Charles de Lint – The Blue Girl. Urban Fantasy für Jugendliche

Geisterabenteuer an Halloween

Die 17-jährige Imogene Yeck ist eine Rebellin, doch als sie mit ihren Eltern nach Newford zieht, wird sie schwer auf die Probe gestellt. Schnell haben die Raufbolde an ihrer Highschool sie auf dem Kieker, aber auch der Geist eines Jungen nimmt sie offenbar wahr – und sie ihn. Schließlich gerät sie auch noch mit den boshaften Feen in einen Streit, und das ist wirklich kein Spaß. Nun braucht sie wirklich Hilfe: von ihrem alten Geist Pelly aus Kindertagen, von ihrer neuen Freundin Maxine und vielleicht sogar von dem mysteriösen Geisterjungen… (Verlagsinfo)

Der Autor

Der 1951 geborene Kanadier Charles de Lint publizierte bereits 1979 seine erste Fantasy-Story und hat sich seitdem als einer der fleißigsten Autoren profiliert. Dabei verfasste er nicht nur Fantasy in seinem Newford-Zyklus, sondern auch einen Horrorroman („Angel of Darkness“, unter Pseudonym) und einen SF-Roman mit dem Titel „Svaha“.

Amazon.com: „Charles de Lint (charlesdelint.com) is the author of more than seventy adult, young adult, and children’s books. Renowned as one of the trailblazers of the modern fantasy genre, he is the recipient of the World Fantasy, White Pine, Crawford, and Aurora awards. The first book of the Wildlings trilogy, Under My Skin, won the 2013 Aurora Award for Young Adult Fiction. De Lint is a poet, songwriter, performer, and folklorist, and he writes a monthly book-review column for The Magazine of Fantasy & Science Fiction. De Lint and his wife, MaryAnn Harris, a fellow artist and musician, recently released companion CDs of their original songs, samples of which can be heard on de Lint’s website. They live in Ottawa.“

Bei uns ist er bislang durch seine zwei Romane für Ph. J. Farmers „Dungeon“ und durch den Fantasy-Roman „Das kleine Volk“ (alle bei Heyne) bekannt geworden. Es wäre zu wünschen, dass sich seine Fangemeinde mit der Publikation von „Grünmantel“ vergrößert, um auch die anderen zauberhaften Romane „Yarrow“, „Moonheart“ und „Spirit Walk“ (Dreierband) zu entdecken. Ein De-Lint-Buch ist immer ein Erlebnis, denn hier ist eine eigenständige Welt zu erforschen.

Werke auf Deutsch:

1) Grünmantel (1998)
2) Das kleine Land (1994):
Band 1: Das verborgene Volk
Band 2: Die vergessene Musik
3) Das Dungeon 3: Tal des Donners
4) Das Dungeon 5: Die verborgene Stadt

Handlung

Die 17-jährige Imogene Yeck ist eine Rebellin, doch als sie mit ihren Eltern nach Newford zieht, wird sie schwer auf die Probe gestellt. Denn sie ist mit ihrem Bruder Jared in einer Hippie-Kommune aufgewachsen. Dort hat sie gelernt, für sich selbst einzustehen und herauszufinden, worin ihr persönlicher Wert besteht. Dann zog sie mit ihren Eltern nach Tyson, bevor alle wegen Marihuana-Missbrauch verhaftet wurden, und ging auf eine Highschool, an der sie Ärger bekam. Nach der Trennung der Eltern zog sie mit ihrer Mutter hierher: nach Newford, wo es eine richtig gute und friedliche Highschool gibt – bis jetzt.

Die Neue

Schon in der ersten Woche an der Redding High macht Valerie Clarke, die selbstbewusste Anführerin der Cheerleaderinnen, das „neue Mädchen“ fies an. Aber Imogene lässt sich nicht unterkriegen und droht dem Barbie-Püppchen Haue an. Die aktiviert Plan B und schickt ihren Ken-Boyfriend, den Quarterback der Football-Mannschaft. Brent Calder ist ein Schrank von einem Kerl und meint irrtümlicherweise, er könne Imogene mit Worten einschüchtern, indem er sie „Yuck!“ statt Yeck nennt. Falsch gedacht! Als sich Imogene mit dem einzigen anderen Nerd-Mädchen Maxine Tattrie anfreundet, hört sie auch schlimme Dinge von Brents Freund Jerry Fielder. Der habe versucht, sie einzuschüchtern, berichtet die total verängstigte Maxine.

Freundinnen

Seitdem stecken Maxine und Imogene wie Pech und Schwefel zusammen, denn Maxine, die von ihrer alleinstehenden Barbie-Mutter unterdrückt wird, möchte unbedingt so frech und unabhängig und mutig wie Imogene sein. Bei ihrem ersten Antrittsbesuch bei Maxines Mutter verkleidet sich Imogene als Barbie-Püppchen und wird gnädig akzeptiert. Maxines Schlafzimmer wurde komplett von ihrer Mutter eingerichtet und sieht entsprechend aufgeräumt aus: Püppchen und Pink. Doch unter einem Fußbodenbrett hat Maxine ihre alte Schmusepuppe, eine Katze, versteckt, und ihr ultrageheimes Tagebuch.

Der Geisterjunge

Im Speisesaal der Highschool bemerkt Imogene einen Jungen, der etwas Geisterhaftes an sich hat: Kaum siehst du ihn, ist er schon wieder weg. Er heißt Adrian und hat sich auf den ersten Blick in die Rebellin verliebt. Maxine kann ihn nicht sehen. Da erzählt ihr Imogene von ihrem Geisterfreund Pell-Mell, genannt Pelly: Er hat einen Igelkörper, Häschenohren und einen Greifschwanz wie ein Affe. Er besucht sie in ihren Träumen (wo sonst?) und redet seltsame Dinge wie etwa über Türen, die man öffnen, aber nicht wieder schließen kann. Imogene ahnt, dass er sie warnen will. Aber wovor?

Hauselfen

Im Sommer, in dem Maxine im Florida-Urlaub mit ihrem Dad ist, beginnt Imogene mit der Suche nach dem Geist und bricht in die Redding High School ein. Es dauert nur eine Stunde, bis er sich endlich zeigt. Er sieht aus wie Harry Potter und redet auch genauso geschwollen. Adrian erzählt, wie es dazu kam, dass er starb und als Geist wiederauferstand. An seinem Tod waren die Elfen schuld. Das seien aber keine süßen Dinger mit Flügeln, sondern 30 cm große Burschen, die überall in der Schule lebten. Da Imogene die Elfen nicht sehen kann, glaubt sie ihm nicht. Adrian bittet die Elfen, das Mädchen von ihrer Existenz zu überzeugen. Das hat verhängnisvolle Folgen.

Akzeptiert

Mrs. Tattrie, Maxines Mom, ist schwer in Ordnung, findet Imogene nach einem Gespräch. Ihre Therapeutin habe sie zum Umdenken gebracht, deshalb schrecken sie Imogenes Piercing und Second-Hand-Klamotten, die blauen Haare und Plateaustiefel nicht ab. Höchstens ein ganz klein wenig. Sie habe sich über Imogenes Vergangenheit erkundet – die Frau hat Verbindungen und akzeptiert kein „nein“. Und Maxine dürfe Imogene natürlich weiterhin sehen, denn ihrer beider Leistungen und Wohlbefinden seien mächtig gestiegen. Imogene hat Hochachtung vor der Frau.

Beach Bunny

Maxine kehrt als braungebranntes Beach Bunny aus Florida zurück. Imogene macht sie mit ihrem Bruder Jared, einem Musiker und Musikfan bekannt, was sich als Beginn einer wunderbaren Beziehung herausstellt. Anschließend stellt sie Maxine ihrem geisterhaften Freund Adrian vor, was richtig gut läuft, doch sie werden vom stets betrunkenen Hausmeister Mr. Sanderson gestört. Fehlen nur noch die Elfen, an die Imogene nicht glaubt. Maxine hat mit Geisterjungen und Elfen kein Problem: Sie möchte von ihnen Geschichten erzählen und diese veröffentlichen. Ihr Vorbild ist der Autor Christy Riddell, der ihr viele gute Ratschläge gegeben hat.

Letzte Warnung

Adrian, der Geisterjunge, hat die Elfen gebeten, Imogene von ihrer Existenz zu überzeugen. Die Elfen fackeln nicht lange und schicken Träume, die so intensiv sind, dass sie sie nicht mehr von der Realität unterscheiden kann. Nur Pelly schafft es, sie aufwachen zu lassen, doch es fällt ihm zunehmend schwerer. Adrian bekommt Besuch von einem der „Engel“. Der ist zwar auch tot, aber er will Adrians Seele retten, indem er ihn in die nächste Welt holt. Nun warnt er Adrian davor, was er angerichtet hat: Imogene sei nun für die Wesen der Dunkelheit sichtbar, die Seelenfresser.

Das blaue Mädchen

Nur eine Maßnahme könne Imogene noch vor diesen „Anamithim“ retten, ein gleichwertiges Opfer, doch Adrian ist entschlossen, dass keinesfalls seine geliebte Imogene geopfert werden darf. Als er sie stalked, erwischt sie ihn. O je, sie ist am ganzen Körper blau! Pelly hat ihr ein Pulver gegeben, das ihr helfen soll, die Seelenesser abzuwehren. Hätte er vorher mal seine Lieferantin nach Nebenwirkungen gefragt!

Showdown

Schon bald ist Halloween, das alte keltische Samhain-Fest. Dann wird die Grenze zwischen den Lebenden, Geistern und Toten durchlässig. Nun sieht Imogene eine Chance, den Seelenessern eine Falle zu stellen. Und Maxine liefert ihr neueste Informationen und Tipps, auf welche Weise dies gelingen könnte – von Esmeralda, einer „Hüterin der Pforten“ zur Geisterwelt. Ganz gleich, wie die Begegnung an Samhain ausgeht, Imogene will unbedingt ihre alte Hautfarbe zurückhaben…

Mein Eindruck

Schon nach wenigen Seite entsteht der Eindruck, dass jedes zweite Wort „weird“ lautet, also sonderbar, schräg. Und recht schräg sind auch die Abenteuer, in die Imogene und Maxine mit ihren gewöhnungsbedürftigen Freunden Adrian, dem Geisterjungen, und Pelly, dem unsichtbaren Jugendfreund, verwickelt werden. Eigentlich könnte alles ganz lustig sein, wenn man eine so unerschrockene Freundin wie Imogene hat, findet Maxine.

Superkräfte?

Aber dann platzt die Info, dass die Seelenesser auf Imogene scharf sind, wie eine Spaßbremse in die Halloween-Festivitäten. Wenigstens kann Imogene jetzt behaupten, ihre blaue Haut würde sie zu einer Reinkarnation der X-Men-Heldin Mystique machen. Was ja an sich bereits ein Witz ist, denn Imogene hat keine Superkräfte. Oder doch?

Die Unerschrockenheit, die sie gegenüber den schließlich doch noch auftauchenden drei Seelenessern an den Tag legt, legt diesen Verdacht nahe. Und er bestätigt sich später: Das blaue Pulver verleiht ihr das Selbstbewusstsein, es mit ihren Feinden aufzunehmen. Der Showdown ist vom Autor lustvoll inszeniert und haarklein beschrieben, so dass der Leser weiß, nun kommt es darauf an, dass sich Imogene und ihre Schützlinge bewähren. Wir drücken allen die Daumen, aber der Ausgang ist ungewiss. Schließlich hat man als Teenager nicht jeder Tag mit Seelenessern zu tun.

Barbie und Ken

Schließlich bekommt auch Brent Calder sein Fett weg. Er hat Valerie, seine Barbie, geschlagen, nachdem er das letzte Football-Spiel der Saison versemmelt hat. Statt seinen Fehler zuzugeben, prügelt er lieber auf andere ein. Ob Valerie die Hilfe, die Imogene ihr zukommen lässt – sie bringt sie ins Krankenhaus – danken wird, bezweifelt Imogene jedoch stark. Sie hat schließlich andere Sorgen. Nach der Sache mit den Seelenessern muss sie sich um das Schicksal von Adrian kümmern: Er hat sie gebeten, beim Übergang in die nächste Welt zu helfen. Was die Begegnung mit einem „Engel“ bedeutet.

Die Sache mit der Seele

Der Roman, der sich oft so lustig liest, befasst sich nämlich heimlich mit einem ernsten Thema – vom Erwachsenwerden mal ganz abgesehen: Die „Sache mit der Seele“ taucht als Thema immer wieder auf. Imogenes Seele wurde über lange Jahre geformt, bis sie für sich selbst einstehen konnte, doch Maxine, ihre Freundin, ist das genaue Gegenteil: ängstlich, behütet, abhängig. Auf der gleichen Nerd-Wellenlänge war auch Adrian unterwegs, bevor er sich mit den Hauselfen der Schule einließ – und sie ihn täuschten. Schabernack vom Elfenpack ist eben stets ein zu erwartendes Risiko.

Textschwächen

S. 61: „I’m surprised Little Bob didn’t end [up] being called Wee Bob.” Das Wörtchen “up” fehlt.

S. 93: “I was a lot braver that I thought I was.” Hier geht es um einen Vergleich, daher muss statt „that“ besser „than“ stehen.

S. 147: “After that I started looked for places…”: “started looking” wäre die korrekte Form.

Unterm Strich

Dies ist einer der lustigsten und schrägsten Urban-Fantasy-Romane, die man sich vorstellen kann. Ich fand mich jedenfalls bestens unterhalten. In mehreren Stufen strebt die Handlung der finalen Auseinandersetzung mit den vielfach angekündigten Seelenessern zu. Der Autor hatte offenbar große Lust daran, diesen Showdown sorgfältig einzufädeln und genüsslich darzustellen.

Das Englischniveau ist recht einfach, denn die Mädels sprechen untereinander Alltagssprache so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Vieles, das sie erleben, ist einfach „weird“, beispielsweise die blaue Haut von Imogene, der Titelheldin. Im Englischen bedeutet „blue“ häufig auch „traurig“, doch das würde Imogene nicht im entferntesten treffend beschreiben. „David Bowie bezeichnet die Erde in seinem Song„Space Oddity“ als „blue, but there’s nothing I can do“. Nur die wenigsten kapieren den Witz, den Major Tom dabei macht.)

Die Sache mit der Seele

Kann eine Seele gefressen werden, lautet eine sehr leise Frage. Die Seelenesser, denen sich Imogene schließlich stellt, fordern ihre Seele. Tatsächlich üben sie eine schwächende Wirkung auf alle aus, die ihnen begegnen, wie Maxine bestätigen könnte. Aber Imogene und Maxine fragen sich, ob sie überhaupt eine Seele haben. Beide sind offenbar Atheistinnen, und alle ihre Freunde sind es auch. Kein Priester oder Pastor tritt auf, um erbauliche oder warnende Reden zu schwingen. Wie die Mädels die Frage beantworten, darf hier nicht verraten werden.

Newford

Da es keinerlei Social Media gibt – ein sehr gewöhnungsbedürftiger Umstand für heutige Teenager – kommuniziert Maxine noch steinzeitlich via E-Mail und Handy mit einer gewissen Esmeralda. Die stellt sich als Kollegin von Christy Riddell heraus, der mit ihr im gleichen Haus wohne. Es könnte sich um Tamson House handeln, das sowohl in „Moonheart“, als auch in „Spiritwalk“ den Schauplatz einer Urban Fantasy liefert. Wie auch immer, Esmeralda erzählt, dass sie in Newford alle Hände voll mit Pixies und anderem Gesindel aus der Anderwelt zu tun habe.

Der Newford-Zyklus ist Schauplatz zahlreicher Kurzgeschichten, Novellen und Romane des Autors. Der hat den Erfolg des vorliegenden Mädchen-Romans zum Anlass genommen, ähnliche Abenteuer zu erzählen: Jennifer Wiles nimmt es in bislang zwei Abenteuern mit schrägen Gestalten der Anderwelt auf. Hoffentlich folgen noch viele weitere.

Taschenbuch: 368 Seiten.
O-Titel: The Blue Girl, 2004.
ISBN-13: 9780142405451

Firebird Books bei Penguin

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