_Mensch oder Wolf – Was macht den Unterschied?_
Was sich zunächst spannend als Monster-Thriller liest, entpuppt sich zunehmend als Agenten- und Verschwörungsroman.
Die vorliegende Textfassung stammt nicht von Pelot selbst, sondern von Drehbuchautor Stéphane Cabel. Er und Regisseur Christophe Gans haben Pelots Roman adaptiert.
Pierre Pelot ist einer bekanntesten französischen Unterhaltungsautoren. Von ihm stammt u. a. die literarische Vorlage für den satirischen SF-Sportthriller „Rollerball“, dessen Remake 2002 ins Kino kam.
_Handlung_
In einer der ärmsten und unwirtlichsten Gegenden des französischen Zentralmassivs, im Gévaudan, trieb zwischen 1764 und 1767 eine wilde Bestie ihr Unwesen (im Film schließt das Geschehen im Jahr 1788 ab, rund 20 Jahre nach den Hauptereignissen). Schon über zwei Dutzend Kinder sind ihr zum Opfer gefallen. Sie wurden meist grausam verstümmelt.
Doch Chevalier Grégoire de Fronsac, ein bekannter Naturforscher am Hofe König Ludwigs XV. und ausgebildeter Zeichner, findet vor Ort heraus, dass die Fährten der Bestie keineswegs von einem Wolf stammen, wie alle behaupten, sondern von einem unbekannten Tier – das sogar Zähne aus Eisen besitzt!
Dennoch wird eine Treibjagd auf Wölfe veranstaltet, an der er gezwungenermaßen teilnimmt, begleitet von seinem indianischen Blutsbruder Mani, dessen Name „Wolf“ bedeutet. Mani ist einer der letzten überlebenden Mohikaner und hat Gregoire mehrmals das Leben gerettet, daher kam er mit ihm nach Europa. Doch beide müssen sich vor den Menschen des Gévaudan in Acht nehmen, vor den Adeligen ebenso wie vor den Gemeinen. Mani muss sich gegen die Anfeindungen des Pöbels verteidigen, die den „Wilden“ demütigen wollen.
Gregoire hingegen ist von den Reizen der schönen Marianne de Morangias betört, doch deren einarmiger Bruder Jean-Francois wacht eifersüchtig über ihre Tugend (und dass sie sich weiterhin um ihn selbst kümmert). Jean-Francois täuscht gegenüber Gregoire Freundlichkeit und Kooperation vor, ist aber insgeheim sein größter Feind.
Von dieser Art Liebe frustriert, lässt sich Gregoire nach der halbwegs erfolgreichen Treibjagd – die Bestie wurde nicht erlegt, dafür ein Dutzend Wölfe – im örtlichen Bordell von Mende von der schönen Italienerin Sylvia verwöhnen. Merkwürdig nur, dass die ihren Liebesdienst mit einem gefährlich aussehenden Stilett versieht …
Sobald einer der größten Wölfe der Region erlegt ist, befiehlt ein weiterer königlicher Abgesandter, dass Grégoire die „Bestie“ ausstopfe und im Triumphzug nach Versailles transportiere. Der König muss einen innenpolitischen Erfolg vorweisen, denn sein Thron wackelt. Im vorrevolutionären Frankreich des Jahres 1766/67 findet ein rotes Büchlein reißenden Absatz, das die Bestie des Gévaudan als Gottestrafe darstellt, gegen die dem König kein Erfolg beschieden sei. Solche Feindpropaganda kann Köpfe kosten …
Der Triumph verpufft leider schon wenig später, als weitere Kinder gerissen werden. Doch die Presse und die Polizei vertuschen die neuen Opfer. Wieder im wilden Gévaudan eingetroffen (wohl auch in Hoffnung auf Mariannes Eroberung), will es Gregoire diesmal aber wissen. Es kommt zu einem langen Showdown, in dem sich vieles Seltsame endlich klärt, der aber Grégoire auch größte Opfer abverlangt. Und die schöne Sylvia aus dem Bordell rettet ihm unerwartet das Leben.
_Mein Eindruck_
Bereits in der ersten Szene hatte mich dieser Roman gefesselt, den ich in zwei Tagen verschlang. In ungewöhnlich poetischer und bilderreicher Sprache schildert hier der Autor das Eingreifen Manis und Gregoires, der zwei Fremden, in einen bizarren Kampf unter Einheimischen. Von diesen trägt die eine Hälfte Frauenkleider, um ihre Identität als Soldaten zu tarnen, und die andere Hälfte, bestehend aus Landstreichern, Vater und Tochter, werden von den Soldaten verprügelt.
Klar, dass sich die beiden Fremden auf die Seite der Schwächeren schlagen, aber sind es auch die richtigen? Das fragt man sich viel später, als die ganze Wahrheit sichtbar geworden ist. Exemplarisch kann man hier schon die Frontverläufe des gesamten Buches erkennen: die zwei Fremden aus Paris und der Neuen Welt (aus dem umkämpften Kanada, das 1763 an die Engländer abgetreten wurde), also offensichtlich Republikaner, treten gegen die zerstrittenen Einheimischen an, die dem alten Regime anhängen.
Schon am Anfang wird deutlich, dass Pelot ein Auge für Action hat (oder zumindest der Skriptautor). Aber auch für Stimmungen und Beobachtungen findet er stets die richtigen Worte. Allerdings habe ich den Verdacht, dass das Skript stark gestrafft wurde, um Längen zu vermeiden und die Handlung auf Action zu trimmen. Daher kommt die Beziehung zu Marianne zu kurz.
Pelots Figuren sind faszinierend. Mani etwa scheint den Wölfen der Region ein Bruder zu sein und macht häufig nächtliche Ausflüge, vielleicht versteht er sie sogar. Das führt dazu, dass er Grégoires Verhalten beeinflusst, so dass dieser, wenn Marianne auf einen Wolf anlegt, den Schuss ablenkt. Mag Grégoire sie auch lieben, so liebt er Mani doch weitaus mehr.
In allen dargestellten Umgebungen und Gesellschaftsschichten scheint sich Pelot gleichermaßen gut auszukennen. Sei es im Schloss derer von Morangias oder de Apcher, im Bordell, in elenden Bauernkaten oder der wilden Natur der Berge. Deren jeweiligen Bewohnern lässt er in gleichem Maße respektvolle Beschreibungen zu kommen. Lediglich im Schloss, wo die Adeligen schlemmen, gestattet er Grgoire, sich angewidert von der Ignoranz der so´genannten „guten Gesellschaft“ abzuwenden.
Man fragt sich bald, wer in dieser Geschichte eigentlich „die Wölfe“ des Titels sind: die Tiere oder doch die moralisch korrupten Adligen? Es verwundert denn auch wenig, dass Grégoire von solchen „Gesellschaftsspitzen“ verhaftet wird, um sodann unauffällig im Moor entsorgt zu werden. Zum Glück hat er unerwartete Helfer.
_Unterm Strich_
Teils Monsterthriller, teils Gesellschaftsstudie und Agentenroman, beeindruckt und fesselt „Pakt der Wölfe“: Actionfans und Freunde sinnlicher Bilder kommen gleichermaßen auf ihre Kosten.
|Die Übersetzung|
In der deutschen Übersetzung stören zahlreiche Einschübe zwischen Gedankenstrichen den Lesefluss. Das macht den Eindruck, als sei es den beiden Übersetzerinnen nicht gelungen, die spezielle französische Satzkonstruktion adäquat ins Deutsche zu übertragen. Viele Sätze zwingen dazu, sie mehrmals zu lesen, und nicht nur, weil sie so lang wären.
|Originaltitel: Le pacte des loups, 2000
Aus dem Französischen übertragen von Hagedorn/Runge|