Cornwell, Patricia – Body Farm – Das geheime ABC der Toten

_Actionfinale: Ermittlung mit Showdown_

Der grausame Mord an der elfjährigen Emily Steiner schockiert die Kleinstadt Black Mountain in North Carolina. Chefpathologin und FBI-Beraterin Dr. Kay Scarpetta steht scheinbar unlösbaren Rätseln. Was verschweigt Emilys Mutter? Hat der mysteriöse Selbstmord des FBI-Agenten Max Ferguson etwas mit dem Mord an Emily zu tun? Als sie schließlich einen Fleck auf Emilys Gesäß entdeckt, hat sie einen schrecklichen Verdacht. Scarpetta weiß, dass ihr jetzt nur noch die „Body Farm“ helfen kann: ein Labor, das menschliche Verwesungsprozesse erforscht.

Kay Scarpettas fünfter Fall erschien 1995 unter dem deutschen Titel „Das geheime ABC der Toten“. Jetzt erscheint der Roman erstmals auch im Hörbuch.

_Die Autorin_

Patricia Cornwell, 1956 in Miami geboren, war Polizeireporterin und Computerspezialistin am Gerichtsmedizinischen Institut von Virginia, bevor sie zu schreiben begann. Mit den Thrillern um ihr literarisches Alter Ego, die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta, wurde sie zur „erfolgreichsten Thrillerautorin der Welt“ (Der Spiegel). Cornwell lebt allein in Richmond / Virginia und in Malibu / Kalifornien. (Verlagsinfo)

_Die Sprecherin_

Franziska Pigulla war Moderatorin bei |n-tv|, |SAT.1| und bei der |BBC| in London. Als eine der bekanntesten Sprecherinnen synchronisiert sie Gillian Anderson aus „Akte X“, Demi Moore, Fanny Ardant und Sharon Stone. Auch als Erzählerin bei „Galileo“-Dokumentation ist sie regelmäßig im Off zu hören. Für |Hoffmann & Campe| hat Pigulla bereits mehrere Romane vorgetragen:

– Blinder Passagier
– Das letzte Revier
– [Das fünfte Paar 2142
– [Brandherd 3926
– [Die Dämonen ruhen nicht 729
– [Defekt 3961
– Gefahr
– [Staub 1237

Weitere Cornwell-Hörbücher: [„Wer war Jack the Ripper? – Portrait eines Killers“; 97 „Die Tote ohne Namen“.

Der Text wurde von Rainer Scheer gekürzt. Regie führte Vlatko Kucan, die Aufnahme fand im TrueMuze Rec Studio, Hamburg, statt.

_Handlung_

Die staatliche Chefpathologin Dr. Kay Scarpetta arbeitet auf Bitte des Chefprofilers Benton Westley auch als FBI-Beraterin in der FBI-Akademie von Quantico. Heute trifft auch Captain Pete Marino von der Polizei ein, mit dem sie in Richmond / Virginia schon lange zusammengearbeitet hat. Er arbeitet für das VICAP-Forschungsprogramm des FBI, das dazu dient, Gewaltverbrecher schneller aufzuspüren und zu fassen.

Dem gleichen Ziel hat sich auch Kays 21-jährige Nichte Lucy verschrieben, die als Praktikantin im technischen Labor des FBI arbeitet, einem Hochsicherheitstrakt. Nur die Fürsprache eines Senators hat der Studentin Lucy diesen höchst begehrten Job verschafft. Sie entwickelt Software, mit der sich Fingerabdrücke und Spuren sofort erfassen und zuordnen lassen. Die Software trägt den ominösen Namen CAIN, nach dem ersten Mörder der biblischen Geschichte.

Heute, am 16. Oktober, befassen sich die führenden Köpfe von Westleys Abteilung mit dem Mordfall Emily Steiner. Die Elfjährige aus dem Bergstädtchen Black Mountain, die am 1. Oktober verschwand, wurde sechs Tage später am Ufer des Lake Tomahawk von einem Angler gefunden. Ihre Leiche war unbekleidet und immer noch mit einem orangefarbenen Band gefesselt. Ein Kopfschuss in den Hinterkopf scheint ihrem Leben ein vorzeitiges Ende gesetzt zu haben.

Max Ferguson, ein lokaler FBI-Agent, und der Polizist Hershel Moat aus Black Mountain berichten, dass dem Verschwinden Emilys ein Überfall auf deren Mutter Denisa vorausgegangen sei, denn der Täter habe sie gefesselt und in einem Schrank eingesperrt, bevor er sich Emily schnappte. Benton Westley und Scarpetta ist der Modus Operandi bekannt und sie beschleicht ein schlimmer Verdacht. Wie Emily wurde auch der Junge Eddie Heath vor zwei Jahren – es war Marinos Fall – getötet. Der Täter war damals ein gewisser Temple Gort, der immer noch flüchtig ist.

Was aber Scarpetta stutzig macht, ist der Umstand, dass auf die beträchtliche Gewalt, die Emily zugefügt wurde, die passenden Körperraktionen fehlen. Es ist geradeso, als sei sie bereits tot gewesen, als man ihr eine Kugel durch den Kopf jagte. Außerdem scheint sie dehydriert gewesen zu sein, war also vielleicht tagelang gefangen. Sie bittet Westley, die Leiche exhumieren zu dürfen. Ist okay.

Doch als Kay, Westley und Marino Tage später in Asheville bei Black Mountain eintreffen, erleben sie eine Überraschung. Max Ferguson hat sich offenbar selbst getötet, und sein Kollege Hershel Moat fällt um ein Haar einem Herzinfarkt zum Opfer. Scarpetta kann ihn wiederbeleben, doch dann findet sie auch einiges an Fergusons Selbstmord merkwürdig. Mit Hilfe eines Spezialisten von der „Body Farm“, einem Institut zur Untersuchung des menschlichen Verwesungsprozesses, findet sie einen Fingerabdruck auf dem femininen Nylonhöschen, das Ferguson trug. Der Fingerabdruck stammt seltsamerweise von Denisa Steiner, Emilys Mutter …

Westley alarmiert Scarpetta. Lucy wurde beurlaubt, weil sie in ihrer FBI-Abteilung spioniert habe. Man fand ihren Fingerabdruck am entsprechenden Zugangsprüfgerät, einem Scanner, und ihre persönliche Kennziffer (PIN) im Computer. Scarpetta kann nur den Kopf schütteln: Wieso sollte ihre Lucy ihren Job durch Spionage gefährden und sich dann auch noch so dämlich anstellen? Doch selbst wenn Westley seit kurzem Scarpettas Liebhaber ist, so kann er doch nichts gegen die Vorschriften unternehmen. Sie macht sich selbst auf den Weg, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Sie hätte nicht damit gerechnet, dass mal ein Mordanschlag auf sie verübt werden würde. Leider wird dabei nicht sie das Opfer, sondern Lucy. Denn Lucy hatte sich den Mercedes ihrer Tante ausgeliehen. Nun liegt sie mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus von Richmond. Wer hat es auf Scarpetta abgesehen?

_Mein Eindruck_

Im Vordergrund dieses verzwickten Falls steht natürlich, wie es sich gehört, die Aufklärung des Mordfalls Emily Steiners. Dies ist für Scarpetta wirklich eine Herzensangelegenheit, denn wenn Kinder getötet werden, so fühlt sie sich stets besonders betroffen. Doch diesmal hat sie es, ohne es zu ahnen, mit einem richtiggehenden Monster zu tun. Ist es wirklich Temple Gort, der Emily auf dem Gewissen hat? Allmählich kommen Scarpetta Zweifel, denn Gort hat seine Opfer nie sexuell missbraucht, bevor er sie mit einem einzigen Kopfschuss hinrichtete. Und es waren stets Jungs …

Allerdings erfährt Scarpetta von Pete Marino herzlich wenig Unterstützung in diesem Fall. Aus irgendeinem Grund scheint Marino seine Hirntätigkeit eingestellt zu haben und verlässt sich nur noch auf Gerüchte und – ist es zu fassen! – auf die öffentliche Meinung. Diese Meinung richtet sich gegen den Hausmeister von Emilys Schule, einen jungen, ungebildeten Mann, der mit einem Unfall mit Fahrerflucht in Verbindung gebracht wird. Und wenn Marino nicht aufpasst, trägt er noch zu einem Lynchmord bei. Als Scarpetta diesen Hausmeister auf eigene Faust besucht, gelangt sie zu der Überzeugung, dass er nichts mit Emilys Tod zu tun hat. Er ist der Letzte, der das Mädchen an jenem Tag sah – sie ging nach Hause.

Ohne sich durch den bizarren Selbstmord Max Fergusons aus dem Konzept bringen zu lassen, lässt sie Emily exhumieren und stößt auf ein paar sonderbare Entdeckungen. Auch als sie sich Denisa Steiner einmal näher vorknöpft, kommt ihr einiges an der schönen Kalifornierin mit der attraktiven Figur merkwürdig vor. So etwa starb ihr Mann Charles, ein Religionslehrer, an einem Herzinfarkt, und sie behauptet, zwölf Jahre vor Emily schon einmal eine Tochter verloren zu haben, MaryJo. Sie sei im Alter von einem Jahr an plötzlichem Kindstod gestorben.

Nun weiß Scarpetta jedoch als Medizinerin, dass der plötzliche Kindstod durch Atemstillstand meist nur innerhalb von drei Monaten nach der Geburt, höchstens aber binnen sechs Monaten auftritt, niemals aber binnen zwölf Monaten. Kein Wunder also, dass ihre Freundin, eine Verwalterin des Geburts- und Sterberegisters von Richmond, in Kalifornien keinen Vermerk über den Tod einer MaryJo Steiner finden kann. Was verbirgt Denisa Steiner? Und wieso hat sich Pete Marino mit ihr eingelassen?

|Die Body Farm|

Die Rolle der Body Farm gibt dem Krimi seinen Titel, daher soll etwas näher auf diese einzigartige Einrichtung eingegangen werden.

Als einziger forensischer Anthropologe der Uni von Tennessee und Sonderberater der Polizei von Knoxville bekam Dr. Bill Bass sehr viele Tote zu sehen. Aber da sein Wissen eingeschränkt und nicht viel weiter fortgeschritten war als das des Chinesen Sung-Tzu 740 Jahre zuvor, musste er die empirische Methode der Body Farm anwenden. Praktische Anschauung sollte ihn lehren, was nach dem Tod wirklich mit einem Körper passiert, wenn er – unter unterschiedlichsten Umständen – verwest. Die Body Farm wurde ca. 1977 gegründet.

Die erworbenen Erkenntnisse tragen bis heute dazu bei, Art, Ursache und Zeitpunkt eines Todes festzustellen, genauso wie alle relevanten Eigenschaften eines Opfers. Alle diese Faktoren sind wesentliche Beiträge, um einen Täter für bestimmte Taten dingfest zu machen. Selbst eine Abweichung um einen Tag kann eine erhebliche Minderung des Strafmaßes zur Folge haben. Da aber Genauigkeit nicht reicht, müssen auch interdisziplinäres Teamwork und langfristige Erfahrung helfen – deshalb auch die Body Farm.

Kay Scarpetta stellt dort ein Experiment an, in dem sie prüfen lassen will, ob der Fleck auf Emilys Gesäß von einem Metallgegenstand herrühren könnte. Diese Vermutung bestätigt sich. Und als sie das entsprechende Foto untersucht, entdeckt sie auch, um welchen Metallgegenstand es sich handelt – um eine Münze …

|Münchhausen|

Es ist schwierig, auf die einzigartige Psychologie des Täters einzugehen, ohne seine bzw. ihre Identität zu verraten. Dennoch lässt sich sagen, dass Scarpetta auf ein interessantes Phänomen stößt, das sie als „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“ bezeichnet. Bekanntlich hat Baron Münchhausen eine Menge Lügengeschichten erzählt, so etwa jene, wie er sich an seinem eigenen Zopf aus einem Sumpf herauszog und auf einer Kanonenkugel flog.

Nun muss man sich aber fragen, wozu jemand solche Geschichten erzählen sollte. Die erste Wirkung ist die der Aufmerksamkeit, die dem Erzähler sofort geschenkt wird. Wenn es sich um eine tragische Geschichte oder ein betrübliches Ereignis handelt, so ist dem Erzähler nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch noch Mitgefühl sicher. Der Erzähler braucht also nur die nötigen Ereignisse und Menschen so zu manipulieren, dass die maximale gewünschte Wirkung erzielt wird, von der er dann emotional profitiert. Eine solche Person kommt im Roman vor, ein Monster von unvorstellbarer Grausamkeit.

|Die Sprecherin|

Franziska Pigulla macht aus dem spannenden Buch der Cornwell ein Hörerlebnis, an das man sich noch gerne erinnert. Dabei ragen mehrere Figuren, die sie ausgezeichnet charakterisiert, heraus. Am meisten im Gedächtnis ist mir Pete Marino geblieben. Er redet mit einer tiefen grollenden Stimme, bei der man sich fragt, wie die Pigulla sie wohl hinkriegt. In seinem umgangssprachlichen Deutsch drückt er sich stets ein wenig grantig aus, und je mehr Streit er mit Scarpetta hat, desto wütender klingt. Er ist auch der Einzige, der so etwas wie Humor in die Handlung einbringt, selbst wenn sein Humor mehr von der sarkastischen Sorte ist.

Marinos Macho-Stil steht im krassen Gegensatz zu Benton Westley, der sich einer kultivierten und stets kontrollierten Ausdrucksweise befleißigt. Ähnlich klingt auch Senator Frank Lord. Mehr wie Marino klingt der verdächtigte Hausmeister Creed Lindsay, der eine richtige Hinterwäldlertype ist. Ähnlich wie Lindsay klingt der Bestattungsunternehmer Lucius Ray, der an gewisse Gschaftlhuber aus Oberbayern erinnert, denn er ist stets auf seinen eigenen Profit und Vorteil bedacht.

Unter den weiblichen Figuren ist es schwierig zu unterscheiden, welche Ausdrucksweise zu welcher Figur gehört. Scarpetta klingt ziemlich männlich tief, doch nicht unähnlich ihrer Nichte, für die sie wie eine Mutter sorgt (Lucys eigene Mutter Dorothy, Kays Schwester, ist verglichen damit ein richtiges Rabenaas). Sehr erfreulich ist die Figur der Notarin Gloria Lovings, eine Energie und Frohsinn ausstrahlende Matrone.

Der schwierigste Part für die Sprecherin war sicherlich die Figur der Denisa Steiner. Wie spricht man eine sinnlich-verführerische Mutter, die eine ziemlich undurchsichtige Rolle spielt? Man muss schon genau hinhören, um die anzüglichen Untertöne herauszuhören, mit denen Denisa Steiner ihre Rivalin Kay Scarpetta (beide stehen in einem Verhältnis zu Marino und zu Emily) herausfordert.

Alle diese Figuren setzt die Sprecherin zusätzlich noch bestimmten Situationen aus. Ganz besonders betroffen hat mich dabei die Darstellung des Polizisten Hershel Moat berührt, der in einem geschockten Zustand Meldung über den Tod seines Kollegen Max Ferguson zu machen versucht und dabei nur stockend hervorzustoßen vermag, was seine Augen sich wahrzunehmen weigern.

Auch die tränenreichen Gefühlsausbrüche von Denisa Steiner und Lucy gehören zu den bewegendsten Szenen. Sie stehen im direkten Kontrast zu den vielen aggressiven Szenen. Diese finden teils zwischen Scarpetta und Marino statt, aber auch zwischen Scarpetta und jener Frau, die Lucy die Spionageaffäre in die Schuhe geschoben hat. Hier ist die Sprecherin mit ihrer bedrohlichsten Stimmlage zu hören, und ein kalter Schauder lässt sich im Hörer wohl kaum vermeiden.

Es gibt bei dieser Hörbuchproduktion weder Geräusche noch Musik, nicht einmal Intro und Outro, so dass ich darüber keine Worte verlieren muss. Aber man fragt sich doch, warum dann die sechs CDs so teuer sind.

_Unterm Strich_

„Body Farm“ ist ein Thriller aus der Frühphase von Cornwells umfangreichem Werk. Hier weiß sie noch wirklich Action zu inszenieren: Autounfälle, Shootouts, Begegnungen mit lebenden Mördern, von Exhumierungen ganz zu schweigen, die ihren eigenen „Action“-Charme entwickeln. Auch an handfester Liebesromantik mangelt es nicht, denn Scarpetta geht mit einem verheirateten Mann ins Bett, und was Marino so treibt, wollen wir lieber nicht wissen.

Im Mittelpunkt steht jedoch immer die Ermittlung um Emily Steiners Tod. Steinchen um Steinchen setzt die Autorin mit ihrem Alter Ego Kay Scarpetta das Mosaik zusammen, bis sich ein schockierendes Bild ergibt, das aber nur einen unausweichlichen Schluss zulässt. Dies führt dann zur finalen Konfrontation. Statt also wie in „Defekt“ die Action auszublenden, wird diese hier noch gezeigt, und zwar mit einem richtigen Knalleffekt.

|Das Hörbuch|

Die Sprecherin Franziska Pigulla ist der entscheidende Faktor, der aus dem wie stets verzweigten Plot so etwas wie ein reales Szenario schafft, indem sie die Figuren durchweg sehr gekonnt und engagiert zum Leben erweckt. Seltsamerweise gelingt ihr dies mit Kay Scarpetta weniger gut, so dass es keine echte Hauptfigur gibt. Auch Benton Westley taugt nicht zum Helden – das ist noch am ehesten Pete Marino, der Polizist auf Abwegen. Er ist auch der Einzige, der für etwas Humor in der Geschichte beiträgt, und das weiß die Sprecherin sehr gut hervorzuheben.

Die Emotionalität, die Pigulla in ihren Vortragsstil investiert, ist nicht jedermanns Geschmack, rührt sie doch direkt an unsere eigenen Gefühle. Aber sie ist mittlerweile ein unverkennbares Kennzeichen der Cornwell-Hörbücher, das ich nicht mehr missen möchte, und wertet sie stets auf, wie ich finde.

|Originaltitel: The Body Farm, 1994
Aus dem US-Englischen übersetzt von Monika Blaich und Klaus Kamberger
435 Minuten auf 6 CDs|
http://www.hoca.de