Ein ganz normaler Montag im Leben von John Rebus, Detective Inspector bei der Mordkommission der schottischen Metropole Edinburgh. Gerade hat ihn die Freundin verlassen, sein publicitygieriger Chef will ihn für eine Antidrogen-Kampagne zwangsrekrutieren, und selbstverständlich regnet es wieder in Strömen – da passt es gut ins Bild, dass Rebus in die übel beleumundete Siedlung Pilmuir gerufen wird. Dort stehen die meisten Gebäude leer und warten darauf abgerissen zu werden – theoretisch jedenfalls, denn tatsächlich haben sich in den Ruinen Hausbesetzer eingenistet, deren bloße Anwesenheit den Stadtvätern schon lange ein Dorn im Auge ist.
Der junge Herumtreiber Ronnie McGrath ist offensichtlich an einer Überdosis Heroin gestorben – kein ungewöhnliches Ende in Pilmuir. Doch Rankin fällt auf, dass der Körper des Toten mit Blutergüssen übersät ist, und später wird der Polizeiarzt entdecken, dass Ronnies „Stoff“ reichlich mit Rattengift versetzt wurde. In einem Nebenraum irritiert den Inspector ein sorgfältig an die Wand gemaltes Pentagramm – wurde Ronnie ein Opfer satanistischer Umtriebe? Seiner Freundin Tracy weiß davon angeblich nichts, aber sie gibt immerhin zu, dass sich Ronnie in den letzten Wochen seines Lebens verfolgt fühlte.
Rebus dreht sich bei seinen Ermittlungen im Kreis. Überrascht muss er erfahren, dass in Edinburgh mindestens sechs okkultistische Gruppen bekannt sind. Doch die Spuren weisen auch in andere Richtungen: Ronnies Bruder ist Polizist und deckte dessen illegale Aktivitäten. Noch beunruhigender sind die Verbindungen, die Rebus zwischen dem Ermordeten und jener Gruppe vermögender und einflussreicher Geschäftsleute entdeckt, von denen die erwähnte Antidrogen-Kampagne finanziert wird. Sie gehören einer neuen Generation an: Junge, skrupellose, erfolgreiche Finanzhaie sind es, die hart arbeiten und sich in ihrer knappen Freizeit amüsieren wollen – und im Beruf wie im Privatleben ist das Gesetz etwas, über das sie sich jederzeit erhaben fühlen!
Das bekommt Rebus zu spüren, als er der Wahrheit zu nahe kommt. Seine unsichtbaren Gegner fädeln ein Komplott ein, um den lästigen und ihnen allmählich gefährlich werdenden Spielverderber auszuschalten. Doch sie haben Rebus unterschätzt – und sie wissen nichts von Ronnies Vermächtnis, das dieser als Lebensversicherung an einem ganz besonderen Ort verborgen hält …
„Das zweite Zeichen“ ist – wie der Zufall so spielt – nicht nur der deutsche Titel des im Original viel anschaulicher „Verstecken & Suchen“ betitelten Romans, sondern markiert tatsächlich den zweiten Auftritt von John Rebus, Polizist in Edinburgh, der nun definitiv ansetzt, seinen Siegeszug auch durch die hiesige Krimi-Szene anzutreten.
In Großbritannien ist Rebus schon lange Stammgast in den Bestseller-Listen. Zwar geht es gar finster und notorisch depressiv zu in Ian Rankins Edinburgh, aber wenn man schon glaubt, nun geht’s nicht mehr, kommt doch irgendwo ein Lichtlein in Gestalt des berühmten britischen Humors her. Die Welt ist schlecht, das Leben hart, aber das heißt noch lange nicht, dass man beidem keine komischen Seiten abgewinnen könnte!
Dazu kommen die ungewöhnlichen Fälle, mit denen Rankin seinen Inspektor von der traurigen Gestalt konfrontiert. Sie sind beinahe überkompliziert, „gothic“ und ziemlich abgedreht; das wird sich in den weiteren Bänden der Serie sogar noch steigern. Weil Rankin aber den Überblick behält und sein Garn zu spinnen weiß, entsteht stets eine höllisch spannende und rasante Geschichte daraus.
Mit „Das zweite Zeichen“, im Original bereits 1991 erschienen, beweist Rankin ungewöhnlichen Scharfblick: Spätestens als im Kino der „Fight Club“ erfolgreich lief, musste sich die Gesellschaft in den sogenannten Industrieländern der unangenehmen Gewissheit stellen, dass unter denen, die nicht unter die Räder der Globalisierung geraten sind, sondern wirtschaftlich definitiv zu den Gewinnern gehören, eine Generation herangewachsen ist, die sich langweilt mit dem, was sich für schnöden Mammon kaufen lässt, und auch in der bizarrsten Extremsportart den ersehnten Kick nicht mehr findet.
Hier setzt Rankin an. Er hatte allerdings zusätzlich eine solide Basis für seine böse Geschichte vom menschlichen Treibgut, das die Satten und Unbarmherzigen im wahrsten Sinn des Wortes befriedigen muss: Großbritannien im Jahre 1991 war ein durch den Steinzeit-Kapitalismus der Ära Margareth Thatcher zerrüttetes Land, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich nicht nur immer größer, sondern das Verantwortungsgefühl der Privilegierten für die (unschuldig) weniger Begünstigten praktisch auf den Nullpunkt gefallen war. An dieses Phänomen konnten wir uns weltweit inzwischen gewöhnen; man denke nur an die verelendeten Länder des ehemaligen Ostblocks, deren Jugend – so denkt man manchmal – hauptsächlich deshalb heranwächst, um der Pornoindustrie des Westens den regelmäßigen Nachschub an Darsteller/inne/n zu sichern. Insofern hat „Das zweite Zeichen“ nichts von seiner Aktualität verloren.
Rebus selbst hat sich verändert. Fröhlicher ist er nicht geworden. Allerdings verliert Rankin auch kein Wort mehr über die Psychosen seines Helden, die auf eine brutale militärische „Spezialausbildung“ bei einer Elite-Fallschirmjäger-Einheit zurückgehen. Bei seinem Debüt drohte Rebus daran noch endgültig zu zerbrechen, aber nachdem die Figur ihre „Serientauglichkeit“ unter Beweis gestellt hatte, ließ Rankin Rebus’ geistige Defekte offensichtlich stillschweigend fallen. Er wird aber trotzdem nie auf dem Tisch tanzen, denn dafür präsentiert ihm die Welt – repräsentiert durch seine Heimatstadt Edinburgh – immer wieder neue Beweise dafür, wie schlecht sie (geworden) ist. In dieser Beziehung ist Rebus Deutschlands Lieblings-Kommissar Kurt Wallander durchaus ein Bruder im Geiste (der richtige sitzt ja als verurteilter Drogendealer im Gefängnis – ein weiterer Nagel zu Rebus’ Sarg …) – nur eben mit Humor.
Ian Rankin, geboren 1960 im schottischen Fife, lebte zwar mit seiner Familie lange in Südfrankreich, konnte sich dort aber offensichtlich gut an seine Jahre in Edinburgh und später London erinnern. Sein erstes John-Rebus-Abenteuer veröffentlichte er 1987; da sich der Erfolg rasch einstellte, ließ Rankin seinem Debüt weitere John-Rebus-Abenteuer folgen, die inzwischen ihren Weg nach Deutschland gefunden haben; kurioserweise in chronologischer Reihenfolge als Taschenbuch die älteren Bände, während die aktuellen Rebus-Thriller gebunden geadelt werden, um die angefütterten Krimi-Freunde besser zur Kasse zu bitten. In seiner schottischen Heimat, aber auch im gesamten britischen Inselreich hat Rankin dank Rebus inzwischen längst Kultstatus erreicht. Dazu trägt in nicht geringem Maße die höchst erfolgreiche TV-Serie „Inspector Rebus“ bei, die das Schottische Fernsehen seit 2000 ausstrahlt. Wer weiß; vielleicht erbarmt sich ja auch hierzulande ein (wahrscheinlich privater) Sender, der noch eine Sendepause zwischen zwei Verkaufsshows füllen muss …