Young-ha, Kim – Gottesspiel, Das

Warum wird eigentlich jedes zweite Buch, das von einem asiatischen Autor stammt, als „Skandalroman“ bezeichnet? Oder ist es sogar jedes Buch? Man weiß es nicht. Fakt ist aber, dass „Das Gottesspiel“ von Kim Young-ha laut dem |Spiegel| noch so eine Skandalschrift ist.

Dabei geht es inhaltlich noch nicht einmal um die verborgenen Sexgelüste einer spießigen Gesellschaft, sondern vielmehr um einen namenlosen Ich-Erzähler, dessen Beruf darin besteht, den Selbstmord anderer Menschen auf deren Wunsch zu inszenieren. Seine beruflichen Erlebnisse verarbeitet er dann in einem Roman, indem er erzählt, wie es dazu kam, dass sich diese Menschen umbrachten.

Im Buch werden die Fälle von der gelangweilten, jungen Seyour, die immer einen Lolli im Mund hat, und der Aktionskünstlerin Mimi erzählt. Obwohl scheinbar kein Zusammenhang herrscht, kommen zwei Brüder, nur C und K genannt, bei beiden Mädchen vor.

Allerdings erschließt sich dem Leser nicht wirklich, welche Rolle C und K eigentlich haben, und das, obwohl sie derart viel Raum einnehmen. Das ist sehr schade, denn es ist nicht die einzige brennende Frage, die offen bleibt, wenn man das Büchlein zuschlägt. Nun können offene Fragen natürlich auch als eine Art Stilmittel eingesetzt werden, aber da sich die Fragen zu Young-has Geschichte nicht mit einer Happy-End-Lappalie à la „Bekommt der Held die Heldin also doch noch?“ begnügen, sondern tief in der Geschichte wurzeln, stören sie erheblich. Was macht man als Leser denn mit einer Geschichte, die zwar sehr gut erzählt ist, die man aber inhaltlich nicht versteht, weil sie stellenweise so verworren ist?

Schuld an dieser Verwirrung ist vor allem Aufbau. Die Perspektiven wechseln schnell und es dauert sehr lange, bis man sich überhaupt in die Geschichte hineingefunden hat. Hinzukommt, dass zum Beispiel zu den Charakteren K und C kaum etwas erklärt wird. Wer sind sie? Ist einer davon identisch mit dem Ich-Erzähler? Und wieso nennt der eine das Mädchen Seymour und der andere Judith? Sind es verschiedene Mädchen? Und in welcher Reihenfolge läuft die Handlung überhaupt ab?

An den Perspektiven, die Young-ha benutzt, liegt es definitiv nicht, denn sie verdienen ein wirklich wohlwollendes Kopfnicken. Absolut untypisch asiatisch schreibt der junge Mann. Von der netten Oberflächlichkeit, die Bücher aus diesen Landen oft prägt, ist nichts zu spüren. Stattdessen eine philosophische, dreckig-authentische Tiefgründigkeit, die sehr tief unten in den Seelen der Protagonisten wühlt und deren Gedanken, Gefühle und Meinungen ungefiltert preisgibt. Das zeigt sich auch in den flapsig wirkenden, aber eigentlich direkt auf den Punkt gebrachten Dialogen und den sehr schönen Beschreibungen von Eigenheiten, die der Autor den treffend ausgearbeiteten Charakteren zuordnet. Ein gutes Beispiel dafür ist Judiths Lollifetisch.

|“Chupa Chups. Das ist Judiths Lieblingssorte. Wenn sie nicht raucht, hat sie häufig einen Chupa Chups im Mund, dieses runde Bonbon mit dem Stäbchen. Sie behält ihn sogar im Mund, wenn sie sich lieben. C fürchtet immer, sie könne ihm mit dem Stäbchen die Augen ausstechen. Das Stäbchen hat ihn übrigens tatsächlich einmal im linken Augen erwischt und er hatte Angst, blind zu werden. Selbst einige Tage nach dem Zwischenfall traute er sich noch nicht, wieder mit ihr zu schlafen.“| (Seite 38)

Die anderen Charaktere profitieren ebenfalls von Young-has akribischer Arbeit, die sich durch das ganze Buch zieht. An und für sich ist das nichts Schlechtes, aber der eine oder andere mag sich wahrscheinlich daran stören, dass das Buch allzu streng durchkomponiert wirkt.

Eine strenge Komposition ist dabei ja eigentlich nichts Schlimmes. Sie verhindert Längen und fordert Lesen mit Gehirn. „Das Gottesspiel“ meint es an einigen Stellen aber leider zu gut. Während die Charaktere und der Schreibstil wirklich ein großes Lob verdienen, wissen Inhalt und Aufbau nicht immer zu überzeugen. Erstens fehlt es dem Buch an klar abgegrenzten Strukturen und zweitens bleibt am Ende ein schales Gefühl zurück. Der Klappentext redet wie selbstverständlich von einem Ich-Erzähler, der Selbstmorde für Kunden arrangiert. Allerdings finden sich derer nur zwei in dem knapp 160-seitigen Buch. Der Rest sind Ausrisse aus dem Roman, den der Ich-Erzähler schreibt. Zwei dieser Selbstmorde bei großer Ankündigung sind zu wenige, um ein ganzes Buch auszumachen, aber zu viele, um nur einen kurzgeschichtenartigen Ausriss aus dem Leben einer Person darzustellen.

Kim Young-has Debüt ist folglich eine zwiespältige Sache. Auf der einen Seite ein interessanter, fesselnder Schreibstil mit sympathischen, gut ausgearbeiteten Charakteren sowie einem Umschiffen der typischen Asia-Oberflächlichkeit, auf der anderen Seite aber ein verwirrender Aufbau, und wer möchte ein Buch nur wegen des Schreibstils lesen? „Das Gottesspiel“ verspricht Potenzial und erklärt die Lobeshymnen, die über dieses Buch gesungen werden, zumindest zur Hälfte, aber der große Wurf ist dem Südkoreaner damit noch nicht gelungen.

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