Kim Stanley Robinson – Geschöpfe der Sonne. Erzählungen

Einfallsreich und bewegend: Mit der Armada nach Hiroshima

„Geschöpfe der Sonne“ ist die erste Sammlung mit Geschichten des vielseitigen Science Fiction Autors Kim Stanley Robinson. Sie enthält eine wichtige preisgekrönte Story mit dem Titel „Schwarze Luft“, die seinerzeit sogar Storys von William Gibson von den ersten Plätzen verdrängte. Diese Geschichten entstanden in einem Zeitraum von zehn Jahren, wie der Autor in seiner Einleitung schreibt. In ihnen mischen sich Elemente aus Science Fiction, Fantasy und Kriminalerzählung.

Der Autor

Kim Stanley Robinson, geboren 1952 und passionierter Bergsteiger, gehört seit seiner Doktorarbeit über Philip K. Dick und diversen Romanen zur Autoren-Mannschaft, die Mitte der achtziger Jahre als „Humanisten“ bezeichnet wurde. Damit stellte man ihn in Opposition zu den neuen „Cyberpunks“ um William Gibson und Bruce Sterling, die neue Techniktrends aufgriffen und kritisch verarbeiteten. KSR selbst hat es stets als lächerlich abgelehnt, dieses Etikett auf sich selbst anzuwenden. Er legte in seiner bekannten Orange County Trilogie (The Wild Shore; The Gold Coast; Pacific Edge; 1984-1990) mehr Wert auf gute Charakterisierung der Figuren, eine Vision gesellschaftlicher Entwicklung und die Überzeugungskraft seiner Ideen. Das hat mir immer am besten an seinen Büchern gefallen.

Wesentlich bekannter wurde Robinson mit seiner Mars-Trilogie Red Mars, Green Mars und Blue Mars, die in naher Zukunft zu einer Kurzserie fürs Fernsehen gemacht werden soll. Danach folgten die umfangreichen Romane „Antarktika“ (Umweltthriller) und „The Years of Rice and Salt“ (Alternative History), dem im Juni 2004 ein weiterer Roman folgt. Im Herzen ist KSR stets ein Erforscher.

Übersetzte Werke

1) Das wilde Ufer
2) Goldküste
3) Pazifische Küste
4) Roter Mars
5) Grüner Mars
6) Blauer Mars
7) Flucht aus Kathmandu
8) Geschöpfe der Sonne
9) Die Marsianer
10) Antarktika
11) New York 2312
12) New York 2140
13) Aurora
14) Schamane
15) Die eisigen Säulen des Pluto
16) Sphären-Klänge

Die Erzählungen in ihrer abgedruckten Reihenfolge

1) Venedig unter Wasser (1981)
2) Der Museums-Planet (1985)
3) Gratwanderung (1984)
4) Das Rollenspiel (1977)
5) Der Flug der Lucky Strike (1984)
6) Die Rückkehr nach Dixieland (1975)
7) Steineier (1983)
8) Schwarze Luft (1983)

Wie man sieht, ist die Chronologie der Veröfflichungszeitpunkte nicht beachtet worden.

1) Für seine Erzählung „Schwarze Luft„, für die er 1983 den Nebula Award und den World Fantasy Award erhielt, muss Robinson das Schicksal der gen England segelnden spanischen Armada im Jahr 1588 recherchiert haben, und bis hinunter zum Aufbau der Unterdecks einer spanischen Galeone. In dieser Story erlebt die Hauptfigur Manuel als Schiffsjunge das vom Unglück verfolgte Unternehmen der Spanier hautnah mit.

Unter dem Einfluss der entsetzlichen hygienischen Zustände und der Entbehrungen an Bord verändert sich seine Wahrnehmung, er schaut die heilige Anna und wird von der Mannschaft als Gesegneter verehrt.

Als beinahe einziger Überlebender der katastrophal verlaufenen Seeschlacht im Ärmelkanal strandet er mit der Galeone schließlich an der Küste von Irland. Dort erbettelt er sich mit nachgestammelten Worten Gnade und Aufnahme bei den Einheimischen. (Bis heute sind spanische Namen wie Isabel in Irland beliebt.)–

2) In der Story „Der Museums-Planet“ geht es um künftige Kunstfälschungen, denen es auf die Spur zu kommen gilt.

3) In „Das Rollenspiel“ erfindet er bis ins kleinste Detail stimmig eine bluttriefende Jakobinische Tragödie, die angeblich um 1628 entstanden sein soll, und haucht ihr unheimliches und unheilvolles Leben ein.

4) Der Pazifist Robinson zeigt sich in („Der Flug der Lucky Strike“, jenem Bomber, der anstelle der verunglückten „Enola Gay“ die erste Atombombe auf Japan abwerfen soll. Das Unternehmen wird in dieser Alternativversion der Historie von einem menschenfreundlich gesinnten Bombenschützen à la Yossarian in „Catch-22“ erfolgreich vereitelt.

Der Bombenschütze, der die Bombe auf Hiroshima werfen soll, entscheidet sich im Konflikt zwischen Patriotismus, Gewissen und Befehl dafür, die Bombe ins Meer zu werfen. Die Stadt überlebt, der ungehorsame Bombenschütze wird hingerichtet. Ein paar Tage später fällt die Bombe doch auf Japan. Das ewige Alibi des Bequemen und Ängstlichen: „Ich kann ja doch nichts ändern“, wird hier auf sehr nachdenkenswerte Weise unter die Lupe genommen. Das ist das Hauptverdienst der Story.

Robinsons Protagonisten sind mitunter von Selbstzweifeln erfüllt, so etwa in „Venedig unter Wasser“ und „Steineier“. Sie sind sich nicht sicher, ob ihre Handlungsweise richtig ist, doch finden sie immer die Unterstützung des Erzählers, wenn auch nicht die der erzählten Welt. So etwa wird der Bombenschütze der „Lucky Strike“ standrechtlich erschossen.

5) Kim Stanley Robinson: Venedig unter Wasser (1981)

Nach den großen Orkanen des Jahres 2040 versanken Küstenstädte wie Venedig vollständig unter den anstürmenden Wogen. Die überlebenden Menschen mussten sich wie Carlo und seine Familie auf die Dächer zurückziehen und dort Bruchbuden bauen. Doch Carlo hat wenigstens einen Job: Er führt Ausländer zu Tauchausflügen in die versunkenen Ruinen. Diese Ausländer bergen viele Kunstschätze etc. und bauen sie in ihren Heimat wieder auf.

Heute hat er drei Japaner als zahlende Gäste an Bord seines Segelbootes. Sie wollen nach Torcello, und zwar in die schöne byzantinische Kirche dort. Ein Sturm zieht, und Carlo beeilt sich auf den Meilen bis Torcello. Die Japaner, so stellt sich heraus, haben es auf das wunderschöne Bodenmosaik der Santa-Maria-Kirche abgesehen. Doch beim Anblick der wissenden Augen der Madonna packt eine unbekannte Verzweiflung den Seemann, und er weigert sich, ihnen den Wunsch zu erfüllen, ganz gleich, ob die „Regierung von Italien“ das genehmigt hat. Hier ist die Republik Venedig.

Er legt ab und gerät in den übelsten Sturm, an den er sich erinnern kann. Mit knapper Not gelingt ihm das Anlegen an einem der Glockentürme, die den Kanal zum Lido markieren. Dort begegnet er einen alten, halbblinden Frau, die häkelt oder strickt. Sie hält ihn für den Tod, der endlich gekommen ist, sie, die einst von ihrem Liebsten im Stich gelassen wurde, zu holen, und seinen Bootshaken für die Sense des Schnitters. Oder ist er gar der ZWEITE ENGEL aus der Apokalypse des Johannes, der gekommen ist, die Welt zu ertränken?

Mein Eindruck

Die Folgen der Klimakatastrophe war schon von jeher das Thema des Autors, und er beschrieb immer wieder die sich daraus ergebenden Szenarien und Konsequenzen. „Venedig unter Wasser“ ist eine seiner frühesten Erzählungen. Hier bringt er die Themen Klimawandel, Überflutung und Religion zusammen.

Die Aspekte der Religion fallen ja bei einem Italiener wie Carlo auf fruchtbaren Boden: der Anblick der hellsichtigen Madonna, die verrückte Alte, die an eine der drei Parzen erinnert, seine eigene Frau Luisa mit dem neugeborenen Baby. Die Bedrohung des neuen Lebens, das Wissen um die Zukunft und die Prophezeiung aus der Offenbarung (= Apokalypse) des Johannes werden unterstrichen von den packenden Actionszenen, die gekonnt schildern, wie Carlo den verheerenden Sturm erlebt, der das Weltenende zu bringen scheint.

Alle Stärken Robinsons sind bereits in dieser kleinen Story vereint: korrektes Detailwissen, dessen humanistische Einbindung, Umweltkatastrophe und ein ideeller Überbau, der aus Religion, Philosophie, Wissenschaft gezimmert sein kann. Kombiniert mit seinen bergsteigerischen und seemännischen Erfahrungen – siehe seine Himalaya-Storys – wird daraus eine wirkungsvolle Geschichte.

Unterm Strich

Im Rückblick auf dieser ersten Stories muten sie heute wie kleine stilistische, zum Nachdenken anregende Fingerübungen an, die den Autor fit machten für das, was noch kommen sollte. Mit „The Wild Shore“ erzielte er seinen ersten Triumph in der Romanform, dem noch viele weitere folgen sollten, so etwa die berühmte Mars-Trilogie.

Es ist sehr schade, dass Kim Stanley Robinson in Deutschland kaum noch vertreten ist. Bei Amazon.de gibt es seine Bücher nicht mehr zu kaufen, und das letzte, „The Years of Rice and Salt“, ist noch nicht einmal in Übersetzung.

Dabei bietet jedes Stück Literatur, das Robinson veröffentlicht, dem Leser die Gelegenheit, seinen Horizont zu erweitern, sei dies nun in kognitiver Hinsicht oder anderer. Die Sammlungen „Flucht aus Katmandu“ und „Die Marsianer“ enthalten weitere, sehr lesenwerte Erzählungen (und in „Marsianer“ auch Gedichte) dieses vielseitigen Autors.

Hinweis

Der Titel ist einem Gedicht des bedeutenden amerikanischen Lyrikers Wallace Stevens namens „The planet on the table“ entnommen, der auch den Originaltitel der Sammlung lieferte (in den bibliografischen Angaben fehlerhaft als „The Planet OF the table“ übersetzt). Im Gedicht ist die Rede vom Luftgeist Ariel, der seine Erinnerungen in Gedichtform fasst. Diese Gedichte sind „Geschöpfe der Sonne“. Mir gefällt diese Idee, beziehe sie gerne aber auch auf uns Menschen: auch wir sind „Kinder der Sonne“, genau wie bei Tolkien.

Die Übersetzungen…

… sind nicht immer die größten Kunstwerke, aber auch nicht die schlechtesten. Man kann sie zwar als brauchbar einstufen, aber es geht doch nichts über die jeweilige Originalfassung eines Textes.

Taschenbuch: 286 Seiten
Originaltitel: The planet on the table, 1986
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 9783404241040

www.luebbe.de

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