Band 1: [„Die Schlacht vor Kar Dathras Tor“ 3462
»Wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land, ho, ho, ho, ho, ho, hey!« So sangen einst |Dschingis Khan| im Jahre 1979. Ralph Siegels Tanztruppe hatte offensichtlich eine Schwäche für den Wilden Osten. Bei Comic-Mastermind Christian Gossett und seinem Team dürfte das ähnlich sein. Mit „The Red Star“ schufen sie einen Comic, der optisch und inhaltlich aus russischen Brunnen schöpft. Die Serie ist eine anspruchsvolle Komposition aus Bleistiftzeichnungen und 3D-Computermodellen. Der zweite Band „Nokgorka“ erschien im August bei |Cross Cult|.
Als im Januar 2007 der erste Band von „The Red Star“ veröffentlicht wurde, dachte schon so mancher Leser: Wow, ist das ein Brocken! Die Geschichte über „Die Schlacht vor Kar Dathras Tor“, über die Kriegszauberin Maya Antares, ihren Ehemann Markus und seinen vermeintlichen Tod nahm knapp 170 Seiten ein. So zauberte |Cross Cult| einen Comic-Band, dessen Äußeres seinem Inhalt entsprach: groß, gehaltvoll und pathetisch. Der zweite Band „Nokgorka“ ist noch einmal runde 40 Seiten dicker als der erste. Es gibt wieder einen ansehnlichen Textteil (Einführung, Infos über die Macher sowie ein Lexikon), allerdings liegt die Hauptschuld für den Zuwachs bei einem Kapitel mehr. Der „Nokgorka“-Zyklus ist nämlich ein Heft länger.
Seit der Schlacht vor Kar Dathras Tor sind sieben Jahre vergangen. Die Vereinigten Republiken des Roten Sterns sind am kränkeln. Das Imperium zerfällt allmählich. Trotz der anhaltenden militärischen Stärke versuchen immer wieder kleine Teile der Republik die Unabhängigkeit zu erlangen. So auch Nokgorka, ein frostiger Landstrich, in dem die Menschen stolz und kühn sind. Vermittelt wird der ungleiche Kampf durch die junge Soldatin Makita. Obwohl beinahe noch ein Kind, ist sie schnell, zäh und zu allem entschlossen. Auf der anderen Seite der Front folgt man bereits bekannten Figuren. Sowohl die Kriegszauberin Maya Antares als auch die Schleicher-Kapitänin Alexandra Goncharova sind wieder mit von der Partie.
Inhaltlich geht es zweigleisig zu. Auf der einen Seite wird die Schlacht um die Provinz Nokgorka geschildert, auf der anderen Seite spielen Einzelschicksale eine Rolle, die – so sagt eine Prophezeiung – eng mit dem Schicksal des ganzen Landes verwoben sein sollen. Die Leser sehen also nicht nur futuristische Schlachtschiffe, Riesenpanzer und Explosionen, sondern erleben die Handelnden auch in Naheinstellung.
Merkwürdigerweise gelingt es den Machern von „The Red Star“, Pathos zu erzeugen, ohne dabei lächerlich zu wirken. Das ist eine Seltenheit. Oft wirken Großereignisse in amerikanischen Comic-Serien überzogen, albern und unglaubwürdig. Wie gelingt „The Red Star“ dieser Kunstgriff? Sicherlich trägt die persönliche und dichte Darstellung der Hauptfiguren dazu bei, den Pathos ins rechte Licht zu rücken. Die Leser erfahren ganz unmittelbar von den Sorgen, Ängsten und Nöten der Protagonisten. Obwohl in „The Red Star“ mächtig geprotzt wird, sind die Figuren verletzliche Wesen, keine Superhelden.
Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, um zu erklären, warum der Pathos nicht lächerlich wirkt. Bei aller Gigantomanie ist den Machern von „The Red Star“ immer bewusst, dass für die Entstehung eines Imperiums wie der V. R. R. S. viele unschuldige Menschen leiden mussten. Mit der Freiheit des Individuums ist es nicht weit her. Das Großreich ist nicht glatt und glänzend, sondern hat Risse. Deutlich wird das zum Beispiel, wenn Maya von ihrer Freundin darauf hingewiesen wird, dass sie ein illegales Buch liest. Oder wenn ein Luftmarshall auf eigene Truppen Feuer regnet lässt, um in den Straßenschluchten nebenbei ein paar Gegner zu töten. Oder wenn der gute Geist Pravda davon spricht, wie nach der Revolution, der Geburtsstunde des Imperiums, Millionen Revolutionskämpfer von der Regierung in die Eiswüste geschickt wurden, weil ihre aufsässigen Stimmen zum Schweigen gebracht werden sollten. Bei solchen Rissen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Der Pathos kommt beim Leser an, weil ihm kein Wolkenschloss vorgesetzt wird. Was gezeigt wird, ist eine Diktatur, die sich trotz der phantastischen Elemente so echt anfühlt, als wäre sie real. Das Thema von „The Red Star“ ist eigentlich nicht mehr und nicht weniger als der Kampf zwischen dem Individuum und dem System. Anspruchsvoll, möchte man sagen. Aber wer einfache Kost bevorzugt, kann ja Schlager hören. Ho, ho, ho, ho, ho, hey!
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