Aldous Huxley – Schöne neue Welt (Lesung)

Utopieklassiker, kompetent vorgetragen

Schon in Thomas Morus’ Beschreibung der Gesellschaft der Insel Utopia  (1517) war im Grunde eine „Wohlfahrtstyrannei“ angelegt, wie Aldous Huxley eine Gesellschaft nennt, in der sich der Einzelne den Zielen der Stabilität und Leistungsfähigkeit unterzuordnen hat. In seinem Roman „Schöne neue Welt“ von 1932 zeigte Huxley, wozu eine solche Gesellschaft nach ihrer militarisierten Technisierung imstande ist, wenn sie auf einen unverbildeten Fremden trifft.

Der Autor

Aldous Huxley wurde 1894 in Godalming, Surrey geboren. Er stammt aus einer angesehenen Gelehrtenfamilie – Thomas Huxley war ein maßgeblicher Verfechter von Darwins Lehre –, wurde in Eton erzogen und studierte in Oxford. Nach dem 1. Weltkrieg arbeitete er als Journalist und Kunstkritiker. In den zwanziger Jahren schrieb er seine besten Romane, besonders „Kontrapunkt des Lebens“, der 1928 erschien.

Unter dem Einfluss der buddhistischen Lehre und der politischen Ereignisse in Europa entwickelte er sich während der 30er Jahre vom amüsiert beobachtenden Satiriker zum leidenschaftlichen Reformator, der die Welt durch eine universale mystische Religion zu heilen versucht. Huxley starb im Jahre 1963 und hinterließ eine Reihe von Science-Fiction-Romanen, von denen „Schöne neue Welt“ nur der erste ist.

Der Sprecher

Hans Eckardt liest den Text. 1939 in Berlin geboren, studierte Germanistik und Sprachwissenschaft, wurde Buchhändler und Schauspieler. Vierzehn Jahre arbeitete er am Theater als Schauspieler, Regisseur und Chefdramaturg. Zahlreiche Lehrverpflichtungen an verschiedenen Hochschulen, auf Rezitationsveranstaltungen und bei Studioproduktionen schlossen sich an. 1982 übernahm Eckardt für zehn Jahre die Leitung der ältesten Hörbücherei in Deutschland, der Deutschen Blindenhörbücherei in Marburg a.d. Lahn. Lehre, Regie, eigene Rezitation und die Förderung von Sprechertalenten in seiner Eigenschaft als Verleger stehen nunmehr im Zentrum seiner Arbeit.

Regie führte Markus Saborowski. Für die Lesung wurde der Text leicht gekürzt. Jede CD ist einzeln verpackt. Auf jeder Hülle stehen Informationen: über den Autor und den Sprecher. Auch ein längeres Zitat des Autors ist darauf zu finden.

Handlung

In der 34. Etage der „Brut- und Normzentrale Berlin-Dahlem“ zeigt der Direktor im Jahre 632 nach Ford den jungen Studenten das Brutlabor. Die künstliche In-vitro-Befruchtung ist für den Weltstaat von fundamentaler Bedeutung: Es gibt keine Mütter und folglich auch keine Familien oder Väter mehr. Hinzu kommt das Bokanowski-Verfahren: Aus einer Eizelle können nicht nur ein oder zwei Föten entstehen, sondern bis zu 96! Aus 150 reifen Eiern können so binnen zwei Jahren rund elftausend Menschen entstehen. Der Vorteil besteht in einer der Säulen des Weltstaates: Einheitlichkeit und Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe von Dutzendlingen. Man bemüht sich, die Produktion von elf- auf sechzehntausend zu steigern.

Der Fetus wird schon in der künstlichen Gebärmutter vordefiniert, für welchen Einsatzbereich in der Gesellschaft geeignet sein wird. Wird er ein intelligenter Alpha sein oder ein dummer Epsilon, ein Männchen (40%), ein Weibchen (30%) oder ein Neutrum (30%) – die Prädestinatoren legen es nach Bedarf fest. Der Vorgang der Geburt wird nach 267 Tagen eingeleitet und „Entkorkung“ genannt.

Durch Pawlowsche Konditionierung gehen die Prägungen weiter: Rosenblätter, Stromschläge, Sirenengeheul – alle Tricks werden angewandt. Die Studenten staunen, was es alles gibt. Zum Beispiel die „Hypnopädie“ oder Schlafschule. Im Schlaf werden den Kindern „Elementare Regeln des Kastenwesens“ eingetrichtert, unablässig säuseln die Lautsprecher einfache Maximen und Merksprüche in die schlafenden Ohren. Die Kinder lernen schon früh das, was man früher verklemmt als „Doktorspiele“ tabuisierte. Furchtbar! Laborantin Lenina Braun vereinbart ein Date mit ihrem Chef Henry Peppler.

Da tritt unvermittelt der Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann ein, und alle erstarren in Ehrfurcht. Es gibt nur zehn Weltaufsichtsräte, und Mannesmann ist für Westeuropa zuständig. Er sagt: „Geschichte ist Mumpitz!“ Begriffe wie „Mutter“ oder „trautes Heim“ malt er in grellen Horrorfarben, bis den armen Studenten schlecht wird. „Ein seelischer Kaninchenbau, stinkend von Gefühlen“, wettert Mannesmann. Der Satz „Eine Mutter säugte ihr Kind selbst“ gibt den Studenten fast den Rest. Doch nun lebe man in der idealen Gesellschaft. Lenina fällt auf, dass sich zwei Milliarden Erdbewohner nur etwa zehntausend Namen teilen. Welch fordhafte Einheitlichkeit!

Marx

Lenina erregt Anstoß: Sie geht jetzt schon vier Monate mit Peppler. Wie lange soll das noch weitergehen? Sie sollte zwei bis drei andere Männer haben, findet ihre Kollegin Stinnie. Dieser empfiehlt Lenina einen Schwangerschaftsersatz, um wieder ins seelische Gleichgewicht zu gelangen. Lenina hat einen ausgefallenen Wunsch: Sie will mit Sigmund Marx, einem Alpha-plus-Hypnopädagogen, eines der wilden Reservate in Neu-Mexiko besuchen.

Allerdings scheint Marx ein kleiner Abweichler zu sein: Er kritisiert Peppler und sogar, man stelle sich vor, Mustafa Mannesmann. Die Gemeinschaftsgottesdienste wirken bei ihm nicht: Er erlangt keine Ekstase. Als Leninas Ex-Lover Benito Hoover ihm ein wenig von der Glücksdroge SOMA anbietet, lehnt er doch glatt ab. Lenina ist es so was von peinlich, dass sie lieber eine Nacht mit Peppler in Berlin verbringt als mit dem leicht paranoiden Marx. Die Nacht vergeht im Soma-Rausch, und nach Einnahme eines Verhütungsmittels hüpfen Lenina und Henry in die Kiste.

Neu-Mexiko: das Verhängnis

Marx beantragt die mit Lenina geplante Reise nach Neu-Mexiko beim Brutdirektor Thoma-Kien, der allerdings betroffen reagiert. Er verlor bei seinem ersten Besuch in dem Reservat seine Freundin in einem schrecklichen Gewitter, so dass er sie nie wieder sah, vermutlich ist sie tot, denn die Suche verlief ergebnislos. Als Marx und Lenina mit der Rakete in Santa Fé ankommen, fahren sie weiter ins Reservat Malpais, das mit einem Elektrozaun geschützt ist.

Dahinter stoßen sie auf einen Pueblo, in dem halbnackte, bemalte und dreckige Indianer leben. Lenina ist entsprechend entrüstet. Der Anblick eines uralten Mannes löst in ihr Grauen und Erschrecken aus, denn ein solch hohes Alter ist im Weltstaat unbekannt. Normalos werden sechzig Jahre alt und sehen dennoch jugendlich aus, wenn sie euthanasiert werden. Stillende Mütter, ein ritueller Tanz inmitten von Schlangen – Lenina und Sigmund wünschen sich vergeblich, sie hätten jede Menge Soma mitgenommen.

Ein junger Mann beklagt sich, dass er bei dem Tanz nicht als Opfertänzer ausgewählt worden ist. Man sieht ihn schief an, weil er von einer weißen Mutter abstammt. Diese fette und stinkende Frau nennt sich Feline, und zu Sigmunds Überraschung handelt es sich bei ihr um die verschollene Freundin von Brutdirektor Thoma-Kien. Feline war mal eine Beta und stammt aus Berlin, an das sie sich traurig und sehnsüchtig erinnert. Nun ist sie eine promiske Alkoholikerin, die schon mit dem halben Stamm geschlafen hat.

Doch sie hat ihrem Sohn Michel viel von den Wundern der Zivilisation erzählt, in die sie wegen ihm nicht zurückkehren durfte. Seine Geburt war ja ebenso illegal wie seine Empfängnis. Er ist der Sohn von Thoma-Kein – wie hätte sie sich gegen diesen hohen Herrn behaupten können? Michel lernte nicht nur Shakespeare kennen, sondern schnappte auch die Lehren des Stammesältesten Mitsima auf, so dass alle diese Ideen unsystematisch durcheinander wirbelten. Wie Hamlet erstach Michel den Lover seiner Mutter, die er für eine zweite Getrude hielt.

Rückkehr und Fiasko

Sigmund Marx ahnt nicht, dass sich Michel in Lenina verliebt hat, denn er verfolgt einen Geheimplan. Er lädt Michel ein, nach Berlin zu kommen. Mit dem Einverständnis des Weltaufsichtsrates und anderer Stellen holt er Michel und Lenina aus dem Reservat ab und bringt sie nach Berlin-Dahlem. Was schon abzusehen war, bewahrheitet sich: Marx wird wegen Nonkonformismus vom Brutdirektor gefeuert. Man will ihn nach Island versetzen. Habe er etwas dagegen einzuwenden? Ja, sagt Marx, und zeigt ihm Feline und ihren Sohn Michel – den Sohn des Brutdirektors. Feline wirft sich ihm an die Brust, bis er sich vor Ekel losreißt. Der Skandal ist perfekt. Die Wörter „Mutter“ und „Vater!“ fallen, der Brutdirektor nimmt Reißaus. Marx’ Sieg ist vollkommen.

Doch während Feline mit ihren körperlichen Unzulänglichkeiten Anstoß erregt und ihren Schmerz durch einen schier endlosen Soma-Trip betäubt, erkundet Michel diese „schöne neue Welt“ – und erregt einen Skandal nach dem anderen.

VORSICHT, SPOILER!

Schließlich hat Michel die fragwürdige Ehre, auch dem Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann vorgestellt zu werden. Dieser verteidigt sein gesellschaftliches System und dessen totalitäre Kontrollen. Michel lehnt sie ab und zieht sich in einen Turm am Rande der Stadt zurück, um sich dort der Kunst zu widmen. Doch auch dort spüren ihn die Massenmedien ihn auf: Wie ein seltenes Raubtier besucht und bestaunt man ihn. Sein Ende ist nahe.

Mein Eindruck

„Brave New World“ wurde stets als pessimistische Antwort auf H.G. Wells’ frühen Optimismus verstanden, den er in Romanen wie „In kommenden Tagen“ (1899), „A Modern Utopia“ (1905) und „Menschen wie Götter“ (1923) zu vertreten schien – woran ich allerdings meine Zweifel habe. Schon in „Die Zeitmaschine“ (1895) und „Die Insel des Dr. Moreau“ (1896) entwarf Wells pessimistische Szenarien für die künftige Entwicklung der Menschheit, aber unter dem Blickwinkel der Evolution. Er kannte die Evolutionslehre von T.H. Huxley (1825-95).

Instrumentalisierung des Menschen

Aldous Huxley (1894-1963) legt in „Brave New World“ allerdings keinen Wert auf natürliche biologische Entwicklung, sondern auf das gesellschaftliche Ergebnis des Genetic Engineering. Anders als bei Wells wird die Wissenschaft nicht zum Wohl des Einzelnen, sondern für dessen Missbrauch eingesetzt. Der Mensch ist lediglich ein Mittel zum Zweck, ein Ding, Werkzeug – und eine Ware. Er, sie oder es – es gibt auch Neutren – hat seinen Wert lediglich innerhalb seiner determinierten Kaste, für die es arbeitet. Da es keine Familien gibt, kann es auch keinen familiären Zusammenhalt geben, und eine Altersversorgung durch die Kinder erübrigt sich sowieso, denn mit sechzig Jahren wird jeder „euthanasiert“ und im Krematorium verbrannt.

Sex und Soma

Aber es kann auch keine Ehen geben, denn erstens sind Kinder kein Ziel für eine Ehe, da alle Kinder zentral produziert werden, und zweitens ist Sex nicht mit Emotionen und Bindungen verbunden, sondern allenfalls eine angenehme Freizeitbeschäftigung, an der sich keine Konflikte entwickeln können. Schon wenn man wie Lenina mehrere Wochen lang den gleichen Sexpartner hat, erregt dies Anstoß. Und ein Intellektueller wie Sigmund Marx erscheint als Nonkonformist, weil er sowohl Sex als auch Soma verweigert. Stattdessen hegt er idealistische Vorstellungen von romantischer Liebe. Leider wird sein Werdegang nur unzureichend dargestellt.

Paradies aus dem Reagenzglas

Dieses Utopia ist ein pharmakologisches Paradies. Schwangerschaften lassen sich chemisch ebenso simulieren wie Soma, die psychedelische Glücksdroge, Zufriedenheit simuliert. Das Wort Soma entlieh der Autor aus dem oben angeführten Roman „Utopia“ von Thomas Morus, denn das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Fleisch, Substanz, Körper“, im Gegensatz zu „psyche“, was „Seele, Geist“ bedeutet. (Daher der moderne Begriff „psychosomatische Krankheit“.) Soma dient ebenso der gesellschaftlichen Kontrolle wie die „feelies“: sinnlich-dümmliche Filme der Virtuellen Realität.

Die Kontrollgruppe

Sigmund Marx hat es schwer, seine Unzufriedenheit mit diesem System auszudrücken – Lenina begreift nicht, was er sagt – oder gar die Kritik zu belegen. Doch zum Glück gibt es die Reservate, wo die Wilden leben. Sie bilden sozusagen die erlaubte „Kontrollgruppe“ des sozialen Experiments. Uns jedoch erscheinen sie nicht als noble Ureinwohner, sondern als degenerierte Schwundstufe, die sich ein paar alte Traditionen erhalten hat. Viele ihrer Mitglieder sind dem Alkohol verfallen, so wie die geächtete Feline, die sich obendrein durch Prostitution über Wasser hält.

Die Rache des Rebellen

Für Marx bietet sich unerwartet die Gelegenheit, einer Säule des verhassten Weltstaates, seinem Brutdirektor, eins auszuwischen, indem er ihn bloßstellt: als Rabenvater, ja, als „Vater“ an sich. Bekanntlich ist dieses Wort eine Obszönität in den Augen der konditionierten Menschen. Marx tut noch mehr: Indem er den halbwilden Michel mit dem Weltstaat konfrontiert, führt er eine Auseinandersetzung mit dem Weltaufsichtsrat herbei. Doch dort endet die Rebellion: Mustafa Mannesmann weiß sich mit wohlgesetzten Worten zu verteidigen, während Michel lediglich Shakespeares humanistisches Menschenbild ins Feld führen kann. Mannesmann lässt Michel nicht in den Kerker oder sonst was werfen, sondern lässt ihn gehen. Er weiß, wie es mit dem Halbwilden enden wird …

Schwächen

1. Lahmer Plot

Die größte Schwäche, die das Buch aufweist, hat es zugleich mit unzähligen Dystopien gemeinsam: einen echt lahmen Plot. Das liegt zum einen daran, dass die Dystopie sich erst selbst beschreiben muss, um als Gegenbild erkennbar zu werden, und zum anderen muss die Dystopie Abweichler hervorbringen, die sie als unnatürlich, schlecht, menschenfeindlich oder was auch immer kritisierbar machen. Dann erst kann es durch diesen Konflikt zu einer Katastrophe kommen. Diese wiederum kann gut oder schlecht ausgehen, mit dem Untergang der Dystopie oder mit dem Ende des Abweichlers.

Bekanntlich führt „Schöne neue Welt“ zum Ende des Abweichlers, obwohl die Unmenschlichkeit des Weltstaates erkennbar und vom Außenseiter kritisiert worden ist. Bis es dahin kommt, vergehen etliche Kapitel, und die Handlung kommt nur langsam in Fahrt, nachdem man etliche Beschreibungen hat über sich ergehen lassen. Auch bis der Konflikt und dessen Sprengkraft sichtbar geworden sind, vergehen fast zwei Drittel des Buches. Man kann also nicht gerade von einem Reißer sprechen.

Aber das wollte der gelehrte Mr. Huxley auch gar nicht anstreben. Seine beste künstlerische Schaffensperiode war bereits vorüber, als er das Buch schrieb: die zwanziger Jahre. Damals brachte er Meisterwerke wie „Kontrapunkt des Lebens“ (Point Counter Point, 1928, dt. bei DTV) hervor. Aber eines seiner Leitmotive bestand auch in „Schönen neue Welt“ fort: die Rolle des Künstlers in der Welt von morgen.

2. Die Rolle des Künstlers

Michel ist dieser Künstler. Abgewiesen und angewidert vom totalitären Weltstaat, in dem keine richtigen Individuen zugelassen sind, und enttäuscht von seiner illusionären Liebe zu Lenina Braun – seiner Miranda aus Shakespeares „Sturm“, aus dem der Buchtitel abgeleitet ist – wendet er sich dem Solipsismus zu. In einem hohen abgelegenen Turm will er der Kunst frönen. Doch seine Kunst ist unwichtig, wenn er doch selbst das unverstandene Wundertier ist. Wie eine Kreatur im Zoo wird er bestaunt, nicht seine Kunst.

Nicht jeder Künstler bekommt also die Gesellschaft, die er verdient (oder umgekehrt): Im Weltsaat darf es keine Künstler mehr geben, denn sie müssten ja ja eine individuelle Vision haben. Es gibt nur Kunsthandwerker, die die Feelies produzieren, und Technokraten wie Helmholtz-Holmes-Watson, die die Inhalte von Feelies festlegen, aber auch schon damit Probleme bekommen.

Diese Stellung des Künstlers passt nach Huxleys Ansicht zum Kommunismus, der bei Erscheinen des Buches gerade mal 15 Jahre existent war. Der Künstler hat die Ideologie ebenso zu feiern wie die Errungenschaften der „Revolution“, quasi als Hofdichter und Handlanger. Aber diese Stellung passt auch, und das ist für uns heute relevanter, zum Kapitalismus amerikanischer Prägung. Nicht ohne Absicht sind zahlreiche Namen aus der amerikanischen Wirtschaft entliehen, allen voran der vergöttlichte Ford (Ford statt Lord). Mit ihm beginnt eine neue Zeitrechnung – und offenbar auch Geschichtsschreibung. Dem Künstler fällt hier die Stellung des Hofnarren und Unterhaltungskünstlers zu.

Ford steht für die industrielle Fertigung am Fließband. Diese Methode der Autoproduktion überträgt Huxley auf die Menschenproduktion. Die Konsequenzen wurden oben geschildert. Der Zweck ist vorgeblich das klassische Ideal des Staates: das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen. Huxley schildert die Folgen der konsequenten Durchsetzung dieses totalitären Ziels. Die Menschen sind einheitlich, sich ihrer selbst kaum bewusst, Werkzeuge und Mittel zu einem Zweck, den sie zwar akzeptieren, aber nicht verstehen.

3. Die Rolle des Außenseiters

Kritik muss also von außen kommen. Der Außenseiter Michel, inspiriert von Shakespeares idealistischem Humanismus, kritisiert Mustafa Mannesmann, und der offenbart seine zynisch erscheinende Begründung des Weltstaates. Namen wie Ford, Mannesmann, Marx, Helmholtz-Holmes-Watson und ähnliche stammen alle entweder aus der kommunistischen oder der kapitalistischen Geschichte. Doch was stellt Huxely diesem gesellschaftlichen Albtraum entgegen? Was ist seine Alternative zur Dystopie wie auch zur Gegenwart des Jahres 1932?

Es sind die naturverbundenen Völker der Trobriand-Inseln und Neu-Guineas. Diese kennen angeblich weder Besitzdenken noch sexuelle Monogamie. Sie existieren quasi in paradiesischer Unschuld, vor dem Sündenfall. Doch wie sich inzwischen herausgestellt hat, hat die Erforscherin der Trobriander, die Amerikanerin Margaret Mead, nicht ganz sauber gearbeitet. Mit anderen Worten: Die Utopie der Trobriander, die sie und Huxley postulierten, existiert gar nicht.

4. Adornos Kritik

Aber dass er auf Mead hereinfiel, kann man Huxley schwerlich vorwerfen. Noch bis nach dem 2. Weltkrieg wurden ihre Funde für bare Münze genommen. Allerdings gibt es eine heftige Kritik an Huxleys Alternativen, die von keinem Geringeren als Theodor W. Adorno angeführt wird (sie ist in „Reclams Science Fiction Führer“, 1982, auf S. 215/16 zu finden). Adorno sieht in dem fiktionalen Entwerfen der Dystopie eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Huxleys eigener gesellschaftlicher Realität. Dieser wisse der Autor nichts Schlimmeres nachzusagen als die „Langeweile des prinzipiell nicht zu erreichenden Schlaraffenlandes.“

Der Roman übertrage die Schuld der Gegenwart (von 1932) gleichsam auf die Ungeborenen: „Es soll nichts anderes werden“, scheint Huxley zu sagen. Die Verbesserung der Welt werde selber in die (Erb-)Sünde umgebogen. Dieses Blut der Ungeborenen komme dem Roman aber nicht zugute und stehe ihm nicht gut zu Gesicht. Er versage aus der Schwäche eines Leerschemas, das mit seinen großartigen Erfindungen lediglich ausgeschmückt wird.

Gemäß dem Verfahren der Satire zeichne der Roman Karikaturen der Menschen von heute statt Visionen. „Die Fiktion der Zukunft verbeugt sich vor der Allmacht des Gegenwärtigen.“ Der Roman kontempliere zwar in Philosophie und Darstellung, doch in diese Reflexion gehe keine Praxis ein, „welche das verruchte Kontinuum sprengte. Die Menschheit hat nicht zwischen totalitärem Weltstaat und Individualismus zu wählen.“ Nicht nur gebe es also kein Handlungsrezept im Roman, sondern es gebe noch nicht einmal die Wahl zwischen dem Status quo (Dystopie) und der Verwirklichung des Individuums, wie Michel und Marx es darstellen, denn beide scheitern. Somit versagt der Roman in Adornos Augen in zweifacher Hinsicht. Letztlich ist Huxleys Aussage pessimistisch und resignativ. (Übrigens genauso wie Orwell in „1984“. Adorno weigert sich, sich damit abzufinden.

Ich stelle diese Kritik lediglich zur Diskussion, denn für eine eigene textkritische Bewertung, die ich unter „Schwächen“ begonnen habe, ist hier nicht der geeignete Ort.

Der Sprecher

Hans Eckardt mag ja ein professioneller Sprecher sein, aber seine stimmlichen Ausdrucksfähigkeiten sind doch unüberhörbar begrenzt. Seine tiefe, raue Stimme eignet sich schlecht für Frauen, aber gut für Männerstimmen, doch auch hier ist seine Wandlungsfähigkeit nur gering. Daraus ergibt sich, dass es dem Hörer, der nicht das Buch vor sich liegen hat, schwer fällt, die einzelnen Sprecher zu unterscheiden. Die Frauen wie Lenina Braun klingen genauso wie die Männer, etwa Sigmund Marx. Dies lässt sich aber leicht als Ausdruck ihrer sozialen wie menschlichen Einheitlichkeit interpretieren.

Dann dürfte dies aber nicht auch für die beiden Außenseiter Felina und ihren Sohn Michel gelten. Bei Felinas Darstellung gibt es einen schönen emotionalen Moment, als sie endlich ihrem früheren Freund, dem ehrenwerten Herrn Brutdirektor, vorgestellt wird. Sie wirft sich ihm an die Brust. Mit hoher Stimme interpretiert der Sprecher ihr Gejammer und ihre Freude, die wild durcheinander wirbeln. Ein ebenso gelungener Moment ereignet sich, als sie, noch in der Reservation, von ihrem Schicksal erzählt. Der Sprecher müht sich, ihre Emotionen durch Stottern und stockenden Redefluss darzustellen, was ihm gut gelingt.

Michel ist ein Idealist, der sich nach ein paar traumatischen Erfahrungen in Lenina verliebt. Doch statt mit ihr zu schlafen, liest er lieber „Othello“ (aus seinem verbotenen Shakespeare-Buch. Sie schluckt zum Ausgleich ihres sexuellen Frusts Soma – was sonst? Ein Versuch, ihn zu verführen, schlägt fehl. Der Sprecher ahmt das Zip! des Reißverschlusses nach. Sehr gut kommt der Widerspruch zwischen Leninas Soma-Sexrausch und Michels idealistischer Sprache zum Ausdruck: Er will sie heiraten und dann erst – vielleicht – mit ihr Kinder zeugen. Beide Ideen sind natürlich für Lenina Blasphemien.

Unterm Strich

„Schöne neue Welt“ ist sicherlich ein wichtiges Buch innerhalb des Genres Zukunftsliteratur und Utopie. Jeder sollte es kennen, denn es zeigt eine ganze Reihe von auch heute angewandten Kontrollmechanismen, darunter Drogen, Musik, Düfte, Religion und 3D-Kinofilme („feelies“). Ist man sich dieser Mechanismen erst einmal bewusst, kann man daran gehen, sich ihrer betäubenden, ruhig stellenden Wirkung zu entziehen.

Die Schwächen des Buches habe ich oben bereits aufgezählt und erörtert. Der Plot ist unglaublich lahm und kommt kaum in die Gänge. Dieses Problem hat der Roman mit vielen anderen Dystopien gemeinsam. Die Figuren sind kaum als Individuen auszumachen – im Weltstaat wird die Individualität unterdrückt. Die einzige Figur, die unser Mitgefühl verdient, ist der junge Wilde Michel. Dass er tragisch endet, soll uns zwar durch Mitleid rühren, führt aber nur dazu, dass wir die Hände in den Schoß legen. Der Roman versagt gemäß Adornos Kritik in zweifacher Hinsicht – siehe oben.

Der Sprecher Hans Eckardt ist nicht der große Sprachkünstler, doch sein Vortrag vermittelt etwas von seinem Anliegen, das ihm wichtig ist: Er will heranwachsenden und anderen Menschen, die das Buch nicht kennen, einen ersten Einblick geben und trägt den Text mit Überzeugung und Sympathie vor. Mehr kann man von seinen begrenzten stimmlichen Mitteln nicht verlangen. Für ein Hörbuch von 6 CDs ist der Preis von knapp 30 Euro (ca. 24 bei amazon.de) selbst heute noch, fast zwei Jahre nach Erscheinen des Hörbuchs, immer noch der Durchschnitt. Nur größere Verlage wie Lübbe können diesen Preis unterbieten, aber Hans Eckardts kleiner Verlag sicherlich nicht.

459 Minutenauf 6 CDs
Originaltitel: Brave New World, 1932/1953
Übersetzt 1953 von Herberth E. Herlitschka
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