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Interview mit Tobias O. Meißner

_Mit seinem Fantasy-Roman „Das Paradies der Schwerter“ machte Tobias O. Meißner dieses Jahr allerorts Schlagzeilen. Nicht nur die Feuilletons von |FAZ| und |SÜDDEUTSCHE ZEITUNG| sind begeistert, auch aus der SF- und Rollenspiel-Szene kommen zahlreiche lobende Rezensionen. [ALIEN CONTACT]http://www.epilog.de/Magazin/ sprach mit ihm über seine Romane, seine Arbeitsweise und sein nächstes Buch._

_AC:_
Für viele Leser aus der Science-Fiction- und Fantasy-Szene bist du noch ein unbeschriebenes Blatt. Kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen?

_Meißner:_
Ich wurde 1967 in der Weltstadt Oberndorf am Neckar geboren und bin im Alter von zwei Jahren mit meinen Eltern nach Berlin emigriert. Beruflich wurde ich vor allem von meinem Vater geprägt, der Journalist war. Mit 18 Jahren habe ich selbst angefangen als Journalist zu arbeiten. Danach habe ich Publizistik und Theaterwissenschaften studiert und abgeschlossen. In der Zeit habe ich auch mehrere Praktika gemacht, unter anderem für Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen. Dabei habe ich festgestellt, dass Journalismus doch nicht das Richtige für mich ist, weil ich es nicht so gut finde, wenn man innerhalb ganz kurzer Zeit Resultate erzielen muss, weil immer ein extremer Zeitdruck herrscht. Beim Schreiben von Belletristik arbeite ich zwar auch gern mit Deadlines, aber die sind dann schon etwas fürstlicher. Ich hatte bei den Zeitungen immer das Gefühl, dass man unglaublich viel verschenkt, wenn man sehr schnell schreiben muss.

In meiner Freizeit habe ich angefangen zu schreiben, bereits während der Schulzeit. 1990 habe ich mit drei Freunden einen kleinen Literaturklub gegründet, den wir »Deadline Project« nannten. Es ging darum, dass jeder in jedem Monat ein Kapitel einer Geschichte schreibt und es den anderen schickt. Jeder schrieb also einen Text und bekam drei. Nach einem halben Jahr gaben zwei von den vieren als Autoren auf, weil es nicht jedermanns Sache ist, jeden Monat pünktlich ein neues Kapitel liefern zu müssen. Aber die beiden blieben uns weiter als Leser treu, während Michael Scholz und ich als Autoren übrig blieben. Wir beide haben uns gegenseitig immer weiter angestachelt, weil keiner aufgeben wollte. Im Rahmen dieses »Deadline Projects« sind von 1990 bis 1996 meine ersten in sich geschlossenen Bücher entstanden: „Starfish Rules“, „HalbEngel“ und „Hiobs Spiel“, und Michael verfasste „Der Schreiber“, „Revolver“ und „Splitterkreis“. Dabei haben wir gar keine Kontakte zu Verlagen gesucht, das war nicht wichtig für uns. Erst als ich drei fertige Romane in der Schublade liegen hatte, dachte ich, dass es toll wäre, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich den Spaß am Schreiben mit finanziellen Einkünften zu verbinden. Ich habe es zunächst mit „Starfish Rules“ versucht, und es klappte dann auch.

_AC:_
Zu welchen Verlagen hast du den Roman geschickt?

_Meißner:_
Das waren nur sechs oder sieben Verlage. Ich habe mich dabei an meiner eigenen Büchersammlung orientiert, um herauszufinden, welchen Verlagen ich meinen Text anvertrauen würde. Verblüffend früh hat sich |Rotbuch| in Hamburg für das Manuskript interessiert. Ich habe allerdings nicht das Manuskript versendet, weil ich befürchtete, dass es in einer Flut von unverlangt eingesandten Texten untergeht. Stattdessen habe ich eine Art Werbeseite designt, auf der die Schlagworte draufstanden sowie der Satz: »Bei Interesse fordern Sie das Manuskript an.« Rotbuch war der einzige Verlag, der auf diese Werbeseite reagierte und demzufolge auch der einzige, der das Manuskript bekommen hat. Allerdings hat es noch ein Jahr gedauert, bis sie sich durchgerungen hatten, einen völlig unbekannten Autor mit einem derart extravaganten Text zu publizieren. Sie hatten inzwischen drei Gutachten in Auftrag gegeben, die alle begeistert waren.

In diesem Jahr hatte ich an einem Drehbuch geschrieben und an weiteren »Deadline«-Projekten gearbeitet. Danach hatte ich Glück, weil der |Rowohlt|-Verlag die Taschenbuchrechte an „Starfish Rules“ gekauft hat, wovon ich ein weiteres Jahr leben konnte. Leider hatte das Taschenbuch ein entsetzliches Titelbild, das dem Verkauf nicht gerade förderlich war.

_AC:_
Lass uns über das neue Buch reden. „Das Paradies der Schwerter“ ist dein erster Fantasy-Roman …

_Meißner:_
Der erste veröffentlichte …

_AC:_
Wie meinst du das?

_Meißner:_
Ich habe mit Fantasy angefangen. Ich habe zwischen meinem 18. und 22. Lebensjahr ein Buch verfasst, das, wäre es fertig geworden, ungefähr 2000 Seiten umfasst hätte. Ich habe allerdings nach rund 400 Seiten aufgehört, weil ich gemerkt habe, dass es einfach zu lange dauert, wenn ich für die ersten 400 Seiten schon vier Jahre gebraucht habe. Ich dachte mir, ich könnte noch weitere 16 Jahre an diesem einen Buch arbeiten – oder ich beginne lieber kleinere, überschaubarere Projekte. An „Starfish Rules“ habe ich allerdings auch vier Jahre gearbeitet. Jedenfalls habe ich mir damals mit den 400 Fantasy-Seiten einen guten Teil des Handwerks des belletristischen Schreibens selbst beigebracht.

_AC:_
Woher kam dein Interesse am Fantasy-Genre?

_Meißner:_
Eigentlich bin ich kein Fantasy-Fan oder –Kenner. Ich war in meiner Jugend von diesem eigenartigen Zeichentrick-Herr-der-Ringe-Film mehr beeindruckt als von Tolkiens Roman. Beim Lesen von Fantasy-Literatur hatte ich immer das Gefühl, dass mir etwas fehlt, dass irgendetwas nicht stimmt. Vieles war sehr gestelzt, klischeebeladen oder zu weit weg. Mir fehlte immer irgendetwas, das ich bei anderen Literaturformen gefunden habe. Ich hatte eine eigene Vision davon, wie ich Fantasy anders darstellen würde: den reinen Eskapismus weglassen, die Geschichte grobkörniger gestalten. So ähnlich wie das Verhältnis zwischen einem klassischen amerikanischen Edelwestern zu einem dreckigen Italowestern.

_AC:_
Michael Swanwick hat in einem aktuellen Interview gesagt, dass sich die meisten Fantasy-Autoren damit begnügen, die Staffage zu lernen – also Drachen, Elfen, Zwerge und so weiter – und dabei die Verankerung in der Realität vernachlässigen. Science-Fiction, auch schlechte Science-Fiction, hat diese Verankerung, weil sie eine, wenn auch manchmal minimale, Extrapolation unserer Welt ist. Momentan gibt es aber einen Trend, dass Fantasy realistischer und schmutziger wird. Ein Beispiel dafür ist China Miéville.

_Meißner:_
Ich habe irgendwann aufgehört Fantasy zu lesen, nachdem ich als Jugendlicher von der Ideenvielfalt der Romanheftserie „Mythor“ recht beeindruckt war. Aber ich kam mit dem Schreibstil nicht klar. Das Problem habe ich auch mit anderen Romanheften. Ich finde es schön, wie viele Ideen darin stecken, aber es ist leider so schlecht geschrieben. Da ich nicht weitergelesen habe, ist mir vielleicht auch einiges entgangen. Ich habe noch nie einen Jack Vance oder Fritz Leiber gelesen, Moorcock habe ich mir erst letztes Jahr mal angeschaut. Ich hatte immer den Eindruck, dass alle Fantasy daraus besteht, dass ein böser, dunkler Fürst das Land bedroht und kleinwüchsige Wesen oder Elfen oder Drachenreiter sich verbünden müssen, um diesen bösen Fürsten zu bekämpfen. Ich sah nirgendwo ein Gegenbeispiel. Ich dachte mir immer, dass es so nicht sein dürfte, denn das wäre ja so, als würde jeder klassische Abenteuerroman nur von Musketieren handeln. Aber ich bin wirklich kein Experte für Fantasy. Ich bin sozusagen aus Enttäuschung keiner geworden.

_AC:_
Was war der Anstoß für „Das Paradies der Schwerter“?

_Meißner:_
Da gab es mindestens vier Anstöße. Die brauchte ich auch, sonst hätte ich mich nicht daran gesetzt. Ich wusste von Anfang an, dass es drei Jahre dauern würde, das Buch zu schreiben – 36 Kapitel zu je einem Monat ergibt drei Jahre. Eine der Grundideen für „Paradies der Schwerter“ war, die Allwissenheit und Allmacht des Autors aus der Hand zu geben und eine Handlung zu entwickeln, die vom Zufall bestimmt werden kann, ohne dass das Handlungsgerüst aus dem Ruder läuft. Ich brauchte ein mathematisches Grundsystem, und dafür bot sich ein Turnier an. Ich wurde zum Reporter eines Geschehens, das ich selber nur in Gang gebracht habe, das dann aber aus kinetischer Energie selbst anfing zu rollen und immer schneller wurde. Das erklärt aber nicht, warum es ein Fantasy-Roman geworden ist.

Da ich mit Fantasy angefangen hatte zu schreiben, wollte ich irgendwann zu diesem Format zurückkehren, wenn sich die Gelegenheit bot. Die dritte Idee war, dass ich ein Buch mit vielen Protagonisten schreiben wollte, von denen man nicht weiß, welcher der wichtigste ist. Es sollten mindestens zehn sein – im Buch waren es dann sogar sechzehn –, die die Postmoderne in sich tragen; die auch aus Kulturkreisen stammen, die man eindeutig unserer Welt zuordnen kann und die in eine mittelalterliche Fantasy-Welt vielleicht gar nicht reinpassen. Die aus einem Italowestern, einem Samuraifilm oder einem Blaxploitation-Movie stammen könnten und die ich in dieses Buch hineinwerfen konnte, damit es ein phantastischer Schmelztiegel aus unterschiedlichen Storys und Beweggründen wird. Der vierte Ansatz war, dass ich mit sechzehn Protagonisten unterschiedliche Stilistiken und Blickpunkte anwenden konnte. Ich wollte die Geschichte nicht »von oben« betrachten, sondern für jede Perspektive eine eigene Deutungsweise schaffen. Es sollten Figuren sein, an denen man sich reiben kann.

_AC:_
Du sagtest, dass das Buch auf dem Zufall basiert. Wie ist das gemeint?

_Meißner:_
Ich habe die sechzehn Protagonisten entworfen, habe ihnen nach Rollenspielregeln bestimmte Körperwerte zugeordnet – also Geschicklichkeit, Attacke- und Paradefähigkeiten, Rüstungen – und habe die Kampfbegegnungen ausgewürfelt. Es war also nicht vorher festgelegt, wer gewinnt. Ich habe auch die Paarungen der Kämpfe nicht festgelegt, das ist sehr wichtig für das Buch. Ich habe sie stattdessen ausgelost und live, während ich die Lose aus dem Holztopf gezogen habe, geschildert, wer gegen wen antritt. _[Achtung: In den nächsten Sätzen werden einige Handlungswendungen verraten! Bitte erst „Das Paradies der Schwerter“ lesen!]_ Das ist fast noch wichtiger als die Kampfwerte, weil es bestimmte Konstellationen gibt, in denen zum Beispiel einer, der mit die besten Werte hat, der Degenfechter Cyril Brécard DeVlame, schon sehr großes Pech haben musste, gegen einen der beiden Gegner gelost zu werden, die eine dermaßen starke Rüstung tragen, dass er sie mit seinem Degen kaum verwunden kann. Genau das hat aber das Los entschieden. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hätte DeVlame das ganze Turnier gewinnen können, das Los hat aber entschieden, dass er Pech hat und gleich in der ersten Runde ausscheidet. Ich war sehr begeistert darüber, wie die Lose mitgespielt haben, und dass sie mir auch einige zu klischeehafte Situationen erspart haben – zum Beispiel, dass die beiden Brüder gegeneinander antreten. _[Entwarnung!]_ Ich habe oft das Gefühl gehabt, dass der Zufall ein besserer Autor ist als ich. Es war spannend, damit umzugehen und den Zufall ins Schreiben einzubinden. Oder auch Situationen umzubiegen, die zunächst sinnlos erscheinen. Die Sinnlosigkeit hat auch viel mit dem wirklichen Leben zu tun. Es endet eine Spannungskurve, die man aufgebaut hat, plötzlich ganz abrupt, wie im wirklichen Leben.

_AC:_
Gab es eine Situation, in der du versucht warst zu mogeln?

_Meißner:_
Glücklicherweise überhaupt nicht. Ich hätte auch auf keinen Fall gemogelt. Ich hatte auch meine Freunde aus dem |Deadline Project| als Kontrollinstanz, die auch alle Rollenspieler sind. Der Produktionsprozess war ganz offen, ich habe ihnen meine Würfeltabellen mitgegeben. Es gab ein paar Situationen, von denen ich gehofft habe, dass sie nicht passieren, hätte sie aber als Herausforderung an den Autor begriffen.

_AC:_
Die Kapitel des Buches, insbesondere die Kämpfe, sind unterschiedlich lang. Liegt es daran, dass du an einigen besonderen Spaß hattest?

_Meißner:_
Es hängt direkt mit dem Würfeln zusammen, dass einige Kämpfe schon sehr schnell vorbei waren. Andere Kämpfe zogen sich über mehrere Seiten als Würfel-Zahlentabellen hin, weil beide Kontrahenten jede Attacke des Gegners parierten. Dadurch wird das Kapitel automatisch sehr viel länger. Aber ich habe mir auch die Freiheit genommen, mich vom ganz konkreten Kampfgeschehen zu lösen. Bei der Auslosung habe ich gleichzeitig geschrieben, bei den Kämpfen habe ich nicht während des Würfelns geschrieben. Ich habe also nicht jede einzelne Attacke, die ausgewürfelt war, genau eins zu eins wiedergegeben, sondern habe mir den Kampf erst einmal ganz angeschaut und habe mir dann überlegt, was die Essenz des Kampfes ist. Oftmals habe ich dann auch bereits im ersten Satz der Schilderung eines Kampfes auf die Essenz hingearbeitet. Wenn ich weiß, wer am Ende stirbt, dann habe ich den Kenntnisstand, dass ich diese Figur tatsächlich zum letzten Mal beschreibe und ich hinterher nichts bedauern muss.

_AC:_
Du hättest aber hinterher noch etwas ändern können.

_Meißner:_
Das mache ich nie. Das habe ich beim |Deadline Project| gelernt. Dadurch, dass man an jedem Monatsende die Geschichte sozusagen |in progress| publiziert, also an die Freunde schickt, kann man nichts mehr ändern. Ich habe meine Freunde als Kontrollleser und bete, dass sie keine Fehler finden.

_AC:_
Dadurch setzt du dich als Autor aber auch sehr unter Stress.

_Meißner:_
Ich weiß nicht, wo mehr Stress liegt. Einer der vier Autoren im |Deadline Project| hat nach einem halben Jahr aufgehört zu schreiben, weil er immer wieder am ersten Kapitel Änderungen vorgenommen hat und irgendwann gar nicht mehr dazu kam weiterzuschreiben. Leider ist er uns als Schriftsteller dadurch verloren gegangen, obwohl er tolle Ideen hatte. Diesen Stress der nachträglichen Änderung habe ich mir nie gemacht. Ich schreibe ein Kapitel, und in den letzten Tagen eines Monats überarbeite ich es noch einmal richtig, und dann ist es halt fertig. Ich muss dann nicht noch einmal rückwärts durch das ganze Buch gehen.

_AC:_
Aber du arbeitest sehr konzentriert und in sehr kleinen Einheiten.

_Meißner:_
Ja, ich arbeite konzentriert. Das hängt damit zusammen.

_AC:_
Woher weißt du so viel über Waffen und Kampftechniken?

_Meißner:_
Vieles davon habe ich mir durch unterschiedliche Regelwerke der Fantasyrollenspiele in der Theorie angeeignet. Rollenspiele haben den schönen Aspekt, dass dort versucht wird, Traditionen oder bestimmte Bereiche des Daseins zu simulieren. Es gibt Experten, die dicke Bücher verfassen, wie man bestimmte japanische Waffen oder bestimmte Kampftechniken in Würfelergebnisse übersetzen kann. Diese Arbeit kann ich mir ersparen.

_AC:_
Hast du für das Buch speziell recherchiert?

_Meißner:_
Ja natürlich, ich habe mir aus vielen verschiedenen Quellen Inspirationen für meine Figuren geholt, habe aber auch vieles selbst entwickelt. Ich habe ein inzwischen veraltetes Regelwerk von |Das Schwarze Auge| als Grundsystem benutzt, allerdings dann modifiziert. Ich habe da eine gewisse Erfahrung, mir Regeln auszudenken, weil ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr Spielleiter von Rollenspielkampagnen bin.

_AC:_
Du sagtest, dass das Buch in einer Art Mittelalter spielt.

_Meißner:_
Eher auf einer mittelalterlichen Entwicklungsstufe. Das kann natürlich auch zu einer postapokalyptischen Zeit sein, das habe ich gar nicht festgelegt. Es gibt viele Endzeitgeschichten, die in eine Art Mittelalter zurückfallen. Ich wollte für den Roman nicht festlegen, ob er in der Vergangenheit oder in der Zukunft spielt.

_AC:_
In einigen Rezensionen zu „Das Paradies der Schwerter“ wurde bemängelt, dass der Roman Anachronismen enthält. Die waren dann also Absicht?

_Meißner:_
Das sind keine Fehler, die mir unterlaufen sind, sondern eher Andeutungen, dass das Ganze auch in der Zukunft spielen könnte. Es gibt zum Beispiel den Begriff »an der Nadel hängen«, den man aus dem Mittelalter nicht kennt. Auch Wörter wie »Logistik« kommen vor. Ein solches Mittelalter, wie im Buch beschrieben, hat es ohnehin definitiv nie gegeben.

_AC:_
Welcher der Kämpfer war dein Favorit?

_Meißner:_
Einen Favoriten durfte ich nicht haben. Es wäre fatal gewesen, wenn ich einen gehabt hätte. Der Sinn des Spieles war, genau das zu vermeiden. Normalerweise, in anderen Büchern, habe ich immer einen Protagonisten, aber selbst da sind sie nicht immer meine Favoriten, zum Beispiel in „Starfish Rules“. Anders bei „Hiobs Spiel“; darin ist es offensichtlich, dass ich an Hiob klebe und jede seiner Bewegungen mit einer großen Faszination, manchmal auch mit Abscheu – aber das ist ja etwas Ähnliches – verfolge. Bei „Paradies der Schwerter“ wollte ich genau das nicht.

_AC:_
Auf der Impressumseite steht die Vorbemerkung: »|Paradies der Schwerter| ist der Roman, der in Tobias O. Meißners Neverwake-Zukunft unter dem Titel |Rakuen| veröffentlicht und berühmt wird (siehe Tobias O. Meißner |Neverwake|, Eichborn Berlin, 2001).«

_Meißner:_
Ja. Innerhalb der Neverwake-Chronologie wurde das Buch von einem Autor verfasst, dessen Akronym »Ein Robot.Messias« lautet. Wenn man die Buchstaben von »Ein Robot.Messias« umstellt, kommt dabei Tobias O. Meissner raus. Das muss man dann aber wirklich in „Neverwake“ nachlesen. Es ist nämlich so: Wenn man das Gesamtwerk verstehen will, muss man alles gelesen haben. Auch das unveröffentlichte …

_AC:_
War die Vorbemerkung nur ein Spaß, oder spielt sie für dich eine wichtige Rolle?

_Meißner:_
Es ist insofern wichtig, dass ich zuerst „Rakuen“ geschrieben habe. „Das Paradies der Schwerter“ hieß nämlich ursprünglich „Rakuen“, wurde dann aber aus vertriebstechnischen Gründen umbenannt, weil schon die Teilnehmer der Vertreterkonferenz des Verlages das Wort „Rakuen“ auf die absurdeste Art und Weise verdreht haben, so dass schnell klar wurde, dass im Buchhandel irgendetwas ganz anderes ankommt und es nie gelingen wird, dieses Buch jemandem zu vermitteln. Deswegen habe ich selber als Alternativvorschlag den Titel „Das Paradies der Schwerter“ eingebracht. Also, ich habe zuerst „Rakuen“ geschrieben, und danach erst „Neverwake“, auch wenn die Romane in anderer Reihenfolge erschienen sind. Ich konnte in Neverwake nur deshalb behaupten, dass es dieses Buch gibt, weil ich es schon geschrieben hatte. Daher also die Vorbemerkung.

_AC:_
Du hast so etwas wie einen Schutzengel, und der heißt Wolfgang Ferchl. Als |Rotbuch| „Starfish Rules“ gekauft hat, war er dort als Lektor beschäftigt und hat dich dann zum |Eichborn|-Verlag mitgenommen, wo er Programmchef war. Inzwischen ist er Verlagsleiter bei |Piper|. Welche Bücher sind in diesen drei Verlagen denn noch erschienen?

_Meißner:_
Beim |Rotbuch|-Verlag gab es „Starfish Rules“ und danach „HalbEngel“, ein Roman über Populärkultur und Rockmusik. Bei |Eichborn| hatte ich einen Vertrag über drei Projekte, zuerst „Todestag“, das ich damals noch gar nicht geschrieben hatte. „Todestag“ wollte ich sehr schnell schreiben, es durfte nur drei Monate dauern und hat sich direkt auf die Gegenwartspolitik bezogen. Das zweite Projekt bei |Eichborn| war „Neverwake“. Es sollte eigentlich eine Trilogie werden, aber daraus wird wohl nichts, weil es leider das kommerziell unverkäuflichste meiner Bücher geworden ist. Und zu meiner großen Überraschung war das dritte „Hiobs Spiel“. Keiner hat das Buch jemals verstanden, keiner mochte das Buch, aber Wolfgang Ferchl, mein »Schutzengel«, sagte, es gibt Projekte, die muss man als Verleger einfach bringen. Leider verkauften sich die drei Bücher nicht gar so gut. Wolfgang Hörner, der mich bei |Eichborn.Berlin| von Ferchl übernommen hatte, hat „Das Paradies der Schwerter“ gesehen, als es noch „Rakuen“ hieß. Er war davon überzeugt, und tatsächlich läuft es jetzt besser als alle meine anderen Bücher. Jetzt habe ich ein Angebot von |Piper|, und ich habe das Konzept für einen Fantasy-Zyklus aus meiner Schublade geholt, der zwölf Bände umfassen soll. Ich kann nur hoffen, dass |Piper| wirklich alle Bände bringen wird. Das hängt natürlich vom Erfolg ab.

_AC:_
„Hiobs Spiel“ und auch „Starfish Rules“ haben eine sehr extravagante Typographie. War das deine Idee?

_Meißner:_
Das ist nicht so einfach zu beantworten. In meinem Originalmanuskript ist so etwas schon angedeutet, mit unterschiedlichen Schrifttypen. Dass aber für jedes Kapitel eine eigene Kapitelüberschrift und jeweils eine andere Textgestaltung designt wurde, das hatte ich gar nicht zu träumen gewagt. Ich fand es aber toll. Und sie haben meinen Hinweis befolgt, dass jeder Handlungsstrang in „Starfish Rules“ immer die gleiche Schrifttype hat, was Struktur in das Chaos des Buches bringt. Bei „Hiobs Spiel“ sieht mein Manuskript relativ einfach aus, und ich finde es großartig, was der Designer daraus gemacht hat.

_AC:_
Hattest du Einfluss auf die endgültige Gestaltung?

_Meißner:_
Überhaupt nicht, ich habe nur die fertigen Druckfahnen bekommen, um sie abzusegnen.

_AC:_
„Hiobs Spiel“ ist zum Teil unglaublich brutal. Hat der Verlag darauf reagiert oder etwas verändern wollen?

_Meißner:_
Die Brutalität war nicht das Problem, sondern vielmehr die stilistischen Experimente, die ich in dem Buch gemacht habe; Sätze, die aus ihrem grammatischen Zusammenhang geschleudert wurden und vieles andere, das zunächst für mich ohne Beispiel war. Ich habe versucht, neuschöpferisch mit Sprache umzugehen und einen gewissen schamanistischen Ansatz zu finden. Wenn man ein Buch über Magie schreibt, dann sollte man auch versuchen, wie ein Schamane etwas Magisches in das Buch hineinzustecken. Und das geht bei einem Buch nun mal nur mit Sprache. Ich hatte also irrwitzige Sätze gebaut, die vom Lektorat hinterher herausgenommen wurden, weil sie angeblich unverständlich gewesen wären. Ich finde, dass der schamanistische Charakter des Buches unter dem Lektorat sehr gelitten hat. Andererseits kann man aber auch nicht deutlich genug betonen, dass |Eichborn| den Mut hatte, ein solches Buch überhaupt zu bringen.

_AC:_
Du sagtest, dass das Buch niemand verstanden hat. Ist es dir egal, dass es keiner versteht?

_Meißner:_
Ich glaube, dass ich selber nicht weiß, wie man es richtig verstehen sollte. Es besteht aus sehr vielen Einzelteilen, die viele Bedeutungen haben – zum einen für mich, aber auch historisch bedingt, wofür ich intensiv recherchiert habe. Die meisten Rezensionen wurden dem aber nicht gerecht. In „Starfish Rules“ habe ich ungefähr das Achtfache an Zeit investiert, das ich für meine Magisterarbeit an der Universität benötigt habe. Insofern wäre „Starfish Rules“ rein rechnerisch ein Buch, mit dem man sich acht Universitätsgrade holen könnte. Es steckt nichts Zufälliges drin, auch wenn es auf den allerersten Blick so aussehen mag.

_AC:_
Was ist dein Antrieb, dich jeden Tag an den Schreibtisch zu setzen und weiterzuarbeiten? Ist es der Spaß am Schreiben, oder eher, dass du etwas loswerden musst, das in dir lauert?

_Meißner:_
Der Hauptantrieb ist der Spaß und die Möglichkeit, Kreativität zu verarbeiten, ohne dass einem jemand reinredet. Das ist ganz anders als zum Beispiel beim Filmemachen, wo man auf viel zu viele Leute Rücksicht nehmen muss.

_AC:_
Obwohl du eigentlich schon immer Genreliteratur geschrieben hast – Science-Fiction, Fantasy, Horror – wurdest du vom Fandom nie wahrgenommen. Das ging allerdings auch anderen Autoren so, wie zum Beispiel Dietmar Dath oder Kai Meyer. Liegt das an deinem Anspruch, weil du »literarische« Bücher schreibst?

_Meißner:_
Das mag sein. Das Spannende für mich an meinem neuen Projekt für |Piper| ist, dass ich meine Stilistik sehr weit runterschraube und keine Sprachexperimente mehr mache. Ich möchte, dass das Buch ganz leicht zu lesen ist. Aber gleichzeitig versuche ich, eine extrem komplexe Geschichte aufzubauen, deren Komplexität man im ersten Band noch gar nicht unbedingt bemerkt. Aber ich habe ja das Gesamtprojekt im Kopf, ich weiß, was ich in den zwölf Bänden alles machen werde. Ich kenne bisher nichts Vergleichbares, sonst würde ich es nicht umsetzen wollen. Wenn ein anderer Fantasy-Autor so etwas schon gemacht hätte, würde ich dafür nicht zwölf Jahre meines Lebens opfern. Ich bin ja kein Masochist.

_AC:_
Fürchtest du dich nicht vor dem Berg an Arbeit? Oder dass du zwischendurch das Interesse an der Geschichte verlieren könntest?

_Meißner:_
Gar nicht. Die Herausforderung spornt mich eher an. Der Gedanke, einen so umfangreichen Zyklus zu schreiben, ist etwas Neues, das ich noch nie versucht habe.

_AC:_
Wobei du das Glück hast, dass du den Zyklus in einem Genre schreibst, in dem das möglich ist. Obwohl ich bei den meisten Zyklen nach dem ersten Band keine Lust mehr habe weiterzulesen.

_Meißner:_
Das geht mir genauso, denn ich habe das Gefühl, dass die meisten Fantasyautoren kein Gesamtkonzept haben, sondern einfach nur immer weiter schreiben und sich zu viel wiederholt.

_AC:_
Themawechsel. Welche Rolle spielen Realität und Virtualität für dich?

_Meißner:_
Realität ist ja auch immer virtuell. Ich glaube nicht, dass es eine einzige Wahrheit gibt. Deshalb ist es schwer, Realität zu fassen. Ich bin ein Verfechter der multiplen Perspektiven, und das merkt man meinen Büchern auch an. Es gibt immer sehr viele Figuren, die eine völlig unterschiedliche Sichtweise auf ein und dasselbe Geschehen haben.

Virtualität finde ich leichter zu beschreiben als Realität. Realität ist ein so unüberschaubarer Raum, dass man ihn nicht fassen kann, während man in der Virtualität ein Kontinuum schaffen kann, das vollständig begreifbar ist, weil man es nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten entwickelt hat. Das fasziniert mich auch immer wieder an Computerspielen, denn man kann ein Spiel quasi zu hundert Prozent durchqueren und lösen, was in der wirklichen Welt niemals möglich ist. Die Virtualität hält für einen Geschichtenerzähler immer Möglichkeiten bereit, irgendwo im hintersten Winkel etwas zu verbergen, das vom Leser aber trotzdem gefunden wird.

Ich habe früher sehr viele Computerspiele gespielt, und dann eine Pause von fast zehn Jahren gemacht, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben. Seit es die PlayStations gibt, spiele ich wieder mehr, zum einen zur Entspannung, aber auch zum kreativen Input. Es ist manchmal eine Art Meditation, durch diese virtuellen Räume zu gleiten oder zu laufen. Oder auch Rennspiele zu spielen, in denen man irgendwann eine Geschwindigkeit erreicht, bei der man nicht mehr nachdenken darf, sondern intuitiv reagiert. All das fasziniert mich sehr. Irgendwann will ich ein Buch schreiben, das man nur noch intuitiv erfassen kann und gar nicht mehr über den Intellekt, aber dafür bin ich wahrscheinlich noch nicht gut genug.

_AC:_
Wir sind sehr gespannt auf deine nächsten Bücher. Vielen Dank für das Gespräch!

|Das Gespräch führten _Hardy Kettlitz_ und _Hannes Riffel_ am 5. Juli 2004 für das Magazin [ALIEN CONTACT.]http://www.epilog.de/Magazin/ Die Veröffentlichung bei |Buchwurm.info| erfolgt mit freundlicher Genehmigung der AC-Redaktion.|

_[Das Paradies der Schwerter]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3821807237/powermetalde-21
von Tobias O. Meißner
|Eichborn.Berlin|
Februar 2004
gebundene Ausgabe
ISBN: 3821807237_

Heinlein, Robert A. – Zwischen den Planeten

Robert Anson Heinlein (1907-1988) hat zweifellos eine ganze Menge bedeutenderer und unterhaltsamerer Romane geschrieben als „Zwischen den Planeten“. Die Karriere des Autors begann 1939 mit der Veröffentlichung einer Kurzgeschichte in |Astounding Science Fiction|, herausgegeben von John W. Campbell, der viele weitere Storys folgen sollten, ehe ihm der Absprung aus den Pulps hin zum viel beachteten Romanautor gelang, der in den siebziger und achtziger Jahren regelmäßig in den amerikanischen Bestsellerlisten zu finden war. Neben zahlreichen Science-Fiction-Romanen für ein erwachsenes Publikum, wie den allesamt mit dem |Hugo Award| ausgezeichneten „Double Star“ (1956), „Starship Troopers“ (1959), „Stranger in a Strange Land“ (1961) und „The Moon is a harsh Mistress“ (1966) veröffentlichte Heinlein zwischen 1947 und 1963 eine Reihe von Romanen für Jugendliche, zu denen – wenngleich eindeutig zu den qualitativ schwächeren – auch „Between the Planets“ zu rechnen ist.

Don Harvey erhält überraschend ein Telegramm seiner Eltern. Drei Monate vor dem Ende seiner schulischen Ausbildung wird er darin aufgefordert, die Erde zu verlassen und zu seinen Eltern auf den Mars zu kommen. Dieser ist ebenso wie die Venus von den Menschen kolonisiert. Noch bevor er sein Schiff besteigen kann, lernt Don einen der Eingeborenen der Venus, Saurier-ähnliche Wesen, die der Einfachheit halber als „Drachen“ bezeichnet werden, namens „Sir Isaac Newton“ kennen. Aus dem Flug zum Mars wird nichts, da kurz nach dem Start auf der Venus eine Rebellion gegen die irdische Regierung ausbricht: Das Schiff wird abgefangen, Don selbst wird zur Venus gebracht. Eigentlich hält er sich in diesem Konflikt für neutral, sieht er sich doch selbst als Bürger des ganzen Sonnensystems, da sein Vater Erdgeborener ist, seine Mutter eine Venus-Kolonistin der zweiten Generation und er auf einem Raumschiff geboren wurde. Doch einem vermeintlich billigen Plastikring, den er bei sich trägt, scheint eine größere Bedeutung beizukommen, als Don ahnt, was ihn in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen rückt.

Der mageren Handlung zum Trotz liest sich der Roman auch über fünfzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch recht flüssig, was für Heinleins erzählerische Begabung spricht, auch einem mäßig interessanten Stoff noch halbwegs unterhaltsame Seiten abzugewinnen. Damit hat es sich aber weitgehend: Der naive und gleichzeitig völlig von sich eingenommene Protagonist Don stößt dem Leser ebenso sauer auf wie die verschenkte Möglichkeit, die Urzivilisation der Venus detaillierter und nicht gar so oberflächlich zu schildern, wie es hier geschieht. Von der wenig prickelnden, sehr schwarz-weiß und amerikanisch gemalten Kolonisten-Rebellion gegen die obligatorische irdische Diktatur ganz zu schweigen. So bleibt „Zwischen den Planeten“ unterm Strich einer der schwächsten Romane Heinleins, den man ganz sicher nicht unbedingt gelesen haben muss.

Heinleins Jugendbücher in chronologischer Reihenfolge:
1947: Rocket Ship Galileo (dt. Reiseziel: Mond; BL 24293)
1948: Space Cadet (dt. Weltraumkadetten; BL 23220)
1949: The red Planet (dt. Der rote Planet; BL 23214)
1950: Farmer in the Sky (dt. Farmer im All; BL 24286)
1951: Between Planets (dt. Zwischen den Planeten, BL 23263)
1952: The rolling Stones (dt. Die Tramps von Luna; BL 24311)
1953: Starman Jones (dt. Gestrandet im Sternenreich; BL 24220)
1954: Star Beast (dt. Die Sternenbestie; BL 24163)
1955: Tunnel in the Sky (dt. Tunnel zu den Sternen; BL 23201)
1956: Time for the Stars (dt. Von Stern zu Stern; BL 23191)
1957: Citizen of the Galaxy (dt. Bewohner der Milchstraße; BL 23167)
1958: Have Space Suit – will travel (dt. Invasion der Wurmgesichter; noch nicht bei BL, zuletzt 1982 als Heyne TB 06/3862)
1963: Podkayne of Mars (dt. Bürgerin des Mars, noch nicht bei BL, zuletzt 1980/82 als Goldmann TB 23354)
(Zusammenstellung von Gunther Barnewald)

_Armin Rößler_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Asimov, Isaac – frühe Foundation-Trilogie, Die

„Die frühe Foundation-Trilogie“ – das sind drei Romane aus den frühen fünfziger Jahren, die später von Asimov in das berühmte Foundation-Universum eingeordnet wurden. Die Romane sind im Grunde eigenständige Konzeptionen, weshalb sich auch einige Widersprüche zum bekannten Foundation-Zyklus ergeben. Das stört jedoch nicht wirklich, es bieten sich für Insider vielmehr einige Blicke in die Entstehung dieses Universums, für „Uneingeweihte“ hingegen ist auch kein Vorwissen nötig.

Der erste Geschichte, „Ein Sandkorn am Himmel“, handelt von einem Mann aus den fünfziger Jahren, der durch ein unerklärtes Phänomen einige tausend Jahre in die Zukunft versetzt wird. In dieser Zukunft ist die Erde nur ein unbedeutender Randplanet im gigantischen galaktischen Imperium. Der Anspruch der Erde als „Ursprungswelt der Menschheit“ wird von der übrigen Galaxis lächelnd ignoriert, die menschliche Zivilisation hat sich endgültig von ihren Wurzeln gelöst. Die Erdenbewohner hingegen klammern sich an ihre mythische Vergangenheit und pflegen ihren uralten Hass gegenüber dem Rest der Galaxis. Angesichts der bedrückenden Übermacht des galaktischen Imperiums können sie jedoch wenig tun, außer ihren Hass der nächsten Generation zu vererben. Bis eines Tages das Kräfteverhältnis durch eine neue Entdeckung radikal in Frage gestellt wird …

Der zweite Roman handelt ebenfalls vom Konflikt zwischen der Erde und dem Rest der Galaxis. Hier dreht sich alles um die Jagd nach einem rätselhaften Dokument aus der irdischen Vergangenheit. Die verschiedensten Blöcke und Machtgruppen der Menschheit sind hinter diesem einen Schriftstück her. Doch niemand weiß genau, worum es sich dabei handelt. Verlorenes technologisches Wissen, Anleitungen zum Bau einer Wunderwaffe oder etwas ganz anderes? Sicher ist nur eines: Das Dokument hat die Macht, das Leben aller Menschen der Galaxis zu verändern.

Im dritten Roman geht es um die Unterdrückung eines ganzen Volkes. Die Menschen des Planeten Florina werden von der Bevölkerung des Nachbarplaneten seit Jahrhunderten brutal unterdrückt. Denn nur auf Florina wächst ein wertvoller Pflanzlicher Rohstoff, das Kyrt. Dieser Stoff sichert den Unterdrückern ein sorgenfreies Leben und den Unterdrückten die ewige Sklaverei. Bis eines Tages das Geheimnis des Kyrt gelüftet wird. Die Basis der Knechtschaft beginnt zu bröckeln, und Florina bekommt die erste echte Chance auf Befreiung.

Diese drei Romane sind typische Produkte aus Asimovs früher Schaffensphase, sie spiegeln alle Stärken und Schwächen der SF der Fünfzigerjahre wieder. Einerseits machte das Genre damals einen Sprung aus dem Ghetto heraus, aus reinen Action-Reißern mit technokratischen Heilsversprechungen wurden differenziertere Romane mit verschiedenen Handlungsebenen und lebendigen Charakteren. Andererseits stand der wirkliche Bruch mit der Vergangenheit noch aus. Meist findet man das Amerika der 50er lediglich in die Zukunft verlängert, auch in zehntausend Jahren erscheint das Einfamilienhaus mit gepflegtem Vorgarten als Gipfel der Zivilisation.
Auch die vorliegende Neuauflage unterstreicht diese Kontinuität durch das riesige phallusförmige Raumschiff auf dem Titelbild. Gekonnter hätte man die Schwächen des damaligen Genres kaum darstellen können, obwohl es sich bei dieser Wahl wohl eher um unfreiwillige Komik handelt.

Einen wirkliche Bruch mit der alten SF brachte dann jedoch die „New-Wave“ der ausgehenden sechziger Jahre. Autoren wie John Brunner unterzogen damals die Wirklichkeit einer viel grundlegenderen Kritik und stellten die bestehenden Werte einschließlich des verbreiteten Fortschrittsoptimismus radikal in Frage.

Dennoch – mit Asimov machte die SF damals einen großen qualitativen Sprung, auch wenn uns viele seiner Ideen heute recht naiv erscheinen mögen. Daher lohnt sich die Lektüre dieser Romansammlung durchaus, sie bietet die Gelegenheit, ein einmaliges Kapitel der SF-Geschichte zu erfahren.

_Ralf Hoffrogge_ © 2001
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Winkler, Dieter – verschollene Stadt, Die (Wolfgang Hohlbeins Enwor – Neue Abenteuer 2)

Auf dem Buchrücken von „Die verschollene Stadt“ wird nur Wolfgang Hohlbein genannt, und auch das Cover ziert sein Name ziemlich groß, ehe dann weiter unten ziemlich klein gesagt wird, das Buch sei „von Dieter Winkler“. Der „deutsche Stephen King“, für jeden Verlag ein Zugpferd, erhält hier aber zu Recht so viel Aufmerksamkeit, denn schließlich stammen die ersten zehn Romane der Enwor-Saga von ihm, wiewohl auch Winkler eine Aktie am Ganzen hat; alles nachzulesen in Hohlbeins Vorwort, mit dem sich sein Beitrag zu diesem Buch jedoch erschöpft. Die folgenden 330 Seiten fast totaler Action hat Winkler und nur Winkler verfasst; der jedoch nutzt wiederum Hohlbeins Ideen zu ihrer gemeinsam kreierten Welt.

Leider zauberte die Reziexe-Fee diesmal nur den zweiten Band einer Trilogie (?) aus ihrem spitzen Hut – mir fehlt die Kenntnis über den Vorläufer [„Das magische Reich“, 204 und „Die verschollene Stadt“ bricht mitten im Ungeklärten ab. Schade, denn die Handlung ist so spannend, dass ich gern gewusst hätte, wie alles ausgeht; falls die Fee nicht noch einmal zaubert, muss ich mich halt zum Buchladen schleppen. Das Buch ist so schlecht nicht; für deutsche Fantasy ist es sogar sehr gut, wenngleich man keinen erzählerischen oder gar philosophischen Tiefgang erwarten darf – Winkler will unterhalten, und das gelingt ihm bestens.

Auch wer den ersten Teil nicht kennt, kommt schnell in die Handlung hinein: Daart und Carnac, zwei Satai-Sjen (Schüler einer Kriegerkaste) haben im Reich Nyingma einen Auftrag des Hohen Rates der Satai erfüllt. Sie mussten sich dabei der gefährlichen Göttin/Zaubererin Nubina erwehren, was Daart auch stark verändert hat. Mit sich führen sie den Magier Zar’Toran – als Gefangenen. Daart kennt den Mann schon lange und verabscheut ihn, weil Zar’Toran ihn in seiner Kindheit zum Guhulan machen wollte, dem Mitglied einer Feuersekte … Ja, etwas schwierig, wenn man von ENdWORld (Nord- und Mittelamerika einer fernen Zukunft) keine Ahnung hat, aber man findet sich nach und nach zurecht. Zar’Toran ist jedenfalls nicht wirklich ein Gefangener, denn wer wollte schon einen mächtigen Magier gegen dessen Willen festhalten? – Als Daart und Carnac auf ein kleines Heer treffen, geführt von ihrem alten Kameraden, dem Satai Jacurt, sind sie zuerst froh, aber die Hilfe erweist sich als keine: Jacurt nimmt sie gefangen und behandelt sie recht unschön. Der Leser durchschaut das Intrigenspiel ebenso wenig wie Daart, der personale Er-Erzähler, der eben auch nicht alles weiß. Das macht aber nichts, Winkler lässt sowieso kein Grübeln aufkommen, sondern schreibt die beiden Satai-Sjen aus einem Abenteuer ins nächste. Daart verliert das Bewusstsein; als er wieder zu sich kommt, liegt er mitten in einer unterirdischen Stadt; ein Kampf tobt, aus dem er und Carnac nur mit Mühe entkommen; später treffen sie auf die legendären Satai Skar und Del (die Hauptfiguren der ersten Enwor-Bände?). Die beiden sind zwar eigentlich schon lange tot, doch in dieser Stadt unter der Erde läuft die Zeit anders. Eternity ist das letzte Relikt aus den Tagen, in denen die Alten gegen die Sternengeborenen kämpften (Hintergrund des ganzen Zyklus). Natürlich hat es Daart nicht zufällig dorthin verschlagen, denn irgendwo ist ein mächtiges Amulett zu finden, an dem alle interessiert sind: der Schlüssel zur Macht über die Welt.

Man überlasse sich getrost dem Einfallsreichtum des Autors: Er führt einen stetig vorwärts, klärt auf, was geklärt werden muss, und deutet genug an, um die Spannung ständig zu steigern. Einige „Wie jetzt?“-Episoden sind im Ganzen des Romans schlussendlich sinnvoll, und die immer noch rätselhaft sind, werden es am Ende der Reihe wohl auch nicht mehr sein. Ansonsten ist alles f-tauglich: Queste und Liebe, Magie und Mysterien, Gefahr und Gemetzel, Verrat und Treue, Verderben und Rettung; Sword and Sorcery, die sich sehen lassen kann, geradlinig und schnörkellos erzählt. Prädikat: zugfahrtgeprüft und für gut befunden. Strich drunter; ich warte, wie es weitergeht.

_Peter Schünemann_ © 2004
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Ohff, Heinz – König Artus. Eine Sage und ihre Geschichte

Heinz Ohff, Jahrgang 1922, war von 1961 bis 1987 Feuilletonchef beim Berliner „Tagesspiegel“. Im Büchergewerbe ist er bisher vor allem als Biograph hervorgetreten (über Fontane, über Schinkel, Preußens Könige u.a.). Hier nun schrieb er „die Biographie eines Mannes, der wahrscheinlich nie gelebt hat“, wie er gleich zu Beginn gewollt paradox formuliert. Weiter unten heißt es, historisch greifbar sei Artus kaum, und obwohl über seine Zeit mittlerweile vieles bekannt sei, wüssten wir immer noch nicht, ob es ihn jemals gegeben hat.

Warum dann diese Biographie? Aus drei Gründen: Artus ist eine gesamteuropäische Erscheinung; die Literatur über ihn füllt ganze Bibliotheken; und Artus stellt ein „Wunschbild des Abendlandes“ dar. Daher ist die „Traumfigur aus Historie, Sage und Wunschvorstellung […] realer und greifbarer geblieben als die meisten historisch gesicherten Gestalten“. Und somit verdient sie ein Buch, das ihren Spuren, der Wandlung ihres Bildes und dem gesammelten Erzählgut aus eineinhalb Jahrtausenden nachgeht.

Ein Buch, an dem einfach alles stimmt. Zum einen ist es hoch informativ, zum anderen ausgezeichnet lesbar, keine Lektüre nur für Fachleute (obwohl auch die, ausgenommen Puristen, ihren Spaß daran haben werden). Ohff schreibt klar, quicklebendig, humorvoll, und er webt eigene Erlebnisse und Eindrücke in seinen bunten Faktenteppich ein. Auf gut 330 Seiten zeigt er in 28 Kapiteln, was an Artus’ Lebensgeschichte mit einiger Wahrscheinlichkeit als gesicherte Tatsache betrachtet werden kann (leider recht wenig) und was die Dichtung daraus gemacht hat (erfreulicherweise recht viel). Ganz „nebenbei“ lässt er auch noch die Landschaft Cornwalls und ihre Bewohner vor den Augen des Lesers entstehen, erzählt Geistergeschichten und würdigt die bedeutendsten unter den Artus-Dichtern. Auch deutet er gekonnt und mit feiner Ironie die wechselvollen Ausgestaltungen der Sage und die Wandlungen ihrer Gestalten. Niemand wird „fannish“ beweihräuchert – mit liebevoller Sympathie und einigem Augenzwinkern spricht er über Artus und Gawain, Lancelot und Ginevra, Tristan und Isolde so, als seien sie reale Zeitgenossen, uns allen vertraute Bekannte. Auch die Orte – Tintagel, Loe Pool, Stonehenge, Glastonbury – werden bereist, und Abbildungen führen ihre bizarre Schönheit vor Augen. Am Ende des Buches erwarten den Leser ein Register der wichtigsten Personen des Artuskreises, eine Zeittafel der Artus-Geschichte(n) und eine Bibliographie, die zum Nach- und Weiterlesen anregt. Das Ganze erhält man für 8,90 Euro … Nein, ich finde an diesem Buch nichts auszusetzen. Dass die Zeittafel 1982 endet, mit dem Hinweis auf Marion Zimmer Bradleys „Nebel von Avalon“ und Gillian Bradshaws Artus-Trilogie, mag vielleicht nach den fehlenden 22 Jahren fragen lassen (immerhin erschien die Originalausgabe 1993, auch da waren es schon 11 Jahre; man hätte jetzt aktualisieren können). Aber Ohff vermerkt im letzten Satz seines Textes selbst, ein Ende der Neu- und Nachdichtungen um Artus sei nicht abzusehen, und außerdem: Seit „Die Nebel von Avalon“ gab es meines Wissens keinen wirklich großen oder innovativen Artus-Roman mehr. Also doch: Ich finde nichts zu kritisieren an diesem kleinen Juwel für Artus-Interessierte aller Art, vom Deutsch- oder Englischlehrer bis zum Fantasyfan.

_Peter Schünemann_ © 2004
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Stirling, Steve / Feist, Raymond E. – Dieb von Krondor, Der (Die Legenden von Midkemia 3)

Beim Lesen der Ankündigung von „Jimmy the Hand“/“Der Dieb von Krondor“ empfand ich eine große Vorfreude, war diese Figur doch eines der Highlights in Raymond Feists |Midkemia|-Romanen gewesen. Oft empfand ich Bedauern, wenn Jimmy als gereifte, gesetzestreue Person in späteren Romanen auftauchte, weil ich mich um große Teile seiner ereignisreichen jüngeren Jahre gebracht fühlte. Und nun, „Legends of the Riftwar 3: Jugendabenteuer von Jimmy the Hand“! Die Geschichte beginnt mit der Abreise von Arutha und Prinzessin Anita aus dem von Bas-Tyran beherrschten Krondor. Prima, denke ich, endlich werden die Lücken aufgefüllt, … aber ist es wirklich nötig, jeden Schritt und jeden Gedanken ab jetzt ausführlich zu schildern?

Na ja, dass er ein erfülltes Sexleben in seinem zarten Alter hat, mag ja noch ganz interessant sein, auch die genaue Beschreibung jeder stinkenden Windung des Kanalsystems, … aber wo bleiben die Abenteuer? … ah ja, jetzt befreit er mit Hilfe eines gekauften Zauberpulvers gefangene Diebe aus den tiefsten Kerkern der Zitadelle! … und jetzt wird er aus Krondor verbannt, weil er gegen die Anweisungen des Anführers verstoßen hat – interessant, ein Ortswechsel, damit Feist mehr Freiheiten beim Erzählen der Abenteuer hat. … und jetzt … wo bleiben die Abenteuer?

Um es kurz zu machen, es wird dann schon noch eine abstruse Geschichte um einen Landedelmann geschildert, dessen Frau vor 17 Jahren bei der Geburt ihres Sohnes gestorben ist, und die durch einen Zauberer in einem halbtoten Zustand gehalten werden kann, aber nur, wenn ständig kleine Kinder geschlachtet werden. Jimmy gelingt es, mit Hilfe von zwei halbwüchsigen Mädchen und drei sechs- bis achtjährigen Kindern alle schwer bewaffneten Wachen, den Magier und den Baron zu überwältigen und dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Halt, ein Dämonenjäger aus dem Tempel der Todesgöttin ist auch noch dabei, weil nach 17 Jahren der Göttin aufgefallen ist, dass da ganz in der Nähe schwarze Magie gewirkt wird!

Eine Geschichte mit Schwert und Magie, ein Happy-End, Jimmy kehrt nach Krondor zurück und fühlt sich in den Abwassergräben wieder richtig zu Hause. Was will man mehr? Her mit dem nächsten Buch …

Halt, bloß nicht! Man bleibe mir bitte mit so einem Mist zukünftig vom Leib! So viel unnötiges Gelabere habe ich selten gelesen! So wenig Spannung und so wenige Ideen, auf so viele Seiten ausgewälzt, wurden mir noch selten zugemutet! Wenn da nicht „Jimmy the Hand“ draufgestanden hätte, wäre das Buch schon viel früher in die Ecke geflogen!
So aber konnte ich wenigstens noch die einzigen Seiten, die in diesem Buch wirklich von Raymond Feist stammten, im Nachwort lesen: Dass er bei „Legends of the Riftwar“ einen neuen Weg der Zusammenarbeit mit Co-Autoren eingeschlagen hat, indem er mit ihnen die Handlung kurz entworfen hat, und sie danach selbstständig ihre Geschichte hat erzählen lassen, im Gegensatz zu den Büchern mit Jenny Wurts, wo die Kapitel hin und her gegangen sind, bis man nicht mehr unterscheiden konnte, was von wem war.

Tja, Herr Feist, da haben Sie sich mit Steve Stirling aber leider vergriffen. Von dem lese ich bestimmt kein anderes Buch mehr (hat unter diesem Namen ja auch sonst nichts veröffentlicht)! Die beiden anderen Autoren, William Forstchen und Joel Rosenberg, haben nach dem gleichen Rezept tolle Bücher abgeliefert und damit ihre anderen Bücher empfohlen, und die Zusammenarbeit mit Jenny Wurts hat die besten |Midkemia|-Romane von allen hervorgebracht, aber „Der Dieb von Krondor“ ist eine Zumutung!

Mist … und ich hatte mich so gefreut!

_Dr. [Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Asimov, Isaac – Meine Freunde, die Roboter

Isaac Asimov ist heute einer der bekanntesten SF-Autoren überhaupt. Einen großen Teil seines Ruhmes verdankt er sicherlich seinen Robotergeschichten, vor allem jenen, die in den 50er Jahren erschienen und in denen er die drei Robotergesetze formulierte.

Asimov, Professor für Biochemie und Autor vieler populärwissenschaftlicher Bücher, war zweifellos eine herausragende Figur der us-amerikanischen SF der vierziger und fünfziger Jahre, wobei er sich allerdings weniger durch stilistische Brillanz oder eingängige Charakterstudien auszeichnete, sondern durch naturwissenschaftliches Wissen und gute Ideen. Nicht umsonst wandte er sich wie kein zweiter Geschichten zu, in deren Mittelpunkt Roboter standen, ersparte ihm dies doch jedwede Introspektion und Charakterisierung, ein Bereich, den Asimov nicht beherrschte und niemals beherrschen sollte (so bleiben fast rundweg alle Protagonisten Asimovs blass und farblos).

Von Asimovs hervorragenden Ideen profitieren jedoch viele der hier veröffentlichen Kurzgeschichten, die auch heute noch immer gut lesbar sind. Leider suggeriert die vorliegende Ausgabe, dass es sich hier um gesammelte Kurzgeschichten zum Thema Roboter handelt. Dem ist jedoch nicht so, denn die vorliegende Ausgabe ist lediglich die Zusammenfassung dreier Kurzgeschichtensammlungen des Autors, die dereinst bereits als einzelne Taschenbücher im |Heyne|-Verlag (06/3217, 06/3066 und 06/3621 in den Jahren 1966, 1970 und 1976) erschienen waren (wobei „Ich, der Robot“ bereits 1952 in der legendären vierbändigen Reihe des |Rauch|-Verlags erschien, der ersten SF-Reihe überhaupt auf deutschem Boden). Die drei Storysammlungen erschienen 1982 erstmals gesammelt als Band 20 der |Heyne Bibliothek der Science-Fiction-Literatur|.

Lediglich die erste Kurzgeschichtensammlung enthält nur Robotergeschichten, darunter das berühmte „Liar!“, wo ein Roboter die Menschen beschwindelt, um ihnen nicht die ungeschminkte Wahrheit sagen zu müssen und sie damit zu verletzen.

Die folgenden beiden Storysammlungen enthalten nur teilweise Robotergeschichten, wobei deutlich wird, dass Asimov vor allem in den 50er Jahren ein Schriftsteller mit Ideen und Verve war, der seine Leser begeistern und mitziehen konnte. Vor allem die letzte Einheit aus den 70er Jahren zeigt dann jedoch deutlich, dass Asimov nicht mehr auf der Höhe der Zeit war.

Asimov hatte sich in den 60er Jahren eine lange Schaffenspause in der SF gegönnt, die wohl damit zusammenhing, dass ihm die Ideen ausgingen. Zudem bahnte sich Ende der 60er eine literarische Revolution in der SF an. Die |New Wave| kam auf und stellte das Genre mit der Forderung, den |Inner Space| zu erforschen, auf den Kopf. Diese Entwicklung wollte und vor allem konnte Asimov nicht mitmachen, fehlten ihm hierzu doch die literarischen und stilistischen Möglichkeiten. Erst im Jahre 1972, als die |New Wave| abzuebben begann, kehrte Asimov in die SF zurück. Sein Roman „The Gods themselves“ (dt. „Lunatico oder die nächste Welt“) wurde zwar von seinen Fans gefeiert, machte aber deutlich, dass Asimovs beste Tage vorbei waren.

Auch wenn Asimovs Popularität bis heute vor allem unter den Fans ungebrochen ist, so muss doch angemerkt werden, dass unter literarischen Aspekten die Werke des Amerikaners keine Meilensteine sind. Vor allem die späteren Werke sind kaum das Lesen wert, oder zumindest nur für seine Fans. Dies gilt auch für die in diesem Buch veröffentlichten Kurzgeschichten aus den 70er Jahren.

Was bleibt, sind Asimovs ältere Werke, als der Autor noch nicht den Ehrgeiz hatte, alle seine Erzählungen und Romane auf Teufel komm raus miteinander zu verknüpfen, wie er dies später tat. So sind auch Asimovs Geschichten aus den 40er und 50er Jahren heute noch meist sehr lesenswert und bestechen durch ihre Ideen, egal ob sie von Robotern handeln oder nicht.

_Gunther Barnewald_ © 2002
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Fiktion & Wahrheit

_von Mathias Bröckers_

Nach zwei Büchern über die Verschwörungstheorien des 11. September werde ich in der Presse und bei Diskussionsveranstaltungen oft als „Verschwörungstheoretiker“ vorgestellt. Eigentlich ist gegen die Bezeichnung nichts einzuwenden. Dennoch beginne ich meine Beiträge, wie unlängst bei einer Diskussion mit einem Redakteur des |SPIEGEL| an der Uni Göttingen, gern mit der Richtigstellung einer Verwechslung: Ich befasse mich zwar mit Verschwörungen und Verschwörungstheorien, vertrete selbst aber keine Theorie des 11.9.; im Unterschied zu den Kollegen beim |SPIEGEL| und in den großen Medien, die seit dem 11.9. eine Geschichte wiederholen, für die bis heute keine gerichtstauglichen Beweise vorliegen: die Legende der Alleintäterschaft von Osama Bin Laden und den 19 Hijackern – eine lupenreine Verschwörungstheorie.

Noch einmal kurz zur Begriffsbestimmung: Verschwörungen sind das Selbstverständlichste der Welt: A und B verabreden sich hinter dem Rücken von C, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Das geschieht im Wirtschaftsleben genauso wie in der Natur, ist in der Politik ebenso an der Tagesordnung wie am Arbeitsplatz – sowie, vor allem, im Liebesleben. Die am meisten gehegte Verschwörungstheorie überhaupt ist wahrscheinlich der Verdacht, dass der Liebespartner heimlich noch ein anderes Verhältnis haben könnte. Verschwörungstheorien sind also Annahmen über mögliche Verschwörungen, die auf Indizien, Verdachtsmomenten, Hinweisen – oder auch purer Einbildung – beruhen; wird die Theorie durch einen definitiven Beweis erhärtet – der Partner wird beim Seitensprung ertappt, oder Dokumente über illegale Polit-Machenschaften geraten an die Öffentlichkeit –, fliegt die Verschwörung auf und ist beendet. Oft aber ist solch ein definitiver Beweis nicht zu erbringen und so fristen Verschwörungen bisweilen ein ebenso langes Leben wie Verschwörungstheorien.

Für die Vorhersage, dass den Verschwörungstheorien des 11.9. solche Langlebigkeit blühen wird, bedarf es keiner großen Prophezeiungsgabe. Nach drei Jahren und der angeblich größten Polizeifahndung aller Zeiten wissen wir kaum mehr als nach drei Tagen: dass 19 Araber im Auftrag Osamas mit Teppichmessern vier Flugzeuge kaperten, das |World Trade Center| zum Einsturz brachten und fast 3.000 Menschen ermordeten. Die erst nach 15 Monaten und auf Druck der Opferfamilien eingesetzte 9/11-Untersuchungskommission hörte zwar viele Zeugen und wälzte tausende von Dokumenten – brachte zu den Hintermännern, der Finanzierung und dem genauen Ablauf der Tat aber nichts wirklich Neues ans Licht. Von Augenzeugen, die aus erster Hand hätten berichten können – etwa aus der Zeit, die die Hijacker in Florida verbracht hatten –, wurde kein einziger auch nur gehört. Ein Vorwurf, den sich die zehn vom Präsidenten bestimmten Mitglieder der Kommission gelassen anhören können, bestand doch ihr offizieller Auftrag gar nicht in der Aufklärung der Anschläge – sondern in Empfehlungen, wie sie künftig zu verhindern seien. Da sich die Prävention künftiger Terrorattacken ohne Aufklärung vergangener Anschläge aber nicht so recht planen lässt, forderte die Kommission auch Beweismittel über den 11.9. an – wie Flugschreiber-Daten, Aufzeichnungen des Funkverkehrs, Protokolle der Luftabwehr und weiteres –, die jedoch unter Berufung auf die „nationale Sicherheit“ nur auszugsweise oder überhaupt nicht freigegeben wurden. Die von Bush’s Vize Dick Cheney handverlesene Kommission, deren Mitglieder sich alle durch enge Verbindungen zur Öl-, Militär,- oder Geheimdienst-Branche auszeichnen, nahm diese Blockaden klaglos hin; das einzige halbwegs unabhängige Kommissionsmitglied, das sich über die Verhinderung der Ermittlungen lautstark beklagte – Senator Max Cleeland – wurde umgehend ausgetauscht. Nachdem der Bericht dann fertig gestellt war, stellte der Kommissionsleiter Thomas Kean fest, dass „alle wichtigen Beweismittel“ zur Verfügung gestanden hätten.

Wie wichtig die Aufklärung dieses Massenmords von der Regierung eingestuft wurde, lässt sich schon an dem Budget der Kommission ermessen – es betrug ursprünglich 3 Millionen Dollar und wurde nach Protesten auf 15 Mio. $ erhöht. Zum Vergleich: Für die Aufklärung von Clintons „Monicagate“ wurde seinerzeit fast fünfmal soviel ausgegeben: 70 Mio. $.

Warum weigerte sich das Weiße Haus hartnäckig, die Anschläge überhaupt von einer Regierungskommission untersuchen zu lassen und agierte, nachdem öffentlicher Druck eine Untersuchung unvermeidlich gemacht hatte, ganz so, als ob ihr an der Nicht-Aufklärung des Verbrechens mehr gelegen sei als an seiner Aufdeckung? Diese Frage führt uns mitten in das Feld, auf dem die Verschwörungstheorien des 11.9. blühen – und eine erste Antwort könnten die Vorbereitungen der Irak-Invasion liefern.

Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Vize Wolfowitz haben mittlerweile mehrfach bekannt, dass die konkreten Planungen zum Irakkrieg direkt nach den Anschlägen auf WTC und Pentagon begannen. An jenem Tag, an dem das FBI die Liste der verdächtigen 19 Hijacker veröffentlichte, von den 15 aus Saudi-Arabien stammten. Zweifel an ihrer Identität tauchen zwar auf, werden aber nur oberflächlich bereinigt, weitergehend untersucht wird nichts, Täter und Hintermänner bleiben nebulös – aber die „Spin-Doktoren“ übernehmen nun die propagandistische Verarbeitung. Mit Erfolg: Achtzehn Monate später, kurz vor dem Einmarsch in Irak, ergeben Umfragen in den USA, dass 60 Prozent der Bevölkerung die Hijacker für Iraker halten – und den Marsch auf Bagdad für eine gerechte Bestrafungsaktion. Die Nicht-Aufklärung des wahren Hintergrunds der Täter und ihre Fortexistenz als phantomhafter Wechselbalg namens „Al Quaida“ hat sich für die US-Regierung also als sehr nützlich erwiesen. Gerade konkret genug, um geographisch („Araber“) und ideologisch („Islamisten“) ein Feindbild abzugeben, aber auch so diffus, dass es mit ein paar Drehungen an der Spin-Schraube flexibel einsetzbar bleibt.

Nur die Nicht-Aufklärung der Katastrophe, die Nicht-Ermittlung der konkreten Planer und Hintermänner ermöglichte ihre optimale Ausbeutung für propagandistische Zwecke – und mit dem Abschlussbericht der 9/11-Kommission ist die Legende von „Osama und den 19 Hijackern“ als Alleintätern – und die von „Pleiten, Pech und Pannen“ von Geheimdiensten, Luftüberwachung und Polizei – zur offiziellen Geschichtsschreibung geworden.

Wie dabei alle widersprüchlichen, nicht ins Bild eines Überraschungsangriffs islamistischer Fanatiker passenden Nachrichten verschwanden, zeigt beispielhaft die Berichterstattung über die letzten Tage des verdächtigen „Terrorchefs“ Mohammed Atta. Am 16. September 2001 berichteten zahlreiche Medien – von der „Washington Post“ bis zum Lokalblatt „Charleston Post & Courier“ – detailliert und unter Berufung auf den Barkeeper Tony Amos, dass Atta in „Shukkums Restaurant“ in Hollywood/Florida zwei Abende vor dem Attentat gezecht hatte: Nach drei Stunden hatte er fünf „Stolichnaya“-Wodka intus und sein Kumpan Al-Shehhi ebenso viele „Captain Morgan“-Rum; und es kam wegen der Bezahlung der Rechnung zu einer lautstarken Auseinandersetzung, bei der sich Atta als Pilot der „American Airlines“ ausgab. Elf Tage später liest sich die Geschichte dieses Trinkgelages schon ganz anders. Im Bericht der „Los Angeles Times“ sind die Alkoholika verschwunden: „Am selben Abend (7. Sept.), unten an der Küste Floridas, gingen Atta und Al-Shehi in Shuckums Sports Bar in Hollywood, zusammen mit einem noch unidentifizierten dritten Mann. Der Betreiber, Tony Amos, sagt, dass Atta ruhig für sich saß, Preiselbeersaft trank und Videogames spielte und Al-Shehi mit dem anderen Gast Mix-Drinks konsumierte und diskutierte …“

Der Barkeeper ist nur einer von vielen Augenzeugen, die auf das Desinteresse der 9/11-Kommission stießen – auch keine der Aussagen von Nachbarn, Vermietern oder Taxifahrern aus dem Rentnerstädtchen Venice, die mit Atta persönlich zu tun hatten, wurde bei den Ermittlungen berücksichtigt. Schon gar nicht Attas Freundin Amanda Keller, die sechs Wochen mit ihm ein Appartment geteilt hatte. Der Investigativ-Journalist Daniel Hopsicker, der seit dem 11.9. in Florida recherchiert, hat mit vielen dieser Augenzeugen gesprochen, und sein Report („Welcome to Terrorland“, Frankfurt 2004) macht klar, warum sie für die „Aufklärung“ unerwünscht sind: Ihre Aussagen decken sich nicht mit dem Bild des islamistischen Fundamentalisten, das FBI und Medien von „Terrorchef“ Atta gezeichnet haben. Neben dem Konsum von Alkohol belegen diese Zeugen weitere gänzlich unislamische Vorlieben Attas, wie Striptease-Bars, Schweinekottelets oder Kokain – kurz: Atta verhielt sich nicht wie ein vernagelter Islamist, sondern eher wie ein weltläufiger Agent. Als wir seinen ehemaligen Arbeitgeber in Hamburg, bei dem Atta während seines Studiums einen Job als Planzeichner hatte, zwei Jahre nach den Anschlägen zu diesen Fakten befragen, schüttelt er den Kopf: „Das ist nicht der Mohamed, den wir kennen. Wissen Sie, diese Geschichte ist mittlerweile so verrückt, ich könnte mir vorstellen, dass er jeden Moment hier hereinspaziert kommt, weil sich alles als Missverständnis aufgeklärt hat.“ Die Arbeit der 9-11-Kommission hat nicht dazu beigetragen, die Unklarheiten zu beseitigen, im Gegenteil bekundet Hopsicker, der die letzten öffentlichen Hearings in Washington verfolgte: „Wir waren platt, als die Präsentation offensichtlich den bereits veröffentlichten und von den großen Medien berichteten Fakten über die letzten Tage Mohammed Attas widersprach. Es war falsch und es war so offensichtlich falsch, dass man sich fragen musste, was hier eigentlich vorgeht.“

Denn Atta war nicht nur am 7. September in dieser Bar in Florida – auch am 9. September, als er laut Untersuchungskommission auf dem Weg von Baltimore nach Boston gewesen sein soll, hielt er sich noch an der Goldküste Floridas auf. Dieses Mal in Pompano Beach, wo er bei „Warrick Rent a Car“ mit Marwan Al Shehhi einen Mietwagen zurückgab, wie eine Kopie des Mietvertrags beweist. Der offizielle 9/11-Report jedoch behauptet:
„Am 7. September flog er von Fort Lauderdale nach Baltimore, … Am 9. September flog er von Baltimore nach Boston. Dort trafen zu diesem Zeitpunkt Marwan al Shehhi und sein Team für Flug 175 ein. Atta wurde mit Al Shehhi in seinem Hotel gesehen.“

Wenn Atta am 7. September stundenlang in einer Bar in Florida zubrachte und am 9. September dort auch noch ein Mietauto zurückgab – wie kann er gleichzeitig am 7. im Flugzeug nach Baltimore und am 9. auf dem Weg nach Boston sein? Wenn wir davon ausgehen, dass der wahabitische Wodkaliebhaber Atta nicht über die Gabe der Bilokation verfügt, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit eines Doppelgängers, wie wir sie anhand weiterer Widersprüchlichkeiten von Zeugenaussagen über den „Terrorchef“ in unserem letzten Buch „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ erörtert haben. Jene „zwei Attas“, von denen der eine als verkniffener fundamentalistischer Islamist posiert, der nie einer Frau die Hand reichen würde – und der andere mit dem Strip-Girl Amanda Keller zusammenlebte, Wodka trank und gern Schweinskoteletts aß … Während Atta 1 sich auf Selbstmordmission befindet und als Beweis für seinen Fanatismus sein Testament am Flughafen hinterlässt, eröffnet Atta 2 am 25. August 2001 laut „Boston Globe“ ein „Frequent Flyer“-Konto zum Meilensammeln …

Die Merkwürdigkeiten sind offensichtlich. Wie aber kommt es, dass nach drei Jahren, der angeblich größten FBI-Fahndung aller Zeiten und 20 Monaten Untersuchung durch diverse Regierungskommissionen, diese Widersprüche und Ungereimtheiten nicht aufgeklärt sind? Fragen wie diese sind keine Kleinigkeiten, schließlich handelt es sich hier um den vermeintlichen Haupttäter eines Massenmords; und die wenigen Journalisten, die sie stellen, sind weder böswillig noch verrückt. Sie stellen nur die Fragen, die jeder Ermittler, jeder Kriminalist und natürlich jeder Untersuchungsauschuss stellen müsste, dem es wirklich um Aufklärung des Falles geht. Doch darum geht es der US-Regierung und ihren Kommissionen ganz offensichtlich nicht.

Stephen Brill beschreibt in seinem Report „After: The Rebuilding and Defending of America“ (New York 2003, S. 37) folgende denkwürdige Szene am 12. September 2001:

Als FBI-Chef Robert Mueller Bush versicherte, alles werde getan, um die an den Anschlägen Beteiligten zur Strecke zu bringen, bürstete Bush ihn ab: »Unsere Prioritäten haben sich geändert«, sagte er. »Wir müssen uns darauf konzentrieren, den nächsten Angriff zu verhindern, statt uns darüber Sorgen zu machen, wer diesen verursacht hat.«

Am 12. September also – die Trümmer der Twin Towers rauchten noch – wurde der Beschluss gefasst, die Fahndung nach den Tätern und Hintermännern des Massenmords einzustellen, weil sich die „Prioritäten“ geändert hatten – in Richtung Irak. Der Nachrichtensender CBS meldete im April 2002:

|»Wie CBS erfahren hat, sagte Verteidigungsminister Rumsfeld am 11. September, kaum fünf Stunden nach dem Einschlag der Maschine ins Pentagon, seinen Mitarbeitern, die Pläne für einen Angriff auf Irak hervorzuholen, auch wenn es keinen Beweis für eine Verbindung Saddam Husseins mit den Anschlägen gibt.«|
http://www.cbsnews.com/stories/2002/09/04/september11/main520830.shtml

Dieser Intention wurde vom ersten Tag an also alles untergeordnet – die Terroranschläge wurden nicht aufgeklärt, sondern für die Propagandazwecke dienstbar gemacht.

Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz bekundete nach der Tat:

|»Diese Operation war zu ausgeklügelt und zu kompliziert, als dass sie von einer Terroristengruppe allein hätte durchgeführt werden können …«|,

– und hier geben wir ihm völlig Recht. Die Lüge, die Wolfowitz dieser wahren Feststellung dann hinzufügte:

|»… ohne einen staatlichen Geldgeber. Der Irak musste ihnen geholfen haben«| (Zit. n. Clarke, Richard A.: Against all Enemies, S. 30)

– diese Lüge aber ist mittlerweile als solche entlarvt. Es bleibt also nur noch die Kleinigkeit zu klären, wer diese staatlichen Planer, Hintermänner und Geldgeber waren.

Das letzte Beispiel zeigt, wie Mythen – in diesem Fall die Verschwörungstheorie einer Verwicklung des Irak in die Taten des 11.9. – geschaffen und konstruiert werden. Ein rationaler, einleuchtender Kern – dass die Luftverteidigung einer Supermilitärmacht nicht allein von einem Dutzend Studenten mit Teppich-Messern zwei Stunden lang ausgeschaltet werden kann, scheint logisch – dieser logische Kern wird mit einer von Fakten völlig ungedeckten Behauptung – „der Irak steckt dahinter!“ – zusammengepackt – und fertig ist Verschwörungs-Legende. Um zum Mythos zu werden – laut Definition (|Encyclopaedia Britannica|) „eine Geschichte, die durch viele Nacherzählungen zur akzeptierten Tradition einer Gesellschaft wird“ – bedarf es jetzt nur noch der vielfältigen, dauerhaften Nacherzählung und im Medienzeitalter ist bekanntlich nichts leichter als das. Die multimediale Wiederholungsschleife der Nacherzählung hat nicht nur den in der PR-Branche „Penetration“ genannten Effekt der massenhaften Verbreitung und Memorierung in der Bevölkerung, sie sorgt auch für ein weiteres Charakteristikum des Mythos, nämlich seine Urheberlosigkeit. Der Ursprung, der Autor, der Erfinder der Geschichte werden im Zuge der permanenten Nacherzählung verwischt und der allgemeinen Überlieferung zugeschrieben. Praktischerweise ist dann später – wenn sich die Unwahrheit des Mythos herausstellen sollte – auch niemand konkret verantwortlich und haftbar zu machen.

Fakten sind sozusagen der natürliche Gegner von Mythen – wo alle Unklarheiten mit eindeutigen Tatsachen dokumentiert sind, ist kein Platz mehr für die nebulöse Unschärfe des Mythos. Um nützliche Mythen aufrecht zu erhalten, müssen Fakten deshalb ferngehalten oder manipuliert werden. Eine Paradebeispiel dafür lieferten die „aufgesexten“ Dossiers, mit denen Englands Premier Blair uralte Erkenntnisse über den Irak zur akuten 45-Minuten-Bedrohung durch ABC-Waffen hochstilisierte – die von den UN-Inspektoren ermittelten aktuellen Tatsachen einer weitgehend abgewrackten irakischen Armee mussten dafür ausgeblendet werden.

Bevor US-Soldaten nach dem Einmarsch in Bagdad die Saddam-Statue stürzten, schmückten sie diese mit einem |Stars & Stripes|-Banner – es war die Fahne, die am 11.9. über dem Pentagon geweht hat. Der symbolische Akt, mit dem die GIs demonstrierten, in welchem Glauben man sie in den Irak geschickt hatte, zeigt einmal mehr, wie Mythen instrumentalisiert und inszeniert werden. Und wie wichtig es in diesem Zusammenhang war, die Täter des 11.9. nicht zu ermitteln, sondern im Status des mythisch Nebulösen zu belassen. Diese Operation ist den „Spin Doktoren“, den PR-, Propaganda- und Stimmungsmachern des Weißen Hauses, hervorragend gelungen – unter dem Namen „Al Quaida“ wurde ein Allzweckteufel und Universaldämon geschaffen, der zwar nicht konkret fassbar, aber als potenzielle Bedrohung überall einsetzbar ist.

Dass es keine terroristische Organisation dieses Namens gibt, dass „ana raicha al quaida“ im umgangssprachlichen Arabisch „Ich muss mal aufs Klo“ bedeutet – und höchstens eine Komikertruppe so einen Namen wählen würde –, dass ihr vermeintlicher Chef Osama Bin Laden in mehreren Interviews nach den Anschlägen jede Beteiligung daran zurückwies, dass es sich bei den geständigen Kronzeugen und angeblichen Masterminds des 11.9. – Binalshib & Khalid Scheich Mohamed – um zwei Phantome handelt, die kein Richter, kein Staatsanwalt und keine Untersuchungskommission je befragen konnte oder zu Gesicht bekam; dass die 9/11-Kommission nach knapp drei Jahren bekennen muss, die Finanzierung (sprich: die Planer & Hintermänner der Terroristen) sei weiterhin „unklar“… – all dies zeigt – und es ließen sich noch mindestens zwei Dutzend weitere Anomalien und Merkwürdigkeiten aufführen –, dass die Ergebnisse der angeblich größten Fahndung aller Zeiten nahezu gleich Null sind. Und die Legende der Alleintäterschaft von Osama & der Wilden Neunzehn tatsächlich nichts anderes ist als ein Mythos.

Nicht mehr habe ich in der Kolumne bei „telepolis“ und in den Büchern immer wieder behauptet – aber auch nicht weniger – und wurde vermutlich eben deshalb so vom Zorn der Großmedien getroffen, die ihrem Publikum – zwischen der Werbung – eben diesen Mythos bis heute als Realität verkaufen. Allen voran der |SPIEGEL|, der letzte Woche „Die dunkle Welt der Folter“ auf dem Titel hatte und es an Entrüstung nicht fehlen ließ, war sich vor einem Jahr nicht zu schade, aufgrund von Aussagen, die wahrscheinlich unter Folter erpresst wurden, einen reißerischen Aufmacher zu produzieren: „Das Geständnis“. Darin wurde behauptet, zu den offenen Fragen und der Vorgeschichte des Verbrechens des 11.9 könnte nun „ein genaues Bild“ gezeichnet werden. Dass es sich dabei um alles andere als um ein genaues Bild, sondern um eine unüberprüfbare Legende handelte, wurde bei den Gerichtsverhandlungen gegen die Hamburger Wohngenossen Mohamed Attas in Hamburg deutlich. Dass bis heute niemand für die Verbrechen verurteilt wurde, hat einen einfachen Grund: Es gibt keine Beweise.

Richard Clarke schreibt in seinem Buch „Against all Enemies“:

|“Verschwörungstheoretiker hängen gleichzeitig zwei einander widersprechenden Überzeugungen an. A) dass die US-Regierung so inkompetent ist, dass sie Erklärungen übersieht, die von Theoretikern enthüllt werden können, und b) dass die US-Regierung ein großes, saftiges Geheimnis für sich behalten kann. Die erste Überzeugung hat eine gewisse Berechtigung. Die zweite Vorstellung ist reine Fantasie.“|

Hätte der einstige „Antiterrorzar“ der Vereinigten Staaten mit Letzterem Recht, könnten Staaten so gut wie gar nichts geheim halten, was natürlich Unsinn ist. Als Mann vom Fach weiß Clarke natürlich auch genau, dass er hier Unsinn redet, aber eben solchen, der seinen Zweck erfüllt: nämlich „Verschwörungstheorien“ als „Phantasie“ erscheinen zu lassen. Als gäbe es keine verdeckten Operationen, als hätte eine US-Regierung noch nie zu solchen „black ops“ gegriffen, um ihre Interessen im In- und Ausland durchzusetzen, als hätten Ereignisse wie die „Schweinebucht“, „Watergate“ oder „Iran-Contra“ nie stattgefunden. Das „Manhattan Project“ – die Entwicklung der Atombombe in den 40er Jahren – blieb zum Beispiel ebenso über Jahre „top secret“, wie die Entwicklung des „Stealth“-Bombers in den 80ern – beides Großprojekte, an den Hunderte von Mitarbeitern beteiligt waren. Es gibt also sehr wohl klandestine Operationen – „saftige Geheimnisse“ in Clarkes Worten – die erfolgreich geheim gehalten werden können.

Dass Richard Clarke als einziger leitender Beamter der Bush-Regierung die Courage hatte, sich bei der Bevölkerung für sein Versagen zu entschuldigen, zeichnet ihn aus; angesichts der Augenwischerei, mit der er uns hier die Unmöglichkeit geheimer Regierungspolitik präsentiert, verstärken sich freilich die Bedenken, dass auch sein „mea culpa“ vor dem 9/11-Untersuchungsausschuss eine wohlkalkulierte Inszenierung im Rahmen ihrer „Operation Whitewash“ war. Zumal Clarke einige wichtige Bausteine für die „Pleiten, Pech und Pannen“-Theorie lieferte, allen voran das schöne Bonmot des FBI, als es ihm die Namen der „Hijacker“ mitteilte: „Die CIA hat vergessen, uns von ihnen zu erzählen“. So was kommt natürlich vor, genauso wie Klatsch und Tratsch im Weißen Haus – Gedächtnisaussetzer, menschliche Schwächen, Behördenschlamperei, „not connecting the dots“ – aber Verschwörungen, die gibt es nicht … Es gibt nur „Verschwörungstheorien“ und die sind reine Phantasie …

Zum Parteitag der Republikaner in New York vergangene Woche wurde eine repräsentative Umfrage über den 11.9. unter den Bewohnern von New York City durchgeführt. Danach ist die Hälfte der Bürger von New York, 49,3 Prozent,(Zogby Poll) mittlerweile der Meinung, dass die Regierung von den Anschlägen vorher informiert war und sie aus Opportunitätsgründen geschehen ließ. Ähnliche Umfrageergebnisse sorgten vor einem Jahr in Deutschland für große Aufregung – sie wurden mit dem „Anti-Amerikanismus“ erklärt und einer handvoll Autoren – darunter Andreas v. Bülow, Gerhard Wisniewski und mir – in die Schuhe geschoben, die die Vorurteile der Bevölkerung mit verantwortungslosen Verschwörungstheorien fütterten. Dass dies völliger Humbug ist, zeigt das aktuelle Meinungsbild der direkt Betroffenen aus New York, denen man schwerlich Anti-Amerikanismus vorwerfen kann. Und auch nicht, dass sie von einem Dutzend skeptischer Websites und Alternativblätter manipuliert worden sind. Nein – diese Ergebnisse zeigen schlicht und einfach, dass die offizielle Version unglaubwürdig ist – und die dafür vorgebrachten Beweise in keiner Weise überzeugend. Die Schlüsse, die daraus zu ziehen wären, sind ebenso schlicht und einfach: Weitere Ermittlungen sind notwendig, sei es in Form von Gerichtsverfahren – eine Witwe des 11.9. , Ellen Mariani, hat die US-Regierung wegen Mitwisserschaft und Vertuschung des Verbrechens verklagt –, sei es in Form wirklich unabhängiger Untersuchungskommissionen oder eines internationalen Tribunals.

Zum Abschluss will ich die meines Erachtens wichtigsten Punkte und Themenfelder nennen, die weiterer Ermittlungen bedürfen:

Die wirkliche Identität der 19 Hijacker, die nach wie vor ungeklärt ist – die Original-Passagierlisten der vier Todesflüge, die die Namen der jeweiligen Entführer enthalten müssten, sind bis heute unveröffentlicht.

Die Zeugen in Venice, wo sie sich monatelang aufhielten und zahlreiche Kontakte unterhielten. Atta traf sich regelmäßig mit einer Gruppe deutscher „brothers“, wie er sie nannte, lebte sechs Wochen mit einem Dessous-Modell zusammen und legte auch ansonsten ziemlich unislamisches Verhalten an den Tag.

Das Umfeld der Flugschulen in Venice, Florida, wo die Hijacker trainierten. Sie weisen alle Anzeichen von CIA-Tarnfirmen auf – und gehörten nicht dem Holländer Rudi Dekkers, sondern einem dubiosen Finanzier, Wally Hilliard. In derselben Woche, in der sich Atta bei Hufman Aviation anmeldete, wurde eine seiner Maschinen mit 40 Pfund Heroin an Bord beschlagnahmt.

Die Hintergründe, warum die Fahndung nach den verdächtigen Flugschülern durch die FBI-Zentrale blockiert wurde und die z. T. seit Jahren wegen Terrorverdachts auf verschiedenen „watch lists“ stehenden Flugschüler sich in den USA so frei bewegen konnten.

Die Aussagen der ehemaligen FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds, die nach dem 11.9. auf Abhörprotokolle aus den Wochen davor stieß, aus denen sich ein Zusammenhang der Anschläge mit einer groß angelegten Waffen-, Drogenschmuggel und Geldwäsche-Operation ergab. Ihr wurde von Justizminister Ashcroft ein Aussageverbot erteilt, mit der Begründung, dass die „nationale Sicherheit“ und die „Interessen eine befreundeten Nation“ davon betroffen seien.

Die Vorwarnungen, die dazu führten, dass prominente Politiker wie Justizminister Ashroft oder auch San Franciscos Bürgermeister Willie Brown vor und am 11.9. keine Linienmaschinen mehr benutzten.

Die „wargames“, die am Morgen des 11.9. stattfanden und bei denen die Entführung von Zivilflugzeugen simuliert wurden. Nur eines dieser Manöver taucht im Abschlussbericht der Kommission einmal in einer Fußnote auf. Auch in den Monaten zuvor waren ähnliche Manöver durchgeführt worden, unter anderem das Szenario einer ins Pentagon einschlagenden Maschine.

Der Zusammenhang dieser Wargames mit dem völligen Ausbleiben der Luftabwehr am Morgen des 11.9. – sowie mit der Aussage von Condy Rice, dass man sich Flugzeuge als Bomben einfach nicht vorstellen konnte.

Die Nichterreichbarkeit von Verteidigungsminister Rumsfeld, der nach den Einschlägen in New York laut Abschlussbericht fast eine Stunde lang im Pentagon unauffindbar war – sowie die des obersten Militärs Richard Myers, der im Kongressgebäude über seine Beförderung sprach und erst nach dem Crash der vierten Maschine auftauchte.

Die Untersuchung der gesamten technischen Ungereimtheiten – von den zahlreichen Handyanrufen aus großer Flughöhe, die sendetechnisch nur schwer möglich sind, über die Pulverisierung des gesamten riesigen Boeing-Jets im Pentagon, bei dem dann zwar keine größeren Flugzeugteile, aber angeblich noch alle Passagiere identifizierbar waren, bis hin zu dem gegenüber den Twin Towers liegenden Hochhaus „WTC 7“, das völlig unerklärlich und ohne „Feindeinwirkung“ am Nachmittag des 11. 9. zusammenstürzte.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen – ich will es bei diesen offenen Fragen bewenden lassen. Sie zeigen deutlich genug, dass von einer Aufklärung der Verbrechen des 11. 9. bis heute nicht die Rede sein kann, ja, nicht einmal von einer ordentlichen polizeilichen Ermittlung. Die Gründe für diese Nicht-Ermittlung haben wir oben genannt: Am 12. 9. hatte die US-Regierung ihre „Prioritäten“ geändert, am Vorabend soll Bush notiert haben „wir haben heute das Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts erlebt“. Von dem Pearl Harbor des letzten Jahrhunderts wissen wir mittlerweile, nachdem die Archive die 50 Jahre lang geheim gehaltenen Unterlagen u. a. über den decodierten japanischen Funkverkehr freigegeben haben, dass die US-Regierung damals über den bevorstehenden Angriff genau informiert war, ihn aber geschehen ließ, um die kriegsunwillige Bevölkerung zum Kriegseintritt zu motivieren. In der historischen Rückschau können wir für diesen schmutzigen Trick gerade als Deutsche nur dankbar sein; ohne Roosevelts Opfer von knapp 3.000 Landsleuten in Pearl Harbor wäre die Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht gelungen. Werden die Historiker der Zukunft – wenn in 50 oder 70 oder 100 Jahren alle unter dem Zauberwort „national security“ verbannten Dokumente eine Aufklärung des Verbrechens ermöglich – dem „Kriegspräsidenten“ Bush ein ähnliches Zeugnis ausstellen?

Ich fürchte nein – auch wenn er mit den Osamas und Saddams stets neue Hitlers als Weltbedrohung aus dem Hut zaubert, und vielleicht demnächst noch ein besonders fettes Kaninchen, termingerecht zur Wiederwahl. Der Mythos, dass 9/11 aus einer afghanischen Höhle organisiert und als Überraschungsangriff ausgeführt wurde – dass also der Schrecken von überall und potenziell jedem droht – ist unabdingbar für die Strategie präventiver imperialer Kriege – und so lange diese in Washington das Maß aller Dinge ist, fürchte ich, werden wir mit der Fiktion, dem Mythos, der Verschwörungstheorie von Osama und der Wilden Neunzehn leben müssen.

[Mathias Bröckers]http://www.broeckers.com
|Vortrag an der Evangelischen Akademie, Bonn-Bad Godesberg, am 7. September 2004|

Mathias Bröckers ist u. a. Autor von „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“ sowie „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ (zusammen mit Andreas Hauß & Daniel Hopsicker), erschienen bei |zweitausendeins|. Er veröffentlichte zudem zahlreiche Artikel im kritischen Magazin |[Telepolis.]http://www.heise.de/tp |
Siehe auch unsere [Rezension 103 zu „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“

Alastair Reynolds – Die Arche

Das Weltall bietet dem Leben gute Chancen, sich zu entwickeln. Dass sie nicht nur eine statistische Laune der Natur sind, bemerken die Menschen bald, nachdem sie das Sonnensystem verlassen haben. Nur sind all die anderen Zivilisationen ausgestorben.

In der Frühzeit der Galaxis tobte ein gewaltiger Krieg unter den in den interstellaren Raum vorgestoßenen Zivilisationen, der Morgenkrieg, an dessen Ende die Unterdrücker, fast intelligente Maschinenwesen, ihre Aufseherrolle übernahmen. Sie sollten sicherstellen, dass sich intelligentes Leben nicht zu hoch entwickelt – notfalls mit Gewalt.

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Reynolds, Alastair – Chasm City

Die Rache treibt Tanner Mirabel, Ex-Soldat und Ex-Leibwächter, über eine Entfernung von 15 Lichtjahren auf der Jagd nach dem Aristokraten Reivich an. Auf |Sky’s Edge|, dem Heimatplaneten Tanners, haben Reivichs Leute seinen Auftraggeber, den Waffenhändler Cahuella und dessen Frau Gitta, in die Tanner heimlich verliebt war, getötet.

Nun verfolgt Tanner den reichen Aristokraten bis zum Planeten |Yellowstone| und dessen schillernder Hauptstadt |Chasm City|. Doch es läuft ganz anders als geplant: Nach dem Auftauen aus dem Kälteschlaf während der Reise von Sky’s Edge leidet Tanner unter einer Reanimationsamnesie. Als ob das nicht genug wäre, hat er sich einen Inkarnationsvirus der Sky-Haussmann-Kultisten eingefangen. Auf seiner rechten Hand trägt Tanner ein Stigma, gleich dem des gekreuzigten Religionsvaters Sky Haussmann – und in seinen Träumen schlüpft Tanner immer wieder in die Rolle Skys.

Auch Chasm City hat ihr goldenes Zeitalter hinter sich. Die Schmelzseuche, eine geheimnisvolle Krankheit, die alle komplizierteren Maschinen befällt und diese in ihrer Struktur vollkommen umorganisiert, hat das Antlitz der Stadt gewandelt. Die Nanotechnologie in den Gebäuden wurde von der Seuche befallen, die Häuser begannen zu wachsen, schnell ihre Form zu verändern, fraktale Verästelungen zu bilden. So entstand der „Baldachin“, in den sich die reichen Bürger zurückgezogen haben – nur nahe dem Boden, im „Mulch“, blieben die Häuser beinahe unverändert.

Viele Menschen sind ebenfalls von der Schmelzseuche betroffen, hatten sie doch mit verschiedenen Implantaten und Nanomaschinen im Blut nahezu Unsterblichkeit erreicht. Jetzt bleiben ihnen wenige Möglichkeiten gegen die Seuche: Flucht in hermetisch abgeschlossene Bereiche, Entfernen aller Nanos und Implantate – oder die Droge „Traumfeuer“, deren regelmäßiger Konsum scheinbare Immunität gegen die Seuche verleiht.

Etliche der nahezu Unsterblichen haben sich nach Entfernung der Implantate ihre Langlebigkeit bewahrt und greifen zu immer ausgefalleneren gefährlichen Spielen, um sich Nervenkitzel zu gönnen.

In diese fremde Welt dringt Tanner ein, wird zu einem Gejagten, findet aber auch Unterstützer. Seine Träume von Sky Haussmann werden immer intensiver, sie kommen jetzt sogar tagsüber – und auch seine anderen Träume verwirren ihn mehr, als dass sie die Ereignisse vor seiner überstürzten Abreise von Sky’s Edge erklären.

Alastair Reynolds kehrt mit seinem zweiten Roman in die Welt seines Erstlings [„Unendlichkeit“ 503 zurück, schafft aber ein in mancher Hinsicht ganz anderes Buch. War „Unendlichkeit“ eine breit angelegte Space-Opera, so ist „Chasm City“ ein düsterer SF-Thriller, dessen äußere Handlung wesentlich straffer ist. Man muss „Unendlichkeit“ nicht gelesen haben, um den Hintergrund verstehen zu können.

Reynolds vermag es, seine Leser gut zu unterhalten, sein Garn farbenprächtig auszuschmücken. Obschon es immer wieder Passagen gibt, in denen man sich etwas mehr Dynamik im Fortgang der äußeren Handlung wünschen würde, hat alles seinen wichtigen Platz in der aufwendigen Konstruktion. Es gibt einige wirklich beeindruckende Waffen, Action – sogar Außerirdische tauchen auf, und Tanner löst das Geheimnis um den Ursprung des „Traumfeuers“. Die Charaktere, oft recht eigenwillig und nicht unbedingt sympathisch, sind ordentlich herausgearbeitet.

Die Zutaten sind nicht eben neu, von „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ bis „Blade Runner“ bedient sich Reynolds recht ungeniert, es gibt zum Beispiel auch einen dampfmaschinenbetriebenen Zug (schönen Gruß an China Miévilles „Perdido Street Station“); aber irgendwie stört es nicht sonderlich. Die Mischung ist unterhaltsam und interessant. Gegen Ende werden sogar philosophische Fragen wie die, was einen Menschen ausmacht, inwiefern ihn seine Erinnerungen zu dem machen, was er ist, angeschnitten.

Fazit: Eine Menge gutes Lesefutter, das den stolzen Preis wert ist.

_Andreas Hirn_ © 2003
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Ringo, John – Invasion – Der Angriff (Invasion 2)

Die Fortsetzung von „A Hymn before Battle“ fängt zunächst weitaus weniger blutrünstig an, als der erste Teil ([„Der Aufmarsch“ 497 ) geendet hatte. Die gesamte erste Hälfte des Buches beschäftigt sich mit den Vorbereitungen auf die Invasion der blutrünstigen „Posleen“, die sich nach zig anderen bewohnten Planeten nun die Erde zum „Abernten“ ausgesucht haben. Im Gegensatz zum Rest der Galaxis sind die Menschen aber nicht als sanftmütiges Schlachtvieh geboren, und diesen Irrtum wollen sie die Angreifer auch spüren lassen! Schlachtpläne werden geschmiedet, Industrien umgepolt, ganze Staaten evakuiert, Millionen von Soldaten ausgebildet und alle übrigen Zivilpersonen im Guerillakrieg geschult.

Was neben viel Konfusion und schlechter Planung nicht ausbleiben kann, ist der Kampf der Politiker hinter den Kulissen. So werden gegen jede Vernunft einige amerikanische Gebiete unter dem Opfer von hunderttausenden Soldaten verteidigt, weil dort historische Stätten des Bürgerkriegs liegen, und deren Verlust Wählerstimmen kosten könnte.

Das gesamte Buch fokussiert sowieso rein auf das Gebiet der USA, der Rest der Welt ist Ringo kaum einer Erwähnung wert. Die Geschichte spielt in der Gegenwart (November 2003 bis Oktober 2004), die beschriebene Waffentechnik ist daher bis auf Ausnahmen weniger SF als blanke Realität. {Anm. d. Lektors: Offenbar wurden hier die Daten in der deutschen Ausgabe nachträglich etwas verschoben, da die Bände bei uns mit etwa drei Jahren Verzögerung veröffentlicht wurden und man den deutschen Leser nicht zu sehr irritieren wollte.}

Bevor es aber zur Landung der Invasoren kommt, werden einige der Hauptpersonen etwas breiter im beruflichen und privaten Umfeld dargestellt. Vor allem Mike O’Neil, den Helden von „A Hymn before Battle“, und seine Familie lernt man etwas näher kennen, als er einen letzten Urlaub an den bereits evakuierten Urlaubsstränden von Florida machen will.

Man erfährt auch andeutungsweise, dass mehrere Gruppen, Menschen und Außerirdische, unter der Oberfläche ihre eigenen Spielchen spielen, und dass wohl in dem ganzen Kriegsszenario noch einige Geheimnisse verborgen sind, die noch gelüftet werden müssen.

Da der Feind sich nicht an den Zeitplan hält und viel zu früh die Invasion der Erde beginnt, werden die amerikanischen Streitkräfte ziemlich unvorbereitet erwischt. Da in einem Amerikaner aber auch immer ein Kämpfer steckt, und zwar oft ein sehr einfallsreicher, müssen die Posleen bald erkennen, dass sie sich einen etwas zu harten Brocken zum Verschlingen ausgesucht haben.

Ringo bemüht sich, dem Leser auch einen Einblick in die Gemüts- und Gedankenwelt der Feinde zu geben, vermenschlicht diese dabei aber zu sehr. Hier passt der entworfene Hintergrund der Schlächterhorden, die bei 70 Planeten keinen nennenswerten Widerstand gespürt haben, nicht ganz zur geschilderten Denkweise, die eher zu erfahrenen Söldnerführern gehört, die ihre Beute z. B. in immer bessere Waffen investieren. Wozu bessere Waffen, wenn eh keiner zurückschießt?

Jedenfalls kommt es jetzt zur Schlacht, besser gesagt zum Schlachten! Ringo lebt seinen Hang zur Massenvernichtung, der auch in den Koproduktionen mit David Weber zu spüren ist, in der zweiten Hälfte des Buches aus. Wenn sich die Leichen so hoch türmen, dass man nicht mehr darüber hinaus schauen kann, werden sie eben von der Artillerie noch einmal durchgehäckselt! Da gibt es reichlich Platz zur Schilderung von Heldenmut und Opferbereitschaft. Sogar der verweichlichte Präsident bekommt kurz vor seinem Tod noch die Gelegenheit, sich als echter Mann zu zeigen!

Reichlich zwiespältig empfand ich die Schilderung der militärischen Führung. Da gibt es zum einen die Generäle, Sesselpfurzer, die laut Ringo meist keine Ahnung von der Wirklichkeit haben und Hunderttausende von Soldaten in den sicheren Tod schicken, weil sie nicht auf die richtigen Profis hören, und dann auf der anderen Seite die echten Helden, die einfach wissen, dass es so, wie sie es planen, richtig ist, und die sich auch nicht scheuen, der Besatzung von drei Panzern, die vor einer Million heranstürmender schwer bewaffneter Feinde fliehen wollen, etwas Rückgrat einzublasen, indem der Kopf eines dieser Feiglinge zwischen den Panzerhandschuhen zerdrückt wird, bis das Gehirn herausplatzt! Ja, da gibt es schon einige heftige Szenen in diesem Buch …

So z. B. auch die Stelle, wo O’Neils achtjährige Tochter einem unwillkommenen Besucher das Gehirn rausbläst, weil der Opa den Gast anscheinend nicht besonders leiden mag. Natürlich hat sie, im Rahmen des Romans, richtig gehandelt, aber bei mir bleibt bei solchen Beschreibungen doch ein starkes Unbehagen zurück. Vermutlich bin ich einfach ein Kind des „alten Europas“.

Das Buch liest sich ansonsten recht flott und spannend, wenn auch viel vom militärischen Jargon einfach an mir vorbei geht, wie auch manche kleine Anspielung, die bei Amerikanern wohl ein Schmunzeln auslösen wird.

Ich habe mir jedenfalls schon die Fortsetzung „When the Devil Dances“ (dt. „Invasion: Der Gegenschlag“, Dezember 2004) bestellt. Will doch wissen, wie das alles weitergeht!

Insgesamt aber nur für wirklich schnell lesende Anhänger militärischer SF geeignet.

_Dr. [Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Godman, Peter – Vatikan und Hitler, Der – Die geheimen Archive

Zu den unrühmlichsten Kapiteln der katholischen Kirchengeschichte gehört das Schweigen des Papstes Pius XII. zur Judenverfolgung im so genannten Dritten Reich. Zwar gibt es auch Stimmen in der Forschung, die Pius zugute halten, dass er durch geheime Hilfsaktionen das Leben Tausender Juden gerettet habe. Doch die Frage bleibt: Warum hat der mächtigste Mann der katholischen Kirche nichts gegen den Rassenwahn der Nationalsozialisten unternommen? Der neuseeländische Historiker Peter Godman geht in seinem Anfang 2004 bei |Droemer| erschienenen Buch „Der Vatikan und Hitler“ dieser Frage nach.

Wie Hitler, der ja selbst katholisch getauft war, zur Kirche stand, war kein Geheimnis. Auch seine Vorhaben zur „Selektion der Rassen“ waren hinlänglich bekannt. Darüber hinaus gab es auch Warnungen von engagierten Katholiken, besonders deutlich die der Karmeliternonne Edith Stein, die später in Auschwitz umkam. Sie schrieb 1933 in einem Brief an den Vorgänger von Papst Pius XII., Pius XI.: „Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers …?“ Doch im Vatikan arbeiteten an den maßgeblichen Stellen kaum Männer, die der Nonne Gehör schenkten. Dies wird deutlich durch Godmans Skizzierung der theologisch-politischen Charaktere in der engsten Umgebung des Papstes. Ein latenter Antisemitismus bei den Vertretern der Kurie tat ein Übriges.

Bevor Eugenio Pacelli 1939 Papst Pius XII. wurde, war er Staatssekretär von Papst Pius XI., in dessen Regierungszeit das Reichskonkordat fiel. Dieses sollte die katholische Kirche in Deutschland vor dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes bewahren. In seinen letzten Lebensmonaten verfasste Papst Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die bisher als klare Verurteilung des Nationalsozialismus durch Pius XI. galt, des Papstes, der früher gegen die Nationalsozialisten recht milde verfuhr. Peter Godman zeigt, dass diese Enzyklika schon vom Papst sehr behutsam formuliert war – von „Häresie“ oder „Ketzerei“ etwa ist überhaupt nicht die Rede – , doch sie wurde von seinen Beratern noch weiter abgeschwächt.

Pacelli, von Haus aus Jurist, hatte das Reichskonkordat ausgearbeitet und war auch sonst ideell seinem Vorgänger eng verbunden. Godman legt dar, dass Papst Pius XI. die wahren Feinde der katholischen Christenheit ganz woanders sah als nun gerade im nationalsozialistischen Deutschland. Da war zunächst der Bolschewismus in der Sowjetunion, gegen den das totalitäre Regime in Deutschland ein Bollwerk zu sein versprach. Dann gab es auch noch die Protestanten, die er als „zersetzende Kraft“ bezeichnete, daneben noch Freimaurer, Liberale und Sozialisten, die die klerikale Ordnung unterwanderten. Pacelli sollte als Pius XII. im Jahr 1949 für die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei die Exkommunikation androhen.

Wie wenig der deutsche Nationalsozialismus und sein Rassenwahn für die römische Kurie in den dreißiger Jahren zum Thema wurde, zeigt Godman am Beispiel des ehemaligen Kardinalstaatssekretärs Rafael Merry Del Val, der 1930 – wenige Monate vor seinem Tod – gegen „eine der abscheulichsten und bösartigsten Verirrungen unserer Zeit“ zu wüten begann. Gemeint waren weder Nationalsozialismus, Faschismus, noch Kommunismus, sondern – das Nacktbaden. Nach Merry Del Vals Tod wurde dessen „Vermächtnis“ eifrigst erfüllt. „Heiliges Offizium und Staatssekretariat begannen nun, mit einer Effizienz zusammenzuarbeiten, die ohne jeden Zweifel beweist, dass Kooperation durchaus möglich war“, schreibt Godman. Selbst in Berichten aus Deutschland, die Cesare Orsenigo, päpstlicher Nuntius in Berlin, an Rom sandte, wurde kein Thema häufiger behandelt als eben der Nudismus.

Godman zeigt die persönlichen, politischen und ideologischen Verflechtungen der Angehörigen der römischen Kurie und vor allem der beiden während des Faschismus und Nationalsozialismus herrschenden Päpste. Seine Recherchen belegen, dass es für Pius XI. und Pius XII. wenig Entschuldigungen für ihr Handeln gibt. Dennoch kommt Godman in seiner gut lesbaren und detailfreudigen Studie weitgehend ohne Häme aus. Ergänzt wird das Buch durch einen ausführlichen Anhang in Deutsch und Latein mit Auszügen aus vatikanischen Schriften jener Zeit. Godmans Werk ist ein für politisch und kirchengeschichtlich Interessierte unbedingt lesenswertes Buch.

_Doris Marszk_

Spinrad, Norman – Transformation, Die

Eigentlich hat es den Künstleragenten Texas Jimmy Balaban nur in die tiefste Provinz verschlagen, weil er mit seiner neuesten Eroberung auf der Flucht vor dem Privatdetektiv seiner Noch-Ehefrau ist. Während der abgrundtief schlechten Talentshow des ortsansässigen Hotels bemerkt er den Komiker Ralf, der nicht nur durch einen sicheren Auftritt und gutes Timing aus der Masse hervorsticht – Ralf behauptet, er stamme aus der Zukunft, nur habe ihm sein Manager versprochen, ihn im Jahre 1969 in Woodstock aus der Zeitmaschine treten zu lassen.

Balaban nimt den seltsamen Kauz unter Vertrag, der sich bald zum Star mausert und mit „Ralfs Welt“ eine eigene TV-Show zur besten Sendezeit bekommt. Der Science-Fiction-Autor Dexter Lampkin lässt sich überreden, Texte für die Show zu schreiben. Er entwickelt die Details der düsteren Zukunft, aus der Ralf zu stammen behauptet.

Lampkin hat vor Jahren mit dem Roman „Die Transformation“ sein idealistisches Hauptwerk geschrieben, in welchem die Menschen Signale von einer unwesentlich weiter entwickelten extraterrestrischen Spezies empfangen, die ihre Probleme mit der Umweltzerstörung, Atomkraft und Gentechnik nicht in den Griff bekommen hat. Es scheint ein allgemeines Phänomen zu sein, dass Zivilisationen in einem gewissen Entwicklungsstadium sich selbst durch die eigene Unvernunft zerstören. Einige Wissenschaftler fassen da den Plan, der Menschheit dieses Schicksal zu ersparen und entwerfen eine falsche Aliengottheit, die der Allgemeinheit den Weg in die lichte Zukunft weisen soll. Der Roman war ein Verkaufsflop, aber Lampkin ist der Glaube geblieben, Science-Fiction könne die Welt verändern.

Zweite wichtige Person in der Kreativzone der Show ist Amanda Robin, eine New-Age-Anhängerin, die in Ralf eine Manifestation des Zeitgeistes sieht. Beide, Lampkin und Robin, meinen mit „Ralfs Welt“ Einfluss auf die Menschen nehmen zu können. Ralf selbst wirkt fast wie eine leere Leinwand, auf die sie ihre Vorstellungen projizieren können: Ralf ist ebenso sehr Abgesandter einer kaputten Zukunft, der die Menschheit auf den richtigen Weg führen will, wie auch Avatar des Zeitgeistes, ein neuer Messias, der x-te Versuch nach Prometheus, Jesus Christus und JFK – oder vielleicht auch nur ein durchgedrehter Provinzkomiker.

Richtig klar wird dies nie. Eine Zeitlang funktioniert die Sendung gut, erfüllt Ralf die unterschiedlichen in ihn gesetzten Erwartungen – bis er immer mehr über seine Rolle hinauswächst.

Spinrad hat mit „He walked among us“, so der Originaltitel, ein sehr ambitioniertes Werk verfasst, das weit mehr als andere Bücher, die dieses Etikett aufgeklebt bekommen haben, die Bezeichnung „Roman des neuen Jahrtausends“ verdient. Es ist ein großer Rundumschlag, den Stand der modernen Zivilisation betreffend. Die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme sind ja schon oft thematisiert worden, Spinrad geht allerdings noch weiter, indem er hinterfragt, was für den Einzelnen überhaupt Realität ist.

Deshalb ist „Die Transformation“ auch wieder ein Medienroman – und ähnlich wie Spinrads letztes Werk dieser Art, „Bilder um 11“, ist er bei allen brillant gestalteten Szenen doch etwas anstrengend. Voraussetzung für das Lesen ist der Glaube, eine solche Einpersonensendung wie „Ralfs Welt“ könne wirklich eine größere Menge von Menschen bewegen. Spinrad packt eine Menge kluger und auch streitbarer Ideen in seinen sehr umfangreichen Roman, den man gern hier und da etwas kürzen dürfte. Gerade in der Phase, bevor sich Ralfs Wandel vom Komiker aus der Zukunft zu einer ernsthafteren und undurchschaubareren Person ganz vollzieht, ist „Die Transformation“ ziemlich zäh. Man kann Spinrad auch eine gewisse Selbstverliebtheit in seinem Roman nicht absprechen. Neben dem Gehalt an Ideen fällt überdies wieder einmal Spinrads Fähigkeit auf, glaubhafte und auch sehr unterschiedliche Charaktere zu schaffen.

Ein zweites großes Thema sind die Science-Fiction und ihr Fandom. Hier ist Spinrad richtiggehend gallig: Lampkin erträgt Cons, wie die meisten Autoren, nur in einer Mischung aus Bekifft- und Betrunkensein. Die meisten Fans sind zwar überdurchschnittlich intelligent, fallen aber sonst durch unglaubliche Körperfülle, eng beieinanderstehende Augen, seltsame Aufmachung und pure soziale Inkompetenz auf. Auf den Conventions kann ein Autor sich kaum vor Groupies retten. Andererseits glaubt auch ein Dexter Lampkin an die Macht der Literatur, glaubt er, mit seinen Büchern, mit Science-Fiction die Menschen nicht nur zum Nachdenken sondern auch zum Handeln zu bringen.

Das Buch ist nichts für Zartbesaitete: Gerade in der Nebenhandlung um Lotter Lotti, die von Crack abhängig wird und am Tiefpunkt ihrer Existenz im Gewirr der New Yorker U-Bahn-Tunnel eine Begegnung der dritten Art mit Ratten hat, geht es sowohl im Inhalt als auch im Stil äußerst heftig zur Sache.

Wer sich auf die Reise in „Ralfs Welt“ einlässt, kann etliche faszinierende Stunden mit Spinrads Roman verbringen. Man muß sich jedoch einige Erholungspausen gönnen; der Wiedereinstieg wird einem durch die etwas redundante Art des Erzählens, bei der etliche Einzelheiten an späterer Stelle noch einmal wiederholt werden, erleichtert. Und man sollte auch als Fan das Fandom nicht nur mit größtem Ernst betrachten können.

Übrigens ist „Die Transformation“ eine Originalausgabe – bis jetzt hat sich kein amerikanischer Verlag für das Manuskript finden lassen. In englischer Sprache wurde der Roman dann zwar 2003 veröffentlicht, aber auch nur im eBook-Format. Sehr lobenswert, dass der |Heyne|-Verlag sich nicht scheut, auch kontroverse und schwierige Romane zu veröffentlichen, denen aber wohl leider (wie Lampkins „Transformation“) ein breites Publikum versagt bleiben wird; bislang gab es auch, wie bei vielen Werken Spinrads, keine weiteren Auflagen des Romans.

_Andreas Hirn_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Spinrad, Norman – tropische Millennium, Das

Nach dem Fortschreiten der globalen Erwärmung herrschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts katastrophale Zustände auf der Erde. In Libyen gelingt es Monique Calhoun, für das |Brot & Spiele|-Syndikat, dessen Angestellte und Bürger-Aktionär sie ist, ein weitaus besseres Geschäft mit (vordergründigen) Bewässerungsanlagen abzuschließen, als zu erwarten war. |B&S| schickt sie daraufhin nach Paris, wo sie für die diesjährige UNACOCS den VIP-Service betreuen soll. Diese UN-Konferenz beschäftigt sich mit dem Problem der globalen Erwärmung und den Möglichkeiten, das Klima wieder an das gewohnte Maß anzupassen.

Doch auch hier gibt es zwei Seiten; denn zwar gehören Afrika und Südamerika zu den Verlierern des Klimawandels, und auch die USA haben etwas verloren – Florida und Louisiana nämlich -, doch gibt es auch Gewinner. Paris zum Beispiel hat nun einen ganzjährigen Bilderbuchsommer, und auch den Nordeuropäischen Staaten und Sibirien kommt inzwischen eine ganz andere Bedeutung zu. Eine Bedeutung, die die Gewinner des Klimawandels nicht so einfach wieder hergeben wollen.

So entwickelt sich ein anscheinend undurchschaubares Intrigenspiel um die Möglichkeit eines Venuseffekts, der vielleicht von einem eventuell vorhandenen perfekten Klimamodell vorausgesagt werden könnte …

Mit dem „tropischen Millennium“ (naja, über die Qualität eines deutschen Titels kann man trefflich streiten …) beweist Norman Spinrad wieder einmal, dass er zum Besten gehört, was die internationale SF-Szene zu bieten hat. Dieses Gedankenspiel einer möglichen Zukunftsvariante ist hochinteressant, politisch brisant und teilweise mit einem bösem Sarkasmus behangen, wie ihn wohl nur Spinrad so meisterhaft beherrscht.

Gerade dieser Zynismus ist es, der diesen Roman höchst lesenswert macht. Hier gibt es nirgendwo ein Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß. Alles versinkt in einem übergreifenden Grau. Die Syndikate sind internationale Konzerne, Aktiengesellschaften gleich, die je nach Satzung ihre Mitarbeiter zu sogenannten „Bürger-Aktionären“ und somit zu Anteilseignern machen. Soweit ist das ja nichts unbedingt Neues – doch die Syndikate haben es in sich. So gibt es zum Beispiel ein |Böse Buben|-Syndikat, das angeblich aus der Mafia und ähnlichen Vereinigungen heraus entstanden sein soll. Zu Anfang in Libyen plant man dann auch gleich, die angeblichen Bewässerungspläne der Wüste zum Hasch- und Marihuana-Anbau zu nutzen, ganz so, wie man dies von einer solchen Vereinigung erwarten sollte. Ebenso auch die Auftragsmorde. Doch hier trügt der Schein, verwischt das Schwarz zu Grau (dies genauer auszuführen würde bedeuten, einiges vom Lesespaß des Romans vorwegzunehmen).

Auch auf der anderen Seite, bei den Syndikaten, die die Erderwärmung bekämpfen wollen, ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die vermeintlich Guten wandeln sich zu den Bösen – oder vielleicht doch wieder zu den Guten?!? Das allumfassende Grau schlägt auch hier wieder zu. Dabei lässt Spinrad den Leser niemals längere Zeit in dem Gefühl, er wüsste nun, wer denn hier die „Guten“ sind und wer die „Bösen“. Geschickt hält er selbst seine Protagonisten in dieser Grauzone gefangen und entwickelt um sie eine furiose Handlung um Moral und Ethik – und der unterschiedlichen Sichtweisen hierzu.

„Das tropische Millennium“ ist dabei auch ein hochgradig politischer Roman, ohne wirklich Politiker als Charaktere zu schildern oder sie gar als Hauptpersonen anzubieten. Unwillkürlich fühlt sich der Leser an die reale Politik erinnert, wenn er bei dem einen Syndikat mal mit dem einen Aspekt sympathisiert und beim anderen halt mit dem anderen, ohne dass eines der Syndikate wirklich eine allumfassend vertretenswerte Stellung bezöge.

Dies alles verpackt Spinrad ein einen höchst interessanten und atemberaubend spannenden Roman – ohne dass er großartig irgendwelche Action-Elemente einsetzen müsste. Der Autor interessiert sich rein für die gesellschaftlichen Aspekte seiner Handlung – und reißt den Leser damit wesentlich mehr mit, als dies mit einer actionlastigen Handlung überhaupt möglich gewesen wäre. Es ist jedenfalls verdammt schwierig, diesen Roman aus der Hand zu legen, bevor man ihn beendet hat. Und wenn auf dem Klappentext die |San Diego Tribune| mit „Ein Roman, wie er aktueller nicht sein kann. Lesen Sie ihn, bevor der Meeresspiegel ansteigt“ zitiert wird, so habe ich dem eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Dieser Roman gehört eindeutig in das Bücherregal eines jeden Lesers anspruchsvoller SF! Und derjenige, der sich sonst mit gesellschaftspolitischen Schilderungen nicht so anfreunden kann, sollte zumindest einmal einen Blick in „Das tropische Millennium“ werfen.

Fazit: Ein weiteres Meisterwerk Norman Spinrads. Dieser sarkastisch-zynische Blick auf eine Gesellschaft, die innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts zu einem Grau-in-Grau mutiert ist, sollte in keinem Bücherregal fehlen. Zumal man sich die Frage stellt, wie weit die jetzige Gesellschaft von dieser Schilderung noch entfernt ist…

_Winfried Brand_
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Dooling, Richard – Tagebuch der Eleanor Druse, Das

Eleanor Druse ist eine 75-jährige emeritierte Professorin für Esoterische Psychologie und stammt aus Maine. Sie schickt im Jahre 2003 eine Art Tagebuch an den Schriftsteller Stephen King, der ja auch aus Maine stammt, weil sie glaubt, dass der berühmte Phantastikschriftsteller ihrer Erzählung Glauben schenken wird.

So erzählt sie vom Tod einer alten Bekannten, die nach einem missglückten Selbstmordversuch ins alte |Kingdom Hospital| in Lewiston, Maine, eingeliefert wird. Als Eleanor Druse die alte Frau besuchen will, begegnet sie einem merkwürdigen alten Mann, der ihr seltsam bekannt vorkommt. Als sie dann zusammen mit einer Schwester das Krankenzimmer betritt, ist ihre alte Bekannte tot und Ameisen krabbeln aus ihrem Körper.

Eleanor fällt in Ohnmacht und wacht erst Tage später in einer Klinik in Boston wieder auf, wo sie den arroganten Chefarzt Dr. Stegman kennen und hassen lernt. Dieser möchte Eleanor am liebsten gleich operieren, hält ihre Beobachtungen für einen epileptischen Anfall.
Indem Eleanor brav bei einer medikamentösen Therapie mitwirkt, erreicht sie ihre Rückverlegung nach Lewiston, wo sie den rätselhaften Geschehnissen auf den Grund gehen will, was nicht ganz ungefährlich zu sein scheint, denn die Schwester, die sie ins Krankenzimmer der alten Bekannten begleitet hatte, ist inzwischen durch äußerst merkwürdige Umstände ums Leben gekommen …

Stephen Kings neueste Schöpfung ist das Begleitbuch zu einer amerikanischen TV-Serie, in dem der Autor zwar einerseits einige nette Seitenhiebe und Anspielungen eingebaut hat, welches aber andererseits auch phasenweise sehr nervig wirkt und vor allem zu Beginn (in den Sequenzen, die leider ziemlich ausgedehnt in der Bostoner Klinik spielen) den Leser auf eine harte Probe stellt.

So wird die Geisterjagd im alten Kingdom Hospital erst einmal zurückgestellt zugunsten der intensiven Vorstellung zweier Protagonisten, wie sie enervierender kaum sein könnten.

Da ist zum einen der überaus arrogante, völlig von sich selbst überzeugte Chefarzt der Klinik in Boston. Dr. Stegman, seines Zeichens Gott in Weiß, dabei dermaßen überheblich, dass er reihenweise Patienten zu Tode operiert, weil er aus Selbstüberschätzung mehrere Operationen quasi gleichzeitig durchführt, hat schon viele Gehirntote auf dem Gewissen, ist jedoch jedweder Selbstzweifel abhold. Die hier eingeführte Figur ist dermaßen überzogen bösartig und arrogant, dass sie sogar in einem Comic lächerlich wirken würde.

Dabei wird nicht klar, wer eigentlich widerwärtiger ist, der arrogante Chefarzt oder die spleenige Protagonistin, die weitaus mehr als nur einen Sprung in der Schüssel hat. Denn Eleanor Druse ist überzeugte Esoterikerin, spricht regelmäßig in Gebeten und Meditationen mit dem kosmischen Strom, hat sich selbst vom Krebs geheilt und formuliert angesichts einer gehirntoten Mutter von drei Kindern auf der Intensivstation der Krankenschwester gegenüber Sätze wie: |“Wissen Sie, meine Liebe, mit solchen Tragödien können wir nicht alleine fertig werden, die müssen wir in die Hand Gottes legen. Sie glauben doch an Gott, nicht wahr?“| (Seite 100).

Den arroganten Dr. Stegman erkennt sie in ihrer unendlichen religiösen Weisheit schnell als das, was er ist, nämlich: |“… dass der physische Leib dieses Mannes nichts anderes als eine Hülle für einen abgrundtief bösen Geist darstellt“| (Seite 106). Da kann man ja wohl nur von einer „Achse des Bösen“ reden oder doch vielleicht eher von der „Achse der Blöden“? Wie gut, dass die Protagonistin nicht zu Dämonisierungen und Schwarz-Weißer-Weltsicht neigt!

Während Frau Druse noch ihre Chakren sortiert und alles Böse an die Wand betet, begeht Dr. Stegman eine Schurkerei nach der anderen und der verzweifelte Leser fragt sich händeringend, wann die Handlung endlich wieder ins gespenstische Kingdom Hospital zurückkehrt. Erst auf Seite 129 wird der Leser erlöst, und hätte es King nicht geschafft, zu Anfang der Geschichte ein gerüttelt Maß Spannung aufzubauen, der Rezipient hätte das Werk wahrscheinlich längst frustriert in die nächste Flohmarktkiste gedroschen.

Andererseits muss festgestellt werden, dass es King meisterhaft gelingt, die primitive Sichtweise der Welt durch seine Protagonistin darzustellen. Die religiöse Beschränktheit der Weltsicht vieler Menschen in den USA (vor allem im sogenannten „Bible Belt“) ist auch bei uns mittlerweile bekannt und Stephen King selbst hat z. B. in seinen Werken „Carrie“ und „Children of the Corn“ diesen Hintergrund immer wieder in genialer Weise als Nährboden für unendliches Grauen genutzt. So weiß man als Leser nicht, ob man Kings Ausarbeitung bewundern soll, oder der enervierenden Charaktere wegen die Lektüre sofort beenden sollte.

Dass es dem Autor in der zweiten Hälfte der Geschichte gelingt, die Spannungsschraube wieder anzuziehen, spricht ebenso für ihn wie die eine oder andere köstliche Anspielung. So heißt eine der Schwestern im bespukten Kingdom Hospital z. B. Carrie von Trier (wobei „Carrie“ Kings erster verkaufter Roman war, Lars von Trier wiederum jener Regisseur ist, der bereits eine Fernsehserie über ein gruseliges Krankenhaus gedreht hat, in dem übernatürliche Dinge vor sich gehen).

Vollends bizarr wird es dann auf Seite 187, wo folgendes steht: |“Später erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren, wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler – einer der bedeutendsten Bürger Maines – war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington’s Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein, bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem Magneten angezogene Eisenspäne.“|

Wer von Stephen Kings schwerem Unfall weiß, der wird unschwer erkennen, wer da gerade eingeliefert worden ist. Während diese Stelle einerseits eine makabere Art von Humor darstellt und zeigt, dass die vorliegende Geschichte wohl auch eine Art Traumabewältigung für den Autor darstellt, so sprechen die hier gewählten aufgesetzten und klischeehaften Metaphern ebenfalls für sich. Sie machen das vorliegende Buch ebenfalls eher schwer zugänglich, wobei andererseits der schlechte Stil der Erzählung eine gewisse Authentizität verleiht, so als habe tatsächlich eine alte Dame mit erheblichem Dachschaden den ganzen Unsinn verzapft und dabei sprachlich immer wieder ganz tief in die Klischeekiste gegriffen.

Genau dies macht die Beurteilung des vorliegenden Werkes so schwer: Ist es nun einfach genial oder einfach nur genial daneben? Wie dem auch sei, das unbefriedigende offene Ende lässt befürchten, dass Fortsetzungen geplant sind. Wie auch nicht anders zu erwarten bei einem Roman von Stephen King mit nur 287 Seiten, sind wir doch vom Meister sicherlich ganz andere Seitenzahlen gewöhnt.

_Gunther Barnewald_ © 2004
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Fantasy als Flucht und Fluch

Im Zentrum der Kritiken an Peter Jacksons „Herr der Ringe III“ stand nicht, dass es gleich ganze sechs regenbogenfarbene Enden gab. Und kritisiert wurde auch nicht, dass das Pathos von Freundschaft und Tapferkeit, Macht und Versuchung fast zu schwer auf den Schultern der Protagonisten lastete. Nein, schlecht abfinden konnte man sich damit, dass es eben der letzte Teil war. Das Ende. Wenn es um den Abschied von altvertrauten Anderswelten geht, spricht selbst aus dem hartgesottenen Kritiker der Fantasy-Fan. Und der gibt sich mit einem läppischen Dreiteiler nicht zufrieden. Der ärgste Feind ist nicht Sauron. Es ist das Licht im Kinosaal, das den Träumer wieder in den profanen Alltag zurückholt.

Der Fantasy-Fan sehnt sich nach dem Vertrauten und dem Fremden gleichermaßen. Er möchte eine Welt, die anders ist, als die, in der er lebt. Eine Alternativwelt, in der Gut und Böse klar getrennt sind, in der noch Raum für Magie, Abenteuer und wahre Freundschaft ist. Und in der ein Held noch ein Held sein kann. Denn jeder Held ist bekanntlich nur so gut wie das Böse, gegen das er ankämpft, böse ist. Doch gleichzeitig sollen diese Welten mit der Zeit so vertraut werden, dass man sich in ihnen ebenso bewegen kann wie in der eigenen. Lieber eine Geschichte in zehn Bänden als zehn neue Bücher.

_Die Undurchschaubarkeit der Welt als Genre_

Mit Hilfe von Filmen und Büchern begibt sich der Fan ins Phantastische, um für einen Moment den Altlasten der Aufklärung zu entkommen. Um einer Realität zu entfliehen, die dem Menschen zwar eine bis ins Detail begreifbare Welt liefert, aber es ihm nahezu unmöglich macht, diese Detailfülle noch zu durchschauen. Das ist nicht nur die Hauptantriebskraft von Fantasy-Literatur, es ist auch der Generalvorwurf, der ihr gemacht wird: Lesen als purer Eskapismus, als Ausstieg aus einer allzu komplex und unverständlich gewordenen Realität.

Doch gerade der in der Fantasy-Literatur thematisierte Grundkonflikt, der Zusammenstoß zweier unvereinbarer Realitätsebenen, ist nicht als reiner Fluchtreflex abzutun. Er macht eben diese Welt-Bewusstseinskrise zum Ausgangspunkt. Fantasy erhebt die Undurchschaubarkeit der Welt wie kaum ein anderes Genre zum literarischen Prinzip. Damit reiht sie sich in die Kette der phantastischen Literatur und befriedigt das unerfüllte Bedürfnis nach Unerklärlichkeit in einer Welt, die dem Leser als erklärlich dargelegt wird, die er aber dennoch nicht versteht.

Tolkiens Mittelerde steht nicht ohne Grund im Zentrum des Fantasy-Booms. Seit Erscheinen des Epos muss sich jeder Fantasy-Autor an der gigantischen Saga messen lassen. Dabei wurde das Werk zunächst wenig beachtet und erst in den 1960er Jahren in den USA zum Bestseller und zum Wegweiser für die anspruchsvolle High-Fantasy. Tolkiens Werk machte aus Fantasy ein Genre, auch wenn bereits William Morris 1896 mit seinen Romanen wie „Die Quelle am Ende der Welt“ das Fundament für High-Fantasy gelegt hatte. Morris war der Erste, der eine gänzlich fiktive mittelalterliche Welt mit eigener Geographie und Geschichte als Folie für seine Heldengeschichten entwarf.

Mit Tolkiens Entdeckung kam der große Aufbruch in das viel versprechende Terrain der Alternativwelten. Fantasythemen hatten von nun an Hochkonjunktur und dienten als Aussteigerlektüre einer studentenbewegten Zeit, die in Mittelerde eine willkommene Gegenwelt zu Vietnam-Krieg und Rassenkonflikten gefunden hatte.

_Sturm auf den Thron_

Seitdem haben viele versucht, den Thron zu stürmen und in den Olymp der High-Fantasy aufzusteigen. Doch nach echten Weltengründern mussten die Fans lange vergeblich suchen. Viele Geschichten kranken daran, dass sie von Tolkien-Epigonen verfasst sind, aber nichts wirklich Neues erschaffen. Fast ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis ein Autor mit einer selbstständigen Weltschöpfungsidee aufwarten und den hungrigen Lesern ein eigenständiges Universum präsentieren konnte: „Otherland“ von Tad Williams. Ein 3650 Seiten starkes Universum, das sich in kein bekanntes Schema pressen lässt, das seinem Autor aber dennoch, zwischen Fantasy, Science-Fiction, Cyberpunk, Abenteuerroman, Märchen und Krimi changierend, den Titel |Tolkien des 21. Jahrhunderts| von der Literaturkritik eingebracht hat.

Natürlich hat Williams in seiner „Otherland“-Tetralogie das Genre nicht neu erfunden. Auch seine Geschichte basiert auf dem Gut-Böse-Schema, auch seine Helden machen sich auf die Suche nach dem „Gral“, der die Welt vor dem Untergang bewahren soll. Aber Williams Tetralogie ist vor allem deshalb ein Novum, weil er das Basismaterial des Genres auf die Verhältnisse der Multimediawelt des 21. Jahrhunderts hochrechnet. Viele Fantasy-Autoren versuchen, ihre Leser in den Alternativwelten vor den Bedrohungen der Industrialisierung, der Preisgabe des Unerklärlichen, zu bewahren. Williams spitzt die Bedrohung der Technik zu, indem er sie eng an das Urvertraute von mehreren Jahrhunderten Literaturgeschichte koppelt. Er lädt seine Anleihen aus Mythologie und Weltgeschichte mit der Technologie von heute auf und erschafft so eine prozessorengesteuerte Gegenwelt, die den Leser ebenso absorbiert und erschreckt wie die Protagonisten.

_Die Magie der Technik_

Im Zentrum der Geschichte steht eine Gruppe multinationaler Helden, die im Internet einen geheimen Bereich entdecken, dessen Kunstwelten wie real erscheinen und dennoch die Grenzen der Wirklichkeit sprengen. Das „Otherland“ ist ein elektronisches multidimensionales Universum, errichtet von einer mächtigen Organisation der reichsten Männer der Welt. Diese Elite der Gralsbruderschaft ist drauf und dran, den nächsten evolutionären Schritt zu wagen – den Übergriff der VR (Virtual Reality) auf das RL (Real Life). „Otherland“ verheißt den Gralsbrüdern, was bereits die Cyber-Gnostiker düster prophezeiten: das ewige Leben. Das menschliche Gehirn wird gescannt, aus dem Gefängnis des Körpers befreit und als Sicherungskopie im elektronischen Netzwerk vor Alter und Krankheit bewahrt. Der ultimative Logout aus dem RL und der Eintritt in die VR. Doch die künstliche Intelligenz des Betriebssystems, „des Anderen“, verwendet als Ressourcen einige als Biochips missbrauchte Kinder, die in einem mysteriösen Koma auf den Intensivstationen der nicht-virtuellen Welt liegen. Um hinter die Ursachen dieser um sich greifenden Kinderkrankheit zu kommen, ist die bunt gemischte Heldentruppe ins mysteriöse Innere von „Otherland“ aufgebrochen, wo sie sich durch Fantasy-Landschaften kämpfen müssen, die gleichermaßen kühnsten Phantasien wie finstersten Albträumen entsprungen sind.

So wie Walter Benjamin gefordert hat, es sei jeweils die Aufgabe der Kindheit, eine „neue Welt in den Symbolraum einzubringen“, liegt Williams’ Leistung darin, die altbekannten Grenzen des Genres Fantasy mit den Möglichkeiten der neuen Medien zu erweitern, mit Hilfe der technologischen Ära eine neue Art von Magie und Unerklärlichkeit zu importieren. Damit zeigt er, wie sich literarische und mystische Vorbilder nicht nur variieren, sondern durch die Einbettung in einen veränderten Kontext auch zu neuen Erkenntnissen führen lassen – High-Fantasy als Wirklichkeit eines Grenzübertritts, der nicht nur trivial-eskapistisch, sondern erkenntnisfördernd ist. Damit entzieht sich „Otherland“ dem allgemeinen Vorwurf, Fantasy-Literatur sei stets Fluchtliteratur.

Das heißt nicht, dass der Leser nach der letzten Seite das Buch aus der Hand legt und freudig ins Hier und Jetzt zurückkehrt. Der Abschied tut weh. Williams selbst sagt: „Wenn die Figuren gestorben sind, sind sie gestorben. Wenn sie noch leben, leben sie. Es ist zu spät, etwas zu ändern. … Aber das Ende einer solchen mehrbändigen und vielschichtigen Odyssee ist nie wirklich befriedigend – einfach weil es kein sauberes, glattes Ende gibt.“ Kein Weltenbauer gibt seine Schöpfung gern aus der Hand. Deshalb gibt es wohl bald den Film zum Buch, das Computerspiel zum Film und die Actionfiguren zum Anfassen. A never ending story.

Tad Williams: Otherland. Stadt der goldenen Schatten. Band I. Klett-Cotta, Stuttgart 1998, 26,50 €.
Tad Williams: Fluss aus blauem Feuer. Band II. Klett-Cotta, Stuttgart 1999, 26,50 €.
Tad Williams: Berg aus schwarzem Glas. Band III. Klett-Cotta, Stuttgart 2000, 26,50 €.
Tad Williams: Meer des silbernen Lichts. Band IV. Klett-Cotta, Stuttgart 2002, 26,50 €.

Wer’s in preiswerterer Ausstattung mag:

Tad Williams
[Otherland 1-4]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3608934251/powermetalde-21
Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring
2004, 4 Bände, ca. 3655 Seiten, broschiert
(Orig.: Otherland, Daw Books, New York)
EUR [D] 59,90
sFr 100,00
ISBN: 3-608-93425-1
erschien am 1. September 2004

_Wiebke Eymess_
|Dieser Essay wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung des Magazins für Literaturkritik und literarische Öffentlichkeit, [_lit04.de_,]http://www.lit04.de/ veröffentlicht.
Es handelt sich hierbei um eine Kooperation des Instituts für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin und des Studiengangs für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus der Universität Hildesheim; die Herausgeber sind Stephan Porombka (Hildesheim) und Steffen Martus (Berlin).|

Sinn, Hans-Werner – Ist Deutschland noch zu retten?

Der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung hat ein fast 500 Seiten starkes Buch geschrieben. Beinhaltet es gute Ratschläge für eine kränkelnde Wirtschaft oder macht sich Sinn eher der sozialen Brandstiftung schuldig?
Eine Rezension aus der [Zeitschrift für Sozialökonomie,]http://www.sozialoekonomie.de/de/dept__3.html Folge 141, Juni 2004.

Ist Deutschland noch zu retten? Wer weiß. Wer aber wissen will, wo es demnächst langgeht, der kann sich bei Sinn schon mal vorab informieren: Für ihn ist der Arbeitsmarkt |im Würgegriff der … hemmungslosen Kartellpolitik der Gewerkschaften, die … herausgeholt haben, was nur eben ging. … Es geht auch nicht an, dass sich der Staat noch länger zum Komplizen der Gewerkschaften macht und ihre Hochlohnpolitik durch den Kündigungsschutz ermöglicht. …| Das kann so nicht bleiben, das stehen wir nicht durch.

Für völlig unzureichend hält Sinn die läppischen |…Vorschläge der Hartz-Kommission, die wenig bewirken und niemandem wehtun. Nein, wir brauchen viel stärkeren Tobak: Weniger Staat und weniger Steuern. …| Eine wirklich radikale Steuerreform. Steuern auf Kapitalerträge (z. B. Zinsen) verletzen für ihn das Postulat der Gerechtigkeit, weil sie diejenigen, die ihr Vermögen sparen, statt es sofort zu konsumieren, bestrafen und sind deshalb allenfalls mit 20 Prozent anzusetzen. Und weiter: |Zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit müssen die Stundenlöhne fallen.| Damit das besser durchgesetzt werden kann: |Der gesetzliche Kündigungsschutz muss fallen und … sollte nicht nur für Kleinbetriebe, sondern für alle Betriebe abgeschafft werden, denn … auf einem sich selbst überlassenen Arbeitsmarkt, der unter Konkurrenzbedingungen arbeitet, bedarf es keines besonderen Kündigungsschutzes, um Arbeitsplatzsicherheit herzustellen, denn auf einem solchen Markt herrscht Vollbeschäftigung.|

Unterstützt werden soll die Absenkung der |… künstlich hoch gehaltenen Löhne …| außerdem durch die Reduzierung der staatlichen Lohnersatzleistungen. Die für 2005 vorgesehene |Abschaffung der Arbeitslosenhilfe … reicht aber bei weitem nicht, denn die Sozialhilfe ist viel zu hoch …| Also runter damit um 33 Prozent. Allerdings darf man sich jetzt – so möglich – was dazuverdienen, was ja nicht so schwer sein kann, weil ja jetzt wieder alles boomt. Jedenfalls kommt es auf die Nachfrage ausdrücklich nicht an. Dies festzustellen, ist Sinn besonders wichtig und er widmet deshalb der Frage der Nachfrage ein extra Unterkapitel, in dem u. a. steht: |Nein, mehr gesamtwirtschaftliche Nachfrage und mehr Kaufkraft ist es wirklich nicht, was Deutschland braucht.| Alle, die das anders sehen, sind ökonomische Laien und heißen |Dr. Fritzchen Müller|.

Sinn bezeichnet sich selbst als |Arzt der „ökonomischen Schulmedizin“|, der in Abgrenzung zu |Homöopathen und Heilpraktikern … das Skalpell und harte Medikamente verordnet|, will für seine Kinder, denen er sein Buch auch widmet, ein |besseres, ein wirklich zukunftsfähiges Deutschland| und beruft sich u. a. auf Willy Brandt, der ihm doch sicher Recht gäbe, wenn er noch leben würde, meint er. Fairerweise sei zugestanden, dass die umfangreiche Schrift durchaus vielgestaltig ist und dass Sinn mit gar manchem tatsächlich Recht hat: So ist ihm vollumfänglich zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass ganz offensichtlich aufgrund eines Kunstfehlers die Körperschaftssteuer seit 2001 fast komplett weggebrochen ist und seitdem Deutschland alleine deshalb mit jährlich 20-25 Mrd. Euro weniger auskommen muss, dass Subventionen der industriellen Vergangenheit (Kohle) idiotisch sind, dass im Rahmen der Neugestaltung der Rente Kinderaufzucht bzw. Kinderlosigkeit mit zu berücksichtigen ist, dass sich die Gewerkschaften in den 60ern und 70ern wohl besser um die Mitbeteiligung („Sparlohn“ statt „Barlohn“) als um die Mitbestimmung gekümmert hätten.

Sehr recht hat er auch, wenn er feststellt, |… dass man die wirtschaftliche Vereinigung der bei-den Landesteile als gescheitert ansehen kann|. Denn: |… die Regierung Kohl hat die wirtschaftliche Vereinigung mit absurden Versprechungen und irrealen Politikprogrammen vergeigt. Die Bürger der neuen Länder sind bettelarm in die Marktwirtschaft gekommen, weil versäumt wurde, das diffuse Volkseigentum des kommunistischen Staates in privatrechtliche Anspruchstitel umzuwandeln. Es ist der ökonomische Grundfehler der Vereinigungspolitik, … dass den neuen Bundesbürgern kein Eigentum am ehemals volkseigenen Vermögen zuerkannt, doch ein viel zu hoher Lohn versprochen wurde.| Per deutsch-deutscher Währungsunion wurden die ostdeutschen Löhne zunächst vervier- bzw. verfünffacht und anschließend in merkwürdiger Eintracht zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern nochmals verdreifacht. Damit war man dann die ostdeutsche Konkurrenz nachhaltig los: |Der historische Grund für das offenkundige Misslingen der deutschen Vereinigung liegt im Vorauseilen der Löhne vor der Produktivität…| Das Ergebnis ist eine Zuschussökonomie, die um fast 50 Prozent mehr verbraucht als sie selbst erzeugt und vom Westen alimentiert werden muss; ein Zustand, der weltweit einmalig und auch historisch ohne Beispiel ist.

Vor dem Hintergrund seiner Einsicht in die ostdeutsche Misere ist es absolut unverständlich, dass Sinn nun meint, auch für Gesamt- bzw. für Westdeutschland zu hohe Löhne erkennen zu müssen. Denn hier liegen die ökonomischen Fakten nicht nur anders, sondern genau anders herum! Alleine seit dem Fall der Mauer hat sich die Produktivität in Gesamtdeutschland – also das Verhältnis der erzeugten Güter und Dienstleistungen zur dafür eingesetzten Arbeitszeit – verdoppelt. Bekanntermaßen kann man das von den Löhnen nicht gerade sagen: Nachdem die (inflationsbereinigten) Reallöhne seit Kriegsende zwar zunehmend schwächer, aber eben doch immer angestiegen sind, ist seit Mitte bis Ende der 90er Jahre eine Tendenz zur Stagnation zu beobachten; Ergebnis der immer wieder angemahnten „Lohnzurückhaltung“, jeweils begründet mit der deutschen Wettbewerbsfähigkeit respektive der Standortfrage. Die Fähigkeit der Deutschen, das von ihnen Erzeugte auch wirklich selber nachzufragen und zu verbrauchen, wird also immer schwächer, diese Nachfragelücke und die solcherart induzierte Arbeitslosigkeit also immer größer. Was nimmt es da Wunder, dass das Wachstum zurückgeht und ebenfalls stagniert? Die deutsche Wachstumsschwäche ist eine Binnenschwäche. Das bestreitet übrigens auch niemand ernsthaft. Denn über die Erfolge im Exportbereich können wir uns nicht beklagen: Deutschland ist Weltmeister im Exportieren! Auch preisbereinigt ist der deutsche Export – u. a. als Ergebnis der „Lohnzurückhaltung“ – in den letzten fünf Jahren nochmals um fast 50 Prozent gestiegen. Kein Land auf der Welt – auch flächen- wie bevölkerungsmäßig viel größere nicht – exportiert mehr als unseres: Allein ein Zehntel des gesamten Welthandels bestreitet Deutschland ganz alleine. Doch damit nicht genug: Deutschland ist gleich noch mal Weltmeister; und zwar beim Exportüberschuss! Kein Land auf der Welt liefert an den Rest der Welt so viel mehr als es vom Rest dieser Welt einkauft. Besonders atemberaubend wirkt dieses Faktum vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mit der ehemaligen DDR mitten in Deutschland ein Gebiet sitzt, das für sich genommen gewissermaßen Weltmeister im Importüberschuss (s. o.) ist, was den gesamtdeutschen Exportüberschuss logischerweise reduziert, der gesamtdeutschen Weltmeisterschaft im Exportüberschuss aber ganz offensichtlich gar keinen Abbruch tut. Der deutsche Exportüberschuss ist nun auch die Erklärung dafür, dass die durch die Nachfragelücke im Binnenbereich induzierte deutsche Arbeitslosigkeit nicht noch viel größer ist. Auch Sinn würde nicht bestreiten können, dass unsere Arbeitslosigkeit ohne die dramatischen Exportüberschüsse noch dramatisch höher wäre als ohnehin.

Was nun angesichts dieser Ausgangssituation Sinn will – und alle, die Sinn-gemäß argumentieren, wollen – ist Folgendes: Löhne und staatliche Lohnersatzleistungen werden gesenkt; bei Sinn also um bis zu 30 Prozent, und zwar dergestalt, dass die Absenkung bei den unteren Einkommen größer ausfällt als bei den höheren. „Stärkere Lohnspreizung“ heißt das. Dabei soll übrigens der Sinn der Absenkung der Sozialhilfe ausdrücklich darin bestehen, insbesondere auf die untersten Lohngruppen auszustrahlen; will meinen, den Druck auf sie zu erhöhen. Allerdings würden die Kapitaleinkommen dadurch zunehmen. Das müsse man in Kauf nehmen, weil Deutschland als Gesamtganzes dadurch gewinnt, stärker wächst als vorher. Wie das? Ist nicht die Konsumquote um so niedriger, je höher die Einkommen sind und andersrum und deshalb die aggregierte Gesamtnachfrage einer Volkswirtschaft um so niedriger, je stärker die Ungleichverteilung ist? Auch Sinn würde wohl kaum bestreiten, dass durch die von ihm vorgeschlagenen Lohnsenkungen die Binnennachfrage weiter geschwächt wird. Aber das macht ja nichts, weil wir jetzt unsere „Wettbewerbsfähigkeit“ wiedergewonnen haben. Will heißen: Die ja nun noch größere Nachfragelücke im Binnenbereich wird nunmehr komplett durch Exporte kompensiert; so lange, bis auf diese Art und Weise auch der letzte deutsche Arbeitslose in Lohn und Brot gekommen ist.

Der Sinn-Plan funktioniert. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Rest der Welt es einfach so hinnimmt, dass wir dem Rest der Welt dann doppelt und dreifach so viele Exportprodukte um die Ohren hauen wie bislang schon der Fall, dass wir unseren Außenhandelsüberschuss immer weiter ausweiten und deshalb das Außenhandelsdefizit andernorts immer weiter zunimmt, dass wir unsere binnenbedingte Arbeitslosigkeit bis zum letzten Mann exportieren und sie deshalb entsprechend andernorts ebenfalls zunimmt, und dass das Ganze andernorts nicht als pure Aggression empfunden wird. Dann, aber nur dann, funktioniert der Sinn-Plan. Wenn es aber andernorts ebenfalls Experten gibt, die für ihre eigenen Volkswirtschaften ähnlich glorreiche Vorschläge machen wie Sinn für die unsere, wovon wir getrost ausgehen dürfen, dann funktioniert der Sinn-Plan natürlich nicht. Dann wäre auch andernorts außer einer stärkeren Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen und einer entsprechenden Ausweitung deflationärer Tendenzen nichts gewonnen und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit in Relation zum Rest der Welt wäre völlig unverändert. Sinn müsste dann – konsequenterweise – erneut die verlorengegangene bzw. noch immer nicht wiederhergestellte Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft anmahnen. Und dreimal dürfen wir raten, welchen Lösungsvorschlag er uns dann unterbreiten würde. Ist Sinn noch zu retten?

Wer weiß. Was wir aber wissen, ist: So kann es nicht gehen. Ein John Maynard Keynes hätte im Rahmen des nach ihm benannten Planes einem Deutschland wie dem heutigen ganz eindeutig und unmissverständlich nicht etwa eine Absenkung, sondern im Gegenteil ein Anheben der Löhne empfohlen. Ja, ist der denn verrückt? Nein, keineswegs. Keynes wusste noch: So wie ein Land, das Importüberschüsse zeitigt, über seinen Verhältnissen lebt, so lebt ein Land mit Exportüberschüssen unter seinen Verhältnissen; und im Falle Deutschlands eben in dramatischer Größenordnung. Wenn dieser Situation nicht durch Lohnanhebung im Binnenbereich begegnet wird, dann bringt man die Menschen in diesem Land, die nämlich übrigens diese Exportüberschüsse erarbeitet haben, nicht nur um die vollständigen Früchte ihrer Arbeit, sondern man nimmt den Volkswirtschaften andernorts auch die Luft zum Atmen: Denn der solcherart andernorts erzwungene permanente Importüberschuss verhindert den Aufbau einer gesunden Binnenwirtschaft und zwingt in die Verschuldung und ihre Konsequenzen, weil dieser Importüberschuss nur finanziert werden kann mit geliehenem Kapital, welches aus den Überschussländern stammt.

Aber jetzt ist ja Globalisierung und entsprechend steht die Drohung der Abwanderung von Arbeitsplätzen im Raum. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass Deutschland ganz offensichtlich ein sehr guter Standort ist; und zwar auch und gerade für Investoren, die hierzulande, auch und gerade im internationalen Vergleich, sehr gute Gewinne erwirtschaften können, u. a. weil sie eben nicht (mehr) befürchten müssen, dass die Gewerkschaften bis zur Schmerzgrenze gehen. Aber es ist verständlicherweise noch verlockender, den VW in der Slowakei zum dortigen Lohnniveau zu schrauben, um ihn anschließend hierzulande zu deutschen Preisen zu verkaufen, auch wenn klar sein muss, dass das nicht sehr lange gut gehen kann. Es kann aber vor allem auch nicht angehen, dass – u. a. mit dem weinerlichen Argument, die Menschheit gehöre doch zusammen – sämtliche Dämme für Kapital und Güter eingerissen werden, um anschließend – nunmehr wieder hübsch in nationalstaatlicher Konkurrenz argumentierend – zu fordern, Steuern und Löhne zu senken, um „internationale Konkurrenzfähigkeit wiederherzustellen“. Und um spätestens dann, wenn man andernorts ebenfalls auf den Trichter gekommen ist, diese Forderung – mit derselben wohlfeilen Begründung – zu wiederholen. Dieser Trick ist schon mal probiert worden; nicht nur aufgrund der Lobby der Industrie, sondern auch und gerade auf Ratschlag der „Experten“. Es ging gründlich daneben. Man nannte das Weltwirtschaftskrise. Die Konsequenzen sind bekannt.

Eine der Konsequenzen war die Etablierung eines theoretischen Gegenentwurfes – Keynesianismus genannt – zur herrschenden Lehre, die nach dem Desaster eine Zeit lang auch recht kleinlaut war, weil ihre Gleichgewichts-Phantasmagorien mit der Realität ganz offensichtlich nichts zu tun haben. Weil aber die Borniertheit nicht ausstirbt, geht das jetzt alles wieder von vorne los. Wenn Bertolt Brecht Recht hatte mit seiner Feststellung, Geschichte wiederhole sich nicht, es sei denn als Farce, dann ist das ja jetzt wohl die Farce. Nein: Die Suppe, die global eingebrockt wurde, muss jetzt auch global wieder ausgelöffelt werden. Das demokratische Korrektiv des ökonomischen Systems, das alleine in der Lage ist, der permanenten Neigung zur Nachfragelücke dieses Systems entgegenzuwirken und es somit letztlich auch vor sich selbst zu schützen, ist durch den Globalisierungsprozess auf nationalstaatlicher Ebene verlorengegangen. Wenn jetzt schon die Überschussländer anfangen, ihre Löhne zu senken, dann gnade uns Gott. Wenn es uns aber gelingt, das demokratische Korrektiv des ökonomischen Systems ebenfalls zu globalisieren, dann sind wir noch zu retten, und Deutschland auch, und Sinn auch.

_Aus: |Zeitschrift für Sozialökonomie|, Folge 141, Juni 2004._
http://www.sozialoekonomie.de/de/dept__3.html

Asimov, Isaac – Best of Asimov

Isaac Asimov (1920-1992) hat in seiner langen SF-Karriere ab 1939 neben vielen Romanen – die immer noch bekanntesten und beliebtesten entstammen dem 1951 gestarteten |Foundation|-Zyklus – naturgemäß auch zahllose kürzere Erzählungen veröffentlicht, viele davon gerade in seiner frühen Phase für das Pulp-Magazin |Amazing Stories| seines Entdeckers und Förderers John W. Campbell. Die Behauptung, bei der hier vorliegenden Sammlung handle es sich um das Beste, was der SF-Pionier im Story-Bereich geschaffen hat, darf aber gleich aus mehreren Gründen nicht ganz so ernst genommen werden. Zum einen stammt „The Best of Isaac Asimov“ im Original bereits aus dem Jahr 1973 und wurde 1983 bei Bastei-Lübbe auch schon mit der Bandnummer 24113 veröffentlicht. Und auch wenn der Autor seine Glanzzeit und besonders auf dem Kurzgeschichtensektor produktivste Phase in den vierziger und fünfziger Jahren hatte, werden damit die fast 20 letzten Jahre seines Schreibens schlicht unterschlagen. Was hier ebenfalls fehlt, sind seine Robotergeschichten. Die wurden zwar an anderer Stelle oft genug veröffentlicht, doch dies trifft für einen Großteil der hier versammelten Storys ebenfalls zu, zählt also nicht als Entschuldigung. Gerade die Robotergeschichten sind nun einmal ein wesentlicher Bestandteil des Asimov’schen Schaffens. Dies wird dieser Tage gerade durch eine auf diesem Werk basierende Verfilmung namens „I, Robot“ gezeigt. Die Zusammenstellung besorgte Asimov übrigens auch nicht selbst, sondern ein namentlich ungenannter Herausgeber, so dass man über die getroffene Auswahl durchaus geteilter Meinung sein kann. Asimov gibt das im Vorwort in ungewohnt bescheidener Manier zu und schreibt, eigentlich solle das Buch besser den Titel „Die recht guten und recht typischen Geschichten Isaac Asimovs“ tragen – so viel dazu.

Höhepunkt der zwölf Storys ist „Und Finsternis wird kommen…“ (Nightfall) aus dem Jahr 1941, eine Geschichte, welcher der Autor ob ihres enormen Erfolgs recht hilflos gegenübersteht und von der er selbst erklärt, sie sei nicht seine persönliche Favoritin. Der SF-Leser an sich widerspricht dieser Meinung gern und häufig, immer wieder wird „Und Finsternis wird kommen…“ unter den beliebtesten Kurzgeschichten aller Zeiten genannt. Der Reiz dieser faszinierenden Story liegt vor allem in ihrem beeindruckenden Szenario: Der ungewöhnliche Plot – die Welt Lagash wird nur in großen Abständen mit völliger Dunkelheit konfrontiert, da ansonsten immer eine der Sonnen am Himmel steht, was in unschöner Regelmäßigkeit die Zivilisation in völligem Wahnsinn zerbrechen lässt und sie auslöscht – hat sicherlich den Löwenanteil am hohen Beliebtheitsgrad. Stilistisch ist Asimov in dieser frühen Phase sicher nicht völlig ausgereift, sondern noch sehr den |Pulps| verhaftet. Das heißt keineswegs schwach, eher einfach, fast naiv gehalten, aber auch in der relativ nüchternen Manier durchaus ansprechend. Die Charaktere dürften zweifelsfrei noch schärfer gezeichnet sein. Erst Robert Silverbergs Romanfassung, deutsch als „Einbruch der Nacht“ bei |Heyne| erschienen, hilft dem Manko der etwas wissenschaftlich-sterilen Protagonisten dann ab. Die Original-Geschichte zählt aber allein wegen der ungewöhnlichen Idee, von der sie lebt, verdientermaßen zu den Klassikern der SF der vierziger Jahre.

Die erste verkaufte Story des Autors, „Havarie vor Vesta“ (Marooned off Vesta, 1939), kann besonders durch die Plausibiltät gefallen, mit der sich die havarierten Raumfahrer an Bord der Silver Queen aus ihrer scheinbar aussichtslosen Lage retten. Ein früher Verweis auf Asimovs spätere Ausflüge ins Krimigenre? Sprachlich ist das Debüt ebenfalls sehr einfach gehalten, auch hier lebt die Geschichte mehr von der Idee. Genau zwanzig Jahre später wurde dann „Jahresfeier“ (Anniversary) geschrieben, das die Charaktere der Geretteten noch einmal aufgreift und schließlich gemeinsam mit „Havarie vor Vesta“ in |Amazing Stories| abgedruckt wurde, eben um den Geburtstag der ersten Story Asimovs gebührend zu feiern. Mehr Krimi als SF, ist diese Geschichte die wohl schwächste der hier vertretenen, da die Lösung des Falls den Leser hilflos zurücklässt und ihm kaum eine Chance bietet, wenigstens mitzuraten, wer denn nun der Täter war.

Der gereiftere Asimov begegnet dem Leser in der erstmals 1972 veröffentlichten Story „Spiegelbild“ (The Mirror Image), die auch ein Wiedersehen mit dem Detektiv Elijah Baley und dem Roboter R. Daneel Olivaw aus den frühen Romanen „Die Stahlhöhlen“ (The Caves of Steel) und „Die nackte Sonne“ (The Naked Sun) parat hält, die später in der |Foundation|-Fortschreibung auch wieder auftauchen. Zwei Wissenschaftler beschuldigen sich darin gegenseitig des geistigen Diebstahls. Baley droht an dem Fall zu verzweifeln, kann ihn dann aber dank seiner eigenen Logik – die den Roboter verblüfft – doch aufklären. Ein weiterer Kriminalfall wird in „Das Nullfeld“ (The Billard Ball) gelöst. Hier steht allerdings nicht die Frage nach dem Täter im Raum, sondern die Überlegung, ob Zufall oder Absicht die Tat lenkten und wie sie überhaupt möglich war. Eine reizvolle Story.

„Geschichte eines Helden“ (C-Chute), ursprünglich in |Galaxy| veröffentlicht, hat dann mehr von einer typischen SF-Story der frühen fünfziger Jahre. Während eines Kriegs zwischen Menschen und den Kloros, einer Insektenrasse, wird die Besatzung eines irdischen Raumschiffs gefangen genommen. Ausgerechnet der unscheinbare Buchhalter Randolph Mullen avanciert unter den Gefangenen zum Helden und findet einen Weg zur Flucht. Flott zu lesen, recht farbige Charaktere und damit eine der besseren Storys des Buchs. „Das Chronoskop“ (The Dead Past) kann ebenfalls durch die starken Charaktere, die in vielen Nuancen geschildert und so lebendig werden, überzeugen. Die weiteren Storys: „Die Verschwender vom Mars“ (The Martian Way), „Die in der Tiefe“ (The Deep), „Der Spaß, den sie hatten“ (The Fun They Had), „Wenn die Sterne verlöschen“ (The Last Question) sowie „Die schwindende Nacht“ (The Dying Night).

Alles in allem eine gute Zusammenstellung typischer Asimov-Geschichten, nicht das Beste, aber doch mehr Gutes als Schlechtes.

_Armin Rößler_ © 2001
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Dickinson, Peter – Suth und Noli (Die Kinder des Mondfalken)

Seit den Romanen von Jean M. Auel um ihre Urzeit-Heldin „Ayla“ sind Bücher über die Frühgeschichte der Menschheit nicht mehr aus den Regalen wegzudenken. Ob für Erwachsene oder Kinder – es scheint die Autoren zu faszinieren, 40.000 oder gar 200.000 Jahre in die Vergangenheit zu gehen und sich das Leben damaliger Menschen (oder Menschenvorfahren) vorzustellen. So geht es auch dem Engländer Peter Dickinson. Seine Geschichten um die „Kinder des Mondfalken“ erschienen in Deutschland bereits als Buch für Kinder und Jugendliche bei |Carlsen|. Für die Taschenbuchausgabe hat man die beiden ersten Bände in einen zusammengefasst.

Der Stamm der Mondfalken ist überfallen und in eine viel unwirtlichere Gegend vertrieben worden. Die Überlebenden wollen beim Marsch durch die Wüste die Kleinsten und Schwächsten zurücklassen, aber der Junge Suth, der auf der Schwelle zum Erwachsensein steht, und das Mädchen Noli, das immer wieder Visionen hat, lassen das nicht zu. Sie trennen sich vom Stamm und retten die Kinder. Auf sich allein gestellt, versuchen sie zu überleben, was nicht immer leicht ist.

Dann aber finden sie Aufnahme bei einem anderen Stamm. Suth begreift nach und nach, dass sie seine Gruppe dabehalten wollen, um das Blut des Stammes, in dem immer mehr missgebildete Kinder geboren werden, aufzufrischen. Er versucht das zu verhindern, doch selbst Noli scheint von der Magie der Anführerin des Stammes gefangen. Dann zwingt ein Vulkanausbruch die Kinder des Mondfalken zu einer Entscheidung. Sie kommen nur knapp mit ihrem Leben davon und finden in einem anderen Tal Zuflucht, wo Humanoide leben, die sie bisher nicht als Menschen betrachtet haben. Jetzt müssen sie lernen, ihre Vorurteile zu vergessen, damit auch sie hier eine Heimat finden können …

In einer bewusst einfachen Sprache schildert Peter Dickinson die Erlebnisse der Frühmenschenkinder erst aus der Sicht von Suth, dann von Noli. Jedes Kapitel wird von einer sogenannten „Ursage“ begleitet, die das Selbstverständnis und die Vorstellungswelt der jungen Helden und die Gründe für ihr Handeln plausibler macht. Er bringt dem Leser auf höchst lebendige Weise den Alltag, die Sorgen, Nöte aber auch Freuden der Kinder näher, ohne dabei belehrend oder wissenschaftlich zu werden, wenn auch der versteckte Appell an Toleranz und Offenheit nicht fehlen darf. Aber genau diese Dinge werden wohl auch in der Urzeit ein friedliches Miteinander zwischen sich fremden Stämmen und Volksgruppen ermöglicht haben, wenn genug Nahrung da war. Die Kinder sind lebendig geschildert, machen Fehler oder reagieren instinktiv richtig. Sie akzeptieren Dinge, die sind, und lassen auch das Neue zu.

Phantastische Elemente tauchen im Roman eher selten auf, meistens wenn Noli von dem Geist ihres Stammestotems berührt wird und seine Botschaften empfängt, woraufhin der Stamm in eine neue Richtung gelenkt wird.

Die Abenteuer sind klein und meistens alltäglich, wenn man einmal von dem Kampf gegen einen bedrohlichen Löwen absieht. Aber darauf kommt es auch nicht an, da Spannung anders erzeugt wird. Dennoch sollten all jene, die mit als Kinderbücher konzipierten Urzeit-Romanen, nicht viel anfangen können, ihre Finger von dem Roman lassen.

Wer eher ruhige Geschichten mit Mythen und einfachen Abenteuern mag, in dem die Figuren im Vordergrund stehen, wird an den „Kindern des Mondfalken“ seine Freude haben.

_Christel Scheja_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|