Joseph Wambaugh – Hollywood Station

Das geschieht:

Alltag im Los Angeles Police Department. Auf den Straßen regiert das Chaos, das nur noch verwaltet aber nicht mehr bekämpft werden kann: Seit das LAPD aufgrund einer Serie dokumentierter Polizeibrutalitäten unter staatliche Aufsicht gestellt wurde und die Medien auf weitere Verstöße förmlich lauern, sind den Beamten nicht nur die Schlagstöcke, sondern auch die Hände weitgehend gebunden. Generell herrscht aufgrund permanenter Unterbesetzung und Überlastung Frustration. Der ständige Druck fordert seine Opfer. Dienstmoral und Arbeitsleistung leiden erheblich. Viele Beamte haben quasi innerlich gekündigt. Auf den Straßen wissen die Kriminellen von den Beschränkungen und nutzen die Gelegenheit weidlich aus.

Die drogensüchtigen Kleinkriminellen Farley und Olive Ramsdale haben dem Nachwuchs-Gangster Cosmo Betrossian Informationen über ein anstehendes Diamantengeschäft verkauft. Cosmo überfiel den Händler und will die Beute dem Bandenboss Dmitri verkaufen, was gleichzeitig sein Einstieg ins organisierte Verbrechen von Los Angeles werden soll. Kein Wunder, dass er heftig reagiert, als Farley und Olive ihn plötzlich mit ihrem Wissen erpressen. Zu allem Überfluss geht kurz darauf der Überfall auf einen Geldtransporter zwar erfolgreich aber blutig aus. Panisch versteckt Cosmo die Beute ausgerechnet im Haus von Farley und Olive, deren Ermordung er gleichzeitig plant. Doch die Drogen haben das Paar so paranoid werden lassen, dass sie sich nicht in die Falle locken lassen.

Immer verzweifelter werden Cosmos Versuche, sich der Erpresser zu entledigen, die Beute wieder an sich zu bringen und den zunehmend misstrauischer werdenden Dmitri zu vertrösten. Um das Chaos perfekt zu machen, bekommt endlich auch die Polizei Wind von den Vorgängen. In einer ganz besonderen Nacht werden sich die Spuren aller Beteiligten kreuzen, und nicht alle werden dies überleben …

Undank ist des Polizisten Lohn

Lange Jahre hatte er sich rar gemacht: Joseph Wambaugh, tausendfach nachgeahmter Meister des modernen Polizei-Romans. Er hatte in den 1970er Jahren mit den Klischees des Genres aufgeräumt. Uniformierte Gutmenschen, die ohne Fehl und Tadel ihrem Beruf = ihrer Berufung nachgingen, zeigten plötzlich nicht nur Schwächen, sondern seelische Abgründe. Wambaughs Kunstgriff bestand darin, den Pol nicht einfach springen zu lassen, d. h. „Blaue Ritter“ in Schurken zu verwandeln. Er legte stattdessen die Wurzeln von Missständen offen, die Beamte resignieren und in den milden Irrwitz abgleiten ließen.

Von ‚unten‘ kritisiert, von ‚oben‘ gedeckelt und von den Medien überwacht, blieb Wambaughs Polizisten zum Überleben gar keine andere Möglichkeit als sich in einer privaten Cop-Welt mit eigenen Regeln, eigenen Stammesritualen, eigenen ‚Kriegernamen‘ und sogar einer eigenen Sprache einzuigeln.

Daran hat sich im 21. Jahrhundert aus Sicht des Verfassers nichts geändert, weshalb er keine Veranlassung sieht, von bewährten Mustern abzuweichen. Wambaugh ist Partei, und daraus macht er keinen Hehl. Der Fortschritt kommt aus seiner Sicht vor allem den Falschen zu Gute. Die Verbrecher ignorieren das Gesetz, drehen ihm dank Hightech eine lange Nase und bewaffnen sich mit allem, was ihre schwarzen Herzen begehren; der globalisierte Markt gibt es her. Der Polizei arbeitet dagegen buchstäblich mit einem auf den Rücken gebundenen Arm. Als wahren Feind betrachtet Wambaugh die Gängelung durch Institutionen, die von der Arbeit an der ‚Front‘ keine Ahnung haben.

Eine Lanze für die Polizei

Konkret gemeint und immer wieder angesprochen ist der „consent decree“, jene staatliche Vereinbarung, durch die das LAPD seit 2001 der direkten Aufsicht des US-Justizministeriums und der Stadt Los Angeles – repräsentiert durch die „Consent Decree Task Force“ – untersteht. Anlass war eine Welle von Polizeibrutalität, Korruption und Drogensucht, die innerhalb des Departments bis in die höchsten Ränge schwappte.

Aus gegebenem Anlass beschlossen, ist der „consent decree“ Wambaugh ein Dorn im Auge. Er hält die einst festgestellten Missstände für Einzelfälle und längst überwunden. Der „consent decree“ blieb indes in Kraft. Er wurde sogar verlängert und erst 2009 außer Kraft gesetzt. Für Wambaugh ist das Pendel zur falschen Seite ausgeschlagen, und „Hollywood Station“ die Darstellung der daraus resultierenden Situation. Die Polizei ist für den Verfasser das Opfer politischer Ränken und der „consent decree“ für die Stadtverwaltung das ideale Instrument, einen Konkurrenten mit eigener Hausmacht in Schach zu halten.

Literarisch bleibt Wambaugh bei seiner erprobten Zersplitterung des Plots. Er erzählt keine chronologisch durchkomponierte Geschichte, sondern reiht Episoden aneinander. Damit wirft er eindrucksvolle Schlaglichter auf ein Geschehen, das auf diese Weise auch das Chaos widerspiegelt, in das sich der Alltag in Los Angeles verwandelt hat. Die Episoden sind kunstvoll miteinander verflochten, sodass sich allmählich bestimmte Erzählstränge herauskristallisieren. Diese Technik erinnert an Filme wie „Pulp Fiction“, in denen die Einheit der Story ebenfalls aufgebrochen wird. Joseph Wambaugh bedient sich ihrer freilich schon länger als Quentin Tarantino und beherrscht sie meisterhaft.

Zynismus ist verletzter Idealismus

Berühmt wurde Wambaugh für den beißenden Witz, mit dem er seine Romane bis zum Bersten auflädt. Er hört sehr genau zu, wenn Polizisten sich unterhalten, und da er selbst Polizist war und seine Werke deutlich machen, auf welcher Seite er steht, erzählen sie ihm mehr als einem Außenseiter. Cop-Humor ist drastisch und schwarz; er hilft bei der Bewältigung des brutalen Arbeitsalltags. Was den betrifft, kennt Wambaugh keine Rücksicht, wenn er ihn in blutigen, schmutzigen Details beschreibt.

Gewalt und Sittenverfall jenseits der Grenze zum Grotesken, Leichen in Zuständen, vor denen sogar die „CSI“-Spezialisten flüchten würden, und vor allem die zermürbende Last der ewigen Wiederkehr des Verbrechens prägen die Polizisten, für die Wambaugh – so muss man es wohl sehen – Privilegien fordert. Wir verstehen, warum er so denkt, aber wir werden auch manipuliert: Wambaughs Strolche sind nie unschuldig, sie ‚verdienen‘ den Schlagstock, und wenn dieses Argument nicht greift, dann versucht es der Verfasser mit der Bitte um Verständnis für Beamte, denen im Eifer des Gefechts die Nerven durchgehen. Ein Außenstehender wird, kann und darf dieses „Auge um Auge“ nie verstehen oder gar akzeptieren. Wambaugh mag dennoch nicht von dem Versuch ablassen.

Schockieren kann er damit im 21. Jahrhundert nicht mehr. Zu viele neue Autoren sind seinen Spuren gefolgt. Sie gehen sehr viel weiter als er, und sie erzielen auch mehr Wirkung. Wambaugh hat in den Jahren seiner Abwesenheit den Anschluss verloren. Während „Die Chorknaben“ in den 1970er Jahren einen Vitaminstoß für das Genre brachte, ist „Hollywood Station“ Routine.

Keine Scheu vor heiklen Themen

Dem LAPD wurde nicht erst in den späten 1990er Jahren außer Brutalität auch Rassismus und Chauvinismus vorgeworfen. Wambaugh drückt sich nicht um das heikle Thema. Er geht von der Tatsache einer deutlich höheren Kriminalitätsrate unter den hispanischen Einwohnern von Los Angeles aus. Der deutsche Leser, der mit den örtlichen Tatsachen nicht vertraut ist, muss entscheiden, ob er Wambaugh dies glaubt oder eine Verdrehung der Tatsachen annimmt.

Für Wambaugh steht fest, was er, die Realität sicherlich vereinfachend, wie folgt darstellt: Statt Geld in soziale Schulungs- und Versorgungsprogramme zu investieren, begnügt sich ein auf Wiederwahl hoffendes und publicitysüchtiges politisches Establishment mit dem Erlass härterer Strafen. Deren Umsetzung obliegt am Ende einer langen Befehlskette erneut den Polizisten auf den Straßen. Diese sind keine Sozialarbeiter, sondern Ordnungshüter. Wie befohlen greifen sie härter durch, wobei ihre ‚Kunden‘ vor allem aus den genannten Bevölkerungsschichten stammen. Das wird von den Medien und von den Politikern verdammt und dem LAPD angelastet.

Damit schließt sich nach Wambaugh der Teufelskreis. Für die einmal mehr unter direktem Beschuss – und das nicht selten buchstäblich – stehenden Beamten ist die Erfahrung des Alltags die Hauptursache für rassistische Übergriffe. Das klingt einleuchtend, aber darf man es deshalb dulden? Als eine Polizistin des Departments von einem schwarzen Zuhälter schwer verletzt und dieser daraufhin von ihren Kollegen übel zusammengeschlagen wird, lässt Wambaugh eine sehr plakative Szene folgen, in der ein ebenfalls schwarzer Beamten erklärt, er hätte auf jeden Fall mitgeprügelt: Nicht Rassismus, sondern Stress ist die Ursache für polizeiliche Exzesse, so Wambaughs These.

Ausschalten, keine Fragen stellen

Auch der Verfasser ist kein Sozialarbeiter. Mit seinen Schilderungen diverser Gangstertypen unterstreicht er das anschaulich. Der Verbrecher ist ein Phänomen der Gegenwart, als solches tritt er der Polizei gegenüber. Wie er auf die schiefe Bahn gekommen ist, bleibt nebensächlich. Kaum einer der von Wambaugh beschriebenen Kriminellen verschwendet einen Gedanken an ein Leben im Rahmen der Gesetze. Ob es diesen Weg überhaupt gibt, ist keine Frage, die Wambaugh stellt. Die Gegenwart zählt: Jetzt ist der Verbrecher gefährlich, weil bewaffnet und durch Drogen enthemmt. Du musst ihn verhaften, dabei möglichst unverletzt bleiben und ihn wegsperren – so läuft das Denken eines Polizisten nach Wambaugh ab. Ein zusätzlicher Schlag oder Schuss gilt dabei als Vorsichtsmaßnahme. Das ist eine reaktionäre Betrachtungsweise, die indes viele Anhänger finden dürfte.

Viel Mühe gibt sich der Autor mit dem Versuch, das zwiespältige Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Beamten zu erläutern. Polizistinnen sind heute theoretisch gleichberechtigt. Von ihren Kollegen werden die Beamtinnen nicht mehr offen gemobbt und mit Sexismen traktiert, sondern geschätzt und geschützt – als Gruppe des Stamms, die besondere Aufmerksamkeit verdient. ‚Gute‘ Polizistinnen revanchieren sich, indem sie dies zu schätzen wissen, über nicht allzu grobe Anzüglichkeiten großzügig hinweggehen oder die in ihnen enthaltene Wertschätzung entschlüsseln: Der Chauvinismus ist subtiler geworden. Glaubt Wambaugh, das Problem sei damit vom Tisch?

Ecken & Kanten sind auch unterhaltsam

Wambaughs politisch weniger unkorrekte als undiplomatische Schwarz-Weiß-Sicht ist ungewöhnlich in einem Genre, das heute von Mainstream-Thrillern dominiert wird. Innovation scheint allein im Hinblick auf die Erfindung abwegiger Mordmethoden gefragt zu sein. Ecken und Kanten werden sorgfältig abgeschliffen. Wambaugh polarisiert und provoziert in diesem Punkt erfreulicherweise noch. Manchmal gibt man ihm Recht, oft widerspricht man ihm entschieden.

Joseph Wambaugh ist kein Leitstern des Cop-Thrillers mehr. Das wird ihm von der Kritik manchmal mit einer Vehemenz vorgeworfen, die der Reaktion eines enttäuschten Liebhabers gleicht. Dies wirkt überzogen, denn „Hollywood Station“ ist trotz seiner Schwächen ein Buch, das sich in dem Meer bedruckten Altpapiers, welches heute unter dem Label Krimi verkauft wird, immer noch behaupten kann.

„Hollywood Station“ ist ein Buch, das von seinem deutschen Verlag stiefmütterlich behandelt wurde. Es wurde durch ein Bildstock-Cover anonymisiert und verschwand in einem Meer ebenso gesichtslos präsentierter Taschenbuch-Krimis. Die Verwunderung wird durch die Freude aufgewogen, dass „Hollywood Station“ überhaupt in Deutschland erscheint. Sogar der zweite Teil der (bis 2012 auf fünf Bände erweiterten) „Hollywood-Station“-Serie erschien noch.

Autor

Joseph Aloysius Wambaugh jr. wurde am 22. Januar 1937 in East Pittsburgh (US-Staat Pennsylvania) in eine Polizeifamilie geboren. Er leistete seinen Wehrdienst bei den US Marines ab und begann ein Studium, wechselten jedoch 1960 zur Polizei. Im Los Angeles Police Department arbeitete er sich vom einfachen Streifenbeamten zum Detective Sergeant hoch.

Ende der 1960er Jahre begann Wambaugh zu schreiben, wobei ihm eigene Erfahrungen den Stoff lieferten. Sein Romanerstling „The New Centurions“ (dt. „Nachtstreife“) erschien 1970 und beschreibt die Erlebnisse eines jungen Beamten, der die Härten seines Jobs kennenlernt. 1972 wurde dieser Roman verfilmt. Mit „The Onion Field“ (dt. „Tod im Zwiebelfeld“) erschien 1973 Wambaughs erste „True-Crime“-Story, die von der Kritik als literarische Großtat in der Tradition von Truman Capote („Kaltblütig“) gefeiert wurde.

In Wambaughs nächsten Romanen klang die Kritik an polizeiinternen Missständen deutlicher und lauter. Er wurde beurlaubt und schied 1975 aus dem Polizeidienst aus. In Hollywood arbeitete er federführend an der Serie „Police Story“ mit, die als eine der besten ‚realistischen‘ Cop-Serien in die TV-Geschichte einging. Seinen endgültigen Durchbruch schaffte Wambaugh ebenfalls 1975 mit „The Choirboys“ (dt. „Die Chorknaben“), der wüsten, aber sehr genau beobachteten und mit beißendem Humor gespickten Geschichte einer aus dem Ruder laufenden Polizeieinheit. Auch dieser Roman wurde (1980) verfilmt.

Wambaugh wurde 2004 mit einem „Grand Master Award“ der „Mystery Writers of America“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Schon 1988 erhielt er für „The Secrets of Harry Bright“ (dt. „Der Rolls-Royce-Tote“) den Deutschen Krimipreis für den besten internationalen Roman des Jahres. Dieser Roman gilt als sein letztes Meisterstück, bevor die Qualität seiner Bücher in den 1990er Jahren rapide abnahm und Wambaugh sich für fast ein Jahrzehnt als Schriftsteller zurückzog.

Joseph Wambaugh lebt und arbeitet heute in Rancho Santa Fé, Kalifornien. Über sein Werk informiert er auf dieser Website.

Taschenbuch: 431 Seiten
Originaltitel: Hollywood Station (New York : Little, Brown, and Company 2006)
Übersetzung: Michael Kubiak
http://www.bastei-luebbe.de

Hörbuch-Download: April 2008 (Lübbe Digital)
269 min. (gekürzte Fassung, gelesen von Simon Jäger)
ISBN-13: 978-3-8387-6471-9
http://www.bastei-luebbe.de

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