Tanja Kinkel – Verführung

In ihrem neuen Roman “Verführung” verknüpft Tanja Kinkel zwei faszinierende Persönlichkeiten, die das Handwerk der Verführung jede auf ihre Weise perfektionieren. Bereits als Angiola Calori im Alter von sechs Jahren zum ersten Mal ein Theater betritt, ist sie fasziniert von der Stimme einer Opernsängerin, die für sie wie die Stimme eines Engels klingt. Wie es der Zufall will trifft sie an diesem Tag auch auf einen der Söhne der Sängerin, welcher später zum wohl bekanntesten Verführer der Weltgeschichte werden und Angiolas Leben eine neue Richtung geben wird.

Doch zunächst verliebt sie sich in jungen Jahren in den berühmten Kastratensänger Appianino (1712-1742). Dieser erkennt die Qualität ihrer Stimme und ist ihr dabei behilflich, vor einer von ihrer Mutter arrangierten Heirat mit deren Liebhaber zu fliehen und als Kastrat Bellino eine neue Identität anzunehmen, um eine fundierte Gesangsausbildung zu erhalten, denn die Komponisten im Rokkoko schrieben in der Regel nicht für Sängerinnen, sondern für kastrierte Sänger wie den berühmten Farinelli (1705-1782). Tanja Kinkel gelingt es in diesem Roman unaufdringlich viel interessantes Hintergrundwissen über Musik, das Schicksal von Kastraten, dem Umgang mit Kindern und das sich im Wandel befindende Europa einfließen zu lassen. Demnach hatte die Kirche aus Anstandsgründen Frauen auf der Bühne verboten und die meisten Länder hielten sich an dieses Verbot. Um Frauenrollen trotzdem besetzen zu können, wurden Jungen mit einer vielversprechenden Stimme noch vor ihrem Stimmbruch kastriert, um diese Stimme zu erhalten. Nicht jeder schaffte es über den Durchschnitt hinaus und wurde ein berühmter Sänger, doch Kastraten, die es wie Farinelli oder der ebenfalls im Roman auftretende Caffarrelli (1710-1783) auf die großen Bühnen schafften, wurden wie die heutigen Popstars verehrt.

Angiolas waghalsiges Unterfangen, in einer hocherotischen Welt, in der das Geschlecht durch Arbeitgeber und fanatische weibliche und männliche Fans immer wieder auf die Probe gestellt wird, als Mann aufzutreten, ist dank ihrer außerordentlichen Wandlungsfähigkeit, ihrer Ambition und dem harten sowohl stimmlichen als auch schauspielerischen Training von Erfolg gekrönt. Doch dann trifft Bellino erneut auf Giacomo Casanova, der sie zwar nicht als das kleine Mädchen erkennt, als das er sie dereinst bei einem Auftritt seiner Mutter beschützt hat, sich jedoch sicher ist, dass es sich bei Bellino um eine Frau handeln muss. Da er alles daran setzt, seine Auffassung bestätigt zu wissen, muss Bellino sich erneut entscheiden, wie und vor allem als wer sie ihr Leben in Zukunft führen will.

Kinkel hat wie man an der Bibliografie im Anhang sehen und in ihrem Nachwort lesen kann, gut recherchiert und mischt historische Fakten aus dem Leben vom Angiola Calori und Giacomo Casanova mit Fabuliertem. In jedem Moment sind die Überlegungen und die Handlungen der Figuren nachvollziehbar dargestellt. Man fiebert mit Angiola mit und freut sich über ihre Erfolge. Man leidet mit ihr, wenn ihr Übles widerfährt und immer wieder möchte man seinen Hut vor dieser starken, jungen Frau ziehen, die manchmal zweifelt, aber doch unbeirrbar ihren schwierigen Weg geht – eine der sympathischsten Frauenfiguren, die Tanja Kinkel in ihrem umfangreichen Romanwerk bisher geschaffen hat. Natürlich kommt ein Roman, in dem Casanova eine tragende Rolle spielt und der „Verführung“ heißt, nicht ohne Erotik aus, doch ist sie ebenso gewöhnlicher Bestandteil des Romans wie sie Normalität im Alltag der Protagonisten aller Altersstufen ist. Daher sollte man sich auch von der sexuellen Offenheit verführen lassen und sich nicht wundern, wenn man das Buch vor seinem Ende kaum aus der Hand legen kann.

Taschenbuch: 480 Seiten
ISBN: 978-3426512876

www.droemer-knaur.de
www.tanja-kinkel.de

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