Patterson, James – Wer sich umdreht oder lacht

_Versteckspiel mit dem Leser: Wo ist der Thrill?_

Eine berühmte US-Sängerin steht vor Gericht: Maggie Bradford. Wieder einmal. Ihre drei Ehemänner starben allesamt eines unnatürlichen Todes. Und ob sie am Tode des dritten unschuldig ist, wie sie beteuert, darf doch daher stark bezweifelt werden. Das meint zumindest der Staatsanwalt. Doch er wiederum verbirgt ein dunkles Geheimnis.

_Der Autor_

James Patterson ist der Autor von zahlreichen Nummer-1-Bestsellern. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt.

Patterson ist extrem fleißig. Seine letzten Romane nach „3rd Degree“ waren „Sam’s Letters to Jennifer“, „London Bridges“, „Honeymoon“, „Maximum Ride“ und „4th of July“ (die Fortsetzung dieser Reihe). Im Juli 2005 erschien „Lifeguard“.

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Regelmäßig wird aus dem Buch auch ein Audiobook oder E-Book gemacht: Patterson kann überall dabei sein.

_Handlung_

Maggie Bradford steht vor Gericht. Die (fiktive) berühmte US-Sängerin soll ihren dritten Ehemann mit einer Schrotflinte erschossen haben, behauptet zumindest der selbstgefällige Staatsanwalt. Selbst wenn Maggie unschuldig ist, wer könnte es ihm verdenken angesichts Maggies Liste von „Opfern“?

Das Buch besteht zum Teil aus Maggies in Romanform gebrachtem Tagebuch. Sie will darin beweisen, wie es wirklich war, wie ihre Ehemänner wirklich zu Tode kamen und dass sie daran unschuldig war. Na ja, zumindest bei ihrem ersten, Philip, benutzte sie eine Waffe. Aber da handelte sie in Notwehr. Denn Phil war ein prügelnder Soldat und Säufer.

Nach seinem Tod und ihrem Freispruch versucht sie wieder auf die Beine zu kommen, zieht ihre Tochter Jennie auf und von Ort zu Ort. Um ihre Albträume und Schuldgefühle zu verarbeiten, schreibt sie Lieder, die sie mutig eines Tages Barry Kahn anbietet, einem Produzenten, der sie zunächst abweist, später aber ihr bester Freund wird.

Nachdem sie es „geschafft“ hat, lernt sie in Bedford, Connecticut, Patrick Malley kennen. Der Hotelbesitzer in den Fünzigern ist Witwer, seit er seine geliebte Cornelia durch eine Krankheit verloren hat. Er baut gerade an seinem neuesten New Yorker Hotel, das natürlich „The Cornelia“ heißen soll, als er Maggie kennen lernt, ihr Vertrauen gewinnt – und schließlich ihre Hand.

Doch als man die beiden nach einem Sturm auf seiner Jacht findet, ist er tot und sie liegt über ihm. Was ist passiert?

Der andere Teil des Romans wird von der Lebensgeschichte Will Shepherds bestritten. Will verliert in England Vater und Mutter und wächst bei seinen Tanten auf, von denen ihm Vanessa nicht nur geistig zugeneigt ist, sondern auch körperlich. Von dieser Zeit an weiß Will, welche Macht er mit seinem guten Aussehen über Frauen hat, ja, dass er absolut jede haben – und benutzen – kann.

Das wäre ja noch ganz okay, doch entwickelt Will auch eine ungesunde Vorliebe für die Macht, die das Zufügen von Schmerzen und das Austeilen von Tod bedeuten. Er tötet seinen Lieblingshund. Später, da ist er schon ein Weltklasse-Fußballspieler, tötet er auch eine hübsche Brasilianerin, die ihn über seine größte Niederlage hinwegtrösten will. Will ist nicht mehr nur „der blonde Pfeil“ als Fußballspieler, sondern als Liebhaber auch der „Werwolf von …“ welcher Stadt, in der er gerade wohnt.

Unweigerlich kreuzt sein Lebensweg den von Maggie Bradford. Schon früher, in England, hat er sie bei einer Party kennen gelernt. Total zugekokst, wollte er sie damals abschleppen, wie er alle seine Schnepfen abschleppte. Sie verpasste ihm eine und verschwand. Doch sobald er eines ihrer wunderbaren Lieder voll Schmerz und Wahrheit hört, muss er an sie denken.

Nun aber hat er sie in Bedford, Connecticut, aufgestöbert: eine Millionenerbin mit einem kleinen Sohn von Mr. Malley – und einer sehr hübschen fünfzehnjährigen Tochter namens Jennie. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

_Mein Eindruck_

Ich hatte zum ersten Mal Mühe mit einem Roman von James Patterson und ließ das Taschenbuch mehrere Monate liegen, um interessanteres Material zu goutieren. Beim Lesen hatte ich nämlich des Öfteren den Eindruck, das Buch sei nicht von Patterson, sondern von jemand ganz anderem geschrieben worden, vielleicht sogar von einem seiner beiden Ko-Autoren Andrew Gross und Peter de Jonge.

Über einige Strecken hinweg dachte ich sogar an Harold Robbins, der ständig über die oberen Zehntausend und ihre ach so verruchte Welt erzählte. Das Halbfinale (es gibt mal wieder, wie so oft bei Patterson, zwei Finali) mit Maggies Prozess erinnerte zudem fatal an so manches Courtroom-TV-Drama und war nicht weit entfernt von einer Seifenoper. Das Buch schien nicht 1996 veröffentlicht worden zu sein, sondern schon zehn Jahre früher, in der vergoldeten Ära der Reaganomics.

Die einzigen Merkmale, die Patterson mittlerweile zu seinem Markenzeichen ausgebaut hat, sind die superkurzen Kapitel von maximal je vier Seiten sowie die überraschenden Wendungen, ja, sogar 180°-Drehungen der Story. Das zumindest hat mir gut gefallen. Wer liest schon gerne einen Krimi, dessen Ende er schon nach 20 Seiten vorausberechnen kann?

|Arbeiterkinder in der dünnen Luft der haute volée|

Die Figuren, die Patterson erfunden hat, stellt er einander direkt gegenüber. Die Welt, in der er sie auftreten lässt, kennt er offensichtlich – als Chef einer Werbeagentur in New York City – selbst aus eigener Anschauung. Entsprechend exklusiv sind die diversen Örtlichkeiten. Das heißt aber nicht, dass dort auch schöne, moralisch begrüßenswerte Dinge ablaufen. Ganz im Gegenteil, wenn ich das mal verraten darf. Diese Welt des Geldes, des Ruhms und der moralischen Abgründe dient nur als Zuspitzung der allgemeinen Zustände in der Welt der „normalen“ Bürger. Dementsprechend sind hier auch die Konflikte bis zur Kenntlichkeit zugespitzt.

Sowohl Maggie als auch Will stammen aus der Arbeiterklasse, schaffen es aber über den Ruhm – sie als Sängerin, er als Fußballspieler und Schauspieler – bis in die oberen Zehntausend. Doch im Gegensatz zu Will nützt Maggie das nicht zu egoistischen und tödlichen Machtspielchen (s. o.) aus, sondern sie will eigentlich nur ihren geliebten Kindern ein optimales Zuhause bieten. Und da sie einen liebenden Vater brauchen und Will sein durchtriebenes Spiel treibt, vertraut sie ihm. Dem Falschen. Diese beiden Hauptfiguren dienen also nur dazu zu illustrieren, was bei gleichen Voraussetzungen Ruhm, Macht und Geld aus einem Menschen machen können: ein offensichtliches Moralstück.

|Die Hand eines Gottes, leider allzu sichtbar|

Als wäre der Plot nicht nur banal, sondern auch einer mit erhobenem Zeigefinger, stellt der Autor den beiden Hauptfiguren auch noch entsprechende Nebenfiguren zur Seite. Und als es darauf ankommt, Maggie vor Gericht das Lebensglück – wenn schon nicht das Leben selbst – zu retten, erweist sich doch prompt eine dieser Figuren als Angehöriger der Gegenseite. Es ist schon fast eine Art Schachspiel, allerdings mit einigen Figuren im Dunkeln.

Doch ein Plotgeschehen, in dem man die Hand des Autors sehen kann, wie er seine Figuren hin und her schiebt, macht absolut keinen Spaß. Der Grund dafür ist der, dass der Leser das grundlegende Bedürfnis – und Recht – hat, dass die Geschichte seinen Unglauben aufhebt (suspension of disbelief) und er sie plausibel findet: „Ja, so könnte es gewesen sein“, soll der Leser sich sagen.

Doch das kann einem Autor wie Patterson gar nicht recht sein: Wo käme er denn hin, wenn er die Wahrscheinlichkeitsgesetze beachten würde? Da könnte er ja gleich ein Physikbuch* schreiben. Ihm ist es daher darum zu tun, ein Geschehen zu inszenieren, das der Wahrscheinlichkeit – und somit der Plausibilität – widerspricht. Daher auch die vielen überraschenden Wendungen. Leider entsteht diese neue Unwahrscheinlichkeit nicht aus dem Inneren der Figuren selbst, sondern nur aufgrund seines Eingreifens. Das ist ganz einfach schlechter Stil und erzählerisches Unvermögen.

Andererseits: Vielleicht hätte ich einfach nicht die Lektüre so lange unterbrechen dürfen. Ich konnte mich weder mit Maggie identifizieren, da ich zufällig keine Frau bin, noch mit Will Shepherd, da ich kein solcher Mistkerl sein will. Entsprechend groß war der emotionale Abstand zur Geschichte.

|Guter Abschluss|

Gut war lediglich der Schluss der Hauptgeschichte, der nach allen Regeln der Kunst serviert wird und sein Geheimnis erst ganz am Ende preisgibt. Das ist wirklich gekonnt. Und dann gibt’s einen netten Nachschlag, dass einem die Spucke wegbleibt: das zweite Finale.

_Unterm Strich_

„Wer sich umdreht oder lacht“ – auch wieder so ein blödsinniger Spiellied-Titel – ist ein Patterson, der noch viel Ballast von Autoren und Themen der siebziger (Harold Robbins, Danielle Steel) und achtziger Jahre (die frühen Grishams) mit sich herumschleppt, so dass er gar nicht so recht in die Neunziger zu passen scheint. Die Erzählkonstruktion ist ebenfalls nicht sonderlich geglückt. Die Zeitsprünge am Anfang werfen den Zuschauer immer wieder aus der Bahn und zerstören den Spannungsbogen. Daher kommt richtiges Vergnügen erst in der zweiten Hälfte auf, wenn alle diese Konstruktionsarbeiten erledigt sind und der Plot Fahrt aufnimmt. Endlich. Und der geduldige Leser wird mit gleich zwei relativ verblüffenden Finali belohnt. Das Vergnügen hätte aber meiner Meinung nach schon wesentlich früher einsetzen können.

*: gemeint ist die Newton’sche Physik, nicht die Einsteinsche.

|Originaltitel: Hide and seek, 1996|

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915