War Jesus nur ein Mensch oder vielleicht wirklich der Sohn des einzigen Gottes? Vielleicht war er beides zugleich? Die Existenz des historischen Jesus ist zweifelsfrei durch die Forschung bewiesen. Seine Qualen am Kreuz sind uns durch verschiedene Quellen geschildert und finden auch ihren Platz in den vier offiziellen Evangelien. Doch sowohl diese Quellen als auch die Forschungsresultate und Schlussfolgerungen werden weiterhin hitzig diskutiert. Die Wahrheit über das Wirken Jesu und seinen Tod am Kreuz wird weiterhin nicht nur gläubige Christen, sondern auch Geschichts- und Religionswissenschaftler aus aller Welt beschäftigen.
Sein Opfer-Tod und das spätere Wirken seiner Jünger legten den Grundstein des am weitesten verbreiten Glaubens und bilden das Fundament des christlichen Abendlandes, wie wir es kennen. Die katholische Kirche und mit ihr der Vatikan bauten ausgehend von diesen Anfängen ihre wirtschaftliche, staatliche und natürlich religiöse Macht immer weiter aus und beriefen sich dabei vornehmlich auf die vier überlieferten Evangelien. Die Christen jeglicher Nationalität glauben an das göttliche Himmelreich, das ewige Leben und die Vergebung aller Sünden, die wir jemals begangen haben. Hoffnung ist etwas, das wir uns um jeden Preis bewahren wollen. Hoffnung auf Frieden, Liebe und Vergebung.
Doch was hätte uns die Kirche überliefert, wenn die Kreuzigungsgeschichte gänzlich anders verlaufen wäre? Der franco-amerikanische Autor Patrick Graham hat sich in seinem erstem Roman das über Nacht zu einem Bestseller geworden, ein ganz anderes Szenario ausgedacht.
_Inhalt_
Nach endlosen Qualen und Folter durch die römischen Soldaten wird Jesus auf Golgatha ans Kreuz geschlagen. Seinen Glauben hat er trotz aller Schmerzen nicht verloren, doch wenig später fühlt er sich von seinen himmlischen Vater im Stich gelassen und schwört in seiner Wut und Angst Gott ab. Vor den Augen seiner Mutter und den Römern verwandelt sich Jesus in einem dämonisch, brüllenden Janus, den König der Hölle und Gebieter über die dämonischen Herrscharen.
Diese grausam anmutende Überlieferung wurde niedergeschrieben und als „Evangelium nach Satan“ lange Jahre von der Kirche geheimgehalten. Die Veröffentlichung würde die Grundfesten des christlichen Glaubens und natürlich die Position Jesus als Gottes menschgewordenen Sohn erschüttern. Milliarden von gläubiger Menschen würden ihre Hoffnung auf Erlösung verlieren und die gesamte Welt in ein Chaos stürzen, dessen Auswirkungen schwer vorstellbar sind.
Doch Satan sieht seine Zeit gekommen, sein Evangelium zu veröffentlichen, ein Ziel, das er seit Jahrhunderten verfolgt. Seine Diener, allen voran der Seelendieb Kaleb, versuchen das Evangelium in die dämonischen Klauen zu bekommen. Unterstützt werden Satan und seine bösen Engel durch eine Geheimgesellschaft, deren Einfluss bis in die höchsten Kreise der Kirchenkurie reicht.
Maria Parks, Special Agent des FBI, wird ungewollt in die Suche nach dem „Evangelium des Satans“ und damit in ein dunkles und böses Spiel katapultiert. Ihre seltene Gabe, die nach einen verehrenden Unfall zutage trat, bei dem sie ihren Lebensgefährten und ihr Kind verlor, will sich Satan nutzbar machen. Diese Gabe ermöglicht es Maria, Opfer von Gewaltverbrechen in ihren letzten Minuten zu erspüren, alle Empfindungen wie Angst, Schmerz und Verzweiflung werden zu ihren eigenen. Nacht für Nacht wird sie von diesen für sie mehr als realen Träumen gemartert.
Doch diese opferreiche Gabe ermöglicht es Maria auch, als Profilerin beim FBI Massenmörder und Serienkiller aufzuspüren. Als in ihrem Geburtsort Hattiesburg vier junge Frauen spurlos verschwinden, übernimmt Maria den Fall und wird selbst bald Opfer des satanischen Serienmörders. Maria findet die Frauen, die lebendig ans Kreuz genagelt wurden, und sie selbst erleidet später das gleiche grausame Schicksal, wird aber in letzter Minute von Sonderkräften des FBI befreit und kann den Teufelsanbeter erschießen.
Wieder aus dem Krankenhaus entlassen und genesen, glaubt Maria nicht daran, dass dieser verrückte Satanist wirklich tot ist, auch wenn sie die Leiche auf dem Obduktionstisch gesehen hat. Bei ihren weiteren Ermittlungen stellt sich heraus, dass die ermordeten Frauen Nonnen waren und zu dem Orden der Weltfernen Schwestern gehörten. Dieser Orden hat es sich zur Aufgabe gemacht, für den Vatikan Texte und Schriften mit ihren Leben zu schützen, die gefährlich für das Christentum werden könnten, sollten sie in die falschen Hände fallen und veröffentlicht werden.
Maria recherchiert in der Vergangenheit und geht den Spuren Kalebs nach, die bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen. In den Wirren der Pest verschwand das Evangelium des Satans, doch Kaleb war ihm immer dicht auf den Fersen. Zur Seite stand ihm dabei stets die geheime Bruderschaft mit dem Namen „Schwarzer Rauch des Satans“, zu der seit Jahrhunderten viele mächtige Männer und Frauen zählen, deren Ziel es ist, einen eigenen Papst auf den Stuhl Petri zu setzen.
Auf der Welt mehren sich derweil satanische Zeichen, und der vatikanische Exorzist Carzo hat alle Hände voll zu tun, doch durch seinen Vorgesetzten im Vatikan weiß er, worum es bei all dem Bösen geht. Gemeinsam mit Maria versucht er Satans Plan aufzuhalten.
_Kritik_
Ob man als Leser nun an Gott und den Teufel glaubt oder nicht, man kann sich vom dem vorliegenden Thriller durchaus fesseln lassen, doch bedarf es für die Lektüre starker Nerven. Nicht nur der Spannung wegen, sondern weil der Grad der geschilderten Brutalitäten bemerkenswert detailliert beschrieben wird und das Resultat durchaus als gewalttätiger Splatter durchgehen könnte.
Patrick Grahams Mysterythriller ist spannend, aber der Autor hat sich zu sehr auf die Gewaltszenen in seiner Story verlassen. Es offenbaren sich keine wirklich profunden Kenntnisse der Religionsgeschichte; sicherlich ist die Theorie einer Abkehr Jesus von Gottes Seite ein origineller Ansatz, wird aber in diesem Fall etwas zu phantastisch propagiert.
Es gibt zwei Handlungsstränge und zwei Zeitzonen in Grahams Erzählung. Im Prolog erfährt der Leser viel aus der Vergangenheit der Weltfernen Schwestern, die von dem Dämon Kaleb aufgesucht und hingeschlachtet werden, der auf der Suche nach der unheiligen Schrift ist. Ein spannender Teil wie auch die nachfolgenden Rückblenden in die Vergangenheit es zeigen. Die Gegenwart wird natürlich durch das Wirken der FBI Profilerin Maria Parks und den Exorzisten Carzo geprägt, die zwar erst jeder für sich versuchen, Satan aufzuhalten, doch irgendwann zusammenarbeiten müssen, um überhaupt eine Chance haben zu können. Marias Gabe bildet dabei die größte Kraft und effektivste Waffe gegen den alten Feind, die allerdings auch eine dunkle Seite hat.
Graham konzipierte seine Charaktere recht eindimensional, bis auf Maria Parks, deren Verzweiflung und innere Leere sehr gut zum Ausdruck kommen. Sie ist eine wahrlich verlorene Seele, die persönliche Verluste zu erleiden hatte und ihr Leben nun der Aufgabe widmet, grausamen Verbrechern das Handwerk zu legen. Ihre Visionen werden realistisch und nachvollziehbar präsentiert, ganz im Gegensatz zu der sonst recht abstrusen Handlung, die zudem noch selbst für einen phantastischen Thriller unglaubwürdig ist.
Carzo der Exorzist ist ihr gläubiger Partner bei dieser Jagd, der für seinen Glauben ebenfalls persönliche Opfer bringen muss und dabei recht stark auftritt. Leider erfährt man recht wenig von seiner Vergangenheit, doch er und Park geben in jedem Fall ein kraftvolles Duo ab.
Grahams große Leidenschaft soll sein Wissensdurst rund um die Religionswissenschaft sein, doch finde ich die Romangrundlage eher lückenhaft recherchiert und aufgearbeitet. Sein Wissen um die Vorgänge und Abläufe im Vatikan sowie den Exorzismus ist hierbei durchaus solide, bietet jedoch nichts Neues für den Leser.
Der Nervenkitzel und das Grauen entstehen nicht durch das boshafte und hintertriebene Wirken der Dämonen, sondern nur durch ihre grausamen und blutigen Taten, die manches Mal nur schwer zu ertragen sind; auch Marias Visionen aus der Sicht des leidenden Opfers sind regelrecht brutal. „Das Evangelium nach Satan“ präsentiert sich phasenweise wie eine unzensierte Fortsetzungsfolge „Akte X“ oder „Supernatural“, nur leider etwas unausgegoren, unverhältnismäßig komponiert und nicht konsequent durchdacht.
_Fazit_
Die Atmosphäre des Grauens wird in diesem Schmöker durch die beschriebenen Qualen und die Folter durch die Dämonen hervorgerufen, die ihre Opfer physisch verstümmeln und bis aufs Blut quälen, nicht jedoch durch langanhaltende und handwerklich trickreich aufgebaute Spannung, die konstant aufrechterhalten wird.
Der Klerus wird sich wegen dieses Romans nicht wirklich die spärlichen Haare raufen, denn weder beschreibt der Autor unvertraute Interna noch greift er eine Theorie auf, die inhaltlich so spannend und informativ dargestellt wurde, dass sie Fragen im Leser aufwerfen könnte. „Das Evangelium nach Satan“ ist lediglich ein weiterer, wenn auch recht spannender Thriller, der zahlreiche inhaltliche Lücken und in sich unlogische Fragestellungen aufwirft und daher in der Gesamtschau nur wenig unterhalten kann. Detailreiche und blutige Beschreibungen von Qual und Folter lassen sich aber wohl dennoch gut genug verkaufen.
_Der Autor_
Patrick Graham, geboren 1968, war bis zu einem Unfall Flugpilot und arbeitet seitdem als internationaler Unternehmensberater. Seine größte Leidenschaft gehört aber der Religionsgeschichte. Daraus resultiert auch sein Debütroman, „Das Evangelium nach Satan“, der ein internationaler Bestseller wurde und den begehrten „Prix Maison de la Presse“ erhielt. Zurzeit schreibt Patrick Graham seinen zweiten Thriller.
|Originaltitel: L’evangile selon Satan
Übersetzung: Adam Hall
651 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-442-37125-9|
http://www.blanvalet-verlag.de