Schlagwort-Archive: Goldmann

[NEWS] Sabine Eilmsteiner – Wohltuendes Dufträuchern

Das Stövchen gilt als Shootingstar unter den Räucherwerkzeugen – bietet es doch die Möglichkeit, auf einfachste Weise und ganz ohne Kohle in sinnliche Dufterlebnisse einzutauchen. Dafür steht ein Räucherschatz bereit, der näher nicht sein könnte: Denn in den Gewürzregalen Ihrer Küche, im Kräuterbeet vor dem Haus oder bei Ihrem nächsten Spaziergang durch Wald und Flur finden Sie alles, was Sie brauchen. Wenn Sie also ganz schnell und unkompliziert mit dem Räuchern loslegen möchten oder schlichtweg Ihren Räucherhorizont erweitern wollen, dann wird Ihnen dieses Buch mit Rat und zahlreichen Tipps zur Seite stehen: beim Sammeln, Mischen, Mixen und Mörsern. (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 208 Seiten
Goldmann

Deaver, Jeffery – Lautloses Duell

_Spannendes Hackerduell_

Ein atemloser Thriller, der dem Leser kaum eine Verschnaufpause gönnt. Ein Katz-und-Maus-Spiel um einen Serienmörder, der ein Computeractionspiel auf die Wirklichkeit übertragen hat und nun Menschen tötet. Kann die Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen den Killer stoppen?

_Handlung_

Das Silicon Valley südlich von San Francisco ist so etwas wie der Software und Dollars gewordene Amerikanische Traum: vom Programmierer zum Multimillionär. Doch neuerdings treibt sich in diesem Paradies des Kapitalismus eine ziemlich tödliche Schlange herum. Ein Hacker mit dem Decknamen Phate (‚fate‘ = Schicksal) bringt mehrere Menschen um, darunter eine bekannte Frauenrechtlerin.

Die ermittelnde Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen findet heraus, dass sich Phate in die Computer seiner Opfer eingeloggt hat und sämtliche persönlichen Daten genauestens ausspähen konnte, ohne dass seine Opfer es merkten. Den dafür nötigen Virus namens Trapdoor (‚Falltür‘) hat Phate selbst programmiert, ein geniales Stück Programmcode, wie sich zeigen wird. Die Polizei steht vor einem Rätsel, aber unter enormem Zeitdruck. Wenn der Hacker in das Polizeinetzwerk ISLEnet eindringt, greift er auch das FBI und andere Sicherheitsbehörden an. Dann gute Nacht, Weltfrieden!

Lieutenant Andy Andersons Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen wählt einen unkonventionellen Weg, um Phate Paroli bieten zu können und ihm endlich bei seiner nächsten Tat zuvorzukommen. Die Polizisten schlagen dem im Knast sitzenden Hacker Wyatt Gillette einen Deal vor: Er bekommt einen Rechner gestellt, wenn er der Polizei hilft, Phate in die Enge zu treiben.

Natürlich hat die Sache einen dicken Haken, der sich noch bitter rächen wird: Gillette sitzt in Haft, weil er angeblich den Sicherheitsschlüssel des Pentagon geknackt hat. Da aber Anderson das Pentagon nicht fragte, ob er Gillette „ausleihen“ darf, bekommt sein Nachfolger – Phate hat Anderson kaltgemacht – mächtigen Ärger aus Washington an den Hals.

Während sich die Behörden gegenseitig an die Kehle gehen, büchst eines Tages Gillette aus und macht sich selbständig. Nun fragt sich Inspektor Bishop natürlich, auf welcher Seite Gillette, der früher den Hacker-Codenamen ‚Valleyman‘ trug, in Wahrheit steht. Und wer steckt hinter diesem mysteriösen Phate-Freund namens Shawn, der anscheinend jede Bewegung der Polizei an Phate weitermeldet?

_Mein Eindruck_

Der Psychologe Deaver beweist in diesem Silicon-Valley-Thriller um Hacker und Serienmorde, wie genau er die ganze Hackerszene kennt: ihre Sprache, ihre Methoden, ihre Verhaltensweisen. Ebenso gründlich recherchiert hat er die Geschichte der Computerindustrie. Phate tötet nur an besonders wichtigen Jubiläumstagen, so etwa an dem Tag, als der frühe Rechner UNIVAC ausgeliefert wurde. Für Leser, die keine Computerfans sind, ist das natürlich nicht so wahnsinnig spannend – für mich aber war es das: Ich bin schon seit 1986 mit Personal-Rechnern zugange – und damals gab es noch nicht mal Microsoft-DOSe bei uns.

Die Spannung der Handlung steht und fällt natürlich mit dem Verhalten der Polizisten und ihres Hackerhelfers Gillette während des spannenden Duells zwischen den beiden Hackern. Das ist recht plausibel konstruiert, nur dachte ich die ganze Zeit, die Bullen können doch nicht so blöd sein und übersehen, dass ‚Shawn‘ ein Maulwurf in ihrem eigenen Team ist. Doch während ich felsenfest überzeugt war, es sei der unfähige Altprogrammierer Miller, war es natürlich jemand ganz anderes. Das zeigt sich aber erst ganz am Schluss, und daher will ich das auf keinen Fall verraten. Einen Schwachpunkt gibt es: Gillettes Motivation, Phate zu jagen, ist nicht ganz glaubwürdig begründet, zumindest nicht der Eifer, mit dem er das tut. Schließlich waren die beiden einst Mitglieder der gleichen Hackergang.

|Die Message?|

Was will uns Deaver mit dieser Story sagen? Ganz einfach: Wir alle, die wir E-Mails verschicken und persönliche Daten auf dem PC speichern, sind total angreifbar. Viren und Würmer sind nur die Publicity-trächtige Spitze des Eisbergs. ‚Trapdoor‘ ist eine – noch fiktive – Späh-Software, wie sie auch Behörden oder das Militär einsetzen könnten. Nicht nur, um Computer auszuspionieren, sondern auch um indirekt Menschen zu töten (eine solche Szene wird sogar im Buch durchgespielt) und rechnergesteuerte Gebäude in die Knie zu zwingen. Im Bosnien- und Kosovo-Krieg tobte – meist unbemerkt von der Öffentlichkeit – ein „Infowar“ in den globalen Netzen (es gibt ja nicht nur das Internet), in dem Terroristen, Rebellengruppen und die Militärs einander bekriegten.

Was kann der einzelne PC-Nutzer tun? Sich so schnell wie möglich mit ordentlicher Antiviren-Software ausstatten und wenn möglich sogar eine Personal Firewall installieren. Regelmäßige Aktualisierungen nicht vergessen!

_Fazit_

Ich habe „Lautloses Duell“ in drei Tagen verschlungen. Es ist für einen Computerkenner leicht verständlich geschrieben. Schwierigere Sachverhalte erklärt der Autor mit Diagrammen, aber die taugen auch nicht als Programmieranleitung, keine Angst.

Ein Glossar erklärt wichtige Fachbegriffe, auch solche, die bekannt erscheinen wie etwa den Begriff „Zivilisten“ – das sind einfach weder Hacker noch Hackerfeinde, sondern „normale“ User.

Natürlich gibt es wieder die Deaver-typischen Überraschungen und plötzlichen Wendungen, wenn man meint, den oder die Täter schon zu kennen. Dies bleibt so bis zu den letzten Seiten, so dass es enorm schwer fällt, das Buch zur Seite zu legen.

|Zur Übersetzung|

Auf Seite 131ff (nicht im Glossar) findet sich der Begriff „Stenanografie“. Damit ist eine Methode gemeint, Daten wie etwa schädlichen Code in Bildern und dergleichen zu verbergen. Meines Wissens sollte dies aber „Steganografie“ heißen.

Auf Seite 169 steht natürlich prompt „RFTM“ statt „RTFM“, welches die klassische Anweisung ist: „Read the fucking manual!“ – „Lies das verdammte Handbuch!“

|Originaltitel: The blue nowhere, 2001
Aus dem US-Englischen übertragen von Gerald Jung|

[NEWS] Andreas Schwarz – Meditation entschlüsselt

Der Meditation werden unzählige positive Effekte für das Wohlbefinden zugeschrieben – doch wie gelangt man in den gewünschten Zustand und welche Technik ist dafür die beste? Andreas Schwarz hat ein einfaches System entwickelt, welches sowohl für den Einstieg als auch die Vertiefung der Meditationspraxis individuell angewendet werden kann. Mithilfe dieses Buches lässt sich die Meditation erstmalig entschlüsseln in acht klar definierte Stufen: Atmung, Fokus, Körper, Umgebung, Gefühle, Gedanken, Ego und Stille. Jede Stufe wird ausführlich vorgestellt und begleitet von dynamischen Meditationsanleitungen. Praxisorientiert legt der Autor ein faszinierendes Modell vor, welches auf simple Weise ermöglicht, die eigene Meditationstechnik zu finden und den gewünschten Effekt zu erzielen – von innerer Ruhe bis hin zum spirituellen Erwachen!
(Verlagsinfo)


Broschiert ‏ : ‎ 224 Seiten
Goldmann

Martin, Steve – Shopgirl

_Lebensweisheiten in kleiner Dosis_

Ein Aschenputtel wird von seinem Märchenprinzen aus der Armut herausgeholt – und natürlich prompt ausgenutzt. Denn dies ist kein Märchen, dies ist Los Angeles.

_Der Autor_

Steve Martin hat sich als (Theater-)Schriftsteller, Drehbuchautor, Bühnen-Komiker, Schauspieler und Regisseur betätigt. Einige seiner besten Filme sind „Tote tragen keine Karos“, „Roxanne“ und „Vater der Braut“. Seine Storysammlung „Blanker Unsinn“ war in den USA ein Bestseller. Er ist dort auch als kenntnisreicher Kunstsammler bekannt. Seine Sammlung ist in einem der großen Hotels von Las Vegas zu besichtigen. Ich habe die Leute dort Schlange stehen sehen, obwohl der Eintritt eine schöne Stange Geld kostet.

_Handlung_

Mirabelle Buttersfield ist so etwas wie ein Aschenputtel, unscheinbar, schüchtern, dienstbar. Dabei arbeitet sie mitten in einem der begehrtesten Viertel von Los Angeles: in Beverly Hills. Ihr Arbeitsplatz ist das Kaufhaus des Designers Neiman Marcus. Sie verkauft Handschuhe, allerdings in einer Zeit, als niemand mehr Handschuhe trägt. Immerhin taucht ab und zu eine betuchte Japanerin auf und hält Mirabelle auf Trab. In ihrer Freizeit zeichnet sie.

Mit 28 hat sie es noch nicht zu einer Familie gebracht, denn erstens ist sie eine Träumerin und zweitens ist ihr derzeitiger Freund Jeremy ein Loser, der in einer Künstlerkolonie Verstärkerboxen dekoriert. Mirabelle ist das Gegenteil von materialistischen Egoisten, die das jeweils andere (manchmal auch das eigene) Geschlecht für eine flotte Nummer abschleppen. Mirabelle scheint auf altmodische Werte wie Ehrlichkeit, Echtheit und Achtung Wert zu legen – exotische Werte in einer Stadt der Träume und Engel. Höchste Zeit für den Auftritt des Märchenprinzen.

Ray Porter ist Millionär und lädt Mirabelle, die schüchterne Handschuhverkäuferin, zum Abendessen ein. Einfach so. Natürlich ist Ray dabei auf der Suche nach „der Richtigen“. Die flüchtigen Beziehungen mit Damen bedeuten dem Software-Millionär aus Seattle (keinesfalls zu verwechseln mit einem gewissen Bill Gates III., denn dieser ist Milliardär) jedoch wenig mehr als angenehmen Zeitvertreib. Allerdings sehen das die Betroffenen nicht unbedingt genauso. Seine Beziehung zum anderen Geschlecht ist die eines Pubertierenden: Genuss ohne Verpflichtung. Sein Verstand arbeitet zeitsparend, logisch, effizient; seine Wissensdatenbank über Frauen hingegen ist ein Saustall wie das unaufgeräumte Zimmer eines Jungen.

Nun, mit dieser Einstellung fällt er bei Mirabelle langfristig gehörig auf die Nase. Es beginnt ein Reigen von Trennungen und Versöhnungen, bevor Ray seine Gefühle für Mirabelle versteht und entsprechend zu handeln vermag. Er hat wie ein Vater für sie gesorgt und ihr zu einem neuen Start verholfen, erkennt er nach einer Weile. Er kann nur noch ihr Freund sein, nicht ihr Lover. Doch da hat sich inzwischen ein Mann bei ihr zurückgemeldet: der gründliche gewandelte und innerlich gewachsene Jeremy – wer hätte das gedacht?

_Mein Eindruck_

Wie ein onkelhafter, doch keinesfalls herablassender Erzähler des 19. Jahrhunderts nimmt uns Steve Martin an der Hand und führt uns durch die mondänen Straßen von Beverly Hills; zeigt uns die Schönen und Reichen, aber auch das Fußvolk: Mirabelle und Co., die ihre Träume daheim gelassen haben und den Arbeitstag zu überstehen versuchen. Doch am Wochenende und auf Vernissagen zeigen sich alle auf dem Parkett der Partys und Empfänge.

Die scharfe Beobachtungsgabe, die Martin gegenüber Locations und Menschen an den Tag legt, ist verblüffend. Als L.A.-Bürger kennt er sich eh mit den Örtlichkeiten aus. Doch auch mit dem Seelenleben der Bewohner hat er keine Probleme. Er seziert es mit zartem Skalpell, als ob er John Gray („Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“) hieße und der Seelendoktor der Nation wäre.

Sein Humor ist freundlich, nicht griesgrämig. Schon bald merkt man, dass sein Roman eine versteckte Liebeserklärung an die Stadt der Engel und ihre Einwohner ist. Und das kann er mit Fug und Recht tun, schließlich hat Martin schon einiges von den Staaten und ihren Urlaubsgebieten gesehen. Doch wenn er uns zum Lachen bringt, dann ist häufig nicht sicher, ob da nicht doch eine Träne im Augenwinkel hängt.

_Unterm Strich_

Manchem Leser wird der kurze Roman allzu federleicht daherkommen, als eine Art romantischer Komödie. Doch der Schein trügt: Martin erzählt zwar in diesem Ton, und die Handlung liest sich zuweilen wie ein Drehbuch dafür, doch die aktuelle Realität zwischen den Geschlechtern scheint immer wieder durch. Materialismus und Egoismus gibt es zunehmend auf beiden Seiten, und die Ehrlichkeit, auf die Mirabelle besteht, ist selten und wertvoll geworden.

Und für eine seichte Komödie wäre es äußerst ungewöhnlich, wenn sich die Figuren der Geschichte so stark verändern würden, wie es die drei genannten Hauptpersonen tun. Da fragt man sich, ob der Autor nicht doch über mehr Lebenserfahrung und Weisheit verfügt als so mancher Bestsellerautor. Außerdem nimmt er wirklich kein Blatt vor den Mund, wenn es um intime Details geht. Und das sucht man bei den zensierten Autoren der Bestsellerlisten meist vergebens.

Mir hat das Buch gut gefallen, weil es so ehrlich und unverzagt die altbekannte Dreieckskonstellation behandelt. Nette Momente wie etwa Verwechslungen werden frei Haus dazugeliefert.

|Originaltitel: Shopgirl, 2000
Aus dem US-Englischen übertragen von Detlev Ullrich|

[NEWS] Mandy Baggot – Winterzauber in London

Die alleinerziehende Londonerin Anna hat nach ihrer Scheidung den Glauben an die Liebe verloren. Ablenkung findet sie in den Weihnachtsvorbereitungen, denn sie möchte ihrer Tochter Ruthie ein unvergessliches Fest schenken. Dann begegnet sie dem charmanten Footballstar Sam, der nach einer bestürzenden Nachricht nach London geflohen ist. Kurz entschlossen nehmen Anna und Ruthie Sam bei sich auf. Und während die Stadt im Glanz der Lichter erstrahlt und funkelnde Schneeflocken auf Straßen und Plätze herabtanzen, kommen Anna und Sam sich näher, und Anna fühlt: Dieses Weihnachten könnte doch das Fest der Liebe werden … (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 480 Seiten
Goldmann

Fielding, Joy – Schlaf nicht, wenn es dunkel wird

Als die liebevolle Terry Painter der zwölf Jahre jüngeren Alison Simms ihr Gartenhäuschen vermietet, ahnt sie nicht, welchen Ärger sie sich damit einhandelt. Denn Alison lebt nicht nur in schlechter Gesellschaft, sondern ruft in Terry die Dämonin ihrer Vergangenheit wach: Terrys unbarmherzige Mutter. – Das Buch ist ein Drei-Generationen-Roman, der auch als Thriller zu überzeugen weiß, wenn auch erst spät.

_Die Autorin_

Joy Fielding lebt mit ihrer Familie in Toronto, Kanada, und in Palm Beach, Florida, also quasi in der Gegend, in der ihr zehnter Roman „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ spielt. Mit ihrem Roman „Lauf, Jane, lauf!“ gelang ihr international der Durchbruch.

_Handlung_

Die Krankenschwester Terry Painter lebt ein scheinbar ruhiges Leben in einer kleinen ruhigen Küstengemeinde namens Delray in Florida. Seit ihre Mutter fünf Jahre zuvor gestorben ist und ihr das Haus vererbte, lebt sie allein. Sie hat keine Kinder, keinen Mann, keine Freunde – nur ihren Patienten widmet sie sich mit aller Herzenswärme, die sie aufbringen kann. Eine 87 Jahre alte Dame namens Myra Wylie ist ihr die liebste. Unter anderem auch deshalb, weil Myras fescher Sohn Josh gerade von seiner Frau verlassen wurde und somit ein begehrtes Objekt von Terrys liebeshungrigen Tagträumen ist. Wie gern hätte sie mal ein Date mit ihm!

Hin und wieder fühlt sie sich einsam und verspürt den Wunsch, ihr geräumiges Gartenhäuschen zu vermieten. Alison Simms, die geschiedene junge Frau, die dort nun einzieht, gewinnt Terrys Herz, und zwischen beiden entsteht eine Freundschaft. Terry schenkt ihr sogar das kleine Goldkettchen mit dem Herzen dran, das die Vormieterin Erica Hollander offenbar unterm Bett vergessen hat. Erica hat die letzten zwei Monatsmieten nicht bezahlt, als sie einfach abhaute.

Doch Alison, 28, arbeitet in einer Kunstgalerie und zahlt ihre Miete pünktlich. Doch scheint sie auch eine kleine Diebin zu sein, die in Terrys Hospital schon mal eine Brieftasche mitgehen lässt. Und ob sie und ihre Freundin Denise die neuen Ohranhänger selbst bezahlt haben, bezweifelt Terry auch ein ganz klein wenig. Terry beschleicht der Verdacht, dass Alison ihr etwas verheimlicht. Die anonymen Anrufe, die sie wegen Erica Hollander von einem Unbekannten erhält, beruhigen sie auch nicht gerade.

Immer öfter muss sie an ihre unduldsame, tyrannische Mutter zurückdenken. Immer noch hat sie die Lieblingsnippesfiguren ihrer Mutter im Regal stehen, lauter alberne, streng dreinblickende Kopfvasen: „Du dummes, dummes Mädchen!“ pflege ihre Mutter zu Terry zu sagen. Stets musste sie ihre Sexualität unterdrücken, und an das Intermezzo mit ihrem Klassenkameraden Roger Stillman auf der Rückbank seines Wagens darf sie schon gar nicht denken.

Als bei Alison ein junger Mann namens Lance Palmay auftaucht, der vorgibt, ihr Bruder zu sein, wird Terry stutzig. Sonderlich wie ein Bruder benimmt er sich nicht, sondern nimmt sich bei Alison Intimitäten heraus und macht Terry Avancen. An Thanksgiving bringen die beiden unangemeldet auch Denise und einen zweiten jungen Mann mit, K. C., der angeblich Kenneth Charles heißt. Allmählich fühlt sich Terry in die Enge getrieben, und Josh ist auch nicht gerade die Stütze, auf die Terry gehofft hatte.

In der Silvesternacht nehmen die Ereignisse eine tödliche Wendung.

_Mein Eindruck_

Man sollte den Originaltitel wörtlich nehmen: „Whispers and Lies“, also Geflüster und Lügen, darum geht es, nicht etwa um einen Mordfall, den es aufzuklären gilt. Folglich bestehen die ersten 200 Seiten aus genau diesem: Andeutungen, Vermutungen, zahllosen Lügen und Gerüchten. Terry, die uns ihre Geschichte aus ihrem Blickwinkel erzählt, behält dennoch die Übersicht. Die meiste Zeit bewahrt sie ein erstaunliches Stehvermögen, sowohl körperlich als auch seelisch. Sie neigt nicht schnell zu Verfolgungswahn, doch wer weiß schon, was sie uns in ihrem Bericht alles verschweigt?

|Die jüngere Generation|

Ihre Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation und deren Lügen, Vorspiegelungen und üblen Absichten führt Terry bravourös. Denn sie sie hat noch Hoffnung, die Hoffnung, dass der liebe Josh, mit dem sie zu Mittag essen durfte, dermaleinst aus dem Familienurlaub zurückkehren und sie wie ein Ritter in schimmernder Rüstung in Sicherheit bringen werde. Als sich um die Seite 300 auch diese letzte Hoffnung verflüchtigt, zerbricht etwas in Terry Painter. Was dann geschieht, muss man selbst gelesen haben, um es glauben zu können.

Denn möglicherweise – wir haben ja nur ihr Wort im Bericht – stimmt etwas grundsätzlich nicht mit Krankenschwester Terry Painter. Ein Hinweis darauf ist Terrys Gedanke, dass sie ebenso wie die meisten Frauen um die 40 für Männer und fast alle anderen Wesen unsichtbar ist. Dies erinnert mich an die Story „Die Frauen, die Männer nicht sehen“ von Alice Sheldon, einer amerikanischen SF-Autiorin.

|Schatten der Vergangenheit|

Der langsam und unmerklich Spannung aufbauende Thriller erinnert in seinem allmählichen Aufbau aus alltäglichen Begebenheiten ein ganz klein wenig an Robert Zemeckis Film „Schatten der Vergangenheit“, in der die Hauptfigur, gespielt von Michelle Pfeiffer, dem Rätsel ihres eigenen Scheiterns auf die Spur kommt.

Doch dieser Film ist ungleich spannender und subtiler erzählt als Joy Fieldings Roman. Ich war etliche Male versucht, das Buch beiseite zu legen, weil 200 Seiten lang einfach nichts passierte. Erst dann schienen ein paar merkwürdige Details Bedeutung zu erhalten, und ab Seite 300 oder 320 ging dann die Post ab. Danach aber war ich in Versuchung, das Buch nochmals von Anfang an zu lesen, denn ich musste ein paar Hinweise offenbar übersehen haben.

_Unterm Strich_

Die Autorin oder vielmehr der Bericht ihrer Hauptfigur hat mich sauber aufs Kreuz gelegt. Ohne den überraschenden Schluss verraten zu wollen / dürfen, kann ich doch sagen, dass es im Finale noch recht thrillermäßig zugeht. Wer hätte das der ruhigen, liebevollen Krankenschwester zugetraut? Der Autorin gelingt eine doppelbödige Handlung, in der dem Leser oder vielmehr der Leserin, die sich viel besser in Terrys Lage versetzen kann als ein Mann, nie ganz klar wird, was hier eigentlich gespielt wird: Geflüster und Lügen sind die fragile, flüchtige Substanz, aus der die Handlung aufgebaut wird.

Und deshalb können wir als Leser noch bis zum bitteren, äußerst tragischen Schluss glauben, dass alles, was hier geschieht, ein schrecklicher Irrtum – oder eine ausgemachte Lüge – sein muss. Doch die einzige Wahrheit, die übrig bleibt, ist viel schlimmer als alle hier ausgebreiteten Lügen. Beim nächsten Mal werdet ihr eine Krankenschwester mit anderen Augen sehen …

|Die Übersetzung|

Fast durchweg gelungen finde ich Kristian Schulzes sprachlich einwandfreie Übersetzung. Mal von irgendwelchen vereinzelten Druckfehlern abgesehen, hat mich nur eine einzige Sache verwirrt: Lance Palmay, Alisons „Bruderherz“, wird bei seinem ersten Auftritt als „Lance Palmer“ (erinnert ein wenig an „Laura Palmer“ nicht wahr?) vorgestellt. Im Rest des Buches, also ab Seite 153, heißt er durchgehend Lance Palmay, was ich für einen ziemlich unwahrscheinlichen Namen halte – weder richtig spanisch noch englisch.

[NEWS] Catherine Walsh – Jedes Jahr im Dezember

Jedes Jahr im Dezember treffen sich Molly und Andrew auf dem Flug von Chicago nach Dublin. Mehr als diese sieben Stunden und fünfzehn Minuten haben sie noch nie miteinander verbracht, und mehr als Freundschaft war nie zwischen ihnen. Doch im zehnten Jahr fallen wegen eines Sturms über dem Atlantik sämtliche Flüge nach Europa aus. Während Molly nichts dagegen hätte, die Feiertage in Chicago zu verbringen, will Andrew unbedingt zu seiner Familie. Etwas leichtsinnig verspricht Molly, ihn rechtzeitig nach Hause zu bringen. Es beginnt eine dreitägige Odyssee über Buenos Aires, Paris und London, bei der die beiden sich näherkommen als je zuvor … (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 448 Seiten
Goldmann

Grimes, Martha – Mordserfolg

Ein New Yorker Bestsellerautor will den Verlag wechseln und stellt seinem auserkorenen Verleger eine knifflige Bedingung. Sie führt dazu, dass ein anderer, völlig unschuldiger Autor dieses Verlags ins Visier zweier Killer gerät, die der Verleger anheuert. Wie weit ist er aus Profitgier zu gehen bereit?

_Die Autorin_

Martha Grimes zählt seit der Erfindung ihres Serienhelden Inspektor Jury zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen der Nachkriegszeit. Sie wurde in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren und studierte an der |University of Maryland|. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der |Johns Hopkins University|. Sie lebt heute abwechselnd in Washington, D.C., und Santa Fé, New Mexico.

_Handlung_

Die Story liest sich wie die Abfolge einer Kettenreaktion, die im Hexenkessel von Manhattan in Gang gesetzt wird …

Alles beginnt mit Paul Giverney, der ebenso wie die Autorin aus Pittsburgh stammt und ebenso wie sie einen Bestseller nach dem anderen raushaut. Krimis, versteht sich. Nach seinem letzten Buch „Don’t go there“ will er den Verlag wechseln, weg von |Queeg & Hyde|, rüber zu |Mackenzie & Haack|. Nun ist „Mack & Haack“*, wie andere Verlage, die sich für was Besseres halten, den Laden nennen, nicht gerade für hochstehende Literatur bekannt, aber Bobby Mackenzie hat den einzigen Lektor in ganz Manhattan, der seine Arbeit noch ernst nimmt und wirklich etwas taugt: Tom Kidd. Hat Paul Giverney plötzlich Ambitionen zu etwas Höherem?

Als Paul anruft, ist Bobby natürlich nicht abgeneigt, ihn zu übernehmen. Für einen saftigen Vorschuss auf Pauls nächstes Buch, versteht sich. Nur eine Bedingung bereitet ihm Bauchschmerzen: Ein anderer Autor soll dafür Bobbys Haus verlassen, Ned Isaly, einer der preisgekrönten Lieblinge von Lektor Tom Kidd. Aber wer würde die Gans, die goldene Eier legt, von der Tür weisen? Bobby sagt okay.

Dummerweise steht Isaly gerade kurz davor, sein neuestes Manuskript bei Mackenzie-Haack abzuliefern und soll noch ein weiteres schreiben. Man kann so einen Mann nicht einfach feuern. Also erinnert Bobby seinen Cheflektor Clive Esterhaus daran, dass man doch noch gute Beziehungen zu Danny, dem Unterweltboss, pflege, da man dessen Biografie ja veröffentlicht habe. Sicher sei Danny für einen Tipp gut, wie man Ned Isaly klarmachen könnte, das Schreiben bleiben zu lassen – oder wenigstens woanders zu schreiben.

Doch Clive ist ein Dünnbrettbohrer, der nur auf die eigene Karriere bedacht ist. Also lässt er sich von Danny über den Tisch ziehen und dazu breitschlagen, zwei von Dannys freiberuflich tätigen „Unternehmern“ anzuheuern, sprich: zwei Auftragskiller. Ihr Auftrag: Isaly kaltmachen.

Karl und Candy, so die Namen der zwei ehrenwerten Freiberufler, sind keine von der schnellen Truppe. Sie besorgen sich erst einmal die jeweiligen Bücher von Paul Giverney und Ned Isaly. Sie haben herausbekommen, wer hinter den Auftraggebern steckt und was Paul will. Zunächst betätigen sie sich als Literaturkritiker und vergleichen erst einmal die beiden Autoren, wie sich das ihrer Meinung nach gehört. Karl war immerhin auf der Uni, wenn auch ohne Abschluss. Dann erst geht es – vielleicht – zur Sache.

_Mein Eindruck_

Der Roman soll eine schwarze Krimikomödie sein, und das klappt ja auch ganz gut. Die Situation in Pittsburgh eskaliert zum Siedepunkt, als sämtliche Killer, Aufpasser, Beschützer, Beschatter und sonstige Abgesandte sich um den nichts ahnenden Isaly scharen und sich dabei gegenseitig in die Quere kommen. Das ist der durchaus ironische Höhepunkt des Romans, und es lohnt sich, darauf hinzulesen. Etwas Groteskeres wird man selten in einem zeitgenössischen Krimi finden.

|Krimi als moralische Anstalt|

Aber das Buch will weitaus mehr. Denn es versteht sich offenbar frei nach Schiller auch als „moralische Anstalt“, wenn Paul Giverny – dessen Name ständig mit dem Designer Givenchy verwechselt wird – die New Yorker Verlagswelt provoziert, um herauszufinden, wie weit Verleger gehen würden, um einen Erfolgsautor wie ihn zu bekommen. Was wird der Profitgier geopfert? Doch hier tritt kein Jehoschua von Nazareth auf, um die Geldwechsler aus dem Tempel Jehovas zu vertreiben. Es stellt sich auch kein Säulenheiliger an die Speaker’s Corner im Londoner Hyde Park, um wider die gierigen Herren – und Frauen – Verleger im fernen Neu-York zu wettern. Es geht ganz einfach darum, ein Feuerchen anzuzünden und zuzusehen, was passiert.

|Arroganz und Heuchelei?|

Doch ist es nicht ein wenig überheblich, selbst so viel Geld zu scheffeln, und dann die Herrschaften, die einem selbiges Geld geben, moralisch zu tadeln? Ganz zu schweigen von jenem unschuldigen Opfer namens Ted Isaly. Doch die Autorin hat auch diesen Aspekt gründlich bedacht. Sie lässt Giverny seinerseits einen Schutzengel gegen die Geister, die er rief (die zwei Killer), engagieren. Und am Ende vom Lied, wenn klar ist, ob die Killer Karl und Candy zu den Guten oder den Bösen gehören, lässt sie die beiden mal ein Wörtchen oder zwei mit Giverny reden. Dabei könnte die Luft bleihaltig werden.

|Killer sind die besten Kritiker|

Überhaupt: Der ganze Roman wäre aufgrund dieses konstruierten Plots nur halb so unterhaltsam, wenn es dieses dynamische Duo nicht gäbe. Die beiden sind einfach köstlich. Ihre praktische Yankee-Logik in Kombination mit angelerntem Uni-Wissen ist unbezahlbar. Ihre Wirkung verdanken sie dem dialektischen Prozess, den sie in fast jedem Streitgespräch ausführen: These, Antithese, Synthese – oder auch keine Synthese. Dann bleibt es dem Leser überlassen, sich seinen Reim darauf zu machen. Als ungelernte Kritiker sind die beiden jedenfalls unschlagbar. Und wenn alle Argumente nicht mehr fruchten, kann ma ja mit der Bleispritze ein wenig nachhelfen.

|Ein Mann der Unschuld|

Es gibt noch ein Menge weiterer Gegensatzpaare, vor allem unter den Schriftstellern. Ned Isaly ist das Gegenteil von Paul Giverny und einer weiteren Erfolgsautorin, die sich auf Genreliteratur spezialisiert hat. Sie alle definieren sich über ihre Arbeit, ganz besonders Ned, der praktisch seine Arbeit, sein neues Buch lebt. Als er überfahren wird, gibt er die Schuld nicht einer realen Person, sondern einer seiner Erfindungen. Realität und Fiktion gehen ineinander über.

In den Textpassagen Isalys entpuppt sich die Autorin als Könnerin, die nicht nur Krimis schreiben kann, sondern auch einen poetischen, hochliterarischen Text abliefern könnte – wenn sich irgendjemand in der Verlagsszene nur dafür interessieren würde, nachdem sie über zwei Dutzend Krimis abgeliefert hat! Paul Giverny ist ihr Alter Ego, mit ihm macht sie sich über die Verlagsszene her, als wäre sie der Prophet Jeremiah, Hesekiel, Habakuk oder wer auch immer, um ihr die Leviten zu lesen.

|Befriedigender Schluss|

Doch eine Krimikomödie plus ein |morality play| plus ein Mann reiner Unschuld ist noch nicht genug, um einen zufrieden stellenden Roman entstehen zu lassen. Der ganze Plot könnte bis in alle Ewigkeit weiter um sich kreisen und nichts ergeben. Doch auch dieser Gefahr ist die Autorin entgegengetreten. Wie es sich für einen dialektischen Prozess gehört, machen alle Beteiligten eine Weiterentwicklung durch. Den meisten hilft Selbsterkenntnis, sofern sie dazu in der Lage sind. Die Bewährungsprobe liegt hinter ihnen, Hindernisse wurden aus dem Weg geräumt, neue Horizonte sichtbar. Und daher kann sich am Schluss auch der Leser zurücklehnen, mit dem Gefühl, dass die ganze Sache doch noch einen Sinn gehabt hat. Und mit der „Sache“ ist nicht nur der Inhalt des Buches gemeint, sondern auch die Lektüre an sich.

|Wahrheit aus Kindermund|

Den schönsten Kommentar auf das ganze Treiben liefert indirekt wohl Givernys kleine Tochter Hannah. Sie schreibt, da jeder in New York schreibt, mit acht Jahren schon an ihrem ersten großen Roman. Er besteht aus einem Satz und handelt von einem Ritter und einem Drachen. Ihr Paps gibt ihr ein paar Ratschläge, und so wächst der Roman. Jedes Kapitel besteht jetzt aus einem Satz. So weit so gut. Aber am Schluss wird der Drache nicht mehr erschlagen, sondern „nur“ gebändigt. Wenn es noch eines deutlicheren Symbols bedurft hätte, um die Handlung zu kommentieren und die Aussage zusammenzufassen, so wäre dem Leser wohl kaum zu helfen.

|Zum Originaltitel|

Im Original heißt das Buch „Foul Matter“, genau wie der Roman, den Giverny am Schluss zu schreiben beginnen wird. Dies ist ein Fachausdruck aus der angelsächsischen Verlagsbranche: |“So nannten sie in den Verlagen all die in Reglosigkeit erstarrten, unredigierten Originalmanuskripte, bevor sie mit blauen oder roten Bleistiften vollgekritzelt, lektoriert, überarbeitet, zu Tode zerpflückt worden waren. Dies war der erste Blick auf das Buch, das Manuskript, dem man das Mark auszusaugen, das Blut abzuzapfen, das Leben auszuschwemmen trachtete, und das Buch dabei zu Berühmtheit oder Bedeutungslosigkeit zurechtstutzte, wobei es nicht darauf ankam, welches von beidem.“| (Seite 413)

|Die Übersetzung|

Es ist der Übersetzerin Cornelia C. Walter hoch anzurechnen, dass sie all die zahllosen Fachausdrücke und Anglizismen korrekt und stilvoll ins Deutsche übertragen hat. Auch vor Umgangssprache schreckt sie keineswegs zurück, denn derer befleißigen sich die meisten Figuren. Nur auf Seite 27 scheint sie mir etwas durcheinander gebracht zu haben. Wenn man etwas „verklickert“, denn ist damit wohl ein Sprechakt gemeint. Wenn man aber eine „Kiste Macallan“[-Whisky] verkaufen will, so nennt man dies nicht „verklickern“, sondern „verticken“.

_Unterm Strich_

Wie schon diese Fachausdrücke der Branche deutlich machen, sollte der Leser ein gerüttelt Maß an Kenntnissen über die Verlagsbranche und den Herstellungsprozess eines Buches mitbringen. Da ich seit über 25 Jahren selbst schreibe, andere Bücher rezensiere und mit Schriftstellern zusammenkomme, weiß ich darüber halbwegs gut Bescheid. Doch ich setze diese Kenntnisse nicht ohne weiteres bei anderen Lesern voraus.

Und deshalb habe ich mich an vielen Stellen gefragt, wer sich wohl für diese Szenen und Vorgänge interessieren würde. Warum sollte es so wichtig sein, in ein bestimmtes Szenelokal (das Äquivalent zum siebten Himmel) eingelassen zu werden (das Äquivalent zum Ritterschlag, wie ihn Giverny noch nicht erhalten hat)? Und wen interessiert das überhaupt? Weil ich diesbezüglich meine Zweifel habe, dürfte der Roman nur ein eingeschränktes Publikum finden.

Obwohl ihm ein großes zu wünschen wäre, besonders unter süchtigen Krimilesern. Sie erfahren nämlich, wie solche Bücher gemacht werden, von wem, wozu, unter welchen Bedingungen. Sie lernen unterschiedliche Gattungen von Schriftstellern, Verlegern und Lektoren kennen. Da sie der Markt sind, könnten sie auch etwas bewegen. Das ist wohl letzten Endes die Hoffnung der Autorin: Dass ihr Buch nicht nur als Krimi, Komödie und Moralpredigt funktioniert, sondern auch als Appell zur Besserung des mittlerweile korrupten Buchmarktes. Zumindest was New York City angeht.

Homepage der Autorin: http://www.marthagrimes.com/

*: Anspielung offenbar auf den Ausdruck „hack writer“. Das hat nichts mit Hackern zu tun, sondern bezeichnet einen Zeilenschinder, Groschenromanschreiber.

[NEWS] Stephanie Jana – Im Ballhaus brennt noch Licht

Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts: Die junge, aus einfachen Verhältnissen stammende Lulu Schneider träumt davon, Tänzerin zu werden. Als sie eines Tages sehnsüchtig durch die Fenster des nahe gelegenen Ballhauses Sternberg das glamouröse Treiben beobachtet, lernt sie David kennen, den Sohn des jüdischen Besitzers. Mit viel Fleiß und der Unterstützung der Sternbergs, die ihr Talent erkennen, steigt Lulu in den rauschenden Goldenen Zwanzigern zur Startänzerin auf. Doch dann kippen die politischen Verhältnisse im Land, und bald sind das Ballhaus und alle, die Lulu liebt, in großer Gefahr … (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 480 Seiten
Goldmann

[NEWS] Fredrik Backman – Und jeden Tag wird der Weg nach Hause länger und länger

Noah hatte schon immer eine besondere Beziehung zu seinem Opa. Er liebt ihn innig, hat viel von ihm gelernt, viel Zeit mit ihm verbracht. Auch heute sitzen sie nebeneinander auf einer Bank. Doch die steht an einem seltsamen Ort, umgeben von all den Dingen, mit denen Noah groß geworden ist – seinem Stofftierdrachen, Opas Schreibtisch, Omas Hyazinthen. Dort bekommen sie Besuch von den Menschen, die einen ganz besonderen Platz in Opas und Noahs Herzen haben. Zusammen reden sie. Sie lachen. Sie schweigen. Und jeden Tag verschwindet ein Stück ihrer gemeinsamen Welt im Vergessen. Nur die Liebe wird größer … (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 80 Seiten
Goldmann

Garland, Alex – Koma, Das

Ein junger Mann wird in der Londoner U-Bahn brutal zusammengeschlagen, wird bewusstlos und fällt ins Wachkoma. In der Parallelwelt versucht er zu erkunden, was mit ihm geschehen ist und wie er seine neue Existenzform zu bewerten hat. Am Schluss steht die Erkenntnis: „Du wachst auf, du stirbst.“

_Der Autor_

Der 1970 geborene, britische Autor Alex Garland lieferte mit seinem Aussteiger-Roman „Der Strand“ die Vorlage zu dem erfolgreichen DiCaprio-Film „The Beach“. Doch wesentlich stilvoller sind die verwobenen Erzählungen in dem Nachfolgeroman „Manila “ („Tesseract“). Garland lebt in London, wo sonst.

_Handlung_

Als Carl, ein junger ehrgeiziger Büroangestellter mit der letzten U-Bahn nach Hause fährt, wo seine Freundin Catherine auf ihn wartet, wird er Zeuge, wie vier Rowdies eine junge Frau belästigen. Er versucht, ihr zu Hilfe zu kommen, wird aber daraufhin brutal zusammengeschlagen.

Er erwacht erst nach einigen Tagen tiefer Bewusstlosigkeit im Krankenhaus. Dem Polizisten kann er kaum antworten, denn sein Kiefer ist gebrochen. Etwas später darf er nach Hause zurückkehren, und dabei macht er eine schockierende Entdeckung. Seine Umgebung verändert sich ohne sein Zutun. Die Welt, die ihn umgibt, beginnt, ihm frend zu werden und er hat das Gefühl, sich in einer Traumlandschaft zu bewegen. Traum und Wirklichkeit sind ununterscheidbar geworden.

Da taucht ein Taxifahrer auf, der ihn zurück ins Krankenhaus fährt und ihm ein bestimmtes Bett zeigt. Darauf liegt ein schlafender Mann: Carl selbst. „Dies ist der Koma-Trakt“, sagt der Pfleger. Und wie kommt nun der im Wachkoma liegende Carl zurück in das, was wir als Wirklichkeit anerkennen? Es ist ein langer Weg voller Mühen. Wird das Ziel die Anstrengung lohnen?

_Grafiken_

Die jedem der sehr kurzen Kapitel vorgeschalteten Schwarzweiß-Grafiken sehen ein wenig aus wie Holzschnitte, doch dürfte die Technik eine andere sein. Ich bin dafür kein Experte. Der Künstler heißt Nicholas Garland, offenbar ein Verwandter des Autors. Tipp: Man kann durch schnelles Blättern das Buch auch als Daumenkino benutzen.

_Mein Eindruck_

Der Kurzroman mutet wie eine Phantasie von Philip K. Dick an. Für diesen Altmeister wäre sie allerdings lediglich eine Fingerübung gewesen. Garland beschränkt sich auf Erfahrungen seiner Hauptfiguren, die wir auch nachvollziehen können. Carl schwebt nicht zum Mars oder sonstwohin, sondern bleibt brav in London. Seine geistige Reise führt ihn – wie könnte es anders sein? – zurück in die früheste Kindheit, wo er seinen Eltern begegnet. Aber auch in der Rückbesinnung auf das, was er an jenem Unglücksabend im Büro tat, findet er Hinweise darauf, wie er seine „geistige Gesundheit“ zurückerlangen kann.

Doch der Autor zeigt, dass die Rückkehr keineswegs einfach ist. Das Erinnerungsvermögen des Menschen funktioniert eben nicht linear, sondern assoziativ, und so mag es nicht verwundern, wenn Carls Gedächtnis nur Fragmente von Sätzen aus den Bürodokumenten zusammenkratzt. Drei chinesische Figuren dienen als Haltepunkte – sie teilen den Gesamttext kontrapunktisch in mehrere Segmente auf. Was aber am meisten beunruhigt, ist Carls Erkenntnis: „Du wachst auf, du stirbst.“

Dieser Satz wirft ein Schlaglicht darauf, dass auch das Dasein im Koma eine legitime Existenzform sein kann. Es ist ein Parallel-Leben, nur eben in einer anderen Dimension der Wahrnehmung und Erinnerung. Zahllose Menschen in Krankenhäusern rund um den Globus teilen diese Erfahrung. Auch Douglas Coupland wusste darüber zu schreiben: in „Girlfriend in a Coma“.

Der Durchbruch ins „Wachsein“ ist daher für Carl & Co. keineswegs schmerzlos, sondern wie ein Geburtsvorgang der Austritt ins Ungewisse. Carl überlässt es dem Leser seines Berichts zu erraten, was er als erstes sieht.

_Unterm Strich_

Dies könnte das Vorspiel zu Danny Boyles Horror-Zukunfts-Vision „28 Days“ sein. Die männliche Hauptfigur liegt im Koma und erwacht in einer auf schreckliche Weise veränderten Welt. Doch „Koma“ schildert nicht das Ende, sondern den Anfang dieses Eintritts in eine Parallelwelt. Das Koma als legitime Existenzform hätte sicher auch Philip K. Dicks gebrochenen Helden gefallen.

Hier sind Traum und Wirklichkeit ebenso ununterscheidbar wie die eigene Identität unerkennbar. Die anderen Leute, denen Carl begegnet, scheinen ihn alle zu kennen, doch ist Carl wirklich der, für den sie ihn halten? Seltsame Sprünge geschehen in seiner Zeitwahrnehmung, als sei sein Leben ein Film aus geschnittenen Szenen. Wurde sein Gedächtnis editiert? Carl hat in einem Büro an Dokumenten gearbeitet, die sich mit anderen Staaten wie etwa Columbien befassen. War er ein Regierungsagent? Wurde er überwacht und bei Gefahr „aus dem Verkehr gezogen“?

Uns bleiben nur Spekulationen darüber, was Garland andeuten möchte. Doch es ist festzuhalten, dass die Lektüre anregend ist, denn Carl ist keineswegs blöd. Auch die Grafiken von Nicholas Garland tragen viel zum speziellen Reiz dieses Kurzromans bei (allerdings 160 Seiten statt der bei Amazon angegebenen 120).

[NEWS] Max Bentow – Engelsmädchen (Nils Trojan 11)

Der Berliner Kommissar Nils Trojan kommt einem Rätsel auf die Spur: Warum gibt sich eine Jugendliche fälschlicherweise als ein seit vielen Jahren vermisstes Mädchen aus, kurz bevor sie in den Tod springt? Bei seinen Ermittlungen trifft er auf die Kriminalpsychologin Carlotta Weiss, die unter Lebensgefahr versucht hat, die Jugendliche von dem Sprung abzuhalten. Trojan ist auf Anhieb fasziniert von seiner unkonventionellen Kollegin und bietet ihr an, in dem Fall zusammenzuarbeiten. Während sie gemeinsam versuchen, die mysteriösen Hintergründe des Selbstmords aufzuklären, geraten sie in den Strudel einer Mordserie, der sie unter die Brücken Berlins führt – und Carlotta erneut mit dem schwärzesten Abgrund ihres Lebens konfrontiert … (Verlagsinfo)


Broschiert ‏ : ‎ 448 Seiten
Goldmann

[NEWS] Anna Jessen – Traumfrauen. Minirock und neue Zeiten

Hamburg, Anfang der 60er Jahre: Die junge Klara Paulsen hat ihre Stelle als Fotografin und Redakteurin bei der Frauenzeitschrift »Claire« aufgegeben, um eine noch viel aufregendere Aufgabe zu übernehmen: Zusammen mit Freunden und Kollegen gründet sie „Holly“, eine moderne Zeitschrift für Musik und Mode. Es ist die Zeit von Rock’n’Roll und Minirock, die ganze Stadt vibriert. Und niemand hat ein besseres Gespür für prickelnde Themen als Klara, die sich ins größte Abenteuer ihres Lebens stürzt. Auch privat scheint es gut für sie zu laufen. Doch das Schicksal stellt sie vor harte Prüfungen …
(Verlagsinfo)


Broschiert ‏ : ‎ 400 Seiten
Goldmann

Martin, Steve – Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen

_Bewegend: Das Magische Quadrat des Herzens_

Daniel Pecan Cambridge lebt zwar im sonnigen Santa Monica, doch sein Apartment verlässt er nur selten, und wenn, dann nur, um zum Drogeriemarkt in der Nähe zu gehen, wo er die hübsche Verkäuferin bewundert. Daniel leidet unter einer Menge Zwangsvorstellungen und Phobien, doch er hat durchaus ein Auge für weibliche Schönheit. Als eine Reihe von unvorhergesehenen Ereignissen seine penibel geordnete Welt durcheinander bringen, beginnt er wieder, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen und der Liebe eine Chance zu geben. (aus der Verlagsinfo)

_Der Autor_

Steve Martin, der im Herbst 2005 sechzig Jahre alt wird, wurde mit seine Filmen „Roxanne“, „L. A. Story“, „Der Vater der Braut“ und zuletzt „Im Dutzend billiger“ als Schauspieler bekannt. Doch nicht alle wissen, dass er auch ein sehr guter Autor ist. Ich habe sein Romandebüt „Shopgirl“, das er gerade verfilmt, gelesen und begeistert besprochen. Auch „Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen“ hat wieder alles, was ich an Martins Stil mag: den genauen, aber sympathievollen Blick für seine Figuren, die klare und ungekünstelte Sprache und einen immer wieder verblüffenden Humor.

_Handlung_

Daniel Pecan Cambridge, 33, ist enttäuscht. Es kann nur ein Fehler vorliegen: Eigentlich hätte er in der Aufnahmeprüfung zur Mensa-Vereinigung erfoglreich abschneiden müssen. In „Mensa“ sind die intelligentesten Menschen der Welt Mitglieder, und er zählt sich dazu. Dass man ihm nur einen IQ von 90 bescheinigt, muss ein Tippfehler sein. Es müsste 190 heißen.

Anderseits gibt es ein paar Dinge an ihm, die das Gegenteil vermuten lassen. Er hat kein Telefon – in einer Stadt wie Los Angeles ein Skandal. Und den Fernseher steckt er meistens aus – unglaublich. Stattdessen befasst er sich mit dem Problem, wie er die addierte Leistung der Glühbirnen in seiner Mietwohnung auf exakt 1125 Watt bringt. Es ist nahezu unmöglich, eine 30-Watt-Birne zu beschaffen, aber Daniel hat es geschafft. Schließlich ist er ein ehemaliger Codeprogrammierer und somit findig.

Dann ist da noch das Problem der Bordsteinkanten. In seinem Mietblock in Santa Monica gibt es nur eine minimale Anzahl von Bordsteinkanten, und wo er die Straße trotz allem überqueren muss, sucht er sich natürlich die abgesenkten Bordsteinkanten der Ausfahrten aus. Man muss eben findig sein. Natürlich ist dabei in Kauf zu nehmen, dass sich der Weg zum Drogeriemarkt Rite Aid etwa verfünffacht, aber was ist das schon gegen ein bisschen Seelenfrieden?

Bei Rite Aid kauft Daniel diverse Medikamente wie etwa Betablocker, die die Angstrezeptoren blockieren, natürlich auch Valium. Viagra braucht er nicht, denn er lebt allein und will auch niemanden sehen. Vielmehr kommen die Leute zu ihm. Philippa, seine Nachbarin, schüttet ab und zu ihr Herz aus, denn sie hat ihren Freund Brian satt. Und regelmäßig am Freitag um 14:00 Uhr kommt Clarissa zu Besuch. Die unscheinbare Psychologiestudentin ist eine Kombination aus Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin. Natürlich erfährt sie nie die volle Wahrheit über Daniel – er ist ein Weltmeister im Erfinden von guten Lügen.

Auch um an die attraktive Immobilienmaklerin Elizabeth heranzukommen, lässt sich Daniel eine Menge Tricks einfallen. Alles in allem hat er also genügend Kontakte beisammen, um ein so genanntes Magisches Quadrat (MQ) damit zu füllen. Es sieht aus wie ein Gitter für Tic Tac Toe. Normalerweise sind MQs so aufgebaut, dass die Zahlen in den Spalten und Reihen jeweils die gleiche Summe ergeben, beispielsweise 256 oder 2056. Das MQ, das er mit seinen Kontakten füllt, hat leider einen Schönheitsfehler: Das mittlere Kästchen hat keinen Wert, mit dem Daniel es füllen kann. Dumme Sache. Doch im Verlauf der Erzählung ändert sich der Inhalt des Quadrats immer wieder – und schließlich sieht sich Daniel sogar in der Lage, das mittlere Feld zu füllen …

Denn die Dinge kommen ins Rollen, als Clarissa ihn bittet, ihren einjährigen Sohn Teddy als Babysitter zu hüten. Dann bleiben Teddy und Clarissa über Nacht, solange ihr schrecklich aggressiver Gatte in ihrem Haus weilt, und sie bleibt nur so lange, bis er wieder verreist. Noch etwas Wichtiges passiert: Daniel gewinnt in einem Preisausschreiben mit einem Aufsatz über den „durchschnittlichsten Amerikaner“ – ausgerechnet er. Was noch schöner ist: Er hat zeitgleich auch unter einem Pseudonym teilgenommen. Und dieser „Lenny Burns“ hat ebenfalls einen vorderen Platz belegt, obwohl er genau das Gegenteil von Daniels Aufsatz aussagte. Als Daniel gewinnt, soll er vor 500 Leuten eine Rede eine Rede halten – ein schier unmögliche Aufgabe.

Die Dinge werden kompliziert und nähern sich offensichtlich einer Krise. Doch jede Krise ist auch eine Chance. Vielleicht kriegt Daniel sogar die Sache mit den Bordsteinkanten geregelt.

_Mein Eindruck_

Steve Martin zu lesen, ist stets sowohl ein großes Vergnügen als auch ein bewegendes Erlebnis. Das klingt zwar abgedroschen und ein bisschen nach Hollywood-Seligkeit, aber ich habe dieses Erlebnis bereits mit seinem Roman „Shopgirl“ gehabt – und fand es nun bei „Sehr erfreut …“ bestätigt.

|Besondere Umstände|

Woran mag das nur liegen? Ein Grund ist sicher der, dass der Autor seine Figuren absolut ernst nimmt und mehr noch: Er bringt ihnen Sympathie entgegen. Daniel ist der Ich-Erzähler, und aus seiner Sicht der Dinge muss seine private Welt so geordnet sein, dass sie seinen Angstpsychosen entspricht. Stichwort „Bordsteinkanten“. Sie sind in den USA meist 20 Zentimeter hoch, also bedeutet ihre Überquerung eine gewisse Überwindung: ein kleiner Sprung für unerschrockene Erwachsene, doch ein Abgrund für gepeinigte Menschen wie Daniel. Er findet Um- und Auswege. Und wenn er Glück hat, auch einen Führer, der ihn – auch seelisch – „an der Hand nimmt“ und ihm gewisse Hindernisse wie etwa Bordsteinkanten überwinden hilft.

|Ins Unbekannte|

Daniels Problem besteht also eigentlich darin, dass er gar nicht weiß, dass es a) diese Führer gibt und b) wie sie aussehen und c) wie er sie nutzen kann, um d) bekannte oder bis dato unbekannte Hindernisse zu überwinden. Es ist ein langer und verschlungener (Selbst-)Erkenntnisweg, bis Daniel dies alles herausgefunden hat. Wir gehen diesen Weg, der voller Überraschungen ist, mit ihm, stets gefasst auf das Unerwartete. Wir wissen nicht, wie Daniel auf Hilfe oder Not reagieren wird, ob er lügen oder sich zurückziehen wird. Wir können nur hoffen, dass es ihm mit jedem Schritt seines Weges ins Unbekannte ein klein wenig besser gelingen wird, mit seinen inneren Hemmnissen zurechtzukommen. Woher diese rühren, wird nur sehr kurz erklärt, in einem Brief seines Vaters an seine Mutter.

|Die Lacher|

Für Außenstehende, die keine Ahnung von Daniels „Zustand“ haben oder absolut kein Verständnis dafür haben, dass er etwas Besonderes ist, mag sein Verhalten komisch aussehen. Sie mögen sich vor Lachen auf dem Boden kringeln. Sie haben wahrscheinlich auch in „Roxanne“ über Steve Martins überlange Nase gelacht und würden auch über Cyrano de Bergeracs überlangen Riechkolben lachen, selbst in Anbetracht der Tatsache, dass Cyrano einige der schönsten Liebesbriefe aller Zeiten schrieb (für seinen Freund, der die gleiche Frau liebte). Für solche Menschen sind Steve Martins Romane nicht geschrieben worden.

|Daniels Frauen|

Schon nach wenigen Seiten hat der Leser gemerkt, dass Daniels Leben sich von anderen in Santa Monica unterscheidet. Er erfährt aber mit keiner Zeile, dass Daniel im Grunde ein zutiefst unglücklicher und einsamer Mensch ist. Diese Botschaft steht zwischen den Zeilen. Sie ergibt sich aus Daniels Erzählungen über die Frauen. Da ist die erfolgreiche, sich abrackernde Maklerin, da ist die etwas unglückliche Philippa aus der Nachbarwohnung, da ist Clarissa – upps: Sie hat ein Söhnchen! – und da ist schließlich Zandra an der Kasse von Rite Aid.

|Das Magische Quadrat|

Aber Daniel ist bekanntlich gehemmt und lässt sich tausend wunderbare Tricks einfallen, um jeder dieser Damen seine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Auch diese Versuche könnten komisch erscheinen, wenn sie nicht so traurig wären. Schon bald kann er Elizabeth aus dem Magischen Quadrat (seines Herzens) streichen. Dafür tauchen neue Faktoren auf. Doch wer schließlich das innerste Feld füllen wird, soll hier nicht verraten werden.

_Unterm Strich_

Es gibt viele Beziehungsromane, die es trotz einer Kürze von gut 200 Seiten nicht schaffen, die Aufmerksamkeit zu fesseln. „Sehr erfreut …“ ist das genaue Gegenteil. Zunächst gilt es, den „Helden“ zu ergründen, denn natürlich geht er nicht her, seinen „Zustand“ in medizinischen Floskeln zu beschreiben. Von diesem Zentrum ausgehend, erkunden wir mit ihm seine unmittelbare Umgebung. In quasi dialektischen Sprüngen sind wir dann in der Lage, die Veränderungen, die Daniel erlebt, zu nutzen und mit ihm Los Angeles zu verlassen – zurück in die texanische Heimat! Doch wenn er danach auf die Stadt und die eigene Lage dort von außen blickt, verschiebt sich sein Standpunkt, die Wertung wird eine andere, und so kommt es, dass Daniels Leben offen für Veränderung wird. Ist das nicht wunderbar?

Am schönsten ist die einfache Sprache. Sie ist jederzeit zu verstehen, und doch gelingt es dem Autor damit, verblüffend komplizierte Sachverhalte auszudrücken, für die man sonst einen Dichter heranziehen müsste, der die Sache mit einer Metapher auf den Punkt bringt. Der Autor braucht keine Metaphern. Sein Daniel ist zwar superintelligent (wie ein Mathegenie), aber auch einfach gestrickt – zu einfach für sprachliche Metaphern. Wer den Film „Rain Man“ gesehen hat, wird genau wissen, was ich meine.

Nach der Lektüre sieht man Menschen wie Daniel (oder den „Rain Man“) mit anderen Augen. Sie haben ihren Platz, und man muss ihnen helfen, egal wie. Es gibt immer einen Weg. Man muss nur die Bordsteinkanten überwinden.

|Originaltitel: The Pleasure of my Company, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Detlev Ullrich|

[NEWS] Harlan Coben – Nur für dein Leben

David, Cheryl und ihr dreijähriger Sohn Matthew sind die perfekte Familie – bis sie eines Nachts durch eine schreckliche Tragödie brutal auseinandergerissen werden. Fünf Jahre später verbüßt der traumatisierte David eine lebenslange Haftstrafe für den angeblichen Mord an seinem Sohn. Da zeigt ihm seine Schwägerin Rachel während der Besuchszeit das vor Kurzem zufällig aufgenommene Foto einer Menschenmenge. Im Hintergrund ein ungefähr achtjähriger Junge mit einem unverwechselbarem Muttermal: Matthew. Zutiefst erschüttert beschließt David herauszufinden, was in jener Nacht tatsächlich geschah. Und seinen Sohn zurückzuholen. Um jeden Preis … (Verlagsinfo)


Broschiert ‏ : ‎ 432 Seiten
Goldmann

Melanie Rawn – Das Gesicht im Feuer (Drachenprinz: 01)

Als der junge Wüstenprinz Rohan den Thron besteigt, hat er zwei Ziele vor Augen: Er möchte seinem Land den Frieden bringen und die edlen Drachen vor der Vernichtung bewahren. Und er ahnt, daß es da einen geheimnisvollen Zusammenhang gibt … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Melanie Rawn (* 1954 in Santa Monica, Kalifornien) ist eine US-amerikanische Autorin, Historikerin und Lehrerin. Bevor sie sich gänzlich dem Schreiben widmete, studierte sie Geschichte am Scripps College und arbeitete als Lehrerin und Lektorin / Redakteurin.

In den 1980er Jahren verfasste Rawn in ihrer Freizeit erste Fantasy-Manuskripte, aus denen die Dragon Prince Trilogy entstand. Anfang der 1990er Jahre begann sie mit der Dragon Star Trilogy. Mitte der 1990er Jahre folgte der Auftakt zur Exiles-Trilogy.

Drachen

Drachenprinz-Saga (Dragon Prince Trilogy)

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Laura Reese – Außer Atem. Erotischer Roman

Die 17-jährige Carly Tyler erwacht ohne Gedächtnis aus dem Koma. Sie hat zahlreiche Wunden erhalten, und die Ärzte müssen ihr Gesicht neu zusammensetzen. Wer ist sie in Wahrheit? In dem Winzer James McGuane meint sie nach 15 Jahren den Mann wiederzuerkennen, welcher der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit ist. Sie lässt sich als Köchin anstellen und spioniert ihm nach. Doch er hat Gelüste, die ziemlich ausgefallen sind. Carly steht jedoch auf Lust durch Schmerz und findet in James einen unbarmherzigen Lehrmeister. Aber ist er auch ihr Beinahemörder?

Die Autorin
Laura Reese – Außer Atem. Erotischer Roman weiterlesen

Pelot, Pierre / Cabel, Stéphane – Pakt der Wölfe, Der

_Mensch oder Wolf – Was macht den Unterschied?­_

Was sich zunächst spannend als Monster-Thriller liest, entpuppt sich zunehmend als Agenten- und Verschwörungsroman.

Die vorliegende Textfassung stammt nicht von Pelot selbst, sondern von Drehbuchautor Stéphane Cabel. Er und Regisseur Christophe Gans haben Pelots Roman adaptiert.

Pierre Pelot ist einer bekanntesten französischen Unterhaltungsautoren. Von ihm stammt u. a. die literarische Vorlage für den satirischen SF-Sportthriller „Rollerball“, dessen Remake 2002 ins Kino kam.

_Handlung_

In einer der ärmsten und unwirtlichsten Gegenden des französischen Zentralmassivs, im Gévaudan, trieb zwischen 1764 und 1767 eine wilde Bestie ihr Unwesen (im Film schließt das Geschehen im Jahr 1788 ab, rund 20 Jahre nach den Hauptereignissen). Schon über zwei Dutzend Kinder sind ihr zum Opfer gefallen. Sie wurden meist grausam verstümmelt.

Doch Chevalier Grégoire de Fronsac, ein bekannter Naturforscher am Hofe König Ludwigs XV. und ausgebildeter Zeichner, findet vor Ort heraus, dass die Fährten der Bestie keineswegs von einem Wolf stammen, wie alle behaupten, sondern von einem unbekannten Tier – das sogar Zähne aus Eisen besitzt!

Dennoch wird eine Treibjagd auf Wölfe veranstaltet, an der er gezwungenermaßen teilnimmt, begleitet von seinem indianischen Blutsbruder Mani, dessen Name „Wolf“ bedeutet. Mani ist einer der letzten überlebenden Mohikaner und hat Gregoire mehrmals das Leben gerettet, daher kam er mit ihm nach Europa. Doch beide müssen sich vor den Menschen des Gévaudan in Acht nehmen, vor den Adeligen ebenso wie vor den Gemeinen. Mani muss sich gegen die Anfeindungen des Pöbels verteidigen, die den „Wilden“ demütigen wollen.

Gregoire hingegen ist von den Reizen der schönen Marianne de Morangias betört, doch deren einarmiger Bruder Jean-Francois wacht eifersüchtig über ihre Tugend (und dass sie sich weiterhin um ihn selbst kümmert). Jean-Francois täuscht gegenüber Gregoire Freundlichkeit und Kooperation vor, ist aber insgeheim sein größter Feind.

Von dieser Art Liebe frustriert, lässt sich Gregoire nach der halbwegs erfolgreichen Treibjagd – die Bestie wurde nicht erlegt, dafür ein Dutzend Wölfe – im örtlichen Bordell von Mende von der schönen Italienerin Sylvia verwöhnen. Merkwürdig nur, dass die ihren Liebesdienst mit einem gefährlich aussehenden Stilett versieht …

Sobald einer der größten Wölfe der Region erlegt ist, befiehlt ein weiterer königlicher Abgesandter, dass Grégoire die „Bestie“ ausstopfe und im Triumphzug nach Versailles transportiere. Der König muss einen innenpolitischen Erfolg vorweisen, denn sein Thron wackelt. Im vorrevolutionären Frankreich des Jahres 1766/67 findet ein rotes Büchlein reißenden Absatz, das die Bestie des Gévaudan als Gottestrafe darstellt, gegen die dem König kein Erfolg beschieden sei. Solche Feindpropaganda kann Köpfe kosten …

Der Triumph verpufft leider schon wenig später, als weitere Kinder gerissen werden. Doch die Presse und die Polizei vertuschen die neuen Opfer. Wieder im wilden Gévaudan eingetroffen (wohl auch in Hoffnung auf Mariannes Eroberung), will es Gregoire diesmal aber wissen. Es kommt zu einem langen Showdown, in dem sich vieles Seltsame endlich klärt, der aber Grégoire auch größte Opfer abverlangt. Und die schöne Sylvia aus dem Bordell rettet ihm unerwartet das Leben.

_Mein Eindruck_

Bereits in der ersten Szene hatte mich dieser Roman gefesselt, den ich in zwei Tagen verschlang. In ungewöhnlich poetischer und bilderreicher Sprache schildert hier der Autor das Eingreifen Manis und Gregoires, der zwei Fremden, in einen bizarren Kampf unter Einheimischen. Von diesen trägt die eine Hälfte Frauenkleider, um ihre Identität als Soldaten zu tarnen, und die andere Hälfte, bestehend aus Landstreichern, Vater und Tochter, werden von den Soldaten verprügelt.

Klar, dass sich die beiden Fremden auf die Seite der Schwächeren schlagen, aber sind es auch die richtigen? Das fragt man sich viel später, als die ganze Wahrheit sichtbar geworden ist. Exemplarisch kann man hier schon die Frontverläufe des gesamten Buches erkennen: die zwei Fremden aus Paris und der Neuen Welt (aus dem umkämpften Kanada, das 1763 an die Engländer abgetreten wurde), also offensichtlich Republikaner, treten gegen die zerstrittenen Einheimischen an, die dem alten Regime anhängen.

Schon am Anfang wird deutlich, dass Pelot ein Auge für Action hat (oder zumindest der Skriptautor). Aber auch für Stimmungen und Beobachtungen findet er stets die richtigen Worte. Allerdings habe ich den Verdacht, dass das Skript stark gestrafft wurde, um Längen zu vermeiden und die Handlung auf Action zu trimmen. Daher kommt die Beziehung zu Marianne zu kurz.

Pelots Figuren sind faszinierend. Mani etwa scheint den Wölfen der Region ein Bruder zu sein und macht häufig nächtliche Ausflüge, vielleicht versteht er sie sogar. Das führt dazu, dass er Grégoires Verhalten beeinflusst, so dass dieser, wenn Marianne auf einen Wolf anlegt, den Schuss ablenkt. Mag Grégoire sie auch lieben, so liebt er Mani doch weitaus mehr.

In allen dargestellten Umgebungen und Gesellschaftsschichten scheint sich Pelot gleichermaßen gut auszukennen. Sei es im Schloss derer von Morangias oder de Apcher, im Bordell, in elenden Bauernkaten oder der wilden Natur der Berge. Deren jeweiligen Bewohnern lässt er in gleichem Maße respektvolle Beschreibungen zu kommen. Lediglich im Schloss, wo die Adeligen schlemmen, gestattet er Grgoire, sich angewidert von der Ignoranz der so´genannten „guten Gesellschaft“ abzuwenden.

Man fragt sich bald, wer in dieser Geschichte eigentlich „die Wölfe“ des Titels sind: die Tiere oder doch die moralisch korrupten Adligen? Es verwundert denn auch wenig, dass Grégoire von solchen „Gesellschaftsspitzen“ verhaftet wird, um sodann unauffällig im Moor entsorgt zu werden. Zum Glück hat er unerwartete Helfer.

_Unterm Strich_

Teils Monsterthriller, teils Gesellschaftsstudie und Agentenroman, beeindruckt und fesselt „Pakt der Wölfe“: Actionfans und Freunde sinnlicher Bilder kommen gleichermaßen auf ihre Kosten.

|Die Übersetzung|

In der deutschen Übersetzung stören zahlreiche Einschübe zwischen Gedankenstrichen den Lesefluss. Das macht den Eindruck, als sei es den beiden Übersetzerinnen nicht gelungen, die spezielle französische Satzkonstruktion adäquat ins Deutsche zu übertragen. Viele Sätze zwingen dazu, sie mehrmals zu lesen, und nicht nur, weil sie so lang wären.

|Originaltitel: Le pacte des loups, 2000
Aus dem Französischen übertragen von Hagedorn/Runge|

[NEWS] Ian Rankin – Ein Versprechen aus dunkler Zeit (Inspector Rebus 23)

Mitten in der Nacht erhält John Rebus einen Anruf seiner Tochter Samantha. Ihr Ehemann Keith ist verschwunden. Völlig aufgelöst bittet sie ihren Vater um Hilfe. Rebus vermutet das Schlimmste, denn aus langjähriger Polizeiarbeit weiß er: Falls Keith etwas zugestoßen sein sollte, wird der erste Verdacht auf Samantha fallen. Besorgt macht Rebus sich auf in die kleine schottische Küstenstadt Naver. Doch ein guter Polizist und ein guter Vater zu sein, gestaltet sich schwieriger als erwartet, und bald muss sich der rastlose Ermittler aus Edinburgh fragen: Könnte das der erste Fall seiner Karriere sein, bei dem die Wahrheit besser nicht ans Licht käme? (Verlagsinfo)


Taschenbuch ‏ : ‎ 512 Seiten
Goldmann

Walters, Minette – Nachbar, Der

_Eine Explosion der Gewalt im Hexenkessel_

Die First Lady des britischen Krimis begibt sich in „Der Nachbar“ an die vorderste Front der sozialen Katastrophe, die Sozialwohnungssiedlung in England heißt. Hier findet eine regelrechte Hexenjagd gegen einen mutmaßlichen Kinderschänder statt, während ein kleines Mädchen vermisst wird. Walters greift reale Ereignisse aus dem Jahr 2000 in GB auf.

Der Originaltitel „Acid Row“ trifft den Gewaltanteil in diesem Milieu genau: „acid“ heißt Säure, aber auch LSD und Methedrin (ein Heroinersatz). Acid Row nennen die Bewohner dieser Siedlung ihr eigenes Ghetto.

_Die Autorin_

Minette Walters gilt seit 1994, als ihr Roman „Im Eishaus“ veröffentlicht wurde, als die britische Königin des Krimis. Inzwischen hat sie rund ein Dutzend weiterer Romane geschrieben, die in 32 Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet wurden, darunter „Wellenbrecher“ oder „Die Schandmaske“. Mir ist Walters durch ihren halbdokumentarischen Schreibstil aufgefallen, der in dieser Form bei kaum einer anderen Krimiautorin zu finden ist.

_Handlung_

Der Name „Bassindale Estate“ klingt großspurig nach einem herrschaftlichen Anwesen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Wohnviertel in Südengland um ein heruntergekommes Sozialbaughetto, in dem viele Senioren und alleinerziehende Mütter leben. Wegen der aggressiven Jugendbanden, in denen Alkohol und harte Drogen kursieren, trauen sich kaum noch Beamte oder Ärzte in das Viertel. Dr. Sophie Morrison, ist die große Ausnahme. Sie ist eine der Hauptfiguren in diesem Drama, das sich an nur zwei Tagen abspielt.

Eines Tages quatscht eine Sozialarbeiterin, Fay Baldwin, die es Dr. Morrison heimzahlen will, gegenüber einer Bewohnerin des Viertels, Melanie Patterson, aus, dass ein entlassener Pädophiler in der Nachbarschaft einquartiert worden sei: in Haus Nr. 23 der Bassindale Row Nord. Sie ahnt nicht, dass sie damit einen regelrechten Krieg auslöst.

Denn Melanie und ihre Mutter Gaynor brauchen nur zwei und zwei zusammenzuzählen: Gerade hörten sie im Fernsehen, dass die zehnjährige Amy Rogerson vermisst werde, möglicherweise wurde sie entführt. Könnte vielleicht der Pädophile von Nr. 23 dahinterstecken? Angeführt von den beiden couragierten Frauen, beginnt etwas, das als Protestdemonstration gegen den Sexualstraftäter geplant war. Melanies neuester Freund, Jimmy James, der gerade aus dem Knast zurückkommt, warnt die beiden Frauen vor den möglichen Folgen.

Denn die Jugendbanden sehen die unverhoffte Gelegenheit, ordentlich Rabbatz zu machen. Die Benzinbomben sind bereits vorbereitet, ebenso die Autobarrikaden, die das Eindringen von Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen in das Viertel verhindern. Unter den Anführern finden sich Kinder der Pattersons, doch Wesley Barber ist ein vollgedröhnter Junkie, der sich nichts sagen lässt. Er will Blut sehen.

Rund zwei- bis dreitausend Menschen drängen sich vor dem Haus Nr. 23. Als die ersten Steine und Benzinbomben fliegen, drohen bereits die ersten Kinder zerquetscht zu werden. Horrorszenen wie in panikartig verlassenen Fußballstadien bahnen sich an. Die Polizei ist machtlos. Ihr Hubschrauber hält alles fest, kann aber nicht eingreifen.

Das eigentliche Drama spielt sich in Haus Nr. 23 selbst ab. Dort ist Dr. Sophie Morrison mit zwei Psychopathen eingeschlossen, während die Benzinbomben die Haustür in Brand setzen. Der sogenannte Pädophile Milosz stellt sich als friedfertiger Feigling heraus, der total unter der Tyrannei seines 71-jährigen Vaters Franek lebt. Franek ist ein bulliger Ex-Boxer, der die Psyche eines Sadisten hat. Sophie erlebt den wahren Horror, als Franek zweimal versucht, sie zu vergewaltigen, während dessen Sohn Milosz wegsieht.

Die Ereignisse spitzen sich zu, als es Jimmy James gelingt, in das Haus Nr. 23 einzudringen, um Sophie zu retten. Die Abwehrmauer, die seine schwangere Freundin Melanie Patterson gegen die randalierenden Jugendlichen vor dem Haus errichtet hat, wankt und Wesley Barber dringt ebenfalls ein. Ein Kriegsveteran aus der Nachbarschaft hält Jimmy für einen Einbrecher und verfolgt ihn mit einer Machete, um ihn auszuschalten. Eine Explosion der Gewalt erscheint unvermeidlich.

Währenddessen geht die Fahnung nach Amy und ihrem Entführer weiter. Die Beamten stoßen in einen Sumpf aus Pornofotografie und Kinderpornografie, zu dem offenbar auch Amys eigener Vater gehört. Der eigentliche Pädophile scheint woanders zu suchen zu sein.

_Mein Eindruck_

Auf den ersten 40 Seiten werden nur ein paar Personen vorgestellt, und es passiert rein gar nichts. Enntäuscht legte ich dieses Buch ein Vierteljahr beiseite. Was für ein Fehler! Denn sobald ihre Mutter Laura feststellt, dass Amy verschwunden ist, entzündet sich die Zündschnur am Pulverfass der Gewalt im Wohnviertel. (Denn Amy wird ja im Haus der Pädophilen vermutet.)

Wie in einem Dokudrama beschreibt die Autorin detailliert und mit sehr viel Personalaufwand, wie sich zunächst das Gewaltpotenzial anstaut und schließlich zur Explosion gelangt. Das restliche Buch – 370 Seiten – habe ich in nur zwei Tagen verschlungen: Viele Szenen, die im Gedächtnis haften bleiben.

|Tempo und Rhythmus|

Die Straffheit, das Tempo und der fein abgestimmte Rhythmus der Handlung sind beeindruckend. Auf die hochdramatischen Episoden vor Haus Nr. 23 folgen immer wieder Szenen, in denen Inspektor Tyler auf Amys Spuren Nachforschungen anstellt. Hier werden ganze Verhöre wiedergegeben und Theorien durchgekaut – etwas, was ohne die Hochspannung der anderen Teilen unerträglich wäre. So aber nimmt es etwas Spannung weg und verschafft dem Leser eine Verschnaufpause.

|Die Figuren|

Bei so viel Personal sollte man meinen, dass die Charakterzeichnung nicht sonderlich tief oder genau sein kann. Dennoch schafft es die Autorin, den wichtigsten Figuren ein Profil und eine Geschichte zu verleihen, die sie glaubwürdig macht, so dass sich dem Leser ihr Schicksal einprägt. Dadurch verlieren die Figuren ihre Klischeeträchtigkeit vollkommen. Der Vergewaltiger Franek Zelowski etwa ist selbst als ein Opfer erkennbar, sein Sohn leidet seit dem 5. Lebensjahr unter seinem Vater, und Sophie Morrison ist in einer einzigartigen Position, es mit Franek und Milosz aufzunehmen. Als Ärztin und Verlobte eines Psychologen verfügt sie über das Wissen, auf die geistige Verfassung dieser beiden schwer gestörten Männer Einfluss zu nehmen.

Doch es bedarf schon des Eingreifens von Jimmy James, dem jugendlichen Delinquenten und angehenden Drogendealer, damit Sophie aus ihrer verhängnisvollen Lage befreit wird. Durch seine Kontakte mit einem Netzwerk in der Nachbarschaft, das Sophie zuvor monatelang aufgebaut hatte, avanciert Jimmy – für manche etwas unglaubwürdig – zu einem Retter und Helfer, der letzten Endes den Ausschlag gibt, dass die Dinge keinen schlimmeren Ausgang nehmen. Im Epilog wird er sogar zum Leiter des neuen Jugendzentrums befördert: eine Traumkarriere für jeden Drogendealer, nicht wahr.

|Dokudrama|

Die Autorin kennt die Kommunikationsformen des Polizeialltags und in der Bevölkerung offenbar genau. Handys klingeln allenthalben und geben nach kurzer Zeit mit leerem Akku den Geist auf. Internet und Fax sind ihr keine Fremdwörter – zuhauf finden sich Reproduktionen von Mails, Funksprüchen und Faxen im Buch. Über das Internet wird heutzutage die meiste Pornografie verbreitet. Das konnte man vor einigen Jahren in England bei der Hexenjagd auf Pädophile, die eine Boulevardzeitung namhaft gemacht hatte, erfahren.

Diesen Fall greift Walters auf und spielt ihn bis zu den nächsten Konsequenzen durch. Die vorgeblichen Kinderschänder sind gar nicht die richtigen, sondern überall in der Gesellschaft zu finden – auch unter den Saubermännern, die sich als brave Väter ausgeben.

Aber auch herkömmliche Kommunikationsformen spielen eine Rolle: das Gerücht, der Streit, das Nachbarschafts-Netzwerk. Dass dabei Fehlinformationen entstehen und kolportiert werden, liegt in der Natur der Sache. Die Autorin zeigt hier auch die Verständigungsschwierigkeiten, die sich zwischen drei Generationen im Viertel ergeben: Die Alten haben sich zurückgezogen, die Elterngeneration kann sich kaum gegen ihre Kinder durchsetzen. Doch die Jugend lehnt natürlich die Werte der „Alten“ rundweg ab. Ganz offensichtlich fehlen hier die Väter. Väter, wie Jimmy James einer ist.

|Kinder und Sex?!|

Und so beklagt das Buch nicht nur deren Fehlen, sondern auch das Versagen eines großen Teils der Elterngeneration, mithin also besonders der Mütter. Aber auch diese werden zu Opfern gemacht. Das Beispiel der jungen Francesca Gough (ausgesprochen: gaff) macht deutlich, dass junge Frauen schon frühzeitg missbraucht und zu Opfern gemacht werden. Nicht zuletzt geraten sie in Not, weil sie, wegen der puritanischen Moral der Gesellschaft unaufgeklärt, frühzeitig schwanger werden und in Abhängigkeit geraten. Dass Kinder sich für Sex interessieren? Nein, das darf nicht sein, und daher kann es auch nicht wahr sein. Und doch dreht sich letzten Endes das ganze Buch darum. Ein heißes Eisen – auch in der deutschen Gesellschaft.

|Und wo bleibt die Polizei?|

Was einen wirklich erstaunt, ist die klägliche Rolle, die die Polizei bei der Bekämpfung der Krawalle in der Acid Row spielt: Kein Polizist dringt durch die Barrikaden, so dass Acid Row einer belagerten Burg ähnelt. Es dauert Stunden, bis eine Spezialeinheit mit schwerem Gerät herbeigeschafft ist. Einzig der Helikopter scheint so etwas wie Überblick zu verschaffen und Koordination von kleinen Aktionen zu ermöglichen. Mittendrin agieren kleine Sergeants, die kaum Erfahrung haben. Seltsamerweise haben die Ärzte vom Gesundheitsdienst in dieser explosiven Lage mehr Einfluss als der kurze Arm des Gesetzes mit seinem stumpfen Schwert.

_Unterm Strich_

Wie gesagt, ist „Der Nachbar“ – ein verwünschenswert nichts sagender Titel – ein extrem spannendes und aktuelles Dokudrama, das binnen zwei Tagen eine hochexplosive soziale Krise schildert – und nicht vor der letzten Konsequenz zurückschreckt. Ein couragierter Roman, der mitunter vielleicht doch ein wenig blauäugig ist. Aber es ja nur ein Buch.

|Originaltitel: Acid Row, 2001
Aus dem Englischen übertragen von Mechtild Sandberg-Ciletti|