Wolfgang Hohlbein – Am Abgrund (Die Chronik der Unsterblichen 1)

Transsilvanien im 15. Jahrhundert: Andrej Delãny reitet, scheinbar ziellos, durchs Land. Nach dem Tod seiner Frau gibt es für ihn keinen Platz mehr auf dieser Erde. Allerdings trägt ihn sein Pferd geradewegs in sein Heimatdorf Borsã, wo ihn eine böse Überraschung erwartet. Das ganze Dorf ist ausgestorben, eine große Anzahl der Bewohner liegt hingemetzelt im Wehrturm und der einzige Überlebende, ein kleiner Junge namens Frederic, erzählt ihm von einem furchteinflößenden Inquisitor. Das Dorf sei mit dem Teufel im Bunde, behauptete der, und so schlachtete man einen Teil der Dörfler hin und nahm den Rest gefangen.

Frederic und Andrej beschließen, die Verfolgung der Gefangenen aufzunehmen, um sie zu befreien. Doch Andrej muss bald einsehen, dass dies gar nicht so einfach wird – wie sollen ein Mann und ein Kind gegen drei Ritter und einen Inquisitor ankommen? Nun ist jedoch Andrej ein begabter Schwertkämpfer und muss sein Talent auch bald unter Beweis stellen, als sie von den goldenen Rittern des Inquisitors angegriffen werden. Zwar können sich Andrej und Frederic zur Wehr setzen, doch geben die Goldenen keineswegs auf.

In Constãntã, wo der Inquisitor gerade logiert und seine Gefangenen sozusagen kurzfristig eingelagert hat, tun sich Andrej und Frederic zunächst mit ein paar Schurken zusammen, die ihnen Hilfe versprechen, werden dann jedoch wieder in einen Kampf mit den Rittern verwickelt, die kurzerhand das Gasthaus niederbrennen, in dem sie sich gerade aufhalten.

Von nun an sind Andrej und Frederic gesuchte Verbrecher, weil sie mit dem Gasthausbrand in Zusammenhang gebracht werden. Und auch der Inquisitor, Vater Domenicus, will Andrej in die Finger kriegen, weil er ihn für einen Hexer hält. Es wird also nicht einfach werden, die Spur der verschwundenen Bewohner vom Borsã-Tal aufzunehmen … Schon gar nicht, weil Andrej bald feststellen muss, dass er nicht der einfache Landbewohner ist, für den er sich immer gehalten hat.

„Am Abgrund“ – der erste Band von Hohlbeins „Chronik der Unsterblichen“ – ist ein solider Abenteuerroman, eine Art Roadmovie mit Pferden und Rittern. Andrejs Verfolgung der Gefangenen garantiert etliche Kampfszenen und Verfolgungsjagden durch das mittelalterliche Constãntã. Die goldenen Ritter sind durchaus ernstzunehmende Gegner, die dem Protagonisten Andrej auch unter Umständen mal die Schau stehlen. Denn man muss es erwähnen: Im Gegensatz zu den anderen Charakteren des Buches (ja selbst im Gegensatz zum kleinen Frederic) ist Andrej mit einer etwas übertriebenen Naivität geschlagen, und sein Gutmenschentum lässt ihn zuweilen als Charakter flach und uninteressant erscheinen. Viel faszinierender ist dagegen der ambivalent angelegte Frederic, der mit seinen zehn Jahren zwischen kleinem Kind und ruchlosem Haudegen pendelt.

Hohlbein hat mit diesem Roman einen Zwitter zwischen „Highlander“ und Vampirroman geschrieben. Sowohl die goldenen Ritter als auch Andrej sind mehr oder weniger unsterblich, nehmen ihre Schwerter überall mit hin und machen sich gegenseitig bevorzugt einen Kopf kürzer. Sich gegenseitig zu töten, ist hier allerdings unabdingbares Mittel zur eigenen Unsterblichkeit. Denn was bei „Highlander“ das Quickening, ist bei Hohlbein die Transformation. Hat man den Gegner erst einmal zur Strecke gebracht (in der Regel durch einen gekonnten Stich ins Herz), trinkt man sein Blut, um dessen Essenz in sich aufzunehmen, und selbst weiterleben zu können. Da Andrejs wahre Identität erst im Showdown am Ende des Buches enthüllt wird, darf man gespannt sein, wie Hohlbein diese Mythologie in den nächsten Bänden weiterspinnt.

VGS hat nun angefangen, „Die Chronik der Unsterblichen“ als Hörbücher herauszubringen, beginnend natürlich mit „Am Abgrund“. Das sechs CDs umfassende Hörbuch kommt mit einem ansprechenden Booklet und schönen Illustrationen daher. Ebenso überzeugend ist die musikalische Gestaltung. Eine sehr eingängige Titelmelodie stimmt auf das Geschehen ein und unterstützt, abwechselnd mit einem zweiten Thema, in unregelmäßigen Abständen die Dramatik der Erzählung. Denn die Lesung wird durch Musik und Soundeffekte vervollkommnet, und so hört man häufig Hufgetrappel oder das Klirren von Schwertern.

Nachteilig dagegen ist, dass die Kapiteleinteilung des Romans für die Hörbuchfassung nicht übernommen wurde und die Handlung über große Strecken einfach nur hintereinander weggelesen wird. So wird es dem Hörer unnötig schwer gemacht, zu entscheiden, wo er pausieren kann. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass recht flott gelesen wird und man sich dadurch unbedingt auf das Gelesene konzentrieren muss, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Gelesen wird vom Autor Wolfgang Hohlbein selbst. Wenn man Hörbücher, die von Synchronsprechern oder gar Schauspielern gelesen werden, gewöhnt ist, ist dies eine immense Umstellung. Es fällt sofort auf, dass Hohlbeins Stimme unausgebildet ist und nicht den Umfang der Darstellung besitzt, die ein Schauspieler einbringen könnte. So klingt die wörtliche Rede aller Figuren gleich und auch wenn man Hohlbein anmerkt, dass er sich bemüht, so schafft er es dennoch nicht, durch seine Betonung dem Text eine neue Dimension zu verleihen. Auch ist seine Aussprache in einigen Fällen etwas undeutlich geraten und er selbst scheint sich nicht endgültig sicher, wie er seine exotischen Namen zu betonen hat. Und so betont er Namen mal hier mal da, etwas, das bei der Produktion des Hörbuchs eigentlich hätte auffallen müssen.

Hohlbein selbst ist also der Schwachpunkt des Hörbuchs, doch die liebevolle Musik und die gut durchgehaltenen Soundeffekte versöhnen den Hörer über weite Strecken. Die actionreiche Handlung stellt sicher, dass man die sechs CDs hindurch mit Leichtigkeit bei der Stange bleibt.

„Am Abgrund“ ist keine anspruchsvolle Unterhaltung, aber das erwartet auch niemand von Wolfgang Hohlbein. Stattdessen liefert er eine bodenständige, flotte Handlung, einen schnörkellosen Stil, eine exotische Kulisse und frisch geschärfte Schwerter. Das hat bisher noch immer für Spannung gesorgt!

4 Audio-CDs
Sprecher: Dietmar Wunder