H. G. Wells – Die Zeitmaschine (Teil 2)

Der Zeitreisende in der Falle der Morlocks

„Oliver Dörings Adaption von H. G. Wells Science-Fiction-Klassiker „Die Zeitmaschine“ ist ein Hörspiel-Erlebnis der besonderen Art. Nie wurde die packende Geschichte um einen Mann, der in eine ferne Zukunft reist und dort das Grauen erlebt, aufwendiger inszeniert. Mit herausragenden „Hollywood-Stimmen“, einem phantastischen Sounddesign und filmreifer Musik wird Wells visionäres Werk zum Kopfkino.“ (Verlagsinfo)

Der 2. Teil berichtet von Jack Miltons Entdeckungen in der Unterwelt des Jahres 802701 und von seinen zwei Reisen ans Ende der Welt…

Empfohlen ab 12 Jahren

Der Autor

H(erbert) G(eorge) Wells wurde am 21.9.1866 in Bromley/Kent geboren und starb am 13.8.1946 in London. Nach einer Kaufmannslehre absolvierte er ein naturwissenschaftliches Studium mit Prädikatsexamen; nach nur wenigen Jahren als Dozent lebte er als freier Schriftsteller. Sein Gesamtwerk umfasst etwa hundert Bände. Zu Weltruhm gelangte er mit seinen Romanen und Erzählungen, die ihn als Begründer der modernen Science-Fiction, als genialen phantastischen Utopisten und als kritisch-humorvollen Gesellschaftssatiriker ausweisen. (Verlagsinfo, dtv)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Jack – Hans-Georg Panczak
Cabbs – Bernd Rumpf
Peter – Udo Schenk
Weena – Luisa Wietzorek
Mr. Blank – Oliver Stritzel
Mr. Chose – Reinhard Kuhnert

sowie Marianne Groß, Maximiliane Häcke, Juliane Ahlemeier, Nico Sablik, Marcus Staiger, Annika Gausche und Joachim Kerzel

Die Macher

Produktion: IMAGA – Alex Stelkens & Oliver Döring (www.imaga-shop.de)
Produktionsleitung und Regieassistenz: Ila Panke
Tontechnik: Thomas Nokielski
Buch, Schnitt und Regie: Oliver Döring
Mehr Info: www.folgenreich.de

Handlung von Teil 2

Der Bericht des Zeitreisenden, Fortsetzung

Da seine Zeitmaschine verschwunden ist, muss sich Jack den Menschenwesen zuwenden, die ihn liebevoll umgeben. Sie sind wie Kinder, findet er, und eines, das sich „Weena“ nennt, legt ihm einen Blumenkranz um den Hals. Wenig später hat Jack Gelegenheit, Weena aus dem nahen Fluss zu retten, Kein anderer der Wesen, die Weena „Eloi“ nennt, interessierte sich für die Ertrinkende. Das Paradies hat einen Riss bekommen. Fortan folgt ihm das Mädchen wie ein treuer Hund. Wie ein Hund führt sie ihn herum.

Nichtexistent

An Brunnenschächten vorüber führt ihn Weena zu Hütten und hallen, wo Eloi leben. In einem besonderen haus leben Kinder, aber sie werden nicht hier ausgebrütet, sondern in einer Brutstation. Dies hier ist nur die Entwicklungsstation. Eine ältere, die Jack als Hologramm identifiziert, beantwortet seine Fragen. Ja, es gebe Überreste einer versunkenen Kultur, die sich selbst vernichtet habe. Es gab eine Zwischenspezies, danach den Homo sapiens aptus, also den angepassten Menschen.

Diese Spezies teilte sich in die Eloi, die er vor sich sehe, und die Morlocks auf, die das Licht scheuen und folglich unter der Erdoberfläche hausen und nur nachts erscheinen. Jetzt wird Jack der Zweck der Brunnenschächte klar. Die Frage nach einem Zugang wird nicht beantwortet. Das Hologramm hat entschieden, dass Jack nicht existiert.

Morlocks

So einen Brunnenschacht will Jack erkunden, denn innen erblickt er Sprossen, die in die Tiefe führen. Weena hat Angst vor dem Schacht (aus gutem Grund) und will Jack nicht gehen lassen. Er verspricht ihr hoch und heilig zurückzukehren. Mit einer primitiven Fackel als Lichtquelle steigt er in die Tiefe.

In der Unterwelt entdeckt Jack die Wahrheit über die Beziehung zwischen Eloi und Morlocks: Eloi sind deren beute und Nahrung. Als seine Fackel erlischt, ergreift er die Flucht vor den knurrenden Bestien mit der bleichen Haut. Er hätte sie unterschätzt: Sie sind zu einem heimtückischen Gasangriff auf die nichtsahnenden Eloi fähig und bei ihrer Attacke entgeht Weena nur durch Jacks Eingreifen der Gefangennahme.

Im Museum

Weena will Jack, den sie als Vaterersatz und Beschützer betrachtet, ein Flugzeug zeigen. Sie beherrscht inzwischen seine Sprache und vermag sogar eigenständig Fragen zu stellen. Das Flugzeug befindet sich im Museum. Es wurde inzwischen längst von Morlocks geplündert, aber sie haben vergessen, den Alkohol in den Konservierungsbehältern mitzunehmen. Den braucht Jack jetzt als Brennstoff für sein Feuerzeug.

In der Falle

In der Nacht kuschelt sich Weena an Jack, der ein Feuer entfacht hat und nun für sie Wache hält. Mit seiner Wachsamkeit ist es indes nicht weit her. Er erwacht aus seinem Schlummer, als Weena aufschreit und in den Händen von knurrenden Morlocks verschleppt wird. Weitere Morlocks locken ihn zur Sphinx, wo zu seiner Freude die Zeitmaschine unter dem Sockel der Sphinx steht. Wieder hat er die Intelligenz der Morlocks unterschätzt, denn natürlich handelt es sich um eine Falle…

Mein Eindruck

Die Aufteilung der Menschheit in zwei völlig unterschiedliche Erscheinungsformen ist Wells‘ kritische Vision für die Entwicklung der viktorianischen Gesellschaft gewesen. Die Eloi sind die kindliche Oberschicht, die sich nur dem sinnfreien Vergnügen widmet. Die Morlocks hingegen stehen für die räuberischen Arbeiter, die die Maschinen bedienen, mit denen die Eloi ernährt werden. In Dörings Remake verfügen sie offenbar auch über Computer, denn wie sonst könnten sie ein Hologramm erzeugen und ihm die Antworten zuschicken, die es dem Zeitreisenden liefert? Wie gesagt: Es wäre ein Fehler, die Morlocks zu unterschätzen.

Um der Falle der Morlocks zu entkommen, pfeift Jack auf die Rettung Weenas und erweist sich damit als gewissenloser Schweinehund. Vielmehr hat er nichts Eiligeres zu tun, als den Starthebel zu drücken, um den Morlocks zu entkommen. Einen davon nimmt er noch unfreiwillig mit, was zu einer gruseligen Szene führt…

Nächste Station ist die sattsam bekannte Endzeitvision einer kahlen Erde, in der ein toter Ozean Nur, Krebstiere und Fliegen vegetieren unter einer fetten roten Sonne. Als einer der Krebse angreift, fliegt der Zeitreisende weiter in die Zukunft, statt in Weenas Zeit zurückzureisen und sie zu retten. Das grenzt schon an Frivolität. In der nächsten Epoche ist die Luft giftig, und ein Tentakelwesen greift an. Jack landet im Garten vor seinem Labor, was sich als Glück erweist. Wäre er an der gleichen Stelle wie beim Start erschienen, hätten sich die beiden Jacks gegenseitig aufgehoben. Durch Verrücken der Maschine haben ihm die Morlocks das Leben gerettet…

Aber es gibt noch zwei Nachspiele zu dieser denkwürdigen Nacht. Drei Jahre warten die Zeugen vergebens auf Jack Miltons Rückkehr. Nur die fremdartige Blume bezeugt seinen Bericht.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Der Zeitreisende Jack Milton wird von Hans-Georg Panczak als manischer Forscher dargestellt, der keine Infragestellung seiner Ehre hinnimmt. Er wird immer gleich wütend. Dieser viktorianische Wesenszug widerspricht den lässigen siebziger Jahren, in die das Geschehen verlegt wurde. Von Kiffen und Video ist hier keine Rede, ja, sogar die Autos hupen noch. Etwas stimmt hier überhaupt nicht. Die Manie Jacks erklärt aber immerhin, warum er quasi betriebsblind ist: Er hält die Morlocks für genauso blöd wie die Eloi und tappt dementsprechend leicht in deren Falle.

Der von Bernd Rumpf gesprochene Cabbs hält mit tiefer Stimme einen Funken Autorität und gesunden Menschenverstand dagegen. Cabbs berät sich stets mit Peter, dem von Udo Schenk gesprochenen Dauerzweifler.
Mr. Blank, gesprochen von Oliver Stritzel, Mr. Chose – Reinhard Kuhnert – und Mrs. Watchett – Susanna Bonaséwicz – sind lediglich Randfiguren, die dem Geschehen einen Funken von Realismus verleihen sollen. Außerdem dienen sie als „Mauerschauer“, die beschreiben, was quasi off-screen passiert. Leider wird die Sprecherin der Weena nicht gesondert aufgeführt, was ich sehr schade finde. Als Announcer fungiert Joachim Kerzel, die bekannte Stimmbandvertretung für Dustin Hoffman und viele andere Hollywoodgrößen.

Geräusche

Am Anfang wird der historischen Vorlage die Reverenz erwiesen: das Ticken der Standuhr, das Wiehern der Pferde einer Kutsche. Doch statt hupende Autos vorfahren zu lassen, vernehmen wir nur das Streichen eines Kreidestücks auf einer Schiefertafel – so antik waren die siebziger Jahre noch. Auch die Türklingel und das Teegeschirr versetzen uns nicht gerade aus seligen Baker-Street-Zeiten in die Gegenwart.

Erst der Einsatz des Kassettenrekorders ist stilecht. Dass man dem Zeitreisenden keine Videokamera mitgegeben hat, liegt wohl in der Natur des Mediums: In einem Hörspiel können wir keine Videos genießen. Der Rekorder liefert wenigstens deutlich hörbare Tastenklicks – und einen deutlich veränderten, dumpferen Stimmenklang.

Je nach Zeitstopp, den der Zeitreisende einlegt, ändert sich die Geräuschkulisse – und das sogar innerhalb der Szene von 802701: vom Naturidyll über den „Kindergarten“ und das Museum bis zu den Untergrundszenen bei den Morlocks. Durch die vielen Rückblenden in den Bericht des Zeitreisenden lassen sich sehr viele Szenen dramaturgisch so gestalten, dass der Zuhörer möglichst „nah“ am Geschehen ist. Geräusche wie Schüsse können dementsprechend laut ausfallen.

Ganz besonderen Wert hat die Tonregie auf die Geräusche gelegt, die die Zeitmaschine selbst erzeugt: Ein Zischen und Sirren, ein elektronischer Sound, ja, sogar ein Donnerschlag – all das gehört zu diesem Phänomen. Klangtechnisch ist das Hörspiel herausragend gestaltet worden. Als Mr. Blank ein „City-Taxi“ ordert, klingt der Auftragnehmer durch einen Tonfilter entsprechend verzerrt. Das Telefon hat eine Wählscheibe, und das Freizeichen ist ebenfalls von anno Asbach.

Musik

Musik wird meist mehr als Intermezzo genutzt statt als Hintergrunduntermalung. Das sorgt dafür, dass sie die Dialoge nicht überlagern kann, auf die es ja ankommt. Die Musik steuert üblicherweise die Stimmung, die eine Szene vermittelt: Anspannung, Entspannung, Heiterkeit oder Angst – viel Angst. Denn im Kern ist „Die Zeitmaschine“ ein Gruselstück: Das Publikum soll sich vor den schrecklichen Morlocks, die ja letzten Endes Kannibalen sind, ordentlich fürchten. Dementsprechend wechselt auch die Musik zwischen heiterem Idyll, Angespanntheit und schließlich dynamischer Dramatik.

Ausstattung

Die CDs stecken jeweils in einem Jewel-Case und sind mit dem jeweiligen Cover bedruckt. Das Booklet enthält die entsprechenden Sprecherlisten und Technik-Credits sowie Eigenwerbung für die geplanten weiteren Wells-Umsetzungen, die geplant sind: „Das Imperium der Ameisen“ auf einer CD und „Krieg der Welten“ auf drei (!) CDs.

Unterm Strich

Mich hat das Hörspiel mit seinen vielen Widersprüchen – siehe unten – nicht gerade umgehauen. Immerhin aber folgt die Handlung der Vorlage stärker als es etwa die zwei Verfilmungen und die Vertonung durch Titania Medien taten. Sogar das Museum kommt diesmal zum Zuge. Dass bei den „Menschenwesen“ von der Eloi-Gattung Brutzentren und Entwicklungszentren eingerichtet worden sind, gemahnt eher an die entsprechenden Beschreibungen in Aldous Huxleys Roman „Brave New World“ von 1928. Die Auftritte der Morlocks sorgen für Spannung und Action.

Was der Handlung und ihrer Dramaturgie leider fehlt, ist ein moralisches Zentrum. Dass der Zeitreisende über keinerlei Moral verfügt, erfahren wir ja schon bei seiner ersten Vorstellung: Er hat fremde Gelder veruntreut. Sein manischer Egozentrismus geht natürlich noch weiter und bricht sich immer wieder Bahn. Schließlich erreicht sein Handeln in ethischer Hinsicht den absoluten Tiefpunkt, als er Weena den Morlocks überlässt, die ja bekanntlich eine kannibalische Ader haben… Dass er dennoch weiter ungerührt die Zukunft erkundet, ist pure Frivolität.

Diese Charakterzeichnung ist also gründlich in die Hose gegangen, und der Zuhörer verspürt keinen Funken Sympathie für den Helden. Deshalb rühren uns auch seine Eskapaden nicht die Bohne. Man sollte sich fragen, ob dies im Sinne des Erfinders war – H.G. Wells hätte Oliver Döring wahrscheinlich zum Duell gefordert. Die einzige moralische Autorität, die der Rede wert ist, stellt lediglich Cabbs, Jacks bester Freund, dar. Deshalb ist es kein Wunder, dass er unter denjenigen ist, die drei Jahre später auf „den Menschen“ anstoßen, nicht etwa auf Jack Milton…

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern (Joachim Kerzel, Panczak u.a.) und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Warum sich eine Handlung, die in den 1970er Jahren stattfinden soll, aber so anhört, als stamme sie aus dem Jahr 1897, ist eine Frage der Dramaturgie. Die Charaktere hätte man ebenso umschreiben müssen wie die Verlegung der Epoche, so dass sie in die lässigen 70er passen. Ob man damals allerdings schon „Mindfuck“ gesagt hätte, wage ich zu bezweifeln. Hippies hätten wohl von einem „Trip“ oder einem „High“ geredet. Insgesamt mangelt es der Handlung und Dramaturgie an Plausibilität. Das kann die hervorragende technische Umsetzung nicht übertünchen.

Audio-CD, 58:47 Min.

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