Kevin Hearne – Tinte & Siegel. Die Chronik des Siegelmagiers 1

Feen in Glasgow: Der Siegelagent ermittelt

Al MacBharrais ist gesegnet. Gesegnet mit einem ungewöhnlichen schönen Schnurrbart, einem Sinn für kunstvoll gemixte Cocktails – vor allem aber mit einem einzigartigen magischen Talent. Er schreibt mit Geheimtinte kraftvolle Zaubersprüche. Und als ehrbarer Schotte setzt er alles daran, unsere Welt vor den schurkischen Knechten verschiedener Pantheons zu schützen, im Besonderen vor Feenwesen, die alles andere als nett sind. (Verlagsinfo)

Der Autor

Kevin Hearne, geboren 1970, lebt in Arizona und unterrichtet Englisch an der High School. »Die Chronik des Eisernen Druiden« machte ihn unter Fantasylesern mit einem Schlag weit über die USA hinaus bekannt. (Verlagsinfo) Die ersten sechs Kapitel des Originals „Hounded“ gibt es kostenlos auf der Webseite http://www.kevinhearne.com/ des Autors.

1) Die Hetzjagd / Gehetzt (Hounded, 2011)
2) Verhext (Hexed, 2011)
3) Gehämmert (Hammered, 2011)
4) Getrickst (Tricked, 2012, dt. 2016))
5) Erwischt (Trapped 2012, dt. 2017)
6) Gejagt (Hunted, 2013, dt. 2017)
7) Erschüttert (Shattered, 2014, dt. 2017)
8) Aufgespießt (Staked 2016, dt. 2018)
9) Belagert (Besieged, 2017)

Sowie diverse Kurzgeschichten und Novellen.

Handlung

Eigentlich will Aloysius MacBharrais (ausgesprochen „wärräsch“) nur seinen Lehrling Gordie besuchen, um etwas zu besprechen. Doch vor Gordies Haus im Glasgower Stadtteil Maryhill steht ein Bobby, der erst einmal überredet werden muss. Al ist ein Spezialist für das Verfertigen magischer Siegel. Er zeigt dem Bobby die geeigneten Lederlappen, und schwupps wird aus dem abweisenden Widerling ein zuvorkommender Gesetzeshüter.

Drinnen herrschen Verwüstung und zwei weibliche Tatortermittlerinnen von Glasgow CSI. Auch sie wollen entsprechend „überredet“ werden. Dann erst gelangt Al zur Leiche. Er schützt sich mit einem weiteren Siegel vor einem magischen Angriff. Gordie war ein sehr begabter Schüler, aber er muss wohl ein Zweitleben geführt haben.

Hinterlassenschaft

Gordie ist an einem Rosinen-Scone erstickt, wie es aussieht. Er hat daher keinen Abschiedsbrief hinterlassen, aber dafür einen Hobgoblin. Dieser Kobold sitzt in einem einfachen Käfig, der auf Gordies Werkbank steht. Die Werkbank wiederum steht in einer Werkstatt, deren Regalen mit allen möglichen kuriosen und seltenen Ingredienzien wie etwa magischer Tinte angefüllt sind. Der Kobold verlangt, aus seinem Käfig freigelassen zu werden. Al erfährt, dass das Wesen von Gordie gekauft wurde und noch diesen Abend an einen Kunden weiterverkauft werden sollte. Diesen „Wesenhandel“ findet Al abscheulich. In einem unachtsamen Moment büxt der Kobold aus. Würde die Polizei aufkreuzen, hätte er nichts vorzuweisen. Deshalb müssen sämtliche Beweisstücke beseitigt werden.

Nadia

Zu diesem Gedanken im Sinn ruft Al seine Managerin und Buchhalterin Nadia an, doch die will gerade zur Hochzeit ihres Bruders. Sie sieht aus ein Grufti, ganz in Schwarz und mit Stachelhaaren. Bevor sie sich zu einem Besuch herablässt, verlangt sie eine Gehaltserhöhung. Al gibt klein bei, denn er hat es jetzt eilig. Schon bald dürfte nämlich ein betrogener „Kunde“ nach dem entsprungenen Hobgoblin Ausschau halten und unangenehme Fragen stellen.

Hacker

Um herauszufinden, um wen es sich bei diesem Kunden handelt – es soll ja echt üble Zeitgenossen geben -, lässt sich Al von Nadia einen Hacker vermitteln. Saxon Codpiece nennt sich der, also „Sächsische Schamkapsel“. Der Bier trinkende Zwei-Meter-Mann leidet sicher nicht unter einem Minderwertigkeitskomplex, besonders wenn er sich auf sein T-Shirt die Berufsbezeichnung „professioneller Wichser“ drucken ließ. Auf seinem YouTube-Kanal zeigt er, was er damit meint.

Wie auch immer: Al kommuniziert mit dem Mann, wie schon mit Nadia, mit seiner Sprach-App. Denn er leidet unter einem Elfenfluch: Jeder, mit dem er SPRICHT, beginnt ihn hasserfüllt anzugreifen. Muss echt nicht sein. Saxon wertet die Handy-Daten und en Laptop aus. Im Handumdrehen hat Al auch das nötige Passwort Gordies gefunden. Siehe da: Der verblichene Wesenhändler hat ein Imperium von sechs ausländischen Konten zu je 100.000 Pfund Guthaben sowie zahlreichen Kunden aufgebaut. Der letzte Kunde hat den Namen „Bastille“ verwendet. Und jetzt will er seine Ware: den Hobgoblin.

Geheimkontakt

Es gibt Portale zum Feenreich, und sie sind bestens getarnt. Schließlich wollen die Unsterblichen nicht von den Sterblichen gestört werden. Nur Siegelagenten wie Al kennen die Position der Portale. Doch auch er muss erst ein paar Mittelsleute bitten. Die Kellnerin in einer ganz bestimmten Kneipe ist sein Kontakt auf dieser Seite. Sie kontaktiert ihrerseits einen Boten auf der anderen Seite. Dieser Bote überbringt Als Botschaft an die Herrscher des Feenreiches, insbesondere an die Göttin BRIGHID, die Hüterin des Feuers und oberste der Feen. Die Feen sollen wissen, dass es Leute gibt, die ihre Geschöpfe einfangen und als Sklaven verkaufen. Aloysius gibt eine Suche nach dem Hobgoblin in Auftrag, bei der die Feen ihre Geisterhunde einsetzen sollen.

Zuflucht

Als er in seine Druckerei zurückkehrt, wartet schon der Hobgoblin auf seiner Türschwelle. Offensichtlich ist Als Druckerei und Büro ein Ort der wesentlich mehr Sicherheit bietet als die Stadt. Bei einem Glas altem Single Malt Whiskys berichtet Buck Foi, wie er genannt werden will, wie es kam, dass er sich bei Gordie befand. Die Bean Sidhe hatten ihn beauftragt, sich bei einem Menschen als Haushaltshilfe zu verdingen. Die Banshees, die Todesfeen?, hakt Al verblüfft nach. Genau, und zwar keine Geringere als Cliodhna selbst, ihre Königin. Wie hätte er da ablehnen können? Banshees können bekanntlich sehr nachtragend sein, und das sei ganz schlecht für die Gesundheit.

Er musste einen Vertrag unterschreiben, und Gordie nahm ihn in Empfang anstelle von Aloysius selbst. Al sollte sein Arbeitgeber werden. Na, wenn das so ist: Nochmals erstaunt nimmt der Siegelagent Buck tatsächlich in seine Dienste, aber zu neuen Bedingungen. Denn Als verstorbene Gattin hatte für die Gewerkschaft der Drucker gearbeitet, und die Lehren, die sie aus ihrer Tätigkeit zog, beherzigt Al heute noch: Er will ein guter Arbeitgeber sein. Nadia zumindest ist sehr mit ihm zufrieden, sagt sie. Sie hat ihn noch nie mit ihrem Rasiermesser angegriffen.

Da ruft Saxon Codpiece, sein Hacker, an: Der Termin an der Renfrew Ferry sei auf Gordies Handy bestätigt worden. Prima. Zeit, den Kunden namens „Bastille“ mal persönlich kennenzulernen…

Mein Eindruck

So einfach ist es natürlich nicht. Erst über viele Umwege und in Begleitung seines neuen Assistenten, des Hobgoblin Foi, kann Al nähere Bekanntschaft mit „Bastille“ machen: Es ist ein CIA-Agent. Schlagartig wird aus einer Wesen-Kidnapper-Bande eine internationale Verschwörung der Geheimdienste. Natürlich ist der Agent nicht ungeschützt, sondern genießt die Manndeckung diverser Wesen, darunter eines aufgemotzten Trolls. Da kann Al lernen, wozu ein paar gentechnisch veränderte Feenwesen imstande sind. Nun gilt es herauszufinden, wer über die besseren Siegel verfügt.

Siegelagenten

Es gibt nicht viele Siegelagenten auf der hiesigen Welt, und alle sind von BRIGHID, der obersten der Feen von Tir na nOg, lizenziert. Daher ist es ihr ein dringendes Anliegen, auf dem laufenden zu bleiben, wenn einer ihrer Agenten in Schwierigkeiten steckt. So wie neuerdings dieser Al aus Glasgow. Der hat ihr einiges zu beichten, so etwa die Verbrechen seines jüngsten Lehrlings Gordie – der leider inzwischen das Zeitliche gesegnet hat. Und da wäre noch die Sache mit Cliodhna, der obersten der Banshees. Sie hat den Deal mit der CIA abgeschlossen, ohne BRIGHID Bescheid zu sagen. Tsts, da kann übel ausgehen, selbst für eine abgebrühte Banshee-Königin.

Siegel

Wie man sieht, ist derjenige Leser klar im Vorteil, der schon die erfolgreichen Romane über den letzten Druiden Atticus und seine Freunde kennt. Tatsächlich kommt eine Szene, in der Atticus mitspielt, vor. Daher weiß der Leser, dass die Magie, die der Autor und seine Figuren einsetzen, stets ein komplexes, aber in sich logisches und geschlossenes System von Ursache und Wirkung darstellt. Sie funktioniert auch die magische „Technologie“ der Siegel.

Ein Siegel, auf geeignetes Medium wie etwa Papier oder Pergament, gezeichnet, wirkt wie ein Bannspruch. Im Guten kann es, wie bei Saxon, sexuelle Spannkraft verleihen, oder die Aufnahme einer Überwachungskamera versauen. Im etwas ernsteren Fall kann ein geeignetes Siegel aber auch einen Troll stoppen bzw. dessen Eigenschaften beeinflussen, so dass ihm oder ihr (gibt es ein Wort für Troll*innen?) die Lust auf einen Angriff verderben.

Diese Siegel kann nicht Hinz und Kunz fabrizieren, sondern sie erfordern die titelgebende Tinte. Diese ist meist aus den exotischsten Zutaten hergestellt. Deshalb ist Al verblüfft, solche Zutaten bei seinem Lehrling Gordie vorzufinden, bereit zum Gebrauch. Nicht nur hatte er keinen Zugang zu den Zutaten, sondern auch gar nicht das Wissen darum. Offenbar hat Cliodhna, die Banshee, mehr drauf, als nur die Toten zu beklagen…

Partner

Nachdem der Autor diverse Pantheons geplündert hatte, insbesondere das irische, geht er nun dazu über, sich um die schottischen Wesen aus der Anderwelt zu kümmern. Wie haben das zweifelhafte Vergnügen, die Bekanntschaft von Leprechauns, Clurichauns, Hobgoblins, Fir Darrigs und Pixies zu machen. (Keine Sorge: Sie werden alle im Glossar erklärt.) Wesentlich ungesünder ist die Bekanntschaft mit einem Barghest. Das ist eine Art Höllenhund, der wie alle Wesen aus dem Nirgendwo auftauchen kann, um sich mit geifernden Reißzähnen auf sein Opfer zu stürzen. Beispielsweise auf unschuldige Zeitgenossen Foi, den Hobgoblin. Dabei ist Foi ein wirklich guter Kumpel, wenn man es akzeptiert, dass er ein loses Mundwerk und Riesenappetit auf Pizza hat.

Mit seinem Mitarbeiter Saxon Codpiece ist Aloysius auf der technischen Höhe der Zeit, doch mit Nadia, seiner Managerin, hat er eine echte Helferin. Sie verfügt ein kleines, aber feines Talent: sie sieht die unmittelbare Zukunft. Al nennt sie eine Schlachtenseherin. Und es ist 8immer besser, sie auf der eigenen Seite zu sehen als auf der des Gegners. Leider steckt sie schnell in Schwierigkeiten. Bei Showdown mit seinem größten Gegner braucht Al alle diese Helfer und Partner, um die Oberhand zu behalten. Frauen kommen also in diesem Garn sehr gut weg.

Die Übersetzung

Die Übertragung des Originals ins Deutsche ist vorzüglich gelungen, und so bekommt der Leser auch (zwischen den Zeilen) mit, dass es sich um eine sehr humorvoll-ironische Erzählung handelt. Um nicht zu sagen: um einen sehr langen Witz. Alles, was ich mir noch wünschen würde, wäre eine Straßenkarte von Glasgow. Und vom Feenland, wo wir schon mal dabei sind. Das Glossar reicht nur, um die seltsamsten Bezeichnungen und Namen zu erklären. Und ja, die meisten sind auf Gälisch. Wie schon in den Atticus-Romanen.

S. 324: „Auf der Südseite ragte ein Felstableau auf…“: „Tableau“ ist im Deutschen die falsche Bezeichnung. Hierzulande verwendet man den Begriff „Plateau“ – oder, wenn das Objekt etwas größer ist, „Tafelberg“.

S. 330: „Gipfeltableau“: Siehe oben.

Unterm Strich

Ich habe den Roman in nur wenigen Tagen gelesen. Zunächst scheint es sich um eine Art magische Mordermittlung zu handeln, und das wäre ja angesichts der Atticus-Romane wenig Neues. Doch das Ganze spielt in Glasgow, Schottland, und beide „Drehorte“ spielen eine wichtige Rolle. Denn das Feenreich, mit dem der Ermittler es zu tun bekommt, ist spezifisch schottisch, die Namen sind gälisch und die Leute etwas gewöhnungsbedürftig. Sie entsprechen der städtischen Bevölkerung und haben ihre eigenen verschrobenen Gewohnheiten und Eigenarten. Saxon etwa verdient sich seine Brötchen als Samenspender und Hacker, Nadia ist nicht bloß eine „harmlose“ Managerin und Buchhalterin: Sie frisiert Als Bücher, dass jeder Bankprüfer das heulende Elend kriegt.

Die Themen sind ebenfalls modern, und im Nachwort legt der Autor noch eins drauf: Er ist gegen Entführungen und Menschenhandel, eine Industrie, die nicht nur lukrativer als Waffenhandel ist, sondern auch wesentlich schädlicher, untergräbt sie doch ganze Gemeinschaften und Gemeinden. Das zweite Thema sind die Entführungen durch die CIA, die unerwünschte Personen – auch deutsche Staatsbürger – an verbogene CIA-Lager in Drittstaaten verschleppt hat. Dieser Drittstaat ist in diesem Fall das Feenreich, wo die Banshees mit der CIA kooperieren.

Mehr als ein Detektiv

Der Roman ist also kein simples Kripo-Abenteuer, sondern weiß durchaus durch seine Komplexität und seinen Einfallsreichtum zu beschäftigen und zu bewegen. Seine Stärke und seine Schwäche ist m.E. die Hauptfigur. Einem 65-jährigen Witwer im Druckgewerbe würde der Leser auf den ersten Blick nur wenig zutrauen, ganz im Gegensatz zu Atticus O’Sullivan und seinem Wolfshund. Andererseits erweist sich diese vermeintliche Schwäche als Stärke: Er hat nicht nur die Erfahrung und die Connections auf seiner Seite, sondern kann der ermittelnden Oberpolizistin Munro vormachen, er sei nur ein alter, klappriger Drucker, der kein Wässerchen trüben könne.

Humor

Humor macht einen großen Teil des Reizes dieser Geschichte aus. Der alte Knacker ist verflucht, mit anderen nicht mit seiner eigenen Stimme sprechen zu können, denn das macht sie irgendwie total wütend. Deshalb benutzt er eine Mobil-App, die seine getippten Worte in Sprache umwandelt. Das nennt man Künstliche Intelligenz; gibt es schon bei Amazon und Google. Diese Äußerungen werden in [eckigen Klammern] dargestellt. Das sorgt für ein neuartiges Leseerlebnis.

Feen in Glasgow

Namen, die GROSS geschrieben werden, wie etwa BRIGHID, gehören zu Feenwesen. Deren Namen findet der Leser im Glossar erklärt. Die Göttin des Herdfeuers kennen wir schon aus dem ersten der Atticus-Romane und sind gewarnt. Mit ihr sollte man sich nicht anlegen. Ebensowenig mit Cliodhna, der Chefin der stets schwarzgekleideten Banshees, der Todesfeen. Zufall oder nicht: Auch Glasgow-Grufties wie Nadia bevorzugen schwarz. Scheint irgendwie in Mode zu sein. Kleider können so viel verraten, und deshalb lässt der Autor auch keine Beschreibung aus. Das macht die Lektüre zu einer Art Sightseeing-Tour durch Glasgow und seine schattigen Seiten. Ein Stadtplan wäre wirklich sehr nützlich gewesen.

Taschenbuch: 378 Seiten
Originaltitel: Ink & Sigil, 2020, bei Del Rey, Randomhouse;
Aus dem Englischen von Friedrich Mader.
ISBN-13: 9783608982039

www.Klett-Cotta.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)