Melvin Burgess – Doing it (Lesung)

Mal im Ernst: „Harte Jungs“ schwer in der Bredouille

Der Roman erzählt von drei Jungs, die zu einer Schülerclique an einer englischen Schule gehören. Die Primaner haben mehr Probleme mit dem anderen Geschlecht als mit ihren schulischen Leistungen. Allerdings hat das eine mit dem anderen zu tun.

Ben hätte es sich nie träumen lassen, eine Affäre mit seiner Lehrerin zu haben. Jonathan wird von der „dicken Kuh“ Deborah angemacht. Der beliebte Dino geht zwar mit Jackie, doch die will ihn nicht ranlassen. Dafür rächt er sich mit Siobhan, die in Wahrheit Zoe heißt. Als man Zoe steckt, dass Dino sie mit Jackie betrügt, dreht sie den Spieß um. Schon sehr bald breitet sich um Dino das Chaos wie ein Virus aus.

Der Autor

Melvin Burgess, 1954 in London geboren, wuchs in den Grafschaften Surrey und Sussex auf. Er arbeitete als Journalist, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Seine Jugendbücher wurden u. a. mit dem |Guardian Fiction Award| und mit der |Carnegie Medal| ausgezeichnet. Burgess lebt mit seiner Familie in Manchester.

Der Übersetzer

Andreas Steinhöfel, der Autor des Jugendbuches [„Die Mitte der Welt“, 804 hat den offenherzigen Text ins Deutsche übertragen und dabei eine stimmige und feinfühlige Handhabung der Sprache selbst an intimsten Stellen an den Tag gelegt. Geboren 1962 in Battenberg, studierte er Amerikanistik, Anglistik und Medienwissenschaften. Er schreibt Drehbücher, Rezensionen und seit 1991 zahlreiche Kinder- und Jugendbücher.

Die Sprecher

Gesprochen werden die Rollen von Maren Eggert, Ulrike, Grote, Peter Jordan, Hans Löw, Jona Mues, Andreas Pietschmann und Janna Striebeck. Im Booklet stehen keine Angaben, wer davon welche Rolle spricht. Ist auch unerheblich, weil nämlich ein und dieselbe Figur mitunter von zwei Sprechern interpretiert wird, je eine für die Außen- und eine für die Innenperspektive.

Handlung

Zunächst sieht es für Ben, Jonathan und Dino in Sachen Liebe und Sex relativ gut aus. Nicht nur die drei Freunde sind randvoll mit jugendlichen Hormonen abgefüllt, sondern auch ihre prospektiven Opfer.

Dino

… geht beispielsweise mit der ebenfalls sehr beliebten Jackie. Das Petting mit ihr, etwa abends im Park, ist echt heavy. Nur eines frustet Dino total: Sie lässt ihm ums Verrecken nicht in ihr Höschen. Frustriert lässt er sie schließlich abblitzen. Schließlich haben auch noch andere Väter schöne Töchter. Jackie hingegen wundert sich über sich selbst: Warum gibt sie ihm nicht alles, wenn er sich doch so sehr für sie interessiert? Weil sie nicht seine Trophäe sein will.

Ben

Auch das Los von Benjamin ist nicht das leichteste: Seine Lehrerin Alie (kurz für Alison) Young verführt ihn erst mit einem Blowjob und als er sich als verschwiegen und diskret erwiesen hat, kriegt sie ihn vollends rum. Leider hat sie eine Masche, die an emotionale Erpressung durchaus heranreicht, wie Ben findet, und nach etwa einem Jahr, in dem ihre Affäre immer noch nicht aufgeflogen ist, sehnt er sich nach echter Liebe – der pure, geile Sex mit Alie reicht ihm nicht mehr. Aber wie soll er diese Klette loswerden? Da kommt ihm Alies Mutter in den Sinn …

Jonathan

… schließlich steht seinem Glück selbst am meisten im Weg. Wegen einer Wette mit Ben und Dino macht er sich an Deborah Sanderson heran. Nur ist Deb, wie sie kurz genannt wird, dick und fett, wenn auch nicht unbedingt hässlich. Sie trägt ihr Los mit Fassung und kluger Philosophie („mal was anderes als die magersüchtigen Model-Kopien, oder?“) und erweist sich als dankbare und geduldige Abnehmerin von Jonathans Zuwendung.

Leider weiß Jonathan, der sich laufend intensiv mit seinem „besten Freund“ unterhält, mit der Sympathie Debs, die wirklich alles für ihn geben würde, wenig anzufangen, denn er ist verzweifelt. Er hat ein echtes Problem mit seinem Schwanz, dass offensichtlich nicht nur psychologischer Natur (das beste Stück schert sich keinen Deut darum, was sein Kopf sagt), sondern auch körperlicher Natur ist. Seine ganz private verzweifelte Diagnose lautet denn auch niederschmetternd: Schwanzkrebs!

Als Deb ihn überreden kann, möglichst bald mit seinem Problem, von dem er ihr nichts erzählen will, zum Arzt zu gehen, stellt sich der Onkel Doktor als die hübscheste Ärztin heraus, die er je gesehen hat. Jonathan Green würde am liebsten im Boden versinken.

Let’s have a party!

Die Wege der drei Jungs kreuzen sich wieder, als Dinos Eltern übers Wochenende verreisen und Dino in seiner sturmfreien Bude eine wüste Party veranstaltet. Tatsächlich ist die Party derartig wüst, dass er noch bis zum Montagmorgen mit Aufräumen zu tun hat (Details erspare ich euch lieber). Am Sonntagabend hat er auf dem Sofa ein mageres Mädchen entdeckt, das er zum Beischlaf mehr oder weniger nötigt. Sie nennt sich Siobhan, heißt aber Zoe und ist eine professionelle Ladendiebin. Ahnungslos entschädigt sich Dino mit Zoe für Jackies erneute Abfuhr auf der Party.

Als Zoe von ihrer Komplizin gesteckt bekommt, dass er sie mit Jackie betrügt, rächt sie sich. Am nächsten Tag bekommt sein Stiefvater nicht nur einen (gefälschten) Blauen Brief von der Schulleitung, sondern Dino wird auch noch als Ladendieb verhaftet. Was er bloß mit der Damenunterwäsche wollte …?

Das Chaos nimmt seinen Lauf, und Dino wird zu einem Aussätzigen. Werden ihn seine Freunde retten?

Mein Eindruck

Auch wenn die Schüler und Schülerinnen, um die es hier geht, erst 15 oder 16 Jahre alt zu sein scheinen, so erweisen sich ihre Probleme, mit dem dauernden Hormonbeschuss und den Liebeshändeln zurechtzukommen, als von einer Gültigkeit, die auch ältere Menschen betreffen dürfte (sagen wir mal: bis 40, denn danach folgt offenbar der Scheintod als nächste Lebensphase).

Auch dass Ben, Jon und Dino aus England kommen, spielt kaum eine Rolle. Die Sex- und Balzrituale sowie die gesetzlichen Gegebenheiten sind fast die gleichen wie hierzulande. (Über die Sprache: siehe den Abschnitt „Übersetzung“.) Und überall wird ein männlicher Ladendieb, den man mit Damendessous erwischt, sehr schräg angesehen, oder?

Aus diesen Gründen fällt es leicht, sich in das Geschehen hineinzuversetzen. Auch wenn dieses aus einer Achterbahnfahrt aus (unterdrückten) Wünschen und verschwiegenen Ängsten, aus Gedanken und Gefühlen über Lust und Liebe zu bestehen scheint. Aber genau diese Abwechslung macht „Doing it“ ja so unterhaltsam und stellenweise sehr amüsant.

Tragikomik

Die Nöte der Beteiligten werden jedoch vom Autor absolut ernst genommen, und keine einzige Figur wird der Lächerlichkeit oder der rückhaltlosen Kritik preisgegeben. Es ist eben, wie es ist, und das ist allzu Menschliches. Ben hat zwar Sex, will aber Liebe. Jonathan könnte zwar sowohl Liebe als auch Sex bekommen, steht sich aber mit seiner Angst und seinen Selbstzweifeln selbst im Weg. Dino hingegen schwebt erst auf Wolke Sieben, nur um dann in eine Vorhölle abzustürzen, aus der er selbst keinen Ausweg mehr zu finden scheint. (Merke: Hochmut kommt vor dem Fall. Wer kann, darf darüber lachen und werfe den ersten Stein.)

Die angesprochenen Probleme bilden keinen Selbstzweck, um darin eine Sitcom zu veranstalten. Burgess ist viel zu schlau dafür und sein Anliegen viel ernster. Er bietet Lösungen an, zeigt, wie die einzelnen Figuren, die wir inzwischen lieb gewonnen oder zumindest kennen gelernt haben, aus dem Schlamassel wieder herausfinden könnten, in dem sie stecken. „Leave no man behind!“ Was fürs Marine Corps gilt, wird auch hier umgesetzt.

Die Frauen

Und das betrifft selbstverständlich auch die weiblichen Figuren. Was doch für einen männlichen Autor einigermaßen ungewöhnlich ist. Er stellt seine Frauen und Mädchen nicht auf den Sockel. Eine Mutter, die fremdgeht? Okay, soll es geben. Eine Lehrerin, die dringend Sex mit einem Schüler braucht? Hat es schon gegeben. Ein Mädchen, das seine Jungfräulichkeit nicht einem Trophäenjäger nachschmeißen will? Kann man gut verstehen. Eine skrupellose Ladendiebin, die sich nur auf Partys begibt, um in dem jeweiligen Haus Wertsachen abzugreifen? Hier finden wir sie.

Burgess ist sozusagen unparteiisch. Wenn er Jungs realistisch darstellt, dann auch Mädchen. Das mag ihm nicht jeder verzeihen (der sich darin wiederfindet), aber bei mir bringt das dem Autor Pluspunkte ein.

Klischees?

Natürlich gehört es seit den diversen Verfilmungen zum Standardrepertoire der Sexkomödie, dass ein Mann mit seinem „besten Stück“ redet. Der erste Autor, der das erfolgreich praktizierte, war der Italiener Alberto Moravia, der in den Sechzigern zahlreiche Tabus brach. Dass auch noch Männer „schwanzgesteuert“ sein sollen, hat sich inzwischen gerüchteweise herumgesprochen und dient als Munition gegen „Sexisten“, „männliche Chauvinistenschweine“ und andere politisch inkorrekte Zeitgenossen, die man an den Pranger stellt – zu welchem Zweck auch immer.

Wie es hinsichtlich der Steuerung mit den Pussys der Mädels aussieht, wird immer noch gerne verschwiegen, und seitens der Erotikliteratur, in der dieses Motiv häufig vorkommt (aus offensichtlichen, eigennützigen Gründen), kann man sich nicht gerade auf ein objektives Urteil verlassen. Aber der „Hormonbeschuss“ dürfte im weiblichen Lager nicht geringer ausfallen als im männlichen Teil der Bevölkerung.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Musik gibt es keine, und sie würde auch nur vom rasant erzählten Geschehen ablenken. Im Booklet stehen keine Angaben, wer von den sieben Sprechern welche Rolle spricht. Das erweist sich als unwichtig, weil nämlich ein und dieselbe Figur mitunter von zwei Sprechern interpretiert wird, je eine für die Außen- und eine für die Innenperspektive. Es gibt also Figuren, die als ihre eigenen Erzähler auftreten, und Figuren, die einen Monolog führen, der nur ihre Innenperspektive darstellt.

Manchmal, und das kann ein wenig verwirren, sind diese Figuren ein und dieselbe. Das trifft zum Glück nur für den Erzählstrang von Dino zu, der ja sowieso ziemlich komplex ist. In Dinos Welt tauchen neben Jackie und der zwielichtigen Zoe auch noch seine Familie auf. Er erwischt seine eigene Mutter beim Fremdgehen mit dem Techniklehrer, und da Dino kein Freund von Verschwiegenheit und Heuchelei ist, lässt seine Indiskretion die Familie daran zerbrechen. Wie er damit umgeht, was er angerichtet hat, ist ebenso feinfühlig dargestellt wie der ganze Rest des Buches.

Die Stimmen passen zu den Figuren, aber vor allem dann am besten, wenn es um den typisch jugendlichen Eifer geht, der sich in einer gewissen Egomanie und Voreingenommenheit äußert. Die Interessen der menschlichen Umgebung sind im eigenen Erleben einfach noch nicht so bedeutsam wie das eigene Ich – oder der eigene Körper, der mit „Hormonbeschuss“ vehement sein Recht auf Sex verlangt. Dieser Eifer zeigt sich am ehesten in Jonathan, dem vom Schwanzkrebs so niederschmetternd Befallenen. Diese schreckliche Krankheit, von der wir zum ersten Mal hören, bedeutet für den Betroffenen sicherlich der Untergang der Welt, ist für uns aber saukomisch. Der Sprecher des Jonathan bringt dessen Verzweiflung wunderbar glaubwürdig zum Ausdruck.

Die Übersetzung

Man muss sich in der aktuellen, sich ständig verändernden Sprache der britischen Jugend schon ziemlich auskennen, um ein solches Buch angemessen ins Deutsche übertragen zu können. Andreas Steinhöfel hat es eindeutig drauf. Die Sprache der Szene klingt so echt, als käme sie aus deutschen Landen, doch trägt er nicht so dick auf, dass die Sprache nur in bestimmten Regionen – etwa nur im Norden – verstanden würde. Deshalb ist dieses Deutsch auch nicht das Deutsch von der Straße oder aus irgendwelchen Rappersongs, weil dieses Deutsch viel zu zeit- und veränderungsabhängig wäre, um länger als zwei, drei Jahre Gültigkeit zu besitzen. Und wo diese fehlt, klingt der Ausdruck unecht, wenn nicht sogar lachhaft. Das sollte offensichtlich vermieden werden und ist auch gelungen. Daher handelt es sich bei Steinhöfels Eindeutschung wohl um einen Kompromiss zwischen Umgangssprache und literarisch gültigem Ausdruck – ein schmaler Grat.

Unterm Strich

„Doing it“ ist zum Glück keine Schulklamotte mit Axel Steinfeld („Harte Jungs“), auch wenn darin schwanzgesteuerte Jungs und ein dickes Mädchen vorkommen. Die entsprechenden Gags sind zu erwarten. Doch die angesprochenen Probleme gehen etwas über solchen Komödienstoff hinaus. Da bricht eine Familie auseinander, und Dinos Leben nähert sich rasant einem Tiefpunkt: Exitus vorprogrammiert? Selber lesen!

Hätte Rufus Beck alle sieben Stimmen gesprochen – zuzutrauen wäre es ihm ja -, wäre das Hörbuch lange nicht so abwechslungsreich und glaubwürdig geworden. Dazu trägt besonders die gelungene Übersetzung durch Andreas Steinhöfel (s. o.) bei. Ob man sich mit den angebotenen Lösungsansätzen anfreunden kann oder nicht, feststeht, dass man sich dabei recht gut unterhalten kann.

4 CDs: 260 Minuten
ISBN-13: 9783899032208

https://www.hoerbuch-hamburg.de/

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