John Wyndham / Heinz Dieter Köhler / Carl Dietrich Carls – Kolonie im Meer

Puristische Dokumentation der Apokalypse

Die außerirdischen Invasoren landen nicht im Hyde Park, sondern verbergen sich in den tiefsten Gräben unter dem Meer, denn sie können nur unter hohem Druck existieren. Doch der Mensch will die Erde nicht mit Wesen teilen, die seine Schiffe versenken und sich auch nicht von Atombomben vertreiben lassen. Die Wesen schlagen zurück. Doch die Attacken mit panzerartigen Kommandos stoßen auf zunehmend besser vorbereitete Verteidiger. Eine trügerische Waffenruhe tritt ein. Dann kommen die Meldungen vom Abschmelzen der Polkappen. Die Pegelstände steigen …

Der Autor

John Wyndham P. L. B. Harris wurde am 10. Juli 1903 in Knowle, Warwickshire, bei Birmingham geboren. Als er acht war, trennten sich seine Eltern; somit wuchs er in verschiedenen Internaten auf. Nach seiner Schulzeit arbeitete er u. a. als Landwirt, Grafiker, Werbefachmann und Verwaltungsangestellter. Ab 1925 versuchte er sich als Autor. 1931 erschien mit „Worlds to barter“ seine erste Story in „Wonder Stories“, einem der klassischen Pulp-Magazine der Zeit.

In seinen Anfangsjahren publizierte er meist unter Pseudonymen wie John Beynon Harris und orientierte sich vor allem an H. G. Wells. Durch seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg reifte er jedoch stark. Als Mitglied einer Nachrichteneinheit erlebte er ihn an vorderster Front mit, u. a. bei der Invasion in der Normandie 1944. Vor allem die durchaus realen Bedrohungen durch das Wettrüsten im Kalten Krieg inspirierten ihn zu postapokalyptischen Romanen wie „The Day of the Triffids“ oder „The Midwich Cuckoos“.

Diese SF-Klassiker beziehen ihre Spannung auch heute noch aus den Reaktionen der Protagonisten auf die Katastrophe und setzten inhaltlich und stilistisch neue Genre-Maßstäbe. Wyndhams humanistische Weltsicht offenbarte sich auch in seinen weiteren Storys, Weltraumabenteuern und Zeitreisegeschichten. Unter ihnen ragt die Novelle „Consider her Ways“ heraus. Wyndham starb 1969 in Petersfield.

Wichtige Romane:

1) Die Triffids (The Day of the Triffids, 1951, dt. 1955)
2) Wenn der Krake erwacht1441 bzw. Kolonie im Meer (1953, The Kraken wakes, dt. 1962)
3) Das Dorf der Verdammten bzw. Es geschah am Tage X (The Midwich Cuckoos, 1957, dt. 1965)
4) Wem gehört die Erde? (The Chrysalids, 1955, dt. 1961)
5) Eiland der Spinnen (Web, 1979, dt. 1981)
6) Ärger mit der Unsterblichkeit (Trouble with Lichen, 1960, dt. 1970)

Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Mike Watson: Hansjörg Felmy
Phyllis Watson: Xenia Pörtner
Dr. Alastair Bocker: Dieter Borsche
Leslie, Bockers Assi: Christian Brückner
Reporter: Adolf Furler
Ted: Michael Thomas
Wirt: Gustav Bockx
Captain Winters, Admiralität: Heinz Schimmelpfennig
Fliegeroffizier: Michael Thomas
Freddy, Reporter: Gerhard Becker
Generaldirektor der EBC: Heinz Schimmelpfennig
Kapitän 1: Alwin Joachim Meyer
Kapitän 2: Heinz von Cleve
Und andere.

Die Bearbeitung des von Lothar Heinecke 1962 übersetzten Textes erfolgte durch Carl Dietrich Carls. Die Regie führte Heinz Dieter Köhler, die Redaktion leitete Wolfgang Schiffer. Für das Sounddesign liegen keine Angaben vor. Eine Produktion des WDR aus dem Jahr 1967.

Hansjörg Felmy

Geboren 1931 in Berlin. Schauspieler. Ab 1949 zunächst am Theater, bevor er mit Kinofilmen wie „Haie und kleine Fische“ (1957), „Wir Wunderkinder“ (1958) , „Buddenbroooks“ (1959) und „Schachnovelle“ (1960) bekannt wurde. Anfang der 70er Jahre konzentrierte sich Felmy auf TV-Rollen. 1974-1980 war er als „Tatort“-Kommissar Haferkamp und später mit Rollen in den ZDF-Serien „Hagedorns Töchter“ (1994) und „Faust – Drei Tage Zeit“ (1995) sehr erfolgreich. Felmy starb am 24.8.2007 in Niederbayern.

Christian Brückner

Geboren 1943. Einer der großen deutschen Sprecher. Bekannt als Synchronstimme von Peter Fonda, Alain Delon, Robert de Niro, Harvey Keitel u. a. 1990 wurde er für seine Arbeit mit dem Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet. Er arbeitet an verschiedenen Theatern sowie bei Film und Fernsehen. Zusammen mit seiner Frau hat er seine eigene Hörbuchproduktionsfirma Parlando gegründet.

Heinz Schimmelpfennig

Geboren 1919 in Berlin, deutscher Schauspieler und Regisseur. Spielte in zahlreichen Film- und TV-Produktionen, u. a. den Kriminalkommissar Gerber in der „Tatort“-Serie (ab 1975), Herrn von Löschebrand in dem Fernsehfilm „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ nach Theodor Fontane (1985) und Herrn Verspohl im TV-Film „Moffengriet – Liebe tut, was sie will“ (1990). Des Weiteren ist er Sprecher in zahlreichen Hörspielproduktionen.

Dieter Borsche

Geboren 1909 in Hannover. Er war zunächst Balletttänzer in Hannover, nahm Schauspielunterricht und erhielt sein erstes Engagement in Weimar und weiteren Theatern. Nach dem Krieg arbeitete er erneut als Schauspieler am Theater Kiel, wo er von 1947 bis 1949 Oberspielleiter war. Mit seiner Rolle in dem Film „Nachtwache“ (1948) gelang ihm auch als Filmschauspieler der Durchbruch. Er war in zahlreichen Film- und TV-Produktionen zu sehen, u. a. in „Königliche Hoheit“ (1953) und in „Das Halstuch“ (1962) von Francis Durbridge. Borsche starb am 5.8.1982 in Nürnberg. (abgewandelte Verlagsinfos)

Handlung

Der Rundfunkreporter Michael Watson ist mit seiner Braut Phyllis gerade auf seiner Hochzeitsreise, als er vom Deck des Kreuzfahrtschiffs abends um 23:25 Uhr nacheinander fünf rote Punkte am Horizont entdeckt. Es ist nicht der Mars, und schon gar nicht fünf davon, sondern ein paar unbekannte Flugobjekte. Die UFOs tauchen in großen, dampfenden Fontänen unter die Meeresoberfläche und verschwinden in 5000 Metern Tiefe. Watson befragt den Kapitän nach seiner offiziellen und seiner privaten Meinung zu dem Vorfall. Der Kapitän der „Guinevere“ verrät ihm off the record, dass auch im Pazifik solche UFOs auf See gesichtet worden seien. Aber offiziell würde er das niemals zugeben. Ihm liege an seinem guten Ruf.

Aufgrund seines Radioberichts hat Watson nach seiner Rückkehr den Spitznamen „Feuerball Watson“ verpasst bekommen, aber er hat auch eine interessante Einladung. Ein Fliegeroffizier der Royal Air Force berichtet ihm – ebenfalls off the record – dass er über der Insel Formosa, dem jetzigen Taiwan, ein solches UFO abgeschossen habe. Es sei in zahlreiche Splitter zerborsten und habe damit sein eigenes Flugzeug so demoliert, dass er per Schleudersitz aussteigen musste.

Tauchstation

Kaum wieder daheim, präsentiert ihnen die Admiralität ein Bild, das nahelegt, dass in den Tiefseegräben der Welt etwas Seltsames und Unheimliches vor sich geht. Überall auf der Welt verschwinden Schiffe, meist Forschungsschiffe und Kabelleger. Das Ministerium lädt sie auf eine Tiefseetauchfahrt ein. Natürlich müssen sie nicht selbst tauchen, sondern sie können über die Monitore an Bord des Mutterschiffes verfolgen, was die kleine Tauchkugel mit einem Mann an Bord über ihre Kameras in der Tiefsee aufnimmt. Der Graben ist 7000 Meter tief, doch die Kugel erreicht nur 2100 Meter, bevor der Kontakt zu ihr abreißt. Etwas aus der Tiefe hat das Verbindungskabel nicht etwa durchgebissen, wie ein Pottwal es tun könnte, sondern durchgeschmolzen.

Schiffsopfer

Monate vergehen, in denen nichts zu passieren scheint und Mike und Phyllis mal die Welt bereisen, mal draußen in Cornwall Bücher schreiben. Doch weiterhin verschwinden Schiffe auf mysteriöse Art und Weise, und Theorien werden aufgestellt. Ozeanographen und andere Wissenschaftler beginnen sich Sorgen zu machen. Die verrückteste Theorie verbreitet der Geograph Alastair Bocker, und er hat offenbar eins und eins zusammengezählt. Die Feuerbälle, die man vor einem Jahr beobachtete, sind genau jene außerirdischen Invasoren, die sich nun in den Tiefseegräben der Erde eingenistet und ausgebreitet hätten. Unglaublich! Den versammelten Journalisten schlackern die Ohren. Bocker hält sich höflich mit weiteren Mutmaßungen zurück, doch man werde sicherlich noch mehr von Xenobathyikern hören.

Kriegserklärung

Das ist in der Tat der Fall. Ein Luxusdampfer namens „Queen Anne“ verschwindet ebenso spurlos wie zuvor andere Schiffe über den Tiefseegräben. Nun ist die Welt endlich aufgerüttelt. Die Amerikaner, die schon mehrere Kriegsschiffe verloren haben, lassen keine Zeit verstreichen, um eine kleine Vergeltungsaktion in Marsch zu setzen. Die Schiffe, die zum Cayman-Graben zwischen Kuba und Honduras schippern, haben zwei Atombomben an Bord. Eines der A-Bomben-Schiffe wird von unbekannter Hand versenkt. Sofort nehmen die restlichen Fahrzeuge Reißaus. Der Reporter an Bord schreit in sein Mikro, warum denn keiner an Bord ihm sagen können, wie lange die Bombe bis zum Meeresgrund brauche. Die Verbindung reißt ab, der Reporter verstummt, als eine Atombombenexplosion das Meer in ein Inferno verwandelt. Der Krieg ist eröffnet.

Inselopfer

Nur wenige Wochen vergehen, und die Welt wird von der Nachricht erschüttert, dass auf zwei Inseln im Südatlantik und Pazifik Angriffe aus dem Meer stattgefunden hätten. Saphira und April Island sind fast völlig ihrer Bevölkerung beraubt worden – von „Walfischen“ und riesigen „Quallen“ aus dem Meer, wie die wenigen Überlebenden behaupten. Der Kapitän des Kanonenboots glaubt seinen Ohren nicht zu trauen.

Da macht Alastair Bocker eine verwegene Voraussage: Eine von zehn Inseln werde das nächste Opfer sein. Ein britischer Anzeigenkunde der English Broadcasting Corporation (EBC) lädt u. a. die zwei Rundfunk-Reporter Mike und Phyllis auf eine kleine Expedition in die Karibik ein. Alastair Bocker leitet die Expedition und bereitet alles für die Aufzeichnung der kommenden Ereignisse vor, um so endlich die sich weiterhin in Sicherheit wiegende Menschheit aufrütteln zu können.

Bocker hat richtig getippt. Nach fünf Wochen des geruhsamen Wartens in der Tropenhitze hören sie von dem Überfall auf eine Bahamas-Insel, bei der die Angreifer aus dem Meer tausend Inselbewohner verschleppten. Wenig später werden Mike und Phyllis Zeugen des Angriffs auf die kleine Insel Escondida. Sie ahnen nicht, dass sie in Lebensgefahr schweben …

Mein Eindruck

Die Handlung überspannt einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Katastrophe kommt, ähnlich wie der Klimawandel, so langsam, dass sie gar nicht als Katastrophe wahrgenommen und eingeschätzt wird. Und wie es das Schicksal aller Kassandras wie Alastair Bockers ist, verhallen die Warnrufe ungehört und die Warner werden diffamiert. Nichts darf die Ruhe vor dem Sturm aufschrecken, und jeder kleine Waffenstillstand wird bereits als Sieg gewertet. Bis Kassandra erneut ihre Stimme erhebt.

Gemütliche Katastrophe

Diese Art des Kastrophenromans ist typisch britisch, und der englische SF-Autor Brian W. Aldiss hat in seiner SF-Literaturgeschichte „Billion Year Spree“ die Bezeichnung „cosy catastrophe“ (gemütliche Katastrophe) dafür geprägt. Die Apokalypse zeichnet sich dadurch aus, dass sie so langsam und unmerklich voranschreitet, dass sich die Lebensumstände der Betroffenen vom Frieden kaum unterscheidet. Es muss schon etwas Entscheidendes passieren, bis Panik ausbricht. Doch es dauert lange, bis dieser Schwellenwert überschritten wird. Dann jedoch kippt das System umso vehementer in den gegenteiligen Zustand, der sich vom Frieden ebenso radikal unterscheidet wie der Krieg.

Die hohe Warte

So geschieht es auch in „Wenn der Krake erwacht“ bzw. „Kolonie im Meer“. Unsere zwei Hauptfiguren Mike und Phyllis Watson befinden sich in einer privilegierten und gesicherten Lage, denn als Reporter verfügen sie über die neuesten Nachrichten und sogar über Geheiminformationen. Ihr Ethos als Journalisten verlangt zudem von ihnen, nicht panikartig durchzudrehen, sondern vielmehr wahrheitsgetreu zu berichten, was sie an Schrecklichem beobachten. Dass sie auf politische Vorgaben und Zensur Rücksicht nehmen müssen, ist für sie allerdings ebenso selbstverständlich wie der Auftrag, die Hörerschaft über die Vorgänge und die Zukunftsaussichten (Kassandra-Rufe) zu informieren.

Hier zeigt sich der Journalist Wyndham von einer kenntnisreichen, aber auch konzilianten Seite. Er wagt es nicht, gegenüber seiner neuen Leserschaft, der klassischen gebildeten Mittelschicht harschere Töne anzuschlagen statt nur Kritik zu üben. Auch die zwei Hauptfiguren sind Mittelschichtler, völlig normale Eheleute, doch durch das kurzsichtige Handeln der englischen Regierung ergeht es ihnen ebenso schlecht wie dem Rest der Bevölkerung. Als der Wandel auf plötzliche Weise mit der Flut kommt, verlegt die Regierung ihren Sitz nach Yorkshire, doch Mike und Phyllis harren in London in ihrer Sendestation aus. Zunächst sieht dies pflichtbewusst aus, doch je mehr Rückmeldungen vom Lande und aus Yorkshire eintreffen, desto mehr erweist sich das Ausharren als pure Notwendigkeit, um überleben zu können.

Die Leerstelle

Eine der vielen Merkwürdigkeiten des Romans als einer Geschichte von der „gemütlichen Katastrophe“ besteht darin, dass Mike und Phyllis ebenso wenig aus den Kriegsjahren gelernt zu haben scheinen wie der Rest ihres Landes. Es ist, als habe es den II. Weltkrieg nie gegeben: die Rationierung aller Dinge, die Verdunkelung, die Landverschickung, den Geheimdienst und dergleichen. Lediglich die Seeblockade, welche die deutschen U-Boote bis 1943 erzwangen, ist umgesetzt. Die Aliens lassen nämlich keine Schifffahrt mehr zu, die sich über die Flachgewässer hinauswagt. Ansonsten jedoch befindet sich dieses England in einer fantasymäßigen Friedensperiode.

Stellvertreter

Dies kann nur bedeuten, dass die Katastrophe anstelle eines Krieges dargestellt wird. Nur handelt es sich um eine besondere Art von Krieg: einen Kampf um Lebensraum, in dem der Feind nicht wie die Triffids auf dem Land lauert, sondern unter Wasser und an der Küste. Zunächst nimmt natürlich die Luftfahrt einen enormen Aufschwung, denn der Seeweg ist versperrt. Doch große Güter wie Öltanks, Kohlefuhren usw. müssen ja auch irgendwoher kommen. Der Waffenstillstand ist in Wahrheit die Vorkriegsphase.

Klimawandel

Das Abschmelzen der Polkappen, das uns heute so viel Kopfzerbrechen bereitet (aber noch längst nicht genug!), wird zunächst nicht als Bedrohung wahrgenommen, geschweige denn so dargestellt. Ist ja weit weg, und es ist okay, wenn das Wetter wärmer wird. Pustekuchen! Die Jahre vergehen, und das Meer steigt. Es hält nicht etwa an der 5-Meter-Marke, auch nicht an der 10-Meter-Marke, nicht einmal an der 20-Meter-Marke. Und das Wetter wird nicht etwa gemütlicher, weil das Eis weg ist, sondern vielmehr kälter, weil das von Grönland abgebrochene Eis den Weg nach Süden gefunden hat. Und dabei wusste der Autor noch nicht einmal etwas von der atlantischen Warmwasserpumpe des Golfstroms, die durch den aktuellen Klimawandel versiegen könnte. Dann könnte Europa ein sibirisches Klima bekommen, denn Berlin liegt ja auf der Höhe von Wladiwostok …

Die Tradition

Ist dieser Roman also prophetisch? Nein, denn dies ist längst nicht der erste britische Katastrophenroman. Schon 1887 schrieb Richard Jefferies „London – danach“ (Romanauszug auf Deutsch in „James Gunn (Hg.): Von Shelley bis Clarke“ bei Heyne, 2000) von einem untergegangenen London. Ein Name darf in dieser Ahnengalerie nicht fehlen: Herbert George Wells. 1898 veröffentlichte er mit „Krieg der Welten“1475 jenen Invasionsroman, der auch in Wyndhams Roman selbst unausbleiblich zitiert wird. Auch diese Invasionen hat die Eroberung von Lebensraum zum Ziel, doch die Apokalypse vollzieht sich rasend schnell, statt wie bei Wyndham im gemütlichen Schlauchboottempo.

Scheuklappen

Wyndham verschont seine Leser mit Szenen von Gemetzel und Vergewaltigung. Die oben angedeutete Attacke auf Escondida ist schon das höchste der Gefühle, was Action angeht. Sie zeigt, wozu Wyndham fähig war, doch er zog es vor, auf seine Mittelschichtleser Rücksicht zu nehmen. Das ist mit der Grund, warum seine Bücher zumindest bis 1992 auf englischen und australischen Lehrplänen auftauchten. Man nahm ihn dort nämlich nicht als Autor aus dem SF-Ghetto wahr, sondern als Schriftsteller aus dem Mainstream der Unterhaltungsliteratur. Das hat seinen Verkaufszahlen sicherlich ebenso gut getan wie die schon 1960 erfolgenden Verfilmungen seiner Romane.

Aber schon wenige Jahre später warfen seine Autorenkollegen die Scheuklappen über Bord und schrieben gar grässliche Romane über das untergehende England, und Anthony Burgess‘ „Clockwork Orange“ mit seiner Vergewaltigungsszene war sicher noch eines der harmloseren Bücher. Der oben zitierte Aldiss schrieb selbst Post-Holocaust-Romane. In „Barfuß im Kopf“ ist Europa von Kampfstoffen der psychedelischen Art getroffen und torkelt wie der Held der Story durch einen vom Wahn erfüllten Albtraum.

Die Inszenierung

Die Sprecher

Den Großteil dieses Hörspiels bestreitet der Dialog, daher sind die Sprecher von größerer Bedeutung als etwa die Musik. Xenia Pörtner als Phyllis tritt erstaunlicherweise gleichberechtigt neben den Filmstar Hansjörg Felmy und hat eine ebenso wichtige Rolle wie er als Mike auszufüllen. Diese Gleichberechtigung war schon im Buch sehr deutlich ausgeprägt. Pörtner spielt dabei die gefühlsbetontere, aber durchaus auch rational auftretende Hälfte des Duos. Mehr als einmal ist es Phyllis, die Beschlüsse fasst. Und sie hat auch ein großes Geheimnis vor Mike zu verbergen – und mit großem Trara zu enthüllen!

Der Humor in diesem Stück kann ganz leise daherkommen, und wenn die Sprecher lachen, so ist dies nicht immer heiter gemeint, sondern mitunter Ausdruck einer unverbindlichen Kollegialität, so etwa zwischen dem Duo und seinem Kollegen EBC-Freddy, aber auch zu Dr. Bocker. Zu diesem fasst aber besonders Phyllis große Zuneigung. Diese kommt im Buch viel stärker zum Ausdruck und ist im Hörspiel deutlich zurückgenommen. Offenbar sollte Phyllis nicht als Heulsuse erscheinen.

Dieter Borsche als Dr. Bocker ist ein Fall für sich. Bocker hat im Hörspiel eine noch dominantere Stellung als im Buch, weil er der wichtigste Gewährsmann unseres Reporterpaares ist und zudem die Rolle der Kassandra spielt. Alle seine Vorhersagen treten ein, allerdings präsentiert er sie in so großen Brocken, dass sie für das Publikum unverdaulich erscheinen und er immer wieder diffamiert und seine Voraussagen abgetan werden. Borsche erfüllt Bocker sowohl mit der Autorität des Wissenschaftlers als auch mit der Freundlichkeit eines älteren Herrn und Mentors.

Alle anderen Sprecher füllen Nebenrollen aus. Auffallend ist die große Zahl von Nachrichtenreportern. Darunter findet sich der in den 1970er-Jahren als „Sportschau“-Reporter und -Moderator bekannte Adolf Furler. Er gestaltet seine Reportage vom Untergang diverser Schiffe, darunter seines eigenen, sehr lebhaft und anschaulich. Der Sprecherstar Christian Brückner, der sogar auf dem Titelbild erwähnt wird, taucht hingegen nur in kleinen Nebenrollen auf, darunter als Bockers Assistent Leslie, der in den Kämpfen auf Escondida ums Leben kommt. Das hat mich etwas enttäuscht.

Geräusche

Viele der oben erwähnten Reporter sind aufgrund der im Hörspiel simulierten Übertragungstechnik des Jahres 1967 nur mit blechern verzerrten Stimmen zu hören. Das ist aber ganz in Ordnung, denn so wird dem Hörer gleich klar, dass sie sich nicht im gleichen Raum wie ihre Zuhörer Phyllis und Mike befinden, sondern ganz woanders. Das gilt schon vom ersten Tauchgang an und zieht sich durch das ganze Stück. Auch jeder Anrufer wirkt so als blechern verzerrte Stimme distanziert.

Beim Angriff der Tiefsee-Aliens auf Escondida erschallen Rufe, Schreie und in zunehmender Zahl auch Schüsse, schließlich dröhnt ein Flugzeug durch die Szene und lässt seine Bordkanonen ballern. Man kommt sich vor wie in einem Kriegsfilm (von denen es damals nicht wenige gab). Selbst Phyllis erwischt einer der Feinde. Das ist pures Tondrama und eine der besten Szenen des Films. Eine weitere ist die Unterwasser-Explosion einer Atombombe: Erst rufen alle durcheinander, während sich der Reporter (Adolf Furler, s. o.) verständlich zu machen versucht, dann erklingt ein Dröhnen und schließlich schwillt ein Rauschen an, das die panikartigen Schreie und Reporterrufe erstickt.

Im Zusammenhang mit Aliens hat beispielsweise die SF-Serie „Raumpatrouille Orion“ etliche Soundeffekte austüfteln müssen. Die Erwartung liegt nahe, dass solche Effekte auch in diesem SF-Hörspiel erklingen. Die Erwartung wird nicht enttäuscht. Der erste Soundeffekt, der überhaupt im Hörspiel erklingt, ist der eines landenden UFOs – ein synthetischer Ton wird fortwährend niedriger, bis er in einem Zischen endet. Dieser Sound soll die Wasserung eines Feuerballs auf dem Ozean und sein Verschwinden simulieren. Allerdings klingt das alles nicht sonderlich realistisch. In dieser Hinsicht ist die Tontechnik heute, 40 Jahre später, wesentlich weiter.

Ein anderer Soundeffekt ist der eines „Seetanks“. Diese Metalldinger sind etwa neun bis zehn Meter groß und erobern Escondida. Die Frage ist, wie sie sich fortbewegen und welches Geräusch sie dabei verursachen. Der Sounddesigner hat sich für ein Knirschen und Poltern entschieden, das zunehmend lauter wird

Musik

Es war für mich eine der großen Enttäuschungen an diesem Hörspiel, dass es keinerlei orchestrale Musik bietet. Die einzige Musik, die man zu hören bekommt, ist die in den jeweiligen Bars und Restaurants. Es handelt sich dann in der Regel um Piano-Bar-Jazz: nice ’n‘ easy. Es gibt auch keine Intro-Musik, die sich im Outro wiederholen würde. Auch eine An- und Absage fehlt.

All dies vermittelt den Eindruck, als ob hier ein puritanisches Konzept verfolgt wurde, demzufolge die Katastrophe des Weltuntergangs durch ihre semi-dokumentarische Präsentation noch glaubwürdiger wirkt als eine dramatische Umsetzung. Das Kalkül geht durchaus auf, aber heute unterhält es den Zuhörer nicht mehr.

Das Booklet

… liefert Informationen über den Autor und die Hörspielproduktion, besonders über die oben genannten vier Sprecher. Ein kurzer Essay von Frank P. Erben würdigt Inhalt und Aussage der Buchvorlage. Erben weist auf die prophetische Voraussage der Folgen des Abschmelzens der Polkappen hin. Er verweist aber auch auf die zahlreiche Erwähnungen der politischen Machenschaften während der Katastrophe: Kalter Krieg, Steuerung der öffentlichen Meinung usw.

Unterm Strich

Der Roman ist das Paradebeispiel für die „gemütliche Katastrophe“, die so allmählich auf die Zeitzeugen zukommt, dass sie glauben, es sich leisten zu können, nicht rechtzeitig Maßnahmen dagegen zu treffen. Wenn die Polkappen abschmelzen, was soll daran schon bedrohlich sein? Wenn die Schiffe versenkt werden, herrje, nehmen wir eben das Flugzeug. Und wenn die Flut steigt, ach Gottchen, dann gehen wir eben in die Berge. Nur dass eben allen anderen auch nichts anderes übrig bleibt und sich dann jedermann um die letzten Lebensmittelvorräte prügeln muss. Und nicht bloß im nächsten Winter, sondern auch in allen danach.

Es ist schon ein wenig unheimlich, wie sehr der Autor hier die Menetekel von Frank Schätzing in „Der Schwarm“ und Al Gore in „Eine unbequeme Wahrheit“ vorweggenommen hat. Sicher, er folgte mit seiner Idee H.G. Wells „Krieg der Welten“, doch keiner vor ihm ließ die Apokalypse so langsam und gemütlich ablaufen. John Christopher folgte ihm mit „Death of Grass“ und machte daraus ebenfalls eine Methode.

Das Hörbuch

Für rund 20 Euronen erhält der SF-Hörer ein professionell gestaltetes Hörspiel, das dem ursprünglichen Text der Romanvorlage erstaunlich getreu folgt und keine eigenen Ergänzungen oder Umstellungen vornimmt. Wer sich dieses Hörspiel reinzieht, kann sich also schon fast die Buchlektüre sparen. Allerdings ist es wesentlich teurer als das Buch, das man heute gebraucht für wenige Cents erstehen kann.

Stilistisch ist das Hörspiel aus dem Jahr 1967 ein Mittelding zwischen dokumentarischer Reportage und dramatischer Inszenierung von Angriffen und Notsituationen. Um den Zuhörer richtig packen zu können, fehlt allerdings die emotional unterstützende und steuernde Musik. Hierin sehe ich das eigentliche Manko des Hörspiels, das es für das moderne Publikum gewöhnungsbedürftig macht.

Allerdings vermögen die Sprechers durchaus die Stimmung einer Szene wie etwa die des „ertrunkenen“ London durchaus herüberzubringen. So verströmt mitunter das Hörspiel den Charme von „Raumpatrouille Orion“, ohne jedoch dessen hölzerne Dialoge zu übernehmen. Wer jedoch über Einfühlungsvermögen verfügt, wird „Kolonie im Meer“ wesentlich mehr abgewinnen als etwa jemand, dem jede Emotion suggeriert werden muss. Es war damals, 1967, eindeutig eine andere Zeit.

131 Minuten auf 2 CDs
Originaltitel: The kraken wakes, 1953
Aus dem Englischen von Lothar Heinecke
www.der-audio-verlag.de