Pratchett, Terry – Ab die Post

Ein Buch, das mit einer Hinrichtung beginnt, hat schon etwas Eigenartiges an sich. Stammt das Werk auch noch aus der Feder von Terry Pratchett, kann man sicher sein, dass es mit den Merkwürdigkeiten nicht allein dabei bleibt. „Ab die Post“ heißt der neue Roman des humorvollen Briten, der im |Manhattan|-Subverlag bei |Goldmann| erschienen ist und als ein 444 Seiten starkes, gebundenes Hardcover daherkommt. Das sehr hübsche Titelbild von Paul Kidby zeigt den Helden des Romans und seine Mistreiter auf einem riesigen Haufen Briefe.

Feucht von Lipwig heißt der junge Mann, der zu Beginn der Ereignisse von „Ab die Post“ den Kopf von einem freundlichen Henker durch die Schlinge gelegt bekommt. Doch das Schicksal meint es gut mit dem Kleinkriminellen, denn anstatt dem Sensenmann entgegenzutreten, wird die Hinrichtung nur vorgetäuscht und er landet beim Patrizier, der ihm die freie Stelle des Postministers von Ankh-Morpork anbietet. Bei der Auswahl zwischen Erhängen und einem Job bei der Post fällt es dem versierten Betrüger nicht schwer, sich für die gesündere der beiden Alternativen zu entscheiden. Wobei er aber schon einen Fluchtplan schmiedet, der jedoch jäh durch Herrn Pumpe, einen stattlichen Golem, gestoppt wird, der vom Patrizier engagiert wurde, um Feucht von Lipwig von nun an zu begleiten/bewachen.

Als der sympathische Gauner dann seine zukünftige Arbeitsstätte und sein Personal begutachtet, fällt er aus allen Wolken: Das Postamt ist bis unters Dach gefüllt mit Briefen, die seit zwanzig Jahren auf ihre Zustellung warten, und bei den beiden übrig gebliebenen Angestellten handelt es sich um einen uralten Mann, Herrn Grütze, und einem Nadeln sammelnden und leicht einfältigen Jungen, der sich Stanley nennt.

Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten beginnt Feucht von Lipwig Gefallen an der Sache zu finden, denn seine Fähigkeiten im Umgang mit Menschen (oder besser gesagt in der Manipulation der Menschen) machen aus ihm einen ganz ordentlichen und sogar beliebten Postminister. Als er sich auch noch in die „Golemrechtlerin“ Fräulein Liebherz verguckt, legt er sich richtig ins Zeug, um den Postladen wieder auf Vordermann zu bringen.

Doch es gibt da eine Partei, die ganz und gar nicht mit den Bemühungen des neuen Postministers glücklich ist, nämlich die Betreiber des Großen Strangs, der Semaphorengesellschaft, die bisher mit ihren Klackertürmen das Monopol der Nachrichtenübermittlung in Ankh-Morpork und der weiteren Umgebung besaßen.

Der Kopf dieser Gesellschaft, Reacher Gilt, ist ein machthungriger, skrupelloser Geschäftsmann, dem man nachsagt, dass er ein Auge auf den Thron des Patriziers geworfen haben soll. Seit die Semaphorentürme in seiner Hand sind, kommt es immer wieder zu Ausfällen, die vor allem durch die sehr einschneidenden Einsparungen verursacht werden, die Gilt der Gesellschaft auferlegt hat. Bisher war das allerdings kein Problem, doch nun läuft dem Strang die Kundschaft weg, die nun lieber Briefe verschickt und sogar anfängt, Briefmarken zu sammeln. Als Feucht von Lipwig dann den Großen Strang noch herausfordert – er behauptet, er könne eine Nachricht schneller nach Gennua bringen als der Strang –, sieht Gilt die Chance, den Postminister endlich loszuwerden. Doch dieser bekommt von unerwarteter Seite Hilfe.

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte des jungen Gauners, der einen Laden wieder auf Vordermann bringt, sich dabei verliebt und letztendlich dabei seine gute Seite entdeckt, sehr hollywoodesk – und ja, sie ist es auch. Doch wer Pratchett kennt, der weiß, dass es auch zwischen den Zeilen viel zu entdecken gibt, und so auch in seinem neuesten Werk, das nur so von Andeutungen und Anspielungen auf die wirtschaftlichen Zusammenhängen unserer schönen globalen Welt strotzt. In den humoristischen Schafspelz der Scheibenwelt verpackt, erzählt er von Vorständen, die sich auf dem Rücken eines Unternehmens bereichern, von egoistischen Geschäftsgebaren, von feindlichen Übernahmen und ausgebeuteten Belegschaften. Also alles Themen, denen es weder an Aktualität noch an Brisanz mangelt. Es ist auch immer wieder faszinierend, wie Pratchett Dinge aus ‚unserem modernen und zivilisierten Leben‘ nimmt und sie in seine Fantasywelt einflechtet; wer sich bei den Jungs des „Rauchenden Gnus“ an die „einsamen Schützen“ aus der Akte-X-Serie erinnert fühlt, dürfte da gar nicht so verkehrt liegen. Die beliebten Darsteller der Scheibenwelt-Serie (Rincewind, die Wache, die Hexen) kommen in „Ab die Post“ gar nicht oder nur am Rande vor, was vielleicht den einen oder anderen Fan nach „Kleine freie Männer“ und dem „Weiberregiment“, in denen sie auch nicht vorkamen, ein wenig enttäuscht. Diese können sich aber freuen, denn der nächste Scheibenweltroman wird ein waschechter Stadtwachen-Krimi.

Was Pratchett in „Ab die Post“ abgeliefert hat, ist ein sehr netter Roman, der die Vielseitigkeit der Scheibenwelt um eine weitere Facette ergänzt. Es gelingt ihm in gewohnt gekonnter Manier, Sachverhalte aus der realen Welt in die Scheibenwelt einzubauen, ohne dabei lächerlich oder gar albern zu wirken. Obwohl das Buch einige Längen hat, ist es für jeden Terry-Pratchett-Fan ein Muss.

© _David Grashoff_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Schreibe einen Kommentar