Martin, Steve – Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen

_Bewegend: Das Magische Quadrat des Herzens_

Daniel Pecan Cambridge lebt zwar im sonnigen Santa Monica, doch sein Apartment verlässt er nur selten, und wenn, dann nur, um zum Drogeriemarkt in der Nähe zu gehen, wo er die hübsche Verkäuferin bewundert. Daniel leidet unter einer Menge Zwangsvorstellungen und Phobien, doch er hat durchaus ein Auge für weibliche Schönheit. Als eine Reihe von unvorhergesehenen Ereignissen seine penibel geordnete Welt durcheinander bringen, beginnt er wieder, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen und der Liebe eine Chance zu geben. (aus der Verlagsinfo)

_Der Autor_

Steve Martin, der im Herbst 2005 sechzig Jahre alt wird, wurde mit seine Filmen „Roxanne“, „L. A. Story“, „Der Vater der Braut“ und zuletzt „Im Dutzend billiger“ als Schauspieler bekannt. Doch nicht alle wissen, dass er auch ein sehr guter Autor ist. Ich habe sein Romandebüt „Shopgirl“, das er gerade verfilmt, gelesen und begeistert besprochen. Auch „Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen“ hat wieder alles, was ich an Martins Stil mag: den genauen, aber sympathievollen Blick für seine Figuren, die klare und ungekünstelte Sprache und einen immer wieder verblüffenden Humor.

_Handlung_

Daniel Pecan Cambridge, 33, ist enttäuscht. Es kann nur ein Fehler vorliegen: Eigentlich hätte er in der Aufnahmeprüfung zur Mensa-Vereinigung erfoglreich abschneiden müssen. In „Mensa“ sind die intelligentesten Menschen der Welt Mitglieder, und er zählt sich dazu. Dass man ihm nur einen IQ von 90 bescheinigt, muss ein Tippfehler sein. Es müsste 190 heißen.

Anderseits gibt es ein paar Dinge an ihm, die das Gegenteil vermuten lassen. Er hat kein Telefon – in einer Stadt wie Los Angeles ein Skandal. Und den Fernseher steckt er meistens aus – unglaublich. Stattdessen befasst er sich mit dem Problem, wie er die addierte Leistung der Glühbirnen in seiner Mietwohnung auf exakt 1125 Watt bringt. Es ist nahezu unmöglich, eine 30-Watt-Birne zu beschaffen, aber Daniel hat es geschafft. Schließlich ist er ein ehemaliger Codeprogrammierer und somit findig.

Dann ist da noch das Problem der Bordsteinkanten. In seinem Mietblock in Santa Monica gibt es nur eine minimale Anzahl von Bordsteinkanten, und wo er die Straße trotz allem überqueren muss, sucht er sich natürlich die abgesenkten Bordsteinkanten der Ausfahrten aus. Man muss eben findig sein. Natürlich ist dabei in Kauf zu nehmen, dass sich der Weg zum Drogeriemarkt Rite Aid etwa verfünffacht, aber was ist das schon gegen ein bisschen Seelenfrieden?

Bei Rite Aid kauft Daniel diverse Medikamente wie etwa Betablocker, die die Angstrezeptoren blockieren, natürlich auch Valium. Viagra braucht er nicht, denn er lebt allein und will auch niemanden sehen. Vielmehr kommen die Leute zu ihm. Philippa, seine Nachbarin, schüttet ab und zu ihr Herz aus, denn sie hat ihren Freund Brian satt. Und regelmäßig am Freitag um 14:00 Uhr kommt Clarissa zu Besuch. Die unscheinbare Psychologiestudentin ist eine Kombination aus Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin. Natürlich erfährt sie nie die volle Wahrheit über Daniel – er ist ein Weltmeister im Erfinden von guten Lügen.

Auch um an die attraktive Immobilienmaklerin Elizabeth heranzukommen, lässt sich Daniel eine Menge Tricks einfallen. Alles in allem hat er also genügend Kontakte beisammen, um ein so genanntes Magisches Quadrat (MQ) damit zu füllen. Es sieht aus wie ein Gitter für Tic Tac Toe. Normalerweise sind MQs so aufgebaut, dass die Zahlen in den Spalten und Reihen jeweils die gleiche Summe ergeben, beispielsweise 256 oder 2056. Das MQ, das er mit seinen Kontakten füllt, hat leider einen Schönheitsfehler: Das mittlere Kästchen hat keinen Wert, mit dem Daniel es füllen kann. Dumme Sache. Doch im Verlauf der Erzählung ändert sich der Inhalt des Quadrats immer wieder – und schließlich sieht sich Daniel sogar in der Lage, das mittlere Feld zu füllen …

Denn die Dinge kommen ins Rollen, als Clarissa ihn bittet, ihren einjährigen Sohn Teddy als Babysitter zu hüten. Dann bleiben Teddy und Clarissa über Nacht, solange ihr schrecklich aggressiver Gatte in ihrem Haus weilt, und sie bleibt nur so lange, bis er wieder verreist. Noch etwas Wichtiges passiert: Daniel gewinnt in einem Preisausschreiben mit einem Aufsatz über den „durchschnittlichsten Amerikaner“ – ausgerechnet er. Was noch schöner ist: Er hat zeitgleich auch unter einem Pseudonym teilgenommen. Und dieser „Lenny Burns“ hat ebenfalls einen vorderen Platz belegt, obwohl er genau das Gegenteil von Daniels Aufsatz aussagte. Als Daniel gewinnt, soll er vor 500 Leuten eine Rede eine Rede halten – ein schier unmögliche Aufgabe.

Die Dinge werden kompliziert und nähern sich offensichtlich einer Krise. Doch jede Krise ist auch eine Chance. Vielleicht kriegt Daniel sogar die Sache mit den Bordsteinkanten geregelt.

_Mein Eindruck_

Steve Martin zu lesen, ist stets sowohl ein großes Vergnügen als auch ein bewegendes Erlebnis. Das klingt zwar abgedroschen und ein bisschen nach Hollywood-Seligkeit, aber ich habe dieses Erlebnis bereits mit seinem Roman „Shopgirl“ gehabt – und fand es nun bei „Sehr erfreut …“ bestätigt.

|Besondere Umstände|

Woran mag das nur liegen? Ein Grund ist sicher der, dass der Autor seine Figuren absolut ernst nimmt und mehr noch: Er bringt ihnen Sympathie entgegen. Daniel ist der Ich-Erzähler, und aus seiner Sicht der Dinge muss seine private Welt so geordnet sein, dass sie seinen Angstpsychosen entspricht. Stichwort „Bordsteinkanten“. Sie sind in den USA meist 20 Zentimeter hoch, also bedeutet ihre Überquerung eine gewisse Überwindung: ein kleiner Sprung für unerschrockene Erwachsene, doch ein Abgrund für gepeinigte Menschen wie Daniel. Er findet Um- und Auswege. Und wenn er Glück hat, auch einen Führer, der ihn – auch seelisch – „an der Hand nimmt“ und ihm gewisse Hindernisse wie etwa Bordsteinkanten überwinden hilft.

|Ins Unbekannte|

Daniels Problem besteht also eigentlich darin, dass er gar nicht weiß, dass es a) diese Führer gibt und b) wie sie aussehen und c) wie er sie nutzen kann, um d) bekannte oder bis dato unbekannte Hindernisse zu überwinden. Es ist ein langer und verschlungener (Selbst-)Erkenntnisweg, bis Daniel dies alles herausgefunden hat. Wir gehen diesen Weg, der voller Überraschungen ist, mit ihm, stets gefasst auf das Unerwartete. Wir wissen nicht, wie Daniel auf Hilfe oder Not reagieren wird, ob er lügen oder sich zurückziehen wird. Wir können nur hoffen, dass es ihm mit jedem Schritt seines Weges ins Unbekannte ein klein wenig besser gelingen wird, mit seinen inneren Hemmnissen zurechtzukommen. Woher diese rühren, wird nur sehr kurz erklärt, in einem Brief seines Vaters an seine Mutter.

|Die Lacher|

Für Außenstehende, die keine Ahnung von Daniels „Zustand“ haben oder absolut kein Verständnis dafür haben, dass er etwas Besonderes ist, mag sein Verhalten komisch aussehen. Sie mögen sich vor Lachen auf dem Boden kringeln. Sie haben wahrscheinlich auch in „Roxanne“ über Steve Martins überlange Nase gelacht und würden auch über Cyrano de Bergeracs überlangen Riechkolben lachen, selbst in Anbetracht der Tatsache, dass Cyrano einige der schönsten Liebesbriefe aller Zeiten schrieb (für seinen Freund, der die gleiche Frau liebte). Für solche Menschen sind Steve Martins Romane nicht geschrieben worden.

|Daniels Frauen|

Schon nach wenigen Seiten hat der Leser gemerkt, dass Daniels Leben sich von anderen in Santa Monica unterscheidet. Er erfährt aber mit keiner Zeile, dass Daniel im Grunde ein zutiefst unglücklicher und einsamer Mensch ist. Diese Botschaft steht zwischen den Zeilen. Sie ergibt sich aus Daniels Erzählungen über die Frauen. Da ist die erfolgreiche, sich abrackernde Maklerin, da ist die etwas unglückliche Philippa aus der Nachbarwohnung, da ist Clarissa – upps: Sie hat ein Söhnchen! – und da ist schließlich Zandra an der Kasse von Rite Aid.

|Das Magische Quadrat|

Aber Daniel ist bekanntlich gehemmt und lässt sich tausend wunderbare Tricks einfallen, um jeder dieser Damen seine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Auch diese Versuche könnten komisch erscheinen, wenn sie nicht so traurig wären. Schon bald kann er Elizabeth aus dem Magischen Quadrat (seines Herzens) streichen. Dafür tauchen neue Faktoren auf. Doch wer schließlich das innerste Feld füllen wird, soll hier nicht verraten werden.

_Unterm Strich_

Es gibt viele Beziehungsromane, die es trotz einer Kürze von gut 200 Seiten nicht schaffen, die Aufmerksamkeit zu fesseln. „Sehr erfreut …“ ist das genaue Gegenteil. Zunächst gilt es, den „Helden“ zu ergründen, denn natürlich geht er nicht her, seinen „Zustand“ in medizinischen Floskeln zu beschreiben. Von diesem Zentrum ausgehend, erkunden wir mit ihm seine unmittelbare Umgebung. In quasi dialektischen Sprüngen sind wir dann in der Lage, die Veränderungen, die Daniel erlebt, zu nutzen und mit ihm Los Angeles zu verlassen – zurück in die texanische Heimat! Doch wenn er danach auf die Stadt und die eigene Lage dort von außen blickt, verschiebt sich sein Standpunkt, die Wertung wird eine andere, und so kommt es, dass Daniels Leben offen für Veränderung wird. Ist das nicht wunderbar?

Am schönsten ist die einfache Sprache. Sie ist jederzeit zu verstehen, und doch gelingt es dem Autor damit, verblüffend komplizierte Sachverhalte auszudrücken, für die man sonst einen Dichter heranziehen müsste, der die Sache mit einer Metapher auf den Punkt bringt. Der Autor braucht keine Metaphern. Sein Daniel ist zwar superintelligent (wie ein Mathegenie), aber auch einfach gestrickt – zu einfach für sprachliche Metaphern. Wer den Film „Rain Man“ gesehen hat, wird genau wissen, was ich meine.

Nach der Lektüre sieht man Menschen wie Daniel (oder den „Rain Man“) mit anderen Augen. Sie haben ihren Platz, und man muss ihnen helfen, egal wie. Es gibt immer einen Weg. Man muss nur die Bordsteinkanten überwinden.

|Originaltitel: The Pleasure of my Company, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Detlev Ullrich|