernünftiger‘ Mensch und Wissenschaftler! Jedes Mal trifft ihn in solchen Phasen des Zweifels die Wucht einer auch magischen Realität.

Magie ist nur ein Name

Den Anstoß, Horrorgeschichten über und für eine moderne Welt zu schreiben, bekam Leiber laut Endres durch die Bekanntschaft mit dem legendären Howard Phillips Lovecraft (1890-1937). Fünf kostbare Monate – Lovecrafts letzte – im Jahre 1937 korrespondierte Leiber intensiv mit dem zwar verehrten, aber nie kopierten Meister. Auch Lovecraft experimentierte mit dem Genre. Sein „Cthulhu“-Zyklus ist oft eher Sciencefiction als Horror, und das Grauen, das die „Großen Alten“ mit sich bringen, tragen sie in die Gegenwart.

Wie Lovecraft interpretiert auch Leiber die alten, buchstäblich genommen längst lächerlich gewordenen Mittel der Zauberei – Knoten, Metalle, exotische Präparate – als Symbole, die in der magischen Zwischenwelt eine völlig andere Bedeutung annehmen. Wie es dort ‚drüben‘ aussieht, schildert Leiber sparsam dosiert. In „Hexenvolk“ sind spektakuläre Raufereien mit Dämonen und anderen überirdischen Unholden weder vorgesehen noch notwendig. Das Grauen wird ansatzweise sichtbar und wirkt – zumal durch den Wortkünstler Leiber heraufbeschworen – umso eindringlicher.

Der Ton bestimmt die Musik

Dass „Hexenvolk“ als Buch bereits 1953 erschien, wird dem Leser höchstens nebenbei bewusst. Es gibt in der Handlung weder Fernsehen noch Computer oder Handy, und das Geld ist deutlich mehr wert als heute. Die Geschichte selbst ist dagegen taufrisch geblieben. Leiber weiß, was er erzählen will und wie er die erwünschten Effekte erzielt. Gar nicht zeittypisch stellt er Norman und Tansy Saylor als gleichberechtigte Partner dar – auch dies ein Punkt, in dem „Hexenvolk“ unerwartet modern bzw. seiner Entstehungszeit voraus war.

Wieder ist es Endres, der in seinem Nachwort darauf hinweist, dass Fritz Leiber auch deshalb so ein ausgezeichneter Schriftsteller war, weil er die Erfahrungen seines turbulenten Lebens in seine Werke einfließen ließ. Die Liste der „Leiberismen“ ist in „Hexenvolk“ lang; erwähnt sei nur die Anspielung auf die drei Hexen aus „Macbeth“: Fritz Leiber Senior (1882-1949), der Vater, war ein Theater- und Filmschauspieler, der mehr als drei Jahrzehnte in Stücken von William Shakespeare auftrat und seinem Sohn die Liebe zum englischen Dichter vererbte.

Geburt & Genese eines Klassikers

Schon auf das zeitgenössische Publikum übte „Hexenvolk“ große Anziehungskraft aus. Eine erste Version des Romans erschien 1943 in zwei Fortsetzungen im Magazin „Unknown Worlds“. Hollywood wurde aufmerksam und „Hexenvolk“ bereits 1944 als „Weird Woman“ unter der Regie von Reginald Le Borg mit Lon Chaney jr. und Anne Gwynne in den Hauptrollen verfilmt, wobei die Drehbuchautoren W. Scott Darling und Brenda Weisberg die ‚feministischen‘ Tendenzen selbstverständlich unterschlugen.

Remakes von „Hexenvolk“ kamen 1962 („Night of the Eagle“ bzw. „Burn, Witch, Burn!“, dt. „Hypno“) und 1980 („Witches‘ Brew“) auf die Kinoleinwand; in der kurzlebigen TV-Serie „Moment of Fear“ (1960) wurde der Roman für die zweite Episode adaptiert.

„Conjure Wife“, der Roman, erschien in deutscher Sprache erstmals 1976 als „Spielball der Hexen“ in der Taschenbuch-Reihe „Vampir-Horror“ des Erich Pabel-Verlags. Diese Ausgabe war vor allem in den ‚unwichtigen‘ Non-Grusel-Passagen stark gekürzt und ließ wenig von der eigentlichen Kraft des Originals durchscheinen. Erst 2008 erfuhr „Conjure Wife“ als „Hexenvolk“ seine erste vollständige und adäquate Übersetzung.

Autor

Fritz Reuter Leiber jr. wurde am Heiligen Abend des Jahres 1910 als Sohn eines bekannten Shakespeare-Schauspielers geboren. Nach einem Besuch der Universität von Chicago – er studierte Psychologie – trat er selbst kurze Zeit als Schauspieler auf. Seine wahre Liebe galt indes der Schriftstellerei. Bereits in den frühen 1930er Jahren verfasste Leiber einige Texte für kirchliche Zeitschriften. Doch in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts schwenkte er auf Horror-, SF- und Fantasygeschichten um. Zu seiner ersten Veröffentlichung wurde 1938 „Two Sought Adventure“, eine Geschichte aus der Welt Nehwon, die sich Leiber mit seinem Freund Harry Fischer ausgedacht hatte. Fafhrd und der Graue Mausling, die Hauptfiguren, wurden Leibers erfolgreichste Schöpfung und begleiteten ihn während seiner gesamten Karriere.

Seinen ersten Roman veröffentlichte Leiber 1943. „Conjure Wife“ (dt. „Spielball der Hexen“), ein moderner Horror-Roman, erwies sich als erfolgreiches Werk und wurde bereits im folgenden Jahr verfilmt. Weitere Kurzgeschichten und Novellen folgten, wobei Leiber noch bis 1956 hauptberuflich für das Theater und im Verlagswesen tätig blieb. Erst dann wurde er Vollzeit-Schriftsteller. Nunmehr stellte sich auch der Erfolg bei der Literaturkritik ein. In den nächsten Jahrzehnten heimste Leiber praktisch alle bedeutenden Preise ein, die in der phantastischen Literatur vergeben werden. Für die grandiose Lovecraft-Neuinterpretation „Our Lady of Darkness“ (dt. „Herrin der Dunkelheit“) wurde ihm 1978 der „World Fantasy Award“ verliehen.

Leibers Privatleben wurde immer wieder von Phasen exzessiven Alkoholmissbrauchs geprägt. Auch seine erste Ehefrau Jonquil trank und war medikamentenabhängig. Als sie 1969 nach einer Überdosis starb, begab sich Leiber in eine mehrjährige Therapie, die ihm endlich half. 1992 heiratete Leiber ein zweites Mal. Er schrieb kontinuierlich weiter und begab er sich auf eine lange Reihe von Zugreisen durch die USA, denen er nicht mehr gewachsen war. Am 5. September 1992 ist Leiber nur Wochen vor seinem 82. Geburtstag gestorben. „Thrice the Brinded Cat“, eine erst kurz zuvor entstandene Kurzgeschichte, wurde sein Abschiedsgeschenk.

Paperback: 251 Seiten
Originaltitel: Conjure Wife (1943 zuerst erschienen als Fortsetzungsroman im Magazin „Unknown Worlds“; als Buch New York : Lion Books 1953)
Übersetzung: Joachim Körber
http://www.edition-phantasia.de

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