Mathias Malzieu – Der kleinste Kuss der Welt

„Die Mechanik des Herzens“ war 2012 das erste Buch des Franzosen Mathias Malzieu, das auf Deutsch erschien. Mit der wunderbaren Covergestaltung von Benjamin Lacombe spricht es sofort heimliche Romantiker an, auf die im Inneren des Romans eine im besten Sinne fantastische, metaphorische, ein wenig sentimentale, aber dafür traumhaft schöne Liebesgeschichte wartete.

Dem bleibt Malzieu auch in seinem dritten Buch, „Der kleinste Kuss der Welt“, treu, ohne dass er beim Leser den unangenehmen Eindruck erweckt, immer wieder das gleiche Buch zu schreiben.. Wieder ist das Cover von Benjamin Lacombe, dessen Bilder mit hohem Wiedererkennungswert perfekt zu Malzieus verklärten Geschichten passen. Sowohl der geheimnisvolle Titel als auch das zauberhafte Coverbild machen sofort neugierig auf das Innenleben – und das ist dazu angetan, sofort zu fesseln.

Fängt man an zu lesen, merkt man bald, dass Malzieu mit seinen Geschichten offenbar seine eigene Nische gefunden hat. Am ehesten ließe sich sein Stil noch mit „Märchen für Erwachsene“ umschreiben, wobei er mit ein paar Kniffen eine Atmosphäre schafft, bei der sich der Leser fühlt, als würde er sich durch den Traum eines anderen Menschen bewegen. Malzieus Realität ist unsere Realität – zumindest zum größten Teil. Es gibt vieles, das man als Leser wiedererkennen kann: Eine Stadt, eine Apotheke, ein Theater, sogar einen Privatdetektiv und auch eine gescheiterte Beziehung. Doch Malzieu spickt seine Realität mit Verfremdungen, mit kleinen poetischen Abwegigkeiten, die das Lesen zu einem spannenden Abenteuer machen, weil man nie vorhersagen kann, welche schräge Wendung auf der nächsten Seite wartet. Da werden Frauen unsichtbar, wenn man sie küsst, und Papageien imitieren mit Vorliebe die Orgasmusgeräusche berühmter Filmdiven. Da gibt es Pralinen, die nach Kuss schmecken und Pistolen, in deren Magazin sechs Laubfrösche passen. All das verwebt Malzieu mit spielerischer Leichtigkeit und mit absolut unprätentiöser Selbstverständlichkeit. Als Leser muss man sich nur noch darauf einlassen und dann darf man für die nächsten 130 Seiten einfach genießen und sich kopfüber in diese zuckersüße, und trotzdem nicht kitschige Liebesgeschichte fallen lassen.

Unser Protagonist ist deprimierter Erfinder – eine Berufsbezeichnung, die ihm im Verlauf des Romans noch zugute kommen wird. Gleich zu Beginn, ohne weitere Vorrede, werden wir Zeuge des im Titel versprochenen kleinsten Kusses der Welt, von dem der arme Erfinder heimgesucht wird. Es haut unseren Erzähler schier von den Socken, denn offensichtlich ist das kein gewöhnlicher Kuss. Doch bevor er sich der Dame, die ihm diesem Kuss schenkt, vorstellen kann, wird diese völlig überraschend unsichtbar. Was also tun? Unser Held ist schwer verliebt, doch er kennt den Namen seiner Angebeteten nicht. Noch dazu ist sie unsichtbar. Seine Apothekerin empfiehlt ihm einen Privatdetektiv, der wiederum ihm seinen Papagei leiht. Dieser Papagei ist nämlich in der Lage, mithilfe von Geräusch- und Geruchsproben Menschen ausfindig zu machen.

Ein hanebüchener Plan? Nicht in der Welt von Mathias Malzieu; denn tatsächlich werden der deprimierte Erfinder und seine unsichtbare Angebetete zusammenfinden. Trotzdem müssen erst einige Hindernisse – und ein mittelmäßig überraschender Plottwist – überwunden werden, bis es ans Happyend geht.

„Der kleinste Kuss der Welt“ kommt nicht ganz an „Die Mechanik des Herzens“ heran, und trotzdem ist es ein poetisches, kleines Meisterwerk. Der schmale Band lässt sich mit Leichtigkeit an einem gemütlichen Abend bei Schokolade und Tee verschlingen und lädt zum Wieder- und Wiederlesen ein. Wer weiß, welche märchenhaften Wendungen, Ideen und Kniffe man beim ersten Lesen schlicht übersehen hat? Malzieu ist ein meisterhafter Erzähler, ein begnadeter Metaphernerfinder und ein begabter Satz- und Bildbauer. Er schreibt jenseits von allen Klischees, bekannten Begrifflichkeiten und langweiliger Liebesromanprosa. Alles, was man in „Der kleinste Kuss der Welt“ liest, wird man so noch nirgendwo sonst gelesen haben. Und welcher Autor kann das schon für sich in Anspruch nehmen?

Mathias Malzieus Geschichten sind eine Empfehlung für alle, denen unsere oftmals eintönige Realität und der langweilige Alltag das Träumen noch nicht ausgetrieben hat. Für all jene, die endlich mal einen guten und originellen Roman über die Liebe lesen wollen. Für alle, die Freude an der Sprache haben und sich einen Satz auch gern mal laut vorlesen. Und für alle, die Schokolade mögen. Denn Pralinen spielen in diesem Roman eine zentrale Rolle!

Taschenbuch: 144 Seiten
ISBN 13: 978-3-570-58547-4
Originaltitel: Le plus petit baiser jamais recensé
carl’s books
mathias-malzieu.fr

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