Cornwell, Bernard – Stonehenge

Einen Roman über die Entstehung von Stonehenge konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Geben die „aufgehängten Steine“, so eine mögliche Übersetzung des Namens Stonehenge, doch seit jeher Rätsel auf. Bis heute konnte nur die Frage nach dem Wann? zufrieden stellend gelöst werden, jedoch die Antworten auf das Wie?, Wer? und vor allem Warum? bestehen aus Spekulationen, Vermutungen und purem Rätselraten. Optimale Voraussetzungen für einen umfangreichen historischen Roman rund um das berühmteste Bauwerk dieser Art, dessen sich der britische Autor Bernard Cornwell – u.a. durch seine Arthur-Trilogie bekannt geworden – leidenschaftlich annimmt.

Wahrheit und Fiktion – was was ist, erklärt der ehemalige BBC-Reporter in einem ausführlichen Nachwort selbst, das auch die wissenschaftlichen Ergebnisse in Bezug auf vorgeschichtliche Steinkreis-Anlagen – die in der Zeit von 4000 bis 1500 v.Chr. in ganz Nordwesteuropa entstanden sind – und im Besonderen auf Stonehenge zusammenfasst. Sehr informativ und gut erklärt! Darum werde ich mir einen Vergleich auch sparen, nur so viel sei erwähnt, dass der Autor die geschichtlichen Fakten für ein glaubwürdiges, mitreißendes Spektakel geschickt verwendet und den Leser gekonnt glauben macht: Genau so und nicht anders ist es passiert!

Aber was ist nun passiert?

Fremdländisches Gold zerstört die Idylle von Ratharryn und bringt die Gottheiten zum Wüten. Aufgefunden in einem nicht mehr benutzten Tempel, weiß niemand, woher es stammt und warum es aufgetaucht ist. Und die Fremdländischen wollen es zurück, denn es sind göttliche Schätze, deren Verlust nur Unglück bringen kann. Zwietracht bringt es auch nach Ratharryn, denn des Clanführers ältester Sohn Lengar will es zum Krieg gegen den Nachbarn Cathello verwenden. Doch sein Vater entscheidet, dass es nun zum Stamm gehört, und um die Götter zufrieden zu stellen, muss der Tempel neu erbaut werden.

Lengar kehrt mit den Fremden in ihr Land zurück, womit sein jüngster Bruder Saban nun der zukünftige Clanführer ist, denn der mittlere Bruder Camaban ist verkrüppelt und damit aus dem Stamm ausgestoßen. Doch Camaban schafft es, bei der mächtigen Zauberin Sannas von Cathello in die Lehre zu gehen. Er geht ebenfalls zu den Fremden, mit dem Plan, Slaol, dem Sonnengott, den größten, beeindruckendsten Tempel aller Zeiten zu bauen, denn als Ausgestoßener hat er in eben jenem verfallenen Tempel gelebt, als das Gold kam und Slaol hat schon immer zu ihm gesprochen. Und er will einen Steintempel, genau wie Cathello, nur mächtiger und größer.

Nachdem Saban die Mannbarkeitsprüfung überstanden und Derrewyn aus Cathello geheiratet hat, kehrt Lengar mit einem Vernichtungsfeldzug zurück, tötet seinen Vater, schickt Saban in die Sklaverei zu den Fremden nach Saramennyn und erhebt sich selbst zum neuen Clanführer.

In Saramennyn angekommen, wird Saban wieder frei und lernt die Gebräuche der Fremden kennen. Jedes Jahr zur Mitsommerwende wird eine Sonnenbraut dem Sonnengott durch Verbrennen geopfert, jedoch ist diese Sonnenbraut für einen Monat vorher eine Göttin. Als Aurenna, die neue Sonnenbraut, vom Gott verschont bleibt, wird sie seine neue Frau, allerdings bleibt sie immer in Kontakt mit dem Gott.

Camaban erwählt Saban zum Baumeister und die Suche nach den richtigen Steinen beginnt ca. 135 Meilen von seiner Heimat entfernt. Sie finden nicht nur die Steine, sondern einen fertigen Tempel, den der verrückt gewordene Hohepriester der Fremden auf einem Berganhang gebaut hatte. Saban muss jetzt noch eine Lösung für den unmöglich erscheinenden Transport finden, doch Camaban lässt ihm keine Ruhe und so baut Saban Schiffe, die stark genug sind, um die mannshohen Steine fortbewegen zu können. Der Transport der Steine und der neue Aufbau erstreckt sich über viele Jahre und als der neue Tempel steht, ist er enttäuschend klein und unscheinbar. Ein neuer Tempel soll gebaut werden, diesmal der richtige, denn hinzu kommt, dass der Tempel nun noch mehr Bedeutung hat: Er soll den Sonnengott und die Mondgöttin zusammenführen und damit den Tod, den Winter und alles Leid aus der Welt vertreiben …

Mit jeder Seite von „Stonehenge“ bricht eine Informationswelle über den Leser herein, die einerseits ein wenig erdrückend erscheint, andererseits so detailliert und fesselnd ist, dass ich zumindest nichts überlesen konnte und wollte. Die Story wird nie langweilig, da immer wieder Drehungen und Windungen den roten Faden zu einer Schleifenlinie werden lassen und neue Charaktere einen völlig anderen Wind hineinbringen. Die Charaktere sind überhaupt großartig, allein Camaban fasziniert durch seine herausfallende Entwicklung und den heranwachsenden Wahnsinn, der in der damaligen Zeit sicherlich bei Priestern und Zauberern vorherrschte und somit das Volk in Schach hielt.

Jeder von ihnen besticht durch Lebendigkeit, Kraft und eine ureigene, perfekt ausgearbeitete Persönlichkeit, die zusammengebracht ein Feuerwerk höchsten Lesegenusses auslösen. Lengar, der eiskalte Krieger, Saban, der ruhige, kluge Baumeister, Camaban, der sich selbst als die Verkörperung des Sonnengottes sieht, Derrewyn, die hasserfüllte, gnadenlose Zauberin und schließlich auch Aurenna, die, durch Camaban angesteckt, selbst dem Wahn anheimfällt und glaubt, die Mondgöttin zu sein – sie alle verfolgen ihre eigenen Ziele, haben ihre eigenen Wünsche und doch verbindet sie der Bau des Tempels. Freiwillig oder unfreiwillig, sie beugen sich den Göttern.

Ebenfalls ein wichtiger Beitrag zu diesem Meisterwerk sind die Beschreibung der Gedanken von Camaban, die geistige Entstehung des Tempels und das stetige Wachsen seiner Bedeutung. Beeindruckend schildert Cornwell, wie das Leben seiner Protagonisten voll und ganz auf den Glauben ausgerichtet ist, wie alles mit den Göttern zusammenhängt und welche Abhängigkeit sich daraus ergibt.

Es ist natürlich sehr wahrscheinlich, dass Stonehenge zur Himmelsbeobachtung genutzt wurde, aber auch Rituale wie Beerdigungen, Hochzeiten, Opferungen etc. werden dort stattgefunden haben, doch warum dieses große, beschwerliche, fast übermenschliche Unterfangen? In vielen Urvölkern gibt es die Legende, dass die Sonne und der Mond vor Beginn der Zeit Liebende waren und sich im Streit getrennt haben – vielleicht wurde Stonehenge ja wirklich erbaut, um beide wieder zueinander zu führen?

Auf jeden Fall ist „Stonehenge“ ein Buch, das allemal lesenswert ist, für mich eines der besten historischen Werke, die ich bis jetzt in der Hand hatte.

Homepage des Autors: http://www.bernardcornwell.net

Mehr zu dem Thema:
http://www.england-seiten.de/specials/stonehenge
http://www.stonehenge.brain-jogging.com