Marzi, Christoph – Fabula

Christoph Marzi macht es einem nicht leicht. Nachdem er mit seiner „Lycidas“-Reihe so grandios gestartet ist, entpuppte sich schon die Fortsetzung seines Jugendbuchromans [„Malfuria“ 3398 als Enttäuschung. Mit seinem neuesten Werk „Fabula“ knüpft er schon rein äußerlich an die „Lycidas“-Zeiten an und so hofft man als Leser zu Recht darauf, dass „Malfuria“ nur ein Ausrutscher war und Marzi sich mit „Fabula“ zurück auf sein anfängliches hohes Qualitätsniveau begibt.

„Fabula“ ist eine Art fantastisches Märchen, das in Schottland spielt. Colin Darcy lebt schon seit Jahren in London, lehrt an der London Business School und ist heilfroh darüber, Ravenscraig, seinem Elternhaus in den Rhinns of Galloway, entronnen zu sein. Vor allem an seine Mutter Helen Darcy hegt Colin keine allzu positiven Erinnerungen. Seinem jüngeren Bruder Danny geht es nicht anders. Ihn zog es sogar bis in die USA, wo er Karriere als Musiker macht.

Eigentlich ist Colin mit seinem Leben ganz zufrieden, als ihn eines Tages eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse aus seinen so geregelten Bahnen wirft. Zunächst stirbt sein Freund und Kollege Arthur Sedgwick unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall und dann erreicht ihn ein Anruf aus der alten Heimat: Seine Mutter ist verschwunden – und zwar kurz bevor sein Bruder Danny ebenfalls verschwand, der sich, aus Gründen, die Colin schleierhaft sind, in Ravenscraig aufhielt.

Colin bleibt nichts anderes übrig, als in seine alte Heimat zu reisen und herauszufinden, was den beiden zugestoßen ist. Und so ist er nach jahrelangem Verdrängen jetzt auch dazu gezwungen, sich seiner Vergangenheit zu stellen – und damit den Geschichten, die Helen Darcy ihren Kindern zu erzählen pflegte und die auf magische Weise immer wahr wurden …

Den Zutaten nach ist auch „Fabula“ eigentlich wieder ein typischer Marzi. Er sucht sich Elementen aus unterschiedlichsten Einflüsse, nimmt eine Prise keltische Mythologie, einen guten Schuss „1001 Nacht“, garniert das Ganze mit ein wenig klassischer Western-Atmosphäre und schmeckt es am Ende mit ein paar Rockmusik-Anleihen ab. Die Mischung ist in gewohnter Manier höchst eigenwillig und unterhaltsam. Dennoch muss auch „Fabula“ wieder ein wenig hinter dem Glanzstück [„Lycidas“ 1081 zurückstecken.

Da wäre zum einen die Figur des Colin Darcy. Kurz gesagt ist Colin Darcy ein Langweiler. Ein trockener Wirtschaftswissenschaftler, der nun wirklich nicht die Ausstrahlung eines Helden hat. Zwar mausert er sich im Laufe der Handlung und wächst in seine Rolle hinein, je mehr er sich darauf einlässt, sich an seine Vergangenheit zu erinnern, doch so ganz kann er halt nicht raus aus seiner Haut. Und so braucht das Buch, das am Anfang ja erst einmal nur Colin näher beleuchtet, seine Zeit, um in Fahrt zu kommen.

So wirklich interessant wird es also erst in dem Moment, als Colin in Schottland eintrifft und dort auch ganz unverhofft seine große Liebe von damals wiedersieht. Die wiederum ist als Figur wesentlich interessanter und geheimnisvoller. Liviana Lassandri ist ein Friedhofsmädchen, die Tochter eines Bestattungsunternehmers. Sie ist sympathisch und eigenwillig und verleiht der Handlung mit ihrem Auftauchen den nötigen Schwung, der bis dahin fehlt.

Dabei ist das Grundthema der Geschichte eigentlich ein ganz schönes, das Marzi sich bei „1001 Nacht“ ausgeliehen hat. Helen Darcy hat eine Begabung, mit der sie ihre Kinder immer wieder das Fürchten lehrt. Sie ist magisch begabt im Umgang mit Worten. Geschichten, die sie erzählt, werden auf magische Weise wahr. Die Geschichten erwachen zum Leben, und plötzlichen stecken ihre eigenen Kinder mittendrin in der Handlung einer Geschichte, die nicht selten einen schaurigen, furchtbaren Verlauf nimmt. Marzi gelingt es sehr gut dieses Element in die Geschichte einzufügen. Obwohl die Geschichte im Hier und Jetzt spielt, fügt sich die Fantasy-Komponente der Handlung stimmig in den Plot ein, und so kann die Romankomposition im Großen und Ganzen durchaus überzeugen.

Kommt die Geschichte erst einmal auf Touren, weiß Marzi den Leser ausgesprochen gut zu unterhalten. Nachdem sich die ersten gut 110 Seiten in wenig ziehen, kommt die Geschichte mit Colins Ortswechsel nach Schottland und den ersten aufkommenden Erinnerungen an die Geschichten seiner Mutter ganz gut in Fahrt. Zum Ende hin baut Marzi dann sogar noch richtig Spannung auf und strafft das Tempo der Erzählung. Und so kommt es dann, dass im Finale dann plötzlich alles sehr schnell geht. Die Auflösung ist zwar stimmig konstruiert, kommt aber eben auch sehr plötzlich. Die erzählerische Balance und das Gefühl für das Tempo und den Spannungsbogen hat Marzi in der wesentlich umfangreicheren „Lycidas“-Reihe einfach besser hinbekommen.

Dennoch ist „Fabula“ durchaus unterhaltsame Kost für Freunde der Urban Fantasy. Mag die Geschichte um die uralte Metropole auch um einiges besser sein – nachdem Marzi mit dem zweiten Teil von „Malfuria“ ein erschreckend schwaches Buch abgeliefert hat, ist hier doch schon wieder eine deutliche Steigerung der Qualität wahrzunehmen.

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass „Lycidas“ zwar unerreicht bleibt, Marzi aber mit „Fabula“ dennoch einen durchaus unterhaltsamen Roman abgeliefert hat. Colin Darcy ist zwar nicht unbedingt ein Vorzeigeprotagonist, aber trotzdem weiß „Fabula“ den Leser zu unterhalten, nachdem der Plot erst einmal in Bewegung gekommen ist. Marzis Meisterwerk ist und bleibt aber die „Lycidas“-Reihe.

http://www.christophmarzi.de/
http://www.heyne.de

_Christoph Marzi auf |Buchwurm.info|:_

[„Lycidas“ 1081
[„Lilith“ 2070
[„Lumen“ 3036
[„Malfuria“ 3398
[„Malfuria – Die Hüterin der Nebelsteine“ 4167