Wilhelm Genazino – Außer uns spricht niemand über uns

Der Ich-Erzähler ist Schauspieler, allerdings derzeit ohne Engagement und beruflich offenbar gescheitert. Mal spricht er Hörbücher ein, mal soll er Veranstaltungen organisieren, aber nicht immer gegen Honorar. Und so fristet der nicht namentlich Genannte, von dem wir auch das Alter nur erahnen können – offenbar mitten in der Midlife Crisis – ein ziemlich trostloses Dasein. Auch seine Freundin Carola ist dort nur manchmal ein Lichtblick. So ganz genau mit der Treue nimmt sie es nicht, und so ist gar nicht klar, ob der Erzähler nun der Vater des Kindes ist, das seine Freundin zu bekommen scheint – ohne dass diese offensichtliche Schwangerschaft aber jemals zwischen den beiden thematisiert wird.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Erst verliert Carola das Kind, danach der Ich-Erzähler seine Freundin und schlussendlich sie gar ihr Leben.

Trostlosigkeit des Seins

Man kennt sie: Genazinos gescheiterte Erzähler. Meist in fortgeschrittenem Alter, über den Sinn des Lebens, ihre Beziehungen und ihre Gesundheit philosophierend. Auch das neueste Buch „Außer uns spricht niemand über uns“ ist da keine Ausnahme. Wieder treffen wir auf einen hoffnungslosen Mann vermutlich mittleren Alters, der mit nichts glücklich scheint. Aber warum sollte er auch? Er ist beruflich gescheitert, nicht glücklich in seiner Beziehung und von Freundschaften liest man auch nichts. Auch der in unregelmäßigen Abständen ausgeführte Geschlechtsverkehr scheint da keine positive Ausnahme zu bieten. Zu ehrlich und offen seziert Genazino wieder einmal, was sein Protagonist dabei fühlt oder eben nicht fühlt.

Nichts scheint so recht an ihn heranzukommen. Als seine Freundin schwanger ist, ruft dies nichts mehr als Gleichgültigkeit ihn ihm hervor, obwohl er ziemlich schnell der Meinung ist, das Kind könne unmöglich von ihm sein, schließlich habe er ja meist gar keinen Samenerguss (ja, so genau wollte man das beim Lesen vielleicht gar nicht wissen). Und schon beginnt eine Art Wettstreit – nämlich wer von beiden als erster diese Schwangerschaft anspricht. Gewinner gibt es in dieser Beziehung keine. Selbst als Carola einen Abort hat, begleitet von Schmerzen und heftigen Blutungen, ruft dies im Ich-Erzähler weder Sorge noch Mitleid hervor, sondern er befindet eigentlich nur, das Problem des möglichen Kindes sei wohl aus der Welt und Carola selbst Schuld, schließlich war sie ja mehrfach auf asphaltierten Straßen laufen und eine Fehlgeburt daher eine ganz logische Folge.

Der Ich-Erzähler wirkt sehr kalt und scheint keinerlei Empathie zu besitzen. Zwar ist er mit Carola zusammen und hat sich in dieser Beziehung arrangiert, aber doch scheint sie ihm völlig gleichgültig. Hauptsache, sie ist da. Denn die erste Gefühlsregung bemerken wir erst, als Carola ihn verlässt. Dann nämlich merkt der Erzähler, wie einsam und alleine er auf einmal ist – ohne Job und ohne Freundin. Schlussendlich ist er sich dann nicht einmal zu schade, um mit der Mutter seiner Exfreundin ins Bett zu steigen und dies auch noch positiv für ihn auszulegen. Sympathie weckt das beim Lesen natürlich rein gar nicht. Stattdessen macht sich eine echte Abneigung bemerkbar und man fragt sich unweigerlich, ob es tatsächlich dermaßen frustrierte Männer gibt, denen ihr komplettes Umfeld völlig egal ist und die in jeder Situation nur an sich selbst denken. Was wäre das doch traurig, wenn dem so wäre.

Das Buch erweckt unweigerlich eine gewisse Hoffnungslosigkeit. Wie ist der Ich-Erzähler in dieses Leben hinein gestolpert? Gab es einen Wendepunkt? War er vielleicht mal ein liebenswürdiger Mensch, bis er an irgendeinem Punkt im Leben gescheitert ist und nun zum Selbstschutz an nichts anders mehr denken kann als an sich selbst? Man erfährt es nicht. Und daher stimmt das Buch traurig, weil man an diesem Mann, der im Zentrum des Buches steht, so rein gar nichts Sympathisches und Liebenswertes finden kann.

Was Wilhelm Genazino wieder einmal hervorragend beherrscht, ist seine Bildsprache, die die Hoffnungslosigkeit des Buches in einmalig treffende Worte verpackt… Hier schreibt jemand, der das wirklich kann. Dennoch würde man sich wünschen, sein nächster Protagonist hätte wieder einmal eine etwas sympathischere Art und wäre nicht gar so verzweifelt, sodass man wenigstens ein Fünkchen Sympathie und Mitleid für ihn erübrigen kann. Sprachlich wieder meisterhaft, aber inhaltlich leider für meinen Geschmack etwas zu trostlos.

Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
ISBN-13: 978-3446252738
www.hanser.de

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