Nachdem Tim J. Armstrongs Erstlingswerk „Die Bruderschaft“ in Großbritannien mit dem begehrten |Author’s Club First Novel Award| ausgezeichnet wurde, durften die Erwartungen an sein zweites Buch „Der Kelch der Könige“ hoch sein.
Dieses zweite Werk des Autors führt uns ebenfalls ins Mittelalter: Man schreibt das Jahr 1261, als Wilfridus, Kurat eines kleines Dorfes in der englischen Grafschaft Kent, im Rahmen der Untersuchungen des Dominikaner-Ordens seine Erlebnisse des Jahres 1235 niederschreibt. Zu dieser Zeit – als er selbst noch ein junger Dominikaner war – hat er als Adlatus und Schreiber seinem Mentor Thomas dabei geholfen, Beweise gegen die deutsche Adlige Cäcilia, die unter Verdacht der Ketzerei steht, zu sammeln.
So hören die beiden nahezu Tag für Tag die Lebensgeschichte einer bemerkenswerten Frau, die in ihrer Jugend mit Walter von der Ouwe (uns heute bekannt als Walther von der Vogelweide) von ritterlichen Idealen und der Minne geträumt hat, die Nonne war, eine Visionärin und auch Ehefrau und Mutter.
Doch um diese Untersuchung herum steht die Welt nicht still. In einem Templerorden geschehen mehrere Morde. Ein Prior gräbt nachts in der Kapelle einen Kelch aus, dessen Intarsien-Steine einem kabbalistischen System folgen. Ein Jude mit finanziellen Kontakten zum Königshof und einem Alchemisten-Keller wird verhaftet. Und Bruder Thomas erhält Drohungen und kurz darauf verschwinden seine Geliebte und seine Kinder. Und immer wieder wird klar, dass ein Zusammenhang besteht zwischen all diesen Ereignissen und ihren Untersuchungen der Domna Cäcila. Doch worin genau besteht dieser Zusammenhang? Und warum liegt jemandem so viel daran, dass Cäcilia als Ketzerin verbrannt wird?
Der Autor greift viele wichtige Themen jener Zeit auf: Es geht um Minnesang, Religionen und Ketzertum, Kabbala und Alchemie. Damit bezieht er nicht nur eine dieser komplexen Thematiken in seine Geschichte ein, sondern gleich mehrere. Und das wird auf den Kreis der Leser, die überwiegend nicht in allen diesen Gebieten vorgebildet sein werden, verwirrend wirken. Zwar geht Armstrong auf einige Themen – insbesondere den Glauben der Katharer – sehr gründlich ein und erklärt sie gut verständlich, andere sehr komplexe Themen, wie insbesondere die Kabbala, werden aber ohne weitere Erläuterung eingebracht und ihre Bedeutung – auch für den Sinn der Geschichte – bleibt dem Leser zu einem großen Teil ein Rätsel. Ebenso fühlt sich der Leser mit dem Ende, das – obwohl nicht offen – doch viele Fragen stehen lässt, etwas im Stich gelassen.
Auch die Teilung der Geschichte in drei verschiedene Handlungszeiträume (die Zeit, in der Wilfridus die Geschichte niederschreibt, die Zeit der Untersuchung an Domna Cäcilia und als dritte Zeitspanne die Lebensgeschichte der Domna Cäcilia) trägt dann nicht gerade zur Verständniserleichterung bei.
Der geschichtliche Hintergrund ist jedoch für einen historischen Kriminalroman, der primär ein Unterhaltungswerk sein soll, mehr als hinreichend recherchiert und überzeugend dargestellt. Der Autor gibt sich hier keine erkennbare Blöße und zeichnet im Gegenteil ein breit angelegtes Bild des Mittelalters in verschiedenen Ländern auf eine glaubhaft erscheinende Weise mit der genau richtigen Mischung aus erfundener, aber „zeitgemäßer“ Geschichte und realistisch erscheinendem zeitlichen Rahmen.
Durch den verwendeten Erzählstil des Rückblicks werden von Beginn an gewisse Andeutungen zum Verlauf der Geschichte gegeben. Das weckt an einigen Stellen die Neugierde auf den Verlauf der Geschichte, andererseits werden dadurch auch gewisse Ereignispunkte vorab ungeschickt und spannungshinderlich enthüllt.
Die deutsche Übersetzung liest sich für ein Buch, das in diesem Zeitrahmen spielt, angenehm flüssig. Autor und Übersetzer haben hier ganze Arbeit geleistet. Die Sprache klingt ungekünstelt und zurückhaltend neutral, so dass die Geschichte selbst umso mehr in den Vordergrund rücken kann. Es sind auch nur wenige lateinische und religiöse Wörter eingeflochten, deren Bedeutungen einem halbwegs interessierten Leser nicht sofort klar sind.
Zwar handelt es sich bei „Der Kelch der Könige“ um mehr als einen reinen historischen Kriminalroman, der Krimianteil überwiegt aber knapp. Mit „Der Kelch der Könige“ hat Armstrong ein gutes Buch vorgelegt, das von der ersten bis zur letzten Seite spannend ist. Die Verstrickung der Personen und Ereignisse untereinander nehmen den Leser gefangen und katalpultieren ihn zugleich in eine andere Zeit. Auch die schrittweise Lösung des Falls durch Wilfridus und Thomas ist spannend beschrieben, das Ende des Buches jedoch eine regelrechte Antiklimax mit einer Menge offener Fragen; der Aha-Effekt bleibt fast vollständig aus.
Punktabzug in der B-Note erhält das Buch für die Erzähl-Figur des Wilfridus. Auch nach 383 Seiten „seiner“ Erzählung bleibt er für den Leser eine unbekannte Größe, während andere Personen – allen voran Cäcilia, Walter von der Ouwe und Bruder Thomas zu den wahren Hauptpersonen des Buches aufsteigen. Ebenfalls als kleines Minus müssen ein Zuviel des Buches an mystischem Inhalt und ähnlichem Gedankengut sowie eine Anzahl offener Fragen nach Ende des Buches verbucht werden. Statt Templer, Judentum, Musiktheorie, Katharer, Katholiken, Kabbala, Minnesang und Alchemie der Reihe nach in teilweise unbefriedigender Weise abzuhandeln, hätte der Autor einige dieser Thematiken streichen und sich den verbleibenden etwas intensiver widmen sollen. Insgesamt ist Armstrong aber trotz der genannten Kritikpunkte ein guter, spannender und teilweise auch bewegender Mix aus historischem Roman und Mystery-Krimi gelungen.