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Armin Rössler / Heidrun Jänchen (Hrsg.) – Die Audienz. SF-Geschichten aus Deutschland

Deutsche SF: Viel allzu Bekanntes, mit bedeutenden Ausnahmen

Die SF-Anthologien des Wurdack-Verlags feiern mit dieser Ausgabe Jubiläum: Dies ist die zehnte. Und wie so häufig sind auch etliche der Erzählungen für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert worden – nicht weniger als fünf von sechzehn …

Die Erzählungen

1) Frank Haubold: Die Audienz
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Armin Rößler, Heidrun Jänchen (Hrsg.) – LAZARUS

Bei »LAZARUS« handelt es sich um eine Sammlung von fünf längeren Geschichten bereits aus den Sammlungen von »Deus ex machina« bis »Tabula rasa« bekannter Autoren. Armin Rößler und Heidrun Jänchen selbst, die Herausgeber der Science-Fiction-Reihe des Wurdack-Verlags, sind natürlich mit dabei. Außerdem Andrea Tillmanns und Bernhard Schneider, beide Gewinner der Storyolympiade und Verfasser vieler Geschichten, sowie Petra Vennekohl.

»Novellen« nennen die Herausgeber die Geschichten in Ermangelung eines adäquaten Ausdrucks und begeben sich damit auf Neuland, denn wer erinnert sich noch an deutsche Science-Fiction-Novellen? Allerdings stellen sie in ihrem Vorwort klar, dass sie nicht den Anspruch haben, Novellen in literaturwissenschaftlich exakter Form zu liefern, sondern diese Bezeichnung auf Grund der wichtigsten Attribute der Novelle gewählt haben: Geschichten, zu lang für eine Kurzgeschichte und zu kurz für einen Roman, die gut unterhalten wollen. Und ich nehme es vorweg: Sie tun es!

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Heidrun Jänchen – Nach Norden!

Elfen, Zwerge, Trolle … Gestalten, die in standardisierter Form die vielzähligen Welten der Fantasy bevölkern. Heidrun Jänchen zeigt in einer erfrischenden Auffassung von den Möglichkeiten der Fantasy das Potenzial des Genres jenseits der abgegriffenen Völker, Kriege, Schauplätze und Charaktere af. »Nach Norden!« erzählt auf spannende und unterhaltsame Art, mit mehr als nur einem zwinkernden Auge an der einen und anderen Stelle, die Geschichte von zwei Außenseitern auf der gemeinsamen Suche nach einem Zuhause oder einer Identität. In einer Welt voll Mythen, Göttern und Helden, die sich am Ende in ihrem Wesen von der unseren kaum unterscheidet, sind es ganz besondere Charaktere – mit Schrullen und Kanten und gerade dadurch lebendig. Es macht Spaß, sie auf ihrem Weg nach Norden zu begleiten, ihre Ängste zu begreifen und unter Spannung ihre Hoffnungen zu verfolgen.

Frett ist der eigentliche Protagonist des Romans. Er ist der Charakter aus dem Romandebüt »Der eiserne Thron« des Autorentrios Jänchen, Savoy, Tillmanns, dessen sich Heidrun Jänchen schon damals vordringlich annahm. Damals stand er auf der falschen Seite im Kampf um die Macht, er musste seine Wahlheimat im Süden des Landes verlassen und fliehen. Sein Weg führt ihn im vorliegenden Roman anfangs nach Süden, bis er auf die ebenso geheimnisvolle Elra trifft. Ihr Geheimnis ist für Frett keins: Er assistierte bei ihrer Geburt und erkannte sie als Gestaltwandlerin. Elra war ebenfalls in die Wirren um den »Eisernen Thron« involviert, doch für sie begann damit ein neues Leben. Sie ist auf der Suche nach ihrem verfolgten Volk, das man gemeinhin im Norden vermutet. Frett fühlt in ihr die gleichen Probleme, die ihn unruhig von einem Ort zum nächsten treiben. Sie ist heimatlos wie er, eine Außenseiterin, die ihr wahres Wesen vor der Welt verstecken muss. Es ist die Angst der Menschen, die sie zu einer Waffe im Kampf um den eisernen Thron machte: ihre Fähigkeit der Gestaltwandlung, in der die Menschen eine Bedrohung sehen. Frett führt sie auf ihrem Weg nach Norden, und in ihre Reise mischt sich auch die Gegenseite ein: ein Mann, der ebenfalls auf der Suche nach den Wandlern ist, aber seine Triebkraft ist der Hass. Er will die Wandler umbringen.

»Nach Norden!« ist ein eigenständiger Roman, der nur über wenige Berührungspunkte mit dem oben erwähnten »Eisernen Thron« in Verbindung steht. Die fehlenden Informationen verschafft Jänchen ihren Lesern über luftige Rückgriffe, ohne sich dabei von den damaligen Geschehnissen fesseln zu lassen. Dadurch entsteht die erfreuliche Feststellung, dass die Lektüre des »Throns« keine Voraussetzung für das Verständnis dieser Geschichte ist.

Heidrun Jänchen benutzt eine ungezwungene Sprache und erzählt die Geschichte in einem Fluss, dem der Leser für die Bedürfnisse seines realen Lebens künstliche Sperren in den Weg setzen muss. Es ist nicht nochmals in Worte zu fassen, aber es ist der Stil der Autorin, der ihre Erzählung zu einem wunderbaren Erlebnis macht.

»Frett stellte fest, daß er in seiner Hast die Jacke des Mannes geprügelt hatte. Vermutlich war sie bewußtlos […]«
(»Nach Norden!«, Seite 91, Zeile 8f)

Derlei überraschende Wendungen sorgen für den letzten Pfiff im Text. Jänchen setzt sie dosiert ein und erzielt damit die beste Wirkung. Es gibt keine zwanghaften Witzeleien, man kann nach der Lektüre nicht sicher sagen, ob man überhaupt alle humorvollen Stellen bewusst erlebt hat – ungeachtet der Frage, ob eine solche Trennung möglich ist. Es ist Kunst, der Roman ist ein kunstvolles Geflecht, das erst in seiner Gesamtheit die ganze Wirkung entfaltet, aber nicht um seiner selbst Willen, sondern immer nur als Träger der Geschichte. Man vergisst sofort, dass es sich erst um den zweiten Roman der deutschen Autorin handelt, noch dazu aus einem Kleinverlag. Es ist das Werk einer echten Schriftstellerin, selbst wenn sie nebenbei noch einen anderen Beruf ausübt.

Gegen die anderen Veröffentlichungen des Verlags fällt auf, dass der Roman in der alten Rechtschreibung vorliegt. Auch eine Möglichkeit, mit den Konflikten dieses Themas umzugehen: Die Formen der Rechtschreibung als Stilmittel …

Ein Wort zum Titelbild von Ernst Wurdack: Es ist eine Tatsache, dass bei Buchbesprechungen die Titelbilder und ihre Künstler in der Regel zu kurz kommen. Das hat möglicherweise seinen Grund, denn Rezensenten behandeln die Literatur, nicht den Einband. Manche mögen sogar sagen, dass sie nichts von Bildkunst verstehen und die Kritik an Bildern lieber einem anderen Fachkreis überlassen. Nun ja. Aber das Titelbild von »Nach Norden!« ruft das Gefühl hervor, schon lange kein wirkliches Titelbild mehr gesehen zu haben, eines, das zu seinem Roman passt, das den Roman abrundet. Das nicht reißerisch im Regal stehen will und HIER ruft, indem es sich durch möglichst große Abgefahrenheit von den Mitbewerbern absetzt. Es setzt sich ab, keine Frage, aber es fängt das vom Roman vermittelte Gefühl ein und ist damit ein gleichwertiger Bestandteil des Gesamtbildes.

»Nach Norden!« ist einer der beachtenswertesten Romane des Jahres und ein Aushängeschild für Autorin und Verlag.

broschiert, 220 Seiten
ISBN-13: 978-3938065099

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Armin Rößler (Hrsg.) – Golem & Goethe

»Golem & Goethe« ist die vierte Science-Fiction-Anthologie aus dem Wurdack-Verlag. Hier soll neuen Talenten die Möglichkeit gegeben werden, neben erfahrenen Autoren veröffentlicht zu werden. Angesichts der Schwierigkeiten auf dem Buchmarkt und in der Science Fiction, speziell im Sektor der Kurzgeschichten, ist allein die Regelmäßigkeit und steigende Qualität der Reihe bewundernswert und zu würdigen. Denn die Vorlieben deutscher Leser liegen ganz klar bei allem anderen als bei Kurzgeschichten. Schade, ist doch gerade dieses Forum eine wichtige Spielwiese für neue Autoren, um ihre Fertigkeiten zu testen.

In »Golem & Goethe« melden sich 21 Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Wort. Hören wir, was sie zu sagen haben:

Golem & Goethe – Stefan Wogawa
Die Titelstory lebt von ihren unwahrscheinlichen Zufällen, aus denen sich neue Wendungen ergeben. Allein schon die Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Frachterkommandanten und seinem Schiffsrechner ist ungewöhnlich und lädt zum Schmunzeln ein. Auf diesem guten Einstieg findet die Erzählung eine sichere Basis. Unterhaltsame Zerstreuung für zwischendurch.

Ball des Anstoßes – Axel Wichert
Phantastische Konflikte zwischen Menschen und Nicht-Menschen, Wichert bezeichnet sie als »Virtuelle« (möglicherweise Roboter, Androiden, …) – ein Meister dieses Themas war zweifellos Isaac Asimov. Schon lange kommt es immer wieder zu Verdrängungen von Arbeitskräften durch Werkzeuge. Was geschieht mit den Menschen in so einem Fall? Wichert gewährt uns einen Blick in die Zukunft hinsichtlich dieses Details: »Virtuelle hielten sich an Vorschriften, aber die besten Hacker blieben die Menschen.« Hervorragend gezeichnete Entwicklung.

Interferenz – Bernhard Schneider
Was mit der harmlosen Zerstreutheit eines Quantenphysikers zu beginnen scheint, entwickelt sich schnell zu unglaublichen Interferenzerscheinungen, die sich die Protagonisten über Paralleluniversumstheorien zu erklären versuchen. Entgegen Einsteins »Gott würfelt nicht!« reichen wissenschaftliche Erklärungen nicht aus. Möglicherweise hat Gott doch seine Finger im Spiel, wenn es um die letzten Geheimnisse des Universums geht. Die Frage bleibt nur, wie durch Interferenzen die Erkenntnis verhindert werden kann.

Berechtigte Fragen – Arnold H. Bucher
Tatsächlich ist völlig unwichtig, was ein Kesslok ist. Und warum man ihn weder beschäftigen noch unterbringen darf. Wichtig sind allein die Berechtigungsnachweise, die uns unsere deutsche Zukunft im Bürokratenland aufzeigen. Absolut vorstellbar, gar so weit weg sind wir davon nicht mehr. Vor einigen Tagen ging die »Berliner Hundehölle« durch die Medien. Ein deutliches Beispiel für die Aktualität der Problematik, selbst wenn die mediale Aufschauklung des Höllenthemas offensichtlichen BILD-Charakter hatte.

Echos – Heidrun Jänchen
SETI ist ein Begriff. Damit im Zusammenhang ergibt der Titel allein schon einen Sinn und bewirkt die Einbildung des Storyverlaufs. Immerhin erweist sich die Assoziation teilweise als Trugschluss und die fragmentarische Erzählweise bewirkt gleichzeitig eine Spannung, so dass es doch noch den Aha-Effekt am Ende gibt. Wie schon bei Jänchens Beitrag zum Vorgänger »Überschuss« ist das Stückwerk der Geschichte etwas schwierig lesbar, summiert sich aber endlich zu einem sinnvollen Gesamtbild.

Trichterbecher wachsen – J. Th. Thanner
Nachbarskonflikte sind die eine Sache, der sich Thanner widmet. Tragisch sind ihre Auswirkungen. Interessant ist die Darstellung der anderen Sache, der Konflikte zwischen Spezies, die sich zumindest einseitig nicht als intelligent erkennen.

Die heilige Mutter des Lichts – Frank W. Haubold
Haubold entwirft eine erschreckende Zukunftsvision, die nur allzu logisch die Fehler der menschlichen Entwicklung ausmerzen will. Nach einer großen Katastrophe kommt es zu einem Neuanfang. Welche menschliche Unart führte zu allem Elend? Krieg. Darum organisiert die PACEM das Leben der Überlebenden. Aber wäre diese Vision mehr als eine Utopie? Ist wirklich der Schrecken aller Kriege nur auf Männer zurück zu führen? Man erinnert sich vielleicht nur des Nibelungenlieds, in dem Krimhild aus Rachegelüsten ein grausiges Gemetzel verursacht. Haubolds Vision liest sich drastisch und zeigt mit unwahrscheinlich kalter Logik einen möglichen Weg.

Die Abteilung für kosmische Täuschungen – Uwe Hermann
Belustigende Unterhaltung für zwischendurch, eine auf die absolute Spitze getriebene Verschwörung.

Kontrolle – Petra Vennekohl
Das alte Lied in neuem Gewand: Privilegierte Gruppen versuchen immer und überall, ihre Privilegien zu verteidigen – um jeden Preis. Was sich als Lösung anbahnt, ist im Vorfeld spürbar, aber durch die Erkenntnis der Protagonisten erhält die Geschichte eine dramatische Note.

Der Schwamm – Axel Bicker
Diese Geschichte kann richtig berühren in ihrer Ausdrucksstärke: Aus Todesangst geborener Forscherdrang führt zu brutalen Methoden und ethischer Unverantwortlichkeit, im Endeffekt doch aus Selbstsucht. Bicker lässt uns an dieser Entwicklung aus der Sicht des Opfers teilhaben. Es scheint wie eine lebendige Abstraktion von Tragödien, die sich in Verbindung von Wissenschaft und Habsucht unter Menschen abspielen.

Weiße Elefanten – Marlies Eifert
Was nicht sein darf, ist nicht. Und nach gegenteiliger Erkenntnis die historische Ausrichtung auf einen völlig nebensächlichen Aspekt. Tragisch.

Roda – Edgar Güttge
Äußerst unterhaltsam, mit viel Witz und Kreativität geschrieben! Güttge wird den Erwartungen voll gerecht. Sein Hang zur Übertreibung macht aus seinen Geschichten wundervolle Komödien, die sich doch an gesellschaftlichen Eigenarten orientieren.

Zwischenstopp auf Prox – Armin Möhle
Gut erzählte Geschichte über Beziehungen – leider kommt ihre Pointe nicht klar zum Ausdruck.

Tod einer Puppe – Nina Horvath
Die Handlungsumgebung ist etwas unvollständig, das tut der Geschichte aber keinen Abbruch: Hier entsteht eine aufwühlende Stimmung. In ihrer Kürze ist die Geschichte perfekt.

Redpointer – Alexander Kaiser
Eine umfangreiche Geschichte, deren Knackpunkt sich in der Darstellung gegen Ende befindet. Die Handlung der Erzählung dient eher der Verschleierung als der Auflösung, es werden aber gleichzeitig gute Einblicke in die Aufgaben der Protagonisten gewährt. Im Endeffekt ordnet sich also die Verschleierung der Erkenntnis unter, so dass eine sehr spannende Geschichte entsteht, deren Umfeld großräumig ausbaufähig ist. Hervorragende Ideen stapeln sich hier.

Hinaus in die freie Natur – Olaf Trint
Nachdem sich die Menschheit vor einer vergifteten Umwelt zurückziehen musste, gelingt Wissenschaftlern die Erneuerung außerhalb der von Menschen bewohnten Bereiche. Dem normalen Menschen ist ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände inzwischen unvorstellbar geworden. Ist er so anpassungsfähig, wie immer behauptet wird? Würde er sich nicht eher von einer völlig fremden Umgebung überfordert sehen? Trint zeigt ironisch und mit guter Erzähltechnik, was eine Flucht vor der Natur nach sich ziehen könnte. Dabei geht er noch radikaler vor als sein großer Vorgänger Isaac Asimov in seinen »Baley«-Romanen.

E T A 7 – Christian Savoy
Die Bedeutung von E T A 7, »Estimated Time of Arrival: sieben Jahre«, geht ziemlich unter in der kompakten Erzählung. Davon abgesehen, entwickelt Savoy die Menschheit unter dem Druck einer potenziellen, unaufhaltsamen Bedrohung und wirft dabei Streiflichter auf Persönlichkeiten der Entwicklung und auf wegweisende Geschehnisse. Sehr fesselnd geschrieben und mit einem der Menschheit entsprechenden dramatischen Ende.

Reproduktion – Melanie Metzenthin
Knackige Geschichte über das Thema der Akzeptanz künstlicher Menschen als echte Individuen.

Cinema Mentale – Thomas Kohlschmidt
Dramatischer Verlauf eines Versuchs, mit einer andersartigen, blutrünstigen außerirdischen Intelligenz Kontakt aufzunehmen. Die thematische Ähnlichkeit zu Bickers »Schwamm« ist erstaunlich und nicht zu übersehen. Fehlgeschlagene Erstkontakte beschäftigen uns anscheinend stark – ein Zeichen unserer unvollkommenen Bereitschaft oder unserer Angst? Eindrucksvoll geschrieben.

Die nach uns kommen – Birgit Erwin
Ein Endzeitszenario aus der Sicht eines Kindes. Das Mädchen versteht nicht die Beweggründe seines älteren Bruders, der die Welt noch vor dem Krieg kannte. Aber durch ihre Augen erhaschen wir einen Hauch der neuen Welt und der brutalen Ausweglosigkeit. Bedrückend.

Der Gravo-Dom – Armin Rößler
Geradlinige Story, deren Entwurf höchst interessant ist. Lowes Gedanke »Ich habe Zeit« widerspricht allerdings seiner Infektion durch die Auftraggeber. Was genau ist mit ihm passiert, als er seinem Ziel so nahe war? Der Umschwung ist schwer verständlich. Unterhaltsam ist die Story aber allemal.

Fazit

Was in dieser Anthologie an Ideenvielfalt und technischen Fertigkeiten zusammenkommt, ist beachtenswert. Dieses Mal gibt es keinen einsamen Favoriten, alle Geschichten sind auf einem sehr hohen Niveau angesiedelt. Fünf Erzählungen heben sich nochmals ein wenig ab. Sie berühren den Leser richtig und stehen für den jeweiligen Charakter ihrer Art: Schneiders »Interferenz« für die Wissenschaft, Bickers »Schwamm« für den Erstkontakt, Güttges »Roda« für überbordenen Humor, Horvaths »Tod einer Puppe« für erschreckende Versuche, Savoys »E T A 7« schließlich für das Kosmische.

Nicht zu vernachlässigen ist das Vorwort zu diesem Band! Selten war ein Vorwort so lesenswert wie dieses; damit hat Rößler scharf vorgelegt, was schwer zu toppen sein wird.

Insgesamt bietet die Sammlung spannende, tief gehende, lustige, düstere und ergreifende Unterhaltung, der sich niemand entziehen sollte. Zwar bleibt das Gefühl von vorwiegend pessimistischen Visionen geprägt, wird aber von humor- und wundervollen Erzählungen gut aufgelockert. Mehr davon!

broschiert, 196 Seiten
ISBN-13: 978-3938065136

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Armin Rößler (Hrsg.) – Überschuss

»Es bewegt sich etwas in der deutschsprachigen Science-Fiction-Landschaft…«
– Armin Rößler 2005 im Vorwort zu „Überschuss“

Aus der ersten SF-Anthologie des Wurdack-Verlags „Deus Ex Machina“ wurden gleich mehrere Geschichten sowohl für den Kurd-Laßwitz-Preis als auch den Deutschen Science-Fiction-Preis nominiert. Neben ganz neuen Autoren, die durch das ambitionierte Projekt des Wurdack-Verlags die Möglichkeit erhalten, ihre ersten Geschichten zu veröffentlichen, melden sich auch in der Szene bekannte Autoren wie Markus K. Korb, Thorsten Küper oder zuletzt in „Walfred Goreng“ sogar Profis wie Ernst Vlcek und Helmut W. Mommers zu Wort. „Überschuss“ ist eine Sammlung von 19 Geschichten deutscher und österreichischer Autoren, die laut Klappentext auch „neue Fragen auf konventionelle Antworten“ wagen.

Überschuss – Thorben Kneesch (Physiker)
Die Titelstory bietet gleich ein erschreckend denkbares Modell der menschlichen Zukunft, vor allem mit der derzeitigen Arbeitslosenpolitik der Bundesregierung im Blick. Kneesch lässt die weitere Entwicklung streiflichtartig vorüberziehen und steuert eine klassisch tragische und ausweglose Situation an, um mit einem Hammer zu enden. Sehr gelungen!

Der Irrtum – Lutz Herrmann (Dozent für Physik und Chemie)
Die Handlung ist absolut nachvollziehbar, kein abgedrehter Text, ganz normal geschrieben – und trotzdem hab ich die Geschichte erst jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen, wirklich verstanden. Direkt nach dem Lesen bleibt das Gefühl des Nichtverstehens, aber die Ansätze werden vermittelt. Erst wenn man darüber nachdenkt, warum die Story ihren Titel trägt, kommt die Erkenntnis. Tragisch. Das Schicksal von Menschen, durch Irrtümer drastisch veränderbar.

Barrieren – Armin Rößler_ (Journalist)
Die Angst vor dem Fremden – immer wieder Grundlage von Missverständnissen und Kriegen. Oder ein oft thematisierter Gegenstand in der Science-Fiction, wenn Menschen mit überragenden Fähigkeiten ausgenutzt, aber auch gefürchtet werden. Luz ist einer von ihnen, aber er hat seine eigene Überzeugung und sucht einen Weg, seinen Leuten gegen alle Gefahren zu helfen. Fesselnd geschrieben!

Nur ein Gedanke – Birgit Erwin (Referendarin für Anglistik und Germanistik)
Ob schon mal jemand auf den Gedanken gekommen wäre, eine Fritte ins All zu schicken? Nein, warum auch. – Zu diesem Zeitpunkt ist man gewarnt, ahnt aber noch nicht das Ausmaß der Geschichte. Erwin fackelt ein ironisches Feuerwerk ab, bei dem eine Blödheit der anderen folgt und eine Verkettung merkwürdiger Zufälle schließlich zum Höhepunkt führt. Ob schon mal jemand auf die Idee gekommen wäre, eine Sternschnuppe zu bauen?

Der Spaziergang – Markus K. Korb (Herausgeber)
Wie schön Protagonist Wilson sich ausmalen kann, wie der Tod kommen würde. Und wie zynisch sich der Tod anschleicht. Wunderbar geschrieben.

Der Untergang der Titan – Bernhard Weißbecker (Physiker, Agarwissenschaftler)
Die irrigen Wege der Medien und die ungebrochene Sensationsgier der Menschen. Entscheidung zwischen einer Freudenfeier und einem Stierkampf. Wieder eine Geschichte für den Zynismus.

Nicht ganz Atlantis – Andrea Tillmanns (Physikerin)
Obwohl recht schnell einigermaßen klar ist, worum es geht, ist die Geschichte so gut erzählt, dass sie den Leser bis zum Schluss fesselt. Eine Art von Kulturschock bricht herein, eine Katastrophe führt zu einem unwürdigen Leben. Es ist eine etwas längere Geschichte, aber wert, erzählt worden zu sein.

Strafvollzug – Peter Hohmann (Sport-Anglistik-Student)
Sehr unterhaltsam und flüssig zu lesen. Leider steht die Pointe als offene Drohung im Hintergrund. Hohmann schafft es aber, eine tragische Geschichte zu erzählen.

Wider Willen – Axel Bicker (Physiker)
Wieder einmal herrscht der Feudalismus auf neu erschlossenen Planeten. Und der Sohn lehnt sich nicht auf. Aber Bicker erzählt eine alte Thematik in neuem Gewand. Sehr spannend.

Das Festtagsprogramm – Thorsten Küper (Lehrer)
Eine durch und durch hinreißende Geschichte, die vom ersten bis zum letzten Wort spannend ist. Mit jedem Satz verdichtet sich das Bild, ein Thriller, dessen Ende eine Horrorzukunft beschwört. Meisterhafte Unterhaltung.

Die Spirale – Nina Horvath (Biologie-Studentin)
Philosophische Gedankenspielerei, die aber zum Mitdenken animiert und (da es sich um existenzielle Spekulationen handelt) mehrere unergründliche Lösungen bietet, um schließlich zu einer erschreckenden Konklusion zu kommen.

Der Besucher – Uwe Herrmann (tätig in der Kunststoffbranche)
Der Außerirdische selbst ist nicht weiter ungewöhnlich. Aber sein Ursprungsplanet umso mehr. Er ist nämlich so weit von allen Galaxien entfernt, dass selbst die Naturgesetze ihn nicht erreicht haben, weil sich der Aufwand nicht lohnt. Wir erhalten eine neue Erkenntnis um die Intelligenzverteilung auf der Erde und erfahren erleichtert, dass das Säbelrasseln der Amerikaner nicht jeden einschüchtert. Zum Schmunzeln.

Albas bestes Spiel – V. Groß (studierte Erziehungswissenschaften, Sozialpsychologie, Sprachwissenschaften)
Ein Spiel entscheidet. Spannend geschrieben, enthüllt Groß nach und nach die Ursache eines Streits, und als man endlich hoffen kann, führen die Spielsucht und die Entschlossenheit der potenziellen Retter zum tragischen Ende. Die beiden letzten Absätze sind überflüssig, verdeutlichen nur die ohnehin deutliche Pointe. Trotzdem toll.

Flasken – Edgar Güttge (Übersetzer)
Ich hätte ja die letzten drei Absätze weggelassen. Insgesamt eine flotte Geschichte, die vor satirischen Elementen nur so strotzt. Der Nihilist Friedhelm Nichtsche zum Beispiel. Güttge hat wohl alles, was ihm an Humor gekommen ist, hier verbraten, zwischen Flasken, Flaschen und Flachsen. Manchmal vielleicht etwas viel, insgesamt aber flüssig und sehr unterhaltend.

Das Buch – Ilka Sehnert (Sängerin, Schauspielerin)
Sehr fragmentarisch, aber auch eindringlich. Warnend vor dem Vergessen und der Kontrolle. Eine Vision nach Orwell und Bradbury, mit einem Lichtblick.

Der Bewohner – Bernhard Schneider (Physiker)
Eine Geschichte, die auf den gleichen Grundlagen ruht wie „The 13th Floor“ und „The Matrix“. Trotzdem ist sie äußerst originell, denn die philosophischen Fragen, die bei den genannten Geschichten entschlüsselt werden, finden hier keine Lösung. Diese Geschichte ist der Knaller dieser Sammlung!

Alles wandelt sich – Antje Ippensen
Inmitten der Geschichten mit düsteren Visionen hebt sich diese hier wunderbar ab. Sie löst ein hoffnungsvolles Gefühl aus, sieht allerdings die Rettung der Erde nicht durch die alleinige Kraft der Menschen kommen, sondern durch aufopferungsvolle Hilfe von außen. Als eine Warnung vor den naturzerstörerischen Machenschaften der Menschen sieht sie die Zukunft trotzdem nicht verloren.

Allmacht – Uwe Sauerbrei (Geophysiker)
Schön schnelle Geschichte, aber das Wichtigste bleibt ungeklärt: Woher kommt die Allmacht? Wohl ein Fehler in irgendwelchen kosmischen Systemen, wird ja auch temporal bereinigt. Immerhin giert der Allmächtige nur nach Wissen, nicht nach Überlegenheit. Unterhaltsam.

Fallstudie: Terroristin Jenny S. – Heidrun Jänchen (Physikerin)
Fehlinformation der Medien (oder durch die Medien) und ständig gelockerte ethische Vorstellungen machen schnell aus einer Frau eine Terroristin, die sich in einer genmanipulierten Welt eine natürliche Schwangerschaft wünscht. Schlaglichtartig leuchtet Jänchen die Verhältnisse in dieser Welt aus und skizziert eine dramatische Entwicklung. In der Welt gibt es menschliche Ersatzteillager; sogenannte „defekte“ Menschen haben keine Rechte und keine Zukunft mehr. Es ist eine brandaktuelle Diskussion um ethische Grundsätze und Gentechnik. Schnell und eindringlich zu lesen, ein würdiger Abschluss der Anthologie.

Fazit

„Überschuss“ ist eine wunderschön zusammengestellte Sammlung von hervorragenden Geschichten, die sich zum Teil eindringlich mit aktuellen schwierigen Themen befassen oder humoristisch unterhalten – oder beides.
Eine Geschichte für Zwischendurch oder mehrere Geschichten am Stück: Nie wird die Lektüre langweilig, jede Story wartet mit einer eigenen Idee und eigenem Stil auf. Für jeden Science-Fiction-Freund zu empfehlen; man wird seine Freude haben – und auch für jeden anderen an unserer Welt Interessierten bietet die Anthologie spannende Unterhaltung. Ein starkes Stück!

broschiert, 196 Seiten
ISBN-13: 978-3938065112

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Heidrun Jänchen, Christian Savoy, Andrea Tillmanns – Der eiserne Thron

Ernst Wurdack, der Begründer und Inhaber des Wurdack-Verlags, initialisierte vor einigen Jahren einen Wettbewerb für Amateurautoren der Phantastik, den er auch immer noch durchführt. Unter http://www.storyolympiade.de findet man im Internet die Ausschreibungen der mittlerweile zweijährig stattfindenden Olympiade, die von ihren Teilnehmern stets ein breites Thema in origineller Weise bearbeiten lässt. Und den Gewinnern winken ansehnliche Preise: Jeder Autor, dessen Geschichte in der Wettbewerbsanthologie veröffentlicht wird, erhält ein Belegexemplar des Buches; die drei Erstplatzierten erhalten die Möglichkeit, einen Roman zu schreiben. Ursprünglich sollten diese Romane im Fantasy-Universum des Rollenspiels „Demonwright“ angesiedelt sein, und aus dieser Zeit resultiert der Roman „Der eiserne Thron“.

Herzog Rogvald, dessen Onkel König der Südermark und damit Inhaber des Eisernen Throns ist, fühlt sich abgeschoben auf der in entlegenen Sümpfen trotzenden Burg Kalderstein. Im letzten Scharmützel gegen die Goblins ist er als Held hervorgegangen und kann seinen jetzigen Status nicht verstehen.

Bei einem Besuch der Stadt Isenborg, Sitz der königlichen Feste, tötet er den südermarkschen Prinzen im Streit um eine Frau – nur seinem Freund Frett ist es zu verdanken, dass Rogvald nicht gefasst wird. Nun kommt ein Stein ins Rollen: Rogvald wird auf der Totenfeier von dem neuen Thronerben beleidigt und sinnt auf dessen Tod, um selbst auf den Thron zu gelangen. Mit Fretts Hilfe lockt er den jungen Prinzen bei widrigem Winterwetter in ein Moor, wo er vor einem soldatischen Zeugen versinkt. Rogvald kann nichts nachgewiesen werden, aber die Schwester der Prinzen ist misstrauisch.

Bald schon verunglückt der König tödlich auf der Jagd, und Rogvald sieht sich seinem Ziel nahe. In einem letzten Aufbäumen spinnt die Prinzessin Walrike eine Intrige, der Rogvald zum Opfer fallen soll. Doch sie fliegt auf, und damit stellt sich das Volk hinter Rogvald. Walrike flüchtet. Als Rogvald sich auf den Thron setzt, blickt ihm sein eigenes Gesicht entgegen, das spöttisch sagt: „Du hast es geschafft.“

Im zweiten Teil erfährt die zwergische Heilerin Thania von dem Unheil, das über die Stadt Isenborg hereingebrochen ist, und von dem dunklen Geheimnis, das den König Rogvald umgibt. Auf der Suche nach Prinzessin Walrike findet sie in einem Kobold einen treuen Freund, der ihr vor ihren Häschern hilft und sie aus der Südermark herausführt.

Ein Soldat der südermarkschen Garde greift selbst nach dem Thron, denn mit seiner vorgeblichen Tochter, die er unterdrückt und benutzt, hat er einen nicht zu unterschätzenden Trumpf in der Hand: Sie ist eine Wandlerin. In Gestalt einer Goblinführerin führt sie das dunkle Volk nach Isenborg, doch sucht sie nach einem Weg, sich gegen ihren Vater aufzulehnen. Der Kampf um den Thron ist noch nicht zu Ende …

Der Roman ist dreigeteilt: Im ersten Teil schildert Heidrun Jänchen mit hintergründigem Humor und Raffinesse den Weg Rogvalds nach Isenborg. Sie vermeidet so gut es geht blutige Schlachten und Tote, allerdings kommt sie um die tragenden Morde an der Königsfamilie nicht herum. Das Problem löst sie elegant, so dass man wie in einem guten Film nie die grausige Tat an sich „sehen“ kann. Andrea Tillmanns lässt ihre Heilerin alles tun, damit niemand zu Schaden kommt. Nur um den Tod der Zwergin abzuwenden, muss ein – zugegeben mordlustiger – Soldat sein Leben lassen. Christian Savoy ist da kaltblütiger. „Seine“ Orks, Goblins und Menschen zeigen sich von ihrer rauhesten Seite. Wo es Konflikte gibt, hält Yakh, der Gott des Todes, reiche Ernte.

In ihrer sprachlichen Gewandtheit nehmen sich die drei Autoren nichts und müssen sich auch hinter „Profis“ nicht verstecken. Stilistisch einwandfrei entführen sie den Leser in das karg anmutende Land der Südermark und bieten ihm ein unterhaltsames Schauspiel höfischer Ränke und grausamer Hinterlist. Nur der offenherzigen Zwergin sind das Töten und Kämpfen und das Heldentum zuwider, sie nimmt uns lieber mit auf eine Wanderung in das wundersame Reich der Kobolde, die in ihren Bäumen weit entfernt von Hirnlosigkeit und Primitivität sind, sondern mit ausgeklügelten Systemen überraschen.

Andrea Tillmanns und Christian Savoy bringen solide Arbeit ohne große Überraschungen, aber spannend und unterhaltsam geschrieben. Der Weg der Zwergin Thania ist vorgezeichnet, kann nur im Erfolg münden, der allerdings der Zwergin nicht völlig zusagt: Sie bekämpft nur das größere Übel. Savoys Protagonist Belrador ist schnell zu erkennen als tragische Figur, der ihre eigene Hinterlist zum Verhängnis zu werden droht. Trotzdem findet man Zugang zu ihm und weiß nicht so recht, ob man ihm den Sieg nicht doch gönnen könnte, denn auch Walrike macht keinen sympathischen Eindruck. Allerdings fällt hier im letzten Teil ein kleiner Schwachpunkt auf: Savoy wechselt sehr oft und unvermittelt, oft auch mitten im Absatz, die Perspektive, springt von einer Person zur nächsten und offenbart ihre Gedanken.

Heidrun Jänchen ist es gelungen, ihr Kapitel mit einer Überraschung abzuschließen. Schließlich haben wir ihren Held Rogvald und dessen Freund Frett über neunzig Seiten gebannt begleitet, nicht unbedingt wohlwollend, aber seiner Tragik des Genötigten doch bewusst, und seine Handlungen führten stets auf irgendeine Weise zum Erfolg, so dass die Begegnung mit seinem Doppelgänger äußerst unerwartet kam. Immerhin wissen wir jetzt, wie Yakh aussieht.

„Der eiserne Thron“ ist ein spannendes, hintergründiges, unterhaltsames Buch, das man in Nullkommanichts durchliest. Seine Platzierung beim Deutschen Phantastik Preis – 3. Platz in der Kategorie Roman-Debüt-National – spiegelt das hohe Niveau der jungen Autoren wider, die hier ihr Romandebüt gaben. Für 2006 hat der Wurdack-Verlag einen Folgeroman von Jänchen angekündigt, in dem es auch für einige der Protagonisten aus dem „Thron“ heißt: Nach Norden!

ISSN 1612-0566 Band 1
Erhältlich über den Wurdackverlag!

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)