Der Sturm-Magier und seine Prinzessin
„Ein faszinierender Zyklus in der Tradition von Robert Jordans „Das Rad der Zeit“… Die Geschichte vom ewigen Krieg zwischen Schwarzer und weißer Magie auf der geheimnisvollen Insel Recluce… (Verlagsinfo)
Prinz Creslins Wetterzauber vernichtet alle feindlichen Flotten, die seine Insel Recluce bedrohen. Als er Chaos und Ordnung endlich im Gleichgewicht wähnt, schlägt ihn ein grausames Schicksal mit Blindheit… (Verlagsinfo) An Creslins Seite bemüht sich Prinzessin Megaera, ihm beim Aufbau und der Verteidigung von Recluce Kraft zu verleihen, solange bis sie selbst zu seinem Augenlicht wird.
Wer Band 1 gelesen hat, findet hier die Vorgeschichte zur Festung der schwarzen Magier auf Recluce. Fairhaven gibt es (leider) noch, und dort steht der Widerpart zu Recluce, die Festung der weißen Magier. Weil Fairhaven in Band 1 nur noch von bösen geistern bevölkert ist, darf sich der Leser von Band 2 fragen, ob nun die Vernichtung dieser Magierhochburg erzählt wird.
Der Autor
Leland Exton Modesitt, Jr. (* 1943 in Denver, Colorado) ist ein US-amerikanischer Science-Fiction- und Fantasy-Schriftsteller. Modesitt studierte am Williams College in Massachusetts und zog dann für 20 Jahre nach Washington, D.C., wo er sich zuerst der politischen Literatur widmete. In dieser Zeit arbeitete er als Pilot für die Navy, als Rettungsschwimmer, Botenjunge, Radio-DJ, Assistent eines Kongressabgeordneten, Berater der amerikanischen Umweltschutzbehörde und als Hochschuldozent. Er zog um nach New Hampshire und lernte dort 1989 seine derzeitige Ehefrau Carol A. kennen, eine Opernsängerin. Seit 1993 lebt das Ehepaar in Cedar City, im Bundesstaat Utah. Insgesamt war L. E. Modesitt Jr. dreimal verheiratet; er hat sechs Töchter und zwei Söhne. Bekannt ist er vor allem für seinen inzwischen 21 Bände umfassenden Fantasy-Zyklus Recluce.
Der Recluce Zyklus
The Magic of Recluce. 1991, ISBN 0-8125-0518-2, in deutsch als Magische Insel. 1999, ISBN 3-453-15628-5.
The Towers of Sunset. 1993, ISBN 0-8125-1967-1, in deutsch als Türme der Dämmerung. 1999, ISBN 3-453-15629-3.
The Magic Engineer. 1994, ISBN 0-8125-3405-0, in deutsch als Magische Maschinen. 2000, ISBN 3-453-15635-8.
The Order War. 1995, ISBN 0-8125-3404-2, in deutsch als Krieg der Ordnung. 2000, ISBN 3-453-16227-7.
The Death of Chaos. 1995, ISBN 0-8125-4824-8, in deutsch als Kampf dem Chaos. 2000, ISBN 3-453-16234-X.
Fall of Angels. 1996, ISBN 0-8125-3895-1, in deutsch als Sturz der Engel. 2000, ISBN 3-453-17213-2.
The Chaos Balance. 1997, ISBN 0-8125-7130-4, in deutsch als Der Chaos-Pakt. 2001, ISBN 3-453-17225-6.
The White Order. 1998, ISBN 0-8125-4171-5, in deutsch als Die weiße Ordnung. 2001, ISBN 3-453-17319-8.
Colors of Chaos. 1999, ISBN 0-8125-7093-6, in deutsch als Teil I: Die Farben des Chaos. 2001, ISBN 3-453-17890-4 und Teil II: Der Magier von Fairhaven. 2001, ISBN 3-453-17905-6.
Magi’I of Cyador. 2000, ISBN 0-8125-7948-8, in deutsch als Teil I: Sturm der Barbaren. 2002, ISBN 3-453-18808-X und Teil II: Freiheit für Cyador. 2002, ISBN 3-453-18874-8.
Scion of Cyador. 2001, ISBN 0-8125-8926-2, in deutsch als Teil I: Die Waffenhändler von Hamor. 2002, ISBN 3-453-19636-8, Teil II: Der Malachit-Thron. 2003 ISBN 3-453-21382-3. Die folgenden Bände wurden noch nicht übersetzt
Wellspring of Chaos. 2004, ISBN 0-7653-4808-X.
Ordermaster. 2005, ISBN 0-7653-1213-1.
Natural Ordermage. 2007, ISBN 978-0-7653-1813-8.
Mage-Guard of Hamor. 2008, ISBN 978-0-7653-1927-2.
Arms-Commander. 2010, ISBN 978-0-7653-2381-1.
Cyador’s Heirs. 2014, ISBN 978-0-7653-7477-6.
Heritage of Cyador. 2014, ISBN 978-0-7653-7613-8.
The Mongrel Mage. 2017, ISBN 978-0-7653-9468-2.
Outcasts of Order. 2018, ISBN 978-1-250-17255-6.
The Mage-Fire War. 2019, ISBN 978-1-250-20782-1.
#22 Fairhaven Rising, Feb. 2021, 9781250265197 (US Hardback)
Handlung
Prinz Creslin ist der Sohn von Dylyss, der Marschallin, die Burg Westwind regiert. Ihre Garde, die das wind- und schneereiche „Dach der Welt“ beschützt, besteht nur aus Frauen, was aber ihrem kompetenten Ruf keinen Abbruch tut: Die Garde ist in allen Ländern des Inselkontinent Candar, die zwischen den Gebirgszügen der Ost- und Westhörner liegen, gefürchtet und respektiert.
Weil die Garde nur aus Frauen bestehen darf, sieht es die Marschallin gar nicht gern, dass ihr einziger Sohn sich das Reiten, Fechten, Bogenschießen und Skifahren lehren lässt. Er sollte lieber Gitarre spielen und tanzen lernen. Prinzen seien dazu da, Erben zu zeugen – mit anderen Fürstinnen, versteht sich. Sie hat auch eine passende Partnerin für ihn ausgesucht, und an seinem 17. Geburtstag soll eine Eskorte der Garde ihn nach Saronnyn geleiten. Dort soll es eine hübsche, rothaarige Sub-Tyrannin geben, die Nichte der Marschallin
Allerdings verfügt Creslin nicht nur über das gleiche Silberhaar wie seine Schwester Llyse, sondern auch über mehrere, sorgfältig verborgene Eigenschaften. Er beherrscht nicht nur Luft und Winde, was auf dem Dach der Welt ziemlich nützlich ist. Er kann auch Gedanken lesen und Geister sehen. Recht lästig ist indes seine Vorliebe für die Wahrheit, denn bei Hofe gilt es allenthalben lächelnd zu lügen. Und dass er Töne nach ihrer Reinheit mit allen Farben „sehen“ kann, würde ihm eh keine abnehmen.
Der Stich
Als die Burg wieder mal Besucher beherbergt, die nicht viel auf kleine Prinzen in Seidenhosen geben, kommt es zu einem folgenreichen Zwischenfall. Es sollte nur ein Spiel im Labyrinth sein, doch die beiden männlichen Besucher stellen Creslins Geduld allzu sehr auf die Probe und – schwupps! – liegt einer der beiden mit Creslins Schwertklinge an der Kehle am Boden. Wie peinlich, doch als sich Creslin unauffällig verdrücken will, passt ihn eine junge Frau ab, die ihn in den Arm pikst.
Wie er später herausfindet, hat sie ihn mit einer magischen Markierung, einem Lebensband, versehen, denn fortan sieht er eine geisterhafte junge Frau. Ob sie die Schwester oder die Nichte seiner Mutter ist, muss er noch herausfinden. Das Verflixte an den Frauen ist beispielsweise, dass sie alle um einige Ecken miteinander verwandt sind.
Flucht
Die Eskorte nach Saronnyn steht bereit, und der Ritt zu seiner unbekannten, aber unfreiwillig Verlobten geht los. Doch auch eine so taffe Garde lässt sich austricksen, wenn man über das Wetter gebietet. Ein Schneegestöber, das die Sicht behindert, und Creslin schwingt sich auf seine mitgebrachten Skier und seilt sich ab. Eine ganze Woche lang fährt er nach Osten, bis ihm der Proviant ausgeht. Dies ist seine erste Probe, ob er in der Wildnis überleben kann. Dann stößt er auf die breite Straße der Magier, die einzige Straße weit und breit, und sie führt nach Gallos.
In einem passablen Gasthaus verdingt er sich als Wächter eines Händlers, denn schneller als ein Gedanke hat seine Faust den zudringlichen anderen Wächter des Händlers niedergestreckt. Na, wenn das keine Qualifikation ist! Beim Essen von Eintopf mustert er die Gäste, von denen manche recht zwielichtig aussehen, und schnappt das Gerede auf. In der Nacht hat ihn die Geisterfrau zum dritten Mal besucht: Er solle sie Megaera nennen, sagte sie. Sie ist extrem erotisch. War’s nur ein Traum oder kann es wirklich sein, dass er bei ihr gelegen hat – bzw. umgekehrt?
Von Fenard nach Jellico
Als Leibgarde erweist sich Creslin als Volltreffer. Das stellt nicht nur sein Mitstreiter Hylin, sondern auch sein Auftraggeber Derrild positiv fest, denn Creslin nimmt „irgendwie“ die Banditen und Räuber schon lange vorher wahr, bevor sie angreifen können. Mithilfe seiner Windmagie lenkt er Pfeile genau ins Ziel, und seine Schwert- und Reitkunst besiegt selbst ausgebuffte Banditen. Er macht vier von ihnen nieder, bevor Hylin überhaupt zum Zuge kommt. Der fragt ihn, was er eigentlich sei: eine Art Magier-Krieger, oder was? Creslin muss erst noch herausfinden, was alles draufhat. Und deshalb will er zu den Magiern in Fairhaven.
Sie erreichen unbehelligt das heimatliche Jellico, wo Derrild sein Hauptquartier hat. Er bezahlt seine Leibwächter aus, was besonders für Creslin ein hübscher Batzen ist. Sie dürfen mit seiner Familie zu Abend essen. Zwei unverheiratete Töchter und ein halbwüchsiger Sohn stellen eine Menge neugierige Fragen und bewundern Creslins Silberhaar. Lorcas darf er später seine Gitarrenkunst zeigen. Erstmals gibt er etwas von seinem früheren Leben preis. Ein süßer Kuss ist Dank genug.
Fairhaven
Es ist von Anfang sein Wunsch gewesen, in Fairhaven mehr über sich herauszufinden und etwas dazuzulernen. Schließlich ist Fairhaven die Stadt der großen Magier. Es sind Magier sowohl der Ordnung (schwarz) als auch des Chaos (weiß) im Rat der Zauberer versammelt, dem der Erzmagier vorsteht. Alle sind durch ihre Spione und gefiederten Späher darüber im Bilde, dass auf der Hochebene ungewöhnliche Dinge vor sich gehen. Das Wetter ist völlig in Unordnung geraten. Und die Marschallin von Westwind lässt nach einem Flüchtling fahnden. Mit deren Garde sollte man sich lieber nicht anlegen.
Creslin hat sich in die einzige Kneipe gesetzt, die von Ausländern frequentiert wird. Er hat die allgegenwärtigen Spione bemerkt, dass solchen wie ihm Ausschau halten. Leider hat er nicht daran gedacht, sein Schwert aus „kaltem Stahl“ zu verstecken, und dass Singen in der Kneipe von den Magiern verboten worden, weiß er auch nicht. Als ihm auch noch das Missgeschick widerfährt, aus übel schmeckenden Most einen frischen Apfel zu zaubern, wird man auf ihn aufmerksam. Die Wachen führen ihn ab, Widerstand ist zwecklos. Der Rat der Magier verurteilt ihn jedoch nicht zum Tode, sondern zu etwas viel Schlimmerem.
Arbeitslager
Die Wächter nennen ihn Silberschopf, um sich über ihn lustig zu machen. Wenn er Granitschotter schleppt, erinnert er sich nicht daran, dass er ein Prinz und Magier war. Seine Erinnerung ist von Fairhavens Magiern blockiert worden. Die Heilerin, die seinen geschundenen Körper reparieren soll, steht allerdings im Bund mit einem Rebellen im Magierrat und richtet nicht nur Silberlockes Körper, sondern auch seinen Geist. Als die Erinnerung zurückkehrt, bricht er fast zusammen. Doch danach bleibt ihm nur noch ein Weg: Er muss um jeden Preis aus dieser Hölle auf Erden entfliehen. Schon bald ergibt sich eine günstige Gelegenheit.
Seine Flucht währt nicht lange, denn der Geisterfrau kann er nicht entkommen: Megaera ist sein Schicksal…
Mein Eindruck
Die Magier von Fairhaven, die den US-amerikanischen Leser sicherlich an den Papst in Rom gemahnen, sind zu mächtig, um besiegt zu werden. Folglich kann das Herzogtum Montgren ihnen nicht standhalten. Der Herzog macht jedoch einen schlauen Schachzug: Statt Prinz Creslin und die an ihn gebundene Prinzessin Megaera irgendwohin zu verbannen, macht er sie zu seinen Mitregenten – allerdings auf einer weit entfernten, öden Insel, die keiner haben will: Es handelt sich um Recluce.
Was folgt, ist also die Vorgeschichte zur Handlung in Band 1. Was dort eine prächtige schwarze Festung der Ordnung darstellte, muss hier in Band 2 erst noch errichtet werden. Und weil man mächtigen Magiern keine lange Nase drehen darf, muss die Insel unter größten Mühen verteidigt werden. Die feindliche Propaganda von den ketzerischen und wahnsinnigen Magiern auf Recluce sorgt dafür, dass sich die Handelspartner von Fairhaven zusammentun und eine Invasionsflotte entsenden. Das dürfte den US-Leser eindeutig an die Kriege erinnern, die die Briten und ihre Verbündeten gegen die jungen USA geführt haben (1776-83 sowie 1812-14).
Natürlich drückt der Leser dem jungen Prinzenpaar die Daumen. Creslin immerhin ist ein fähiger Sturm-Magier und seine Kunst wird immer mächtiger. Allerdings zahlt er einen hohen Preis dafür: sein Augenlicht. Megaera freundet sich mit der Garde an, die aus Westwind hat fliehen müssen, und erlernt die Fechtkunst.
Doch all dieser Widerstand würde zusammenbrechen, wenn sich nicht Creslin und Megaera endlich zusammenraufen würden. Sie nennt ihn einen „Esel“, weil er nicht das begreift, was ihr das Wichtigste ist: Dass sie hier das Opfer ist, denn schließlich wollte sie ja das Lebensband zu ihm gar nicht. Ihre Mutter Ryessa hatte das eingefädelt, um sich an ihrer Schwester Dylyss, der Marschallin, für irgendetwas zu rächen. Außerdem würde sein Tod auch ihren Tod bedeuten, und wie gerecht ist das denn?
Wer jemals Ehestreitigkeiten für unterhaltsam und witzig gehalten hat, der kommt hier voll auf seine Kosten, andere eher nicht. Dennoch sind diese geschliffenen Dialoge nötig, um nicht in die Klischeefallen zu tappen, um den psychologischen Wandel der beiden Eheleute zu demonstrieren und schließlich um zu begründen, worauf Creslins seelische Stärke beruht, während er die Klima beherrscht und als er schon erblindet ist: Es ist natürlich Megaeras Liebe zu ihm. Schließlich ist er nicht zuletzt auch der Vater ihres ersten Kindes.
Action
In der zweiten, der Recluce-Hälfte schildert die Geschichte den Verteidigungskrieg, den Creslin gegen die feindlichen Magier des weißen Chaos führen muss. Schließlich wird er sogar aus der Not heraus – seine Insel wird von Flüchtlingen überlaufen, die ernährt werden müssen – zum Piraten, der die Gewässer rings um Candar mit gekaperten Schiffen unsicher macht. Die wahre Prüfung kommt allerdings, wie gesagt, erst noch: Wie will er denn die drei Flotten abwehren, die Fairhavens Verbündete gegen das kleine Recluce entsendet haben? Das Finale ist klasse, aber es ist ein langer Weg dorthin.
Reihenfolge
Der erste Band sollte laut Autor zuerst gelesen werden, obwohl sich die Handlung in der Chronologie von Recluce ziemlich am Ende der Entwicklung befindet. Der Grund ist einfach: Die wichtigsten Konzepte hinsichtlich des magischen Universums zwischen Ordnung und Chaos sind bereits entwickelt, allein es fehlen die Helden – und vor allem ihre Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte(n) liefern dann die Folgebände. Da ist beispielsweise die Rede von Dampfmaschinen und Dampfbooten. Diese tauchen in Band 3 auf (s.o.).
Die Übersetzung
Ich hatte nach der Lektüre des ersten Bandes (siehe Bericht) das Schlimmste befürchtet, was die Druck- und sonstigen Fehler anbelangt. Doch ist wurde angenehm enttäuscht. Offenbar hat hier tatsächlich korrigierend Hand am Text angelegt.
S. 63: „zwar nicht sehr bequem, aber war[u] genug, um die Nacht zu überstehen.“ Das U ist überflüssig.
S. 193: „befie[h]lt die Rothaarige ruhig.“ Das H fehlt.
S. 264: „Der Kapitän wollte die Steuer dort nicht löhnen.“ Abgesehen von der lausigen Grammatik passt auch der Ausdruck „löhnen“ gar nicht in die Stilebene.
S. 413: „Sie könne[n] nicht bezahlt werden…“ Das N fehlt.
S. 529: „geraten deine Gefühle[n] durcheinander.“ Auch hier ist das N überflüssig.
Eine Landkarte wäre extrem hilfreich gewesen. So eine findet man auf der Webseite des Autors oder auf Fanseiten. Auch eine Übersicht des verwirrend zahlreichen Personal hätte mir geholfen, den Überblick zu behalten. So sind die Verwandtschaftsbeziehungen, gelinde gesagt, byzantinisch.
Unterm Strich
Die Handlung schreitet recht flott voran, und nach ein paar kleinen Startschwierigkeiten konnte ich den Rest des Romans in kürzester Zeit bewältigen. Die Startschwierigkeiten beziehen sich auf die lückenhaften Darstellung der Geschehnisse auf Burg Westwind (die titelgebenden Türmen). Die ultrakurzen Kapitel – der Roman hat insgesamt 144 – mit den vielen Lücken erinnerten mich an das Protokoll eines Kriminalfalls. Der Leser ist somit aufgefordert, die Lücken zu füllen.
Verwirrung
Insbesondere die Fülle der verwandtschaftlichen Beziehungen auf Burg Westwind und im angrenzenden Fürstentum Saronnyn – woher Creslins Braut stammt – ist zunächst verwirrend, um das Mindeste zu sagen. Ständig geht es um Dylyss, Ryessa, Creslin, Lyssa und schließlich Megaera. Später kommen noch Megaeras Onkel in Montgren und diverse weiße Magier hinzu. Leider werden sie meist nur mit ihren Titeln erwähnt: Marschallin, Tyrannin, Sub-Tyrannin, Herzog, Erzmagier usw. Da es keine Personalliste gibt, heißt es, scharf aufzupassen – oder eine eigene Liste anzufertigen. Die Beziehungen zwischen diesen Figuren sind wichtig, denn sie bestimmen, wer sich wie zu den jeweils anderen verhält. Dass auf Recluce noch viele weitere Namen hinzukommen, macht die Herausforderung gewiss nicht kleiner.
Bindung
Die Geschichte selbst sowohl spannend und zuweilen dramatisch, als auch sehr romantisch. Beide sind von feministischen Elternhäusern geprägt. Die deswegen schwierige Liebesbeziehung zwischen Creslin und Megaera (s.o.) verändert sich zum Glück zu etwas Konstruktivem: Sie werden gleichberechtigte Partner. Dies ist die Voraussetzung, damit Creslin sowohl als Pirat und Recluce-Mitregent, als auch als Sturm-Magier Erfolg haben kann.
Würde Megaera ihm als Mitregentin, Gattin und Magierin ihre Gefolgschaft entziehen, sähe es für beide schlecht aus. Sie weiß aber, dass sie sterben würde, sollte auch er das Zeitliche segnen. Das magische Lebensband sorgt für eine unauflösliche Verbindung, und die Heirat des Paares ist nur die äußere, offizielle Form dessen, was eh schon durch Magie etabliert worden ist. Immerhin sorgt das zankhafte Sträuben Megaeras für etliche gute Einzeiler.
Magie à la Recluce
Der Leser ist gut beraten, Band 1 gelesen zu haben, denn dort wird das spezifische Gefüge der Magie im Recluce-Universum dargestellt, zum Glück meist durch Demonstration als durch langatmige Beschreibung. Auf dieser Grundlage wird eine weitere wichtige Entwicklung sichtbar: Megaera entwickelt sich von einer Magierin des weißen Chaos zu einer Magierin der schwarzen Ordnung. Creslin ist ziemlich von Anfang an als Meister der Ordnung erkennbar, auch wenn er selbst das nicht erkennt.
Diese doppelte Entwicklung macht die Lektüre auch in menschlicher und emotionaler Hinsicht zufriedenstellend. Für Actionfreunde hält die finale Invasion einiges an Kämpfen bereit, doch stehen sie nie im Mittelpunkt. Schließlich ist dies kein Mantel-und-Degen-Thriller, sondern die dramatische und romantische Darstellung der Beziehung zweier junger Menschen, die für sich selbst und ihren Freunde und Untertanen eine Zukunft aufbauen und sichern wollen bzw. müssen. Dies ist das Grundthema, das allen Amerikanern vertraut sein dürfte.
Mehr Magie
Der Recluce-Zyklus lohnt sich für den Fantasy-Freund vor allem durch seine völlig eigenständige Interpretation des komplementären Gegensatzes aus Ordnung und Chaos. So würde man erwarten, dass Ordnung gut und Chaos schlecht sei, doch Creslin muss am Schluss erkennen, dass er zwar das Gute will und Ordnung stärkt, doch dass daraus allzu leicht die entsprechende Energie dem Chaos zufließt. Verflixt! Wer einen Sinn für Humor hat, der könnte dies recht ironisch finden. Doch wenn alles schiefläuft, kann sich daraus schnell eine Tragödie entwickeln. Was Creslin also am schnellsten lernt, ist Selbstkontrolle und Verantwortungsbewusstsein. Das hat mir besonders gefallen.
Was fehlt
Dieser zweite Band führt in die Welt von Recluce ein. Dieser Ort ist allerdings nur ein Inselkontinent von vielen, so dass eine Landkarte sehr willkommen gewesen wäre. Sie glänzt ebenso durch Abwesenheit wie ein Glossar und Personenverzeichnis. Das o.g. Konzept von Ordnung und Chaos (man denke an Yin und Yang) sorgt für ein ständiges Hinundher von Machtverhältnissen. Die Parteien kämpfen allerdings nicht nur mit Waffen und Soldaten, sondern auch mit Wetterelementen wie etwa Regen, Schnee und sogar Dunkelheit. Das zwingt Sturmmeister wie Creslin, ständig die Augen offenzuhalten. Und solche Beobachtungen sorgen sowohl für Spannung als auch für eine anschauliche, farbige Welt, in die der Leser eintauchen kann.
Taschenbuch: 543 Seiten
Originaltitel: The towers of sunset, 1992
Aus dem Englischen von Edda Petri und Siglinde Müller.
ISBN-13: 9783453156296
Der Autor vergibt: