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Aldiss, Brian W. / Penrose, Roger – Weißer Mars – Eine Utopie des 21. Jahrhunderts

Mitte unseres 21. Jahrhunderts beschließen die Staaten der Erde, den Mars zu erkunden. Terra-Forming ist explizit ausgeschlossen, die Expedition soll ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienen. Diese Vorgehensweise wird in Analogie zur Erforschung der Antarktis auf der Erde „Weißer Mars“ genannt.

Schwerpunkt der Wissenschaftsarbeit ist die Elementarteilchenforschung, da auf dem Mars keine Störungen der sensiblen Messapparaturen durch elektromagnetische Felder, Erschütterungen durch Verkehr und Bauwesen etc. erwartet werden. Durch den endgültigen Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems auf der Erde entsteht eine neue Situation für die Wissenschaftler auf dem Mars: Sie sind zwar noch kommunikationstechnisch mit der Erde verbunden, können jedoch von dort keinerlei Hilfe mehr erwarten. Um ihr Leben für eine nicht planbare Zeit auf dem Mars zu sichern und zu organisieren, beginnen sie mit dem Aufbau und der Neuorganisation ihres Zusammenlebens. Damit sind wir beim eigentlichen Inhalt des Romans: Aufbau einer utopischen Gesellschaft.

Der Roman ist beileibe keine Unterhaltungsliteratur, es ist vielmehr ein utopischer Roman mit SF-Elementen. Die beiden Autoren verstehen es sehr gut, die spärlichen Handlungselemente mit den eigentlichen Themen des Romans zu verweben. Die Geschichte der Mars-Wissenschaftler wird aus der Perspektive zweier Ich-Erzähler, die Expeditionsteilnehmer sind, geschildert. Der vorliegende Roman ist in Form eines Berichts verfasst, wobei die Schilderungen von Tom Jeffries, dem geistigen Vater der utopischen Gesellschaft, und von Cang Hais, seiner Adoptivtochter, abwechseln. Diese Arbeitsteilung scheint auch vom Autorenteam Aldiss/Penrose praktiziert worden zu sein. Während Aldiss dem SF-Leser ein Begriff sein dürfte, ist die Zusammenarbeit mit einem bedeutenden Physiker unserer Zeit für einen SF-Roman eine eher seltene und daher auch interessante Angelegenheit. Sir Roger Penrose ist eine Autorität auf dem Gebiet der Quantenphysik, lehrt in Großbritannien und den USA und ist u. a. auch für seine Zusammenarbeit mit dem berühmten Physiker Stephen W. Hawking bekannt. Ein zweites Gebiet dieses Wissenschaftlers und Autors ist das der Bewusstseinsforschung. Beide Wissenschaftszweige werden vortrefflich in die Handlung des Romans integriert. Die im Roman handelnden Expeditionsteilnehmer vertreten die jeweiligen Disziplinen; Namensähnlichkeiten mit Köpfen der heutigen Wissenschaften fallen auf. Einige wenige äußere Handlungselemente werden von den Expeditionsteilnehmern in vielen öffentlichen Diskussionen, die auch zur Erde übermittelt werden, behandelt. So nährt zum Beispiel die Entdeckung von Wasserreservoirs das Wiederaufkommen der Terraforming-Befürworter. Die Entdeckung einer völlig fremdartigen Lebensform auf dem Mars veranlasst die Wissenschaftler, Theorien über den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Materie zu überdenken und strittig zu diskutieren. Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Grundlagenforschung. Hier werden immer wieder nach bestem demokratischen Vorbild Wissenschaftler ins Rennen geschickt, die in öffentlicher Rede vor den 6000 Mars-Gestrandeten erklären müssen, warum weiterhin Ressourcen in die Fertigstellung eines Elementarteilchenbeschleunigers gesteckt werden müssen, anstatt sich um den Ausbau der medizinischen Versorgung oder kulturelle Dinge zu kümmern. Eine Diskussion, die Sir Roger Penrose mit Sicherheit nicht erst für den Roman erfinden musste.

Diese und andere strittige Themen sind eng verwoben mit der gesellschaftlichen bzw. politischen Handlungsebene des Romans. Der geistige Vater der Utopisten hat das erklärte Ziel, „uns selbst und unsere Gesellschaft neu zu erschaffen.“ In den Wortbeiträgen der diskutierenden „Robinsons“, wie sich die Mars-Gestrandeten selbst manchmal nennen, werden immer wieder bedeutende Philosophen, Religionsführer und Sozialwissenschaftler zitiert. Häufig werden diese Bezüge auch in einer Fußnote näher erläutert. Eine Kernthese dieser Handlungsebene stellt Tom Jeffries in den Raum: Die Ursachen der gesellschaftlichen Misere auf der Erde teilt er in fünf Kategorien auf. Stellvertretend für die Entwicklung seiner Thesen beispielhaft einige der dort behandelten Stichworte: Verbrechen, Erziehung, Abtreibung, Sex, Fortschrittsglaube, Ernährung, Ausbeutung der Natur, Konsumdenken, Hunger. An dieser Stelle sei an den treffenden Titel der Originalausgabe „White Mars or: The Mind Set Free“ erinnert, der dem Roman eher gerecht wird als die Wahl des Verlags oder Übersetzers.

Im Anhang des Buches findet sich ein 15-seitiges Interview des Übersetzers mit dem Autor Brian W. Aldiss. Sehr interessant zu lesen, nicht zuletzt wegen der Gegenüberstellung Wissenschaft und SF (siehe hierzu auch Stephen W. Hawking in „The Physics of Star Trek“, Lawrence M. Krauss).

Die Elemente und Handlungsebenen des Romans sind in ihrer Zusammenstellung mit Sicherheit einmalig. Allein das macht das Buch lesenswert. Der Hardcore-SF-Fan wird sich vielleicht durch einige Längen der Marke „Elementarteilchenphysik“ durchkämpfen oder auch bestimmte vordergründige Ungereimtheiten übersehen müssen. (Wie versorgen sich 6000 Menschen ohne jede Lieferung von der Erde über Jahre hinweg?) Dennoch: In den Kapiteln, wo SF anstelle des utopischen Romans in den Vordergrund tritt, kann man ohne Übertreibung von Science-Fiction in der ureigensten Bedeutung des Worts sprechen.

_Christel Scheja_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Hambly, Barbara – Drachentöter, Der

Der deutsche Titel ist Quatsch.

Im Original heißt das Buch „Dragonstar“, und das trifft es – erstens wird in dem Buch kein Drache getötet (im Gegenteil!), und zweitens spielt der |Drachenstern|, ein Komet, der alle tausend Jahre erscheint, eine wichtige Rolle. Er verstärkt nämlich die Kräfte der Dämonen, die sich seit drei Bänden im Königreich von Bel mit Ihresgleichen, aber auch mit Menschen und Gnomen um die Macht schlagen. Wenn man also partout zwecks Reklame titelmäßig etwas metzeln musste, hätte das Werk „Dämonentöter“ heißen sollen – gegen die geht es nämlich. Dass der Text auf dem Backcover auch nicht in allen Punkten stimmt, wird keinen wundern; und wen kümmert’s, wenn das Buch nur gut ist.

Aber ist es gut? – Hm. Schon meine Kollegen Martin und Wilko bemerkten in ihren Rezensionen, dass sich Hamblys Fantasy-Bücher streckenweise etwas langatmig lesen, was hier auch zutrifft. Das eigentliche Problem jedoch: „Drachentöter“ bildet den Abschluss eines vierbändigen Zyklus, und man sollte mindestens die zwei vorangegangenen Teile intus haben, um in diesen hier gut einsteigen zu können. Bastei gibt zu Anfang zwar eine Zusammenfassung von „Der schwarze Drache“, „Die dunkle Brut“ und „Der Sternendrache“, aber es haut einem da so die Namen von Menschen, Dämonen, Drachen und Dingen um die Ohren, dass man öfter mal „Wie jetzt??“ fragt.

Es geht, wie schon gesagt, um eine Invasion dieser Irgendwowelt durch Dämonen, die in Teil Zwei begann und immer noch andauert. Menschen werden zuhauf von ihnen „übernommen“, aber ihre bevorzugte Beute sind Drachen und Magier; etliche Figuren des vorliegenden Buches hatten bereits das Vergnügen, für die Höllensprösslinge den Wirt zu machen. Im Zuge solcher und anderer Katastrophen wurden die Magierin Jenny Waynest, ihr Mann John Aversin (Drachentöter, Dämonenüberlister, Than der Winterlande) und ihr Sohn Ian (auch ein Magier) voneinander getrennt; Jenny und Ian haben immer noch an den Folgen der dämonischen Symbiose zu tragen. Abgesehen davon wurde Jenny im Reich der Gnome durch einen Giftpfeil verwundet und John soll wegen Paktierens mit Dämonen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Genügend Ansätze für eine spannende Handlung also, aber die ständigen Rückblicke der Figuren machen das Buch zähflüssig, zumal der unkundige Leser immer wieder ins Vorwort blättert, um zu erfahren, wer zum Geier nun schon wieder dieser Dämon ist und welcher gegen welchen kämpft. Die Höllengeschöpfe stehen untereinander im Verbündeten- und Lehnsverhältnis, wollen sich aber gleichzeitig permanent übers Ohr hauen – das macht die Sache nicht einfacher. Irritierend wirkt anfangs auch die Bezeichnung von Johns Verbündeten-Feindin Aohila als „Dämonenkönigin“; man denkt glatt, sie herrscht über alle anderen ihrer Spezies, was aber falsch ist – sie beherrscht nur ihre eigene Hölle (es gibt deren unzählige) und ist durch die wahren Bösen auch gefährdet.

Ungefähr ab Seite 160 entwickelt sich eine leidlich durchschaubare und spannende Handlung, denn man hat sich jetzt eingelesen und kennt die meisten Zusammenhänge, außerdem schildert Hambly den Kampf der Menschen gegen die Dämonen flüssig und zielstrebig. Endlich sind die Fronten klar; später werden sie wieder unklarer. Gelegentlich fragt man sich, wieso das übermächtige Böse so (relativ) einfach besiegt werden kann; und die finale Kampfszene musste ich zweimal lesen, um Johns genialen Plan zu begreifen – aber auch dann überzeugte er mich nicht so ganz.

Interessant ist das Konzept der Parallelwelten, das Hambly entwickelt. Eine davon erinnert sehr an die dystopische Erde eines nicht allzu fernen Jahrhunderts, leider lernt man sie nur in Rückblenden kennen. Wer darüber mehr wissen möchte, muss „Der Sternendrache“ lesen. Ungeklärt bleibt das Rätsel der Drachenschatten (Morkeleb, der schwarze Drache, der Helfer der Menschen, ist zu einem geworden; angeblich hat er dazu auf den Großteil seiner Magie verzichtet, aber dafür kennt er noch recht viele Zauber). Jedenfalls bieten diese offene Frage und das magische Potenzial, das in Ian schlummert, genügend Ansätze für eine Fortsetzung; ob sie allerdings sein muss, wage ich in Frage zu stellen – so brillant ist dieses Buch hier nun auch wieder nicht.

_Peter Schünemann_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Die EU auf dem Sprung zur Militärmacht (Teil 2)

|Der nachfolgende Artikel von _Winfried Wolf_ erschien zuerst am 15.07.2004 in der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ und wird an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der jW-Redaktion veröffentlicht. (Darstellung in alter Rechtschreibung)
Zuvor wird die Lektüre von Teil 1, [„Kein Europa der Bürger“,]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=16 empfohlen.|

Als Anfang der 1990er Jahre der geplante Zusammenschluß der Fluggesellschaften |KLM|, |SAS|, |Swissair| und |Austrian Airlines| scheiterte, wies das US-Wirtschaftsblatt |Business Week| auf eine bedeutende Schwäche der europäischen Wirtschaftswelt hin: |»Eine Restrukturierung der europäischen Industrie, die ohne Rücksicht auf nationalstaatliche europäische Grenzen erfolgte, wäre exakt der letzte, entscheidende Schritt hin zu Produktionseinheiten auf höherer Stufe. Es handelt sich jedoch um einen Schritt, den Europa offensichtlich nicht machen kann.«|

Tatsächlich gibt es knapp 50 Jahre nach der Bildung eines europäischen Wirtschaftsblocks kaum einen »europäischen« Konzern und – sieht man von Rüstung und Luftfahrt ab und berücksichtigt man die Übernahme von |Aventis| durch |Sanofi| – keinen bedeutenden deutsch-französischen Konzern. Versuche in dieser Richtung gab es – doch sie scheiterten. Genauer gesagt: Es setzte sich jeweils ein »Fusionsmodell« durch, bei dem die Flagge der Muttergesellschaft in der Regel national blieb. |NSU| wollte mit |Citroën| zusammengehen – tatsächlich verwandelte sich |NSU| in |Audi| und wurde |VW|-Tochter; |Citroën| wurde von |Peugeot| übernommen. |Hoesch| (BRD) und |Hogoovens| (Niederlande) gingen zu |»Estel«| zusammen – und scheiterten. Heute ist |Hoesch| Teil von |ThyssenKrupp|; |Hogoovens| wurde von |British Steel |übernommen. |Osram| sollte mit dem niederländischen Konzern |Philipps| zusammengehen; tatsächlich wurde |Osram| in |Siemens| eingegliedert; |Philipps| übernahm |Grundig|. |Renault| sollte mit |Volvo| mit »gleichberechtigtem Management« zusammengehen. Tatsächlich wurde |Volvo| in das |Ford|-Imperium eingefügt; |Renault| übernahm |Nissan|. |Beiersdorf| sollte zum französischen Unternehmen |Oréal| kommen; doch die deutsche Seite bestand darauf, daß die |Nivea|-Creme deutsch bleibt.

Als vor drei Monaten der deutsch-französische Pharmakonzern |Aventis| von dem französischen (und beim Umsatz halb so großen) Unternehmen |Sanofi| geschluckt wurde, äußerte der neue Boß Jean-Francois Dehecq den klassischen Satz, der in ähnlicher Form weltweit bei allen Fusionen zu hören ist: »Bei uns herrscht im neuen Vorstand Gleichberechtigung. Allerdings bin ich der Chef.«

Kurz: Unter den 200 größten Konzernen der Welt gibt es 76 US-amerikanische, 40 japanische und 68, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben. Rechnet man die Schweiz hinzu, sind es sogar 74. Doch es handelt sich nicht um »europäische Konzerne«. Es sind auch nicht, wie in der NAFTA (|North American Free Trade Agreement|), Konzerne, die zu einem dominierenden Nationalstaat – in der NAFTA zu den USA – zählen. Vielmehr sind es 22 deutsche, 17 französische, zehn britische, sechs niederländische, sechs italienische, drei spanische und je ein schwedischer bzw. luxemburgischer Konzern. Hinzu kommen mit |Unilever| und |Royal Dutch Shell| zwei britisch-niederländische Unternehmen, deren »Binationalität« allerdings kein Ergebnis der EU, sondern über fast 100 Jahre gewachsen ist.

|Basis und Überbau|

Damit aber haben die EU-Strategen ein Problem. Ohne Basis kein Überbau. Will sagen: Ohne ökonomische Basis, ohne europäisches Kapital, kann sich der gesamte Überbau – EU-Kommission, EU-Verfassung, Europäische Zentralbank (EZB) bzw. Einheitswährung Euro – als an die Wand genagelter Pudding erweisen. Kommt es nicht zu einer Europäischen Union mit entweder europäischen Konzernen oder mit überwiegend Konzernen, die zu einem führenden Nationalstaat zählen, dann wird die EU immer von inneren nationalstaatlichen Spannungen gekennzeichnet sein und Gefahr laufen, in Krisenzeiten auseinanderzubrechen.

Dieses Problem war fast ein halbes Jahrhundert lang kein zentrales – solange sich die Weltmarktkonkurrenz nicht verschärfte. Seit der Wende 1989/90 leben wir jedoch in der neuen alten Welt des klassischen, ordinären Kapitalismus. Die Konkurrenz verschärft und die Krisenerscheinungen vertiefen sich; die Militarisierung ist allgemein. Die Blockbildung ist für die Konzerne und Banken in Europa die einzige Chance, in diesem Kampf zu bestehen bzw. die Konkurrenz der US-Unternehmen auf die Ränge zu verweisen.

In dieser Situation gibt es theoretisch drei Wege, wie die EU sich im kapitalistischen Sinn »weiter« entwickeln kann: Erstens, indem die Dominanz der deutschen Konzerne und Banken weiter ausgebaut wird. Zweitens, indem die »Achse Berlin–Paris« als alleinige, strategische angesehen wird und deutsche und französische Konzerne die ökonomische und politische Macht in der EU an sich reißen. Und drittens gibt es den Weg von Militarisierung und Krieg, die Schaffung eines Europas im Feuer von Kriegen.

Der erste Weg wird seit langem beschritten. Das Gewicht der deutschen Ökonomie innerhalb der EWG (EG bzw. EU) hat sich im ganzen letzten halben Jahrhundert, seit Gründung der EWG 1957, von Jahr zu Jahr verstärkt. Die EU-Osterweiterung ist ein weiterer großer Schritt in diese Richtung. Die deutschen Unternehmen konnten seit 1990 ihre Positionen in Mittel- und Osteuropa weit stärker aufbauen als dies den Großunternehmen aus anderen EU-Staaten gelang. Dabei gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und österreichischen Unternehmen und Banken. Letztere agieren oft als deutsche Vorhut. Erstere können ohnehin davon ausgehen, daß es zu einem zweiten und »friedlichen Anschluß« kommt: Die österreichische Wirtschaft wird längst zu einem erheblichen Teil vom deutschen Kapital kontrolliert.

Doch dieser erste Weg gleicht einer Gratwanderung. Wenn es die deutschen Konzerne und Banken zu bunt treiben, wenn sie ihre reale Vormachtstellung zu brutal ausnutzen, werden sie »Rest-Europa« gegen sich aufbringen. Vor diesem Hintergrund war das Gerangel um das Abstimmungsprozedere in den EU-Institutionen wichtig. Vor allem Berlin drängte darauf, daß die Einigung über das Statut der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 2000 (der sogenannte Kompromiß von Nizza) rückgängig gemacht und die Möglichkeit ausgebaut wurde, das deutsche Stimmengewicht im Verein mit wenigen Bündnispartnern zu Mehrheitsentscheidungen im deutschen Interesse zu führen. Durch die Abwahl der Regierung Aznar in Spanien und das Scheitern der Regierung Miller in Polen wurde in diesem Punkt auf der EU-Regierungskonferenz die deutsche Position weitgehend durchgesetzt.

|Spannungen|

Der zweite Weg, die deutsch-französische Zusammenarbeit, wird beim »Projekt Europa« ebenfalls seit fünf Jahrzehnten beschritten. Dabei gab es Höhen und Tiefen. Derzeit läuft die Achse Paris–Berlin wieder einmal nicht rund. Wer diese aktuellen deutsch-französischen Spannungen verstehen will, der sollte die Sätze zur Kenntnis nehmen, die am 23. September 1971 der französische Staatspräsident Georges Pompidou sprach: |»Im Aufbau Europas verfügt Deutschland über eine überlegene Wirtschaftsmacht – vor allem weil seine Industrieproduktion um fast die Hälfte größer ist als die unsere. Deshalb habe ich die Verdoppelung unserer Industriekapazitäten in den nächsten zehn Jahren als vorrangiges Ziel formuliert.«|

Diese Zielsetzung schlug nicht nur fehl. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der wirtschaftliche Abstand zwischen Deutschland und Frankreich und vor allem derjenige zwischen den deutschen und französischen Topkonzernen nochmals vergrößert. 1980 lag der addierte Anteil des deutschen und des französischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) am BIP der EG mit 41,1 Prozent ähnlich hoch wie im Jahr 2000 (40,2 Prozent). Dabei zählte die EG damals lediglich zwölf Mitgliedsländer; im Jahr 2000 waren es 15 Länder – Österreich, Finnland und Schweden waren hinzugekommen. Das »spezifische deutsch-französische Gewicht« konnte selbst in einer erheblich vergrößerten EG/EU gehalten werden.

Doch das jeweilige Gewicht der beiden Räder an der Achse Paris–Bonn/Berlin hatte sich deutlich verlagert. 1980 lagen die Anteile Frankreichs und Westdeutschlands am EG-BIP sehr nahe beieinander: Der deutsche Anteil machte 22,1 Prozent aus, der französische 19 Prozent. Im Jahr 2000 liegt der deutsche Anteil am EU-BIP bei 24 Prozent, der französische bei 16,5 Prozent. Das heißt: Die Tatsache, daß die Achse Paris-Bonn/Berlin innerhalb der erweiterten EU weiterhin dominiert, war in erster Linie dem gesteigerten Gewicht der deutschen Wirtschaft geschuldet. Das hat zweifellos auch mit dem seit 1990 vergrößerten Deutschland zu tun. Doch bei einem Blick auf den Welthandel stellt sich ein ähnliches Ergebnis ein. Der Anteil der französischen Wirtschaft an den Weltexporten lag 1980 bei knapp sechs Prozent und sank seither kontinuierlich – bis auf unter fünf Prozent 2003. Die deutschen Exporte erreichten 2003 den Rekordwert von 12 Prozent; Deutschland wurde wieder Exportweltmeister. Der Abstand zwischen den deutschen und den französischen Exporten vergrößert sich damit kontinuierlich. Beim Vergleich der industriellen Produktion blieb es im großen und ganzen bei dem Abstand, den Pompidou vor 33 Jahren festgestellt hatte: Der Output der deutschen Industrie liegt um knapp 50 Prozent über demjenigen der französischen.

In der aktuellen deutsch-französischen Debatte geht es um die Schaffung »europäischer Champions«. Doch macht man die Frage zum Maßstab, welche deutschen und französischen Konzerne unter den sogenannten Global Players vertreten sind, dann wird das Ergebnis in Paris als bitter empfunden. 2003 befanden sich unter den 20 größten europäischen Industriekonzernen sechs deutsche, jedoch nur drei französische. Dabei nehmen in der Regel die deutschen Topunternehmen in ihrer jeweiligen Branche die Spitzenposition ein. Im Fahrzeugbau liegen |DaimlerChrysler| und |VW| vor |Peugeot| und |Renault|. Im Kraftwerksbau hat |Siemens| einen mehr als dreimal größeren Umsatz als |Alstom|. In der Stahlbranche ist |ThyssenKrupp| stärker als |Arcelor|, wobei es sich bei dem letztgenannten »nur« um einen luxemburgischen Konzern mit starkem französischem Einfluß handelt. Ähnlich sieht es im Bereich der Banken und Versicherungen aus: Die |Deutsche Bank| liegt deutlich vor der Nummer eins in Frankreich, der |BNP Paribas|. Die |Allianz| liegt vor |Axa|.

Klammern wir die Rüstung aus, dann verbleiben nur drei industrielle Branchen, in denen ein französischer Champion vor der deutschen Konkurrenz liegt: im Ölgeschäft, wo |Total| (zuvor: |TotalFinaElf|) keine deutsche Konkurrenz kennt; in der Bahntechnik, in der |Alstom| vor allem mit den TGV-Hochgeschwindigkeitszügen und der Niederflur-Tram »Citadis« deutlich vor |Siemens| rangiert, während der Münchner Konzern wiederum mit dem Diesel-ICE und den Combino-Straßenbahnen veritable Einbrüche erlitt – und in der Pharmabranche, in der der jüngst fusionierte Konzern |Sanofi-Aventis| auf Platz drei der Weltrangliste landete – hinter dem US-Konzern |Pfizer| und dem britischen Unternehmen |GlaxoSmithKline| und weit vor der deutschen Konkurrenz (|Boehringer-Ingelheim|, |Bayer| und |Schering|).

Nicht zufällig geht es beim aktuellen deutsch-französischen Zoff um zwei dieser drei Bereiche. Nicht zufällig erhöht die deutsche Seite seit Mitte 2004 den Druck auf die französische Regierung, den |Alstom|-Konzern ganz oder weitgehend an |Siemens| auszuliefern.

|Krieg als »dritter Weg«|

Die einzigen Bereiche, in dem es eine funktionierende deutsch-französische Zusammenarbeit gibt, sind die Luftfahrt, die Raumfahrt und die Rüstung. Dies ist der dritte Weg, aus der EU eine in sich geschlossene Blockkonkurrenz zu den USA zu machen. Es ist auch der Weg, die »wirkliche Souveränität« der EU zu demonstrieren. Zu einem »richtigen« Staat gehörte immer die Funktion, »eigene« Kriege führen zu können – und sie dann auch zu führen. Die gegenwärtige Emanzipation Europas ist nichts anderes als die Kriegsbefähigung der EU.

Dabei handelt es sich bei Luftfahrt und Rüstung um Sektoren, die in erheblichem Maß von staatlichen Aufträgen und Subventionen bestimmt sind und teilweise direkt unter staatlicher Kontrolle betrieben werden. Wenn man so will, handelt es sich um »Industriepolitik pur« oder, in den Worten von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, um einen »wettbewerbspolitischen Sündenfall«. So waren denn auch Jacques Chirac und Gerhard Schröder wie zwei Taufpaten zugegen, als im Herbst 1999 der deutsch-französisch-spanische Rüstungszusammenschluß |EADS| gefeiert wurde.

Seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien wurde das »Europa der Militarisierung« dynamisiert. Die EADS stellt den Kern eines großen militärisch-industriellen Komplexes dar. Indem EADS zu zwei Dritteln |Airbus| kontrolliert, gehen Rüstung und zivile Luftfahrt eine enge Symbiose ein – wie auch im Fall |Boeing| in den USA. Der einzige große europäische Rüstungskonzern, der bisher »außen vor« blieb, ist |BAe| (|British Aerospace Systems|). Dabei erhält |BAe| inzwischen mehr militärische Aufträge vom Pentagon als von europäischen Regierungen. Das hatte zweifellos die Partnerschaft, die Tony Blair mit George Bush im Irak einging, begünstigt. Die nächsten EU-weiten militärischen Zusammenschlüsse sind bereits in der Pipeline: Im Mai 2004 wurde der Zusammenschluß der deutschen Militärschiffbaukapazitäten (|HDW| in Kiel, |Deutsche Nordseewerke| in Emden und |Blohm & Voss| in Hamburg) beschlossen. Dieser Zusammenschluß zielt darauf ab, demnächst den deutsch-französischen Zusammenschluß aller Marinekapazitäten, eine »EADS zur See«, zu bilden. In Frankreich wären |Thales| und eine Sparte von |Alstom| Teil dieser Fusion im Kriegsschiffbau der EU. Weitere Zusammenschlüsse stehen zur Debatte – im Panzerbau und bei den Triebwerksherstellern (|MTU|/BRD, |Snecma|/Frankreich und |Fiat Avio|/Italien).

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, daß in dem Entwurf für die EU-Verfassung steht: »Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Es macht Sinn, wenn in dieser Verfassung der neuen EU-Rüstungsagentur exekutive Rechte zur Durchsetzung dieser Aufrüstungsverpflichtung gegeben werden. Und es macht Sinn, wenn in dem Protokoll über die »ständige strukturierte Zusammenarbeit«, das auf der letzten EU-Regierungskonferenz gleichzeitig mit dem Entwurf der EU-Verfassung verabschiedet wurde, der Aufbau eines militärischen Kerneuropas festgelegt wird. Dort heißt es, daß dieses militärische Kerneuropa »bis 2007 über die Fähigkeit verfügen (muß) … innerhalb von fünf bis 30 Tagen Missionen … aufzunehmen«. Gemeint ist: Kriege zu führen.

Die beschriebenen »drei Wege«, um zu einem neuen EU-Staat zu gelangen, sind nur in der Theorie getrennt. In der Praxis werden alle drei Wege gleichzeitig beschritten. Das Erschreckende ist: Der Weg, der am ehesten »Erfolg« haben wird, ist der dritte, derjenige über Rüstung und Krieg. Dies war auch der Weg, der 1871 zum Deutschen Reich führte. Ähnlich der EWG/EG 1957 bis 1990 hatte vor 1871 die vorausgegangene lange Phase des Freihandels (»Norddeutscher Bund«) nicht zur Herausbildung eines deutschen Kapitals geführt. Erst der Überfall Napoléons III. auf Deutschland 1870 und der dann folgende preußische Feldzug gegen Frankreich führten in den Spiegelsaal von Versailles, in dem das Deutsche Reich ausgerufen wurde. Wobei schon im Gründungsakt neue Aufrüstung, Imperialismus und Weltkrieg angelegt waren.

|Lenin revisited|

In einer frühen Debatte zum Thema Globalisierung schrieb ein Verfechter der Globalisierungsthese, es habe sich ein »Ultraimperialismus« herausgebildet. Dabei sei »an die Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das verbündete Finanzkapital« getreten. Demgegenüber stand eine zweite Position, die diese Art eines »neuen Kapitalismus« hinterfragte, auf die fortexistierende Konkurrenzsituation und auf die sich erneut abzeichnende offene Konfrontation mit den Sätzen verwies: |»Ultraimperialistische Bündnisse sind … in der kapitalistischen Gesellschaft notwendigerweise Atempausen zwischen Kriegen … Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nichtfriedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik.«|

Diese Debatte fand ziemlich genau vor neunzig Jahren statt. Das erste Zitat stammt von Karl Kautsky, das zweite von Wladimir Iljitsch Lenin. Der letztere sollte auf erschreckende Weise recht behalten. Den scheinbaren »Ultraimperialismus« mit seinem »verbündeten Finanzkapital«, das die »gemeinsame Ausbeutung der Welt« organisiert, gab es nicht. Ansätze, die man dafür halten konnte, lösten sich bald auf zugunsten einer verschärften Konkurrenz und von Aufrüstung, mündend in den Weltkrieg.

Die »zivilen« Tendenzen, die heute von einigen dem Projekt EU zugeschrieben werden, und die dann besonders zivil aussehen, wenn sie als Kontrast zu dem »aggressiven US-Imperialismus« dargestellt werden, gibt es nicht. Vor allem begab sich die EU längst auf den Weg, eben diese Phase verschärfter Konkurrenz, Aufrüstung und Orientierung auf Kriege einzuleiten.

Die Kräfte, die dieses Europa der Militarisierung betreiben, sind oft weit geschichtsbewußter als die Linke. Sie demonstrieren gelegentlich offen, daß sie die »friedliche« Durchdringung Europas in einem engen Zusammenhang mit den zwei militärischen Versuchen der deutschen Konzerne und Banken sehen, ein Europa unter deutscher Hegemonie zu errichten.

Der |VW|-Konzern ließ am 15. März 1999 in den großen tschechischen Tageszeitungen ein ganzseitiges Inserat unter der Kopfzeile »Die große Frühjahrsoffensive« schalten. Er warb dabei für |VW| und für die |VW|-Tochter |Škoda|. Viele Tschechen wurden dabei an die große Frühjahrsoffensive erinnert, die auf den Tag genau fünfzig Jahre zuvor begonnen hatte, als deutsche Truppen am 15. März 1939 das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren errichteten. Die graphische Gestaltung der Anzeige wies im Zentrum eine alte Militärkarte auf.

_Winfried Wolf_
|Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ veröffentlicht.|

Die EU auf dem Sprung zur Militärmacht (Teil 1)

|Der nachfolgende Artikel von _Winfried Wolf_ erschien zuerst am 14.07.2004 in der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ und wird an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der jW-Redaktion veröffentlicht. (Darstellung in alter Rechtschreibung)|

Die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europaparlament am 13. Juni 2004 lag EU-weit bei 44,2 Prozent. In Polen, dem wichtigsten neuen EU-Mitgliedsstaat, erreichte sie 20 Prozent. Die |Süddeutsche Zeitung| kanzelte die Bevölkerung schon vor der Wahl mit dem Satz ab: »Das Europa der Bürger – es trägt sich beim Urnengang selbst zu Grabe« (12.6.2004). Dabei geht die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger offensichtlich davon aus, daß man nur zu Grabe tragen kann, was zuvor lebendig war. Es gab vor der Wahl kein »Europa der Bürger«, so wie es nach den Leibesübungen vom 13. Juni keinerlei Demokratie und nicht einmal eine ernsthafte demokratische Mitbestimmung auf EU-Ebene gibt. Dies zeigte sich bereits wenige Tage nach der Wahl, als um die Nachfolge des EU-Spitzenmannes Romano Prodi gefeilscht wurde. Es kam erst gar niemand auf die Idee, daß das soeben neu gewählte Europaparlament etwas damit zu tun haben könnte, wer den EU-Spitzenjob verrichtet.

Dabei geht es bei der EU um viel. Es geht sogar um das wichtigste Projekt, das es seit der Bildung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert – und aus deutscher Sicht: seit der Bildung des Deutschen Reichs 1871 – gab. Den Eigentümern und dem Topmanagement der in Europa maßgeblichen Konzerne und Banken erscheint seit einigen Jahrzehnten der nationalstaatliche Rahmen, in dem sie sich bewegen – das heißt, in dem sie Arbeitskräfte ausbeuten, in dem sie Steuern (nicht) zahlen, in dem sie auf Infrastruktur, Polizei und Militär zurückgreifen und in dem sie eine Regierung kontrollieren – zu eng. Diese Herren und wenigen Damen sehen dies vor allem mit Blick auf die wichtigsten Konkurrenten so: Die US-amerikanischen Konzerne und Banken verfügten von vornherein über einen weit größeren Binnenmarkt, um den herum sie Schutzzölle und Handelshemmnisse errichten konnten, aufgrund dessen sie über eine weit mächtigere Regierung, die für sie militärisch die Eroberung der Weltmärkte absicherte, zurückgreifen konnten. Hier galt und gilt es, einen Gegenpol zu schaffen. Nicht ein »Europa der Bürger«, wohl aber ein Europa der Konzerne und Banken und eine EU der Bosse und Bürokraten war und ist das Ziel. Die Einrichtung des Europaparlaments, die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Europäische Verfassung sollen dieses Projekt demokratisch ummänteln.

|Alte Ziele in neuem Gewand|

Die wichtigsten materiellen Ziele der Europäischen Union wie Zollunion, gemeinsame Wirtschaftspolitik, Europäische Zentralbank und einheitliche Währung, wie sie in der neuen EU-Verfassung, die Mitte Juni von den EU-Regierungen beschlossen wurde, festgeschrieben sind, wurden zu einem frühen Zeitpunkt wie folgt formuliert: »Die Einigung Europas … ist eine zwangsläufige Entwicklung. Die ungeahnten Fortschritte der Technik, die Schrumpfung der Entfernungen infolge der modernen Verkehrsmittel … und der Zug der Zeit … nötigen Europa zum engeren Zusammenschluß. Europa ist zu klein geworden für sich befehdende und absperrende Souveränitäten. Es besteht … das Ziel … einer europäischen Zollunion und eines freien europäischen Marktes, fester innereuropäischer Währungsverhältnisse mit dem späteren Ziel einer europäischen Währungsunion.«

So lautete der Entwurf einer Denkschrift des deutschen Auswärtigen Amtes »über die Schaffung eines Europäischen Staatenbundes« vom 9. September 1943. (1)

Die klügsten Vertreter von Nazi-Deutschland und die mit ihnen eng verbundenen Bosse der großen deutschen Banken und Konzerne strebten an, nach einem militärischen Sieg im Zweiten Weltkrieg ein Europa zu schaffen, dessen wirtschaftliche Grundlagen denjenigen entsprechen, die heute mit der EU verwirklicht werden. Damit erfolgt keine Gleichsetzung zwischen der NS-Europapolitik und der EU-Politik bzw. der Berliner EU-Politik. Es wird lediglich nüchtern festgestellt, daß der materielle und vor allem der wirtschaftliche Gehalt der jeweiligen Europa-Strategien identisch ist.

Da die führenden deutschen Wirtschaftskreise und das deutsche Militär zweimal, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, dabei scheiterten, ein solches Europa mit militärischen Mitteln zu schaffen, lag nach 1945 der Versuch nahe, vergleichbare Zielsetzungen mit friedlichen Mitteln zu verfolgen. Stationen auf diesem Weg waren 1950 die Bildung der Montanunion (EGKS – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), 1956 die Bildung einer »Europäischen Atomaren Gemeinschaft – Euratom« und 1957 die Bildung der »Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)«. Diese »europäische Zusammenarbeit« hatte von Anfang an eine militärische Komponente. So sollte – vorangetrieben durch die Regierungen in Paris und in Bonn – schon 1952 die »Europäische Verteidigungs-Union (EVU)« gebildet und damit vorzeitig eine deutsche Wiederaufrüstung betrieben werden. Bereits damals hätte dieses Projekt in Widerspruch zu einer transatlantischen militärischen Zusammenarbeit, wie es sie mit der NATO gab, gestanden. Die EVU scheiterte dann am französischen Parlament, in dem zu dieser Zeit noch die Furcht vor einem Westdeutschland mit eigenem Militär überwog. Anstelle der EVU wurde später als europäische militärische Struktur die Westeuropäische Union (WEU) gebildet, die allerdings bis in die neunziger Jahre hinein ein Schattendasein führte.

|F. J. Strauß: »Warum nicht wir?«|

Bereits bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 war die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit von Paris und Bonn entscheidend für deren Zusammenhalt und Zukunft. Aus französischer Sicht sprach für eine enge Kooperation der einstigen Kriegsgegner von 1870/71, 1914–1918 und 1939–1945 die Hoffnung auf eine deutsche wirtschaftliche Unterstützung bei der Umstrukturierung der eigenen Ökonomie. Nach Krieg und Besatzung war die Wirtschaft Frankreichs zusätzlich mit Kolonialkriegen in Indochina (bis 1954) und Algerien (bis 1962) und mit dem Verlust des größeren Teils seines Kolonialreichs belastet. Es war die EWG, die in dieser Hinsicht Frankreich eine Auffangstellung bot. Der EWG-Vertrag regelt explizit das spezielle Verhältnis Frankreichs zu seinen »überseeischen Ländern und Territorien«. Aus Kolonien wurden in der Sprache der EWG-Bürokraten »Überseeterritorien«. Diese Bestimmungen gelten bis heute fort. Als der Euro eingeführt wurde, wurde ausdrücklich festgelegt, daß die französische Regierung in ihren Kolonien und in den von Paris abhängigen Regionen, in der sogenannten Franc-Zone, eine eigene Währungspolitik praktiziert.

Es ist interessant, daß die westeuropäische Linke das »Projekt Europa« jahrzehntelang in seiner Bedeutung nicht erkannte. Nur vereinzelt gab es Kritik. So forderte der französische Intellektuelle Frantz Fanon, der sich im Algerien-Krieg auf die Seite der algerischen Befreiungsfront stellte, in seinem 1961 verfaßten Werk »Die Verdammten dieser Erde« dazu auf, die verlogenen Begriffe von einem Europa der »Demokratie« und »Menschenrechte« nicht nachzuplappern. Die nachfolgende Passage aus diesem Buch liest sich wie eine vorweggenommene Kritik am Schengener Abkommen und an der EU-Verfassung. |»Europa hat jede Demut, jede Bescheidenheit zurückgewiesen, aber auch jede Fürsorge, jede Zärtlichkeit. Nur beim Menschen hat es sich knausrig gezeigt, nur beim Menschen schäbig, raubgierig, mörderisch. Brüder, wie sollten wir nicht begreifen, daß wir etwas Besseres zu tun haben, als diesem Europa zu folgen.«|

Die französischen Regierungen erhofften sich, mit der Achse Paris–Bonn und später Paris–Berlin die bereits wieder erstarkte westdeutsche Wirtschaftsmacht in eine EWG einbinden zu können. Dabei sollte diese EWG politisch, militärisch und kulturell von Frankreich bestimmt sein. Aus Bonner Sicht sprach für das Bündnis mit Paris der Wunsch, die NS-Zeit und die daraus resultierende politische Isolierung überwinden zu können. Gleichzeitig bot eine Achse Paris–Bonn die Chance zur Herausbildung eines europäischen Wirtschaftsblocks, der langfristig zu einer Herausforderung für die Hegemonialmacht USA werden sollte.

1967 erschien in Frankreich das Buch »Die amerikanische Herausforderung«, verfaßt von Jean-Jacques Servan-Schreiber, einem führenden Wirtschaftsjournalisten. Darin wurde die EWG als europäische Antwort auf die Macht der US-Konzerne definiert. 1968 verfaßte Franz Josef Strauß, damals der wichtigste Politiker, der für einen wirtschaftlich und militärisch erstarkenden deutschen Imperialismus eintrat, das Vorwort zu dieser Streitschrift. Darin hieß es, die EWG sei bereits »zur Frontlinie der amerikanischen Industrie, zum Schlachtfeld ihrer Macht geworden«. Strauß stellte die rhetorische Frage: »Warum die Amerikaner? Warum nicht wir?« Strauß begründete kurz darauf in seiner Zeit als Finanzminister der Großen Koalition (1966–1969) die Ziele der deutsch-französischen Zusammenarbeit folgendermaßen: |»Mit dem Entschluß Frankreichs und Deutschlands, ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu verringern … läßt sich die politische Einigung Westeuropas in Gang bringen. Unsere beiden Länder sollten ihre Mittel auf allen Gebieten der modernen Hochleistungstechnik für wirtschaftliche und militärische Zwecke zusammenlegen.«|

|EWG als »Resonanzboden«|

Doch genau zum letzteren kam es nicht. Trotz mancher politischer Gesten und Bemühungen dominiert auf der wirtschaftlichen Ebene auch innerhalb Europas die alte Konkurrenz der Konzerne und Banken. Außerdem hat sich der Abstand zwischen der deutschen und der französischen Wirtschaft und ihren jeweiligen größten Unternehmen vergrößert. Darauf wird zurückzukommen sein. Sicher ist, daß das Projekt Europa auf der jeweiligen nationalen Seite immer so gesehen wurde – als ein Projekt, um die eigene Wirtschaftsmacht zu vergrößern und »Rest-Europa« zu dominieren.

So definierte auch der maßgebliche deutsche Industriellenverband BDI 1967 sein instrumentelles Verhältnis gegenüber der EWG. Danach diene diese in erster Linie als »Resonanzboden zur Verfolgung der spezifischen westdeutschen Interessen«. Die europäische Zoll- und Freihandelsunion schuf in erster Linie einen vergrößerten Raum für ein Wettrennen der jeweils nationalen Konzerne in die europäischen und internationalen Spitzenpositionen.

In der Globalisierungsdebatte wird in der Regel der Aspekt der Blockkonkurrenz und der »nationalen« Eigentümerstrukturen der großen Unternehmen nicht gesehen und von einer abstrakten »Macht der großen Konzerne« ausgegangen. Wenn überhaupt die »nationalen Farben« von Konzernen angesprochen werden, dann geraten die US-amerikanischen Konzerne ins Visier. Tatsächlich erschien das Projekt EWG/EG/EU lange Zeit eher als eine rein technische und kaum als eine machtpolitische Angelegenheit. Für diese Annahmen gab es historische und wirtschaftspolitische Gründe. Schließlich wurde die EWG lange Zeit von den USA gefördert. 1961 hatte der US-Präsident John F. Kennedy erklärt: |»Der Gemeinsame Markt … sollte unser größter und einträglichster Kunde sein. Seine Verbrauchernachfrage wächst ständig, vor allem die Nachfrage nach jenen Gütern, die wir am besten produzieren. … Es ist ein geschichtliches Zusammentreffen von Notwendigkeit und großer Möglichkeit: In demselben Augenblick, in dem wir dringend eine Steigerung unserer Exporte brauchen, um unsere Zahlungsbilanz zu schützen und unsere Truppen im Ausland zu bezahlen, entsteht jenseits des Atlantiks ein gewaltiger neuer Markt.«|

Für diese US-Position gab es damals drei gute Gründe. Erstens waren die USA mit großem Abstand Weltmarktführer; der Anteil der US-Wirtschaft am Weltmarkt lag bei 16 Prozent, der westdeutsche bei sieben und derjenige Frankreichs bei fünf Prozent. Der britische Anteil an den gesamten Exporten lag noch bei zehn Prozent, wobei Großbritannien damals kein EWG-Mitglied war.

Zum zweiten spielten in dieser Periode US-Konzerne innerhalb Europas eine deutlich größere, teilweise eine dominante Rolle. 1960 stammten von allen weltweit hergestellten Pkw noch 50 Prozent von den Fließbändern in US-Fabriken, wobei es in den USA nur »nationale« Pkw-Hersteller gab: General Motors (GM), Ford, Chrysler und American Motors. 25 Prozent stammten aus Europa, wobei damals ein gutes Drittel der europäischen Pkw-Produktion auf Produktionsstätten der US-Konzerne in Europa entfiel, also auf die Pkw-Fertigung bei GM Europe (bzw. die der GM-Töchter Opel und Vauxhall in Europa), auf Ford Europe und auf die damalige Chrysler-Tochter Simca (die später als »Talbot« bei Peugeot landete und inzwischen vom Markt verschwand). Rund zehn Prozent der weltweiten Pkw-Fertigung entfielen 1960 auf Japan. Ähnlich sah es in anderen wichtigen Branchen aus. Unter diesen Bedingungen profitierten die US-Konzerne in erheblichem Maß von einem wachsenden europäischen Binnenmarkt.

|Neue Blockkonkurrenz|

Vor allem aber gab es zum Zeitpunkt der zitierten Kennedy-Rede – drittens – noch ein gemeinsames »höheres« Ziel aller kapitalistischen Länder: die Rückgewinnung der Kontrolle über diejenigen Gebiete, die seit 1917 (Rußland) bzw. seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Mittel- und Osteuropa und China) bzw. in der Zeit des Kalten Kriegs (Kuba, Indochina) einen nichtkapitalistischen Weg eingeschlagen hatten. Solange dieses Ziel den Kapitalismus einte, solange standen gemeinsame Institutionen wie die NATO oder allgemeine politische Orientierungen wie die »transatlantische Zusammenarbeit« im Zentrum. Die innerimperialistische Konkurrenz war in dieser Periode teilweise verdeckt und schwelend. Allerdings hatten sich im Rahmen dieser fortgesetzten »stillen« Konkurrenz die Kräfteverhältnisse bereits erheblich verändert. Die westeuropäischen und die japanischen Konzerne und Banken eroberten von Jahr zu Jahr mehr Terrain und drängten die US-Konzerne zurück.

Insofern war die »Wende« 1989/90 auch eine Wende hinsichtlich der Dynamik, mit der sich der Kapitalismus bewegt. Mit dieser historischen Zäsur entfiel nicht nur die eine und andere soziale Rücksichtnahme. Es entfiel vor allem das übergreifende Interesse des Kapitals, die Kräfte gemeinsam darauf zu orientieren, die Arbeitskraft der mehr als 1,5 Milliarden Menschen in der UdSSR, in Mittel- und Osteuropa, in China und Indochina auszubeuten. Damit aber brach die innerkapitalistische Konkurrenz offen aus. Die Blockkonkurrenz verschärfte sich deutlich. Fast unmittelbar nach dieser Wende schlossen sich 1994 zunächst die USA und Kanada zur NAFTA zusammen, zum |North American Free Trade Agreement|. Kurz darauf wurde Mexiko in diesen Block einer nordamerikanischen Zollunion einbezogen. Derzeit versucht die US-Regierung, einen noch größeren Wirtschaftsblock zu schmieden, der auch Mittel- und Südamerika einschließt.

Fast zur selben Zeit wurde in der EG der »Maastricht-Vertrag« abgeschlossen. Während sich fast vier Jahrzehnte lang die innereuropäische Entwicklung im Schneckentempo vollzog, wurde nun mit dem Maastricht-Vertrag ein ehrgeiziger Zeitplan vorgegeben: Schaffung einer Europäischen Zentralbank, Abschottung der EU nach außen (Schengener Abkommen), Schaffung einer EU-Währung und EU-Osterweiterung. Mitte 2004 sind alle diese Ziele realisiert.

Die aktuellen innerimperialistischen Kräfteverhältnisse sind von einem krassen Widerspruch geprägt. Das führende EU-Land BRD war 2003 Exportweltmeister – deutlich vor den USA liegend. Die EU als Ganzes liegt bei den Weltmarktanteilen nochmals deutlicher vor dem nordamerikanischen Block NAFTA. Es gibt nur noch wenige Branchen, in denen US-Konzerne führend sind – so mit Microsoft im Bereich der PC-Software. Anfang 2004 konnte im wichtigen Segment der Herstellung von zivilen Flugzeugen der europäische Konzern Airbus erstmals Boeing von Platz Eins verdrängen.

Auf der anderen Seite ist die militärische Macht der USA unangefochten. Dies wurde im April 2004 deutlich. Damals zielte die Strategie des »shock and awe« (das Schockieren und in Ehrfurcht erstarren lassen) nicht nur auf das irakische Militär; sie wurde auch mit Blick auf die Militärs in Rußland, China und Europa in Szene gesetzt. Die aktuellen US-Rüstungsausgaben betragen mehr als 40 Prozent der weltweiten und mehr als das Doppelte der Rüstungsausgaben, die die EU-Länder in der Summe aufbringen.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, sondern logisch, daß ein Kernpunkt im Entwurf der neuen EU-Verfassung, auf den sich die 25 Regierungen der erweiterten EU am Wochenende nach der EU-Wahl einigten, in der »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« und in der Verpflichtung zur Aufrüstung besteht.

Die wirtschaftliche und militärische Hegemonie deckten sich in der Geschichte des Kapitalismus immer. Vor ziemlich genau 100 Jahren hatten wir eine vergleichbare Situation und einen ähnlichen Widerspruch. Damals, am Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde der britische Imperialismus zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet von den USA auf Platz Eins abgelöst. Militärisch blieb er weiter die Nummer Eins. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieser Widerspruch aufgelöst – die USA rückten auch militärisch auf Rang Eins. Diese Doppelhegemonie wurde mit dem Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegsperiode zementiert. Die jetzt wieder gespaltene Hegemonie mit einer führenden Militärmacht USA und einer führenden Wirtschaftsmacht EU unter deutscher Dominanz stellt erneut einen antagonistischen Widerspruch dar, der nach einer Lösung drängt.

1) Das NS-Dokument von 1943 ist wiedergegeben in: Reinhard Opitz, |Europastrategien des deutschen Kapitals|, 1900-1945, Bonn 1994, S. 965

Der Artikel wird mit dem abschließenden zweiten Teil, [„Kerneuropa auf Kriegskurs“,]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=17 bei uns fortgesetzt.

_Winfried Wolf_
|Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ veröffentlicht.|

Weis, Margaret / Hickman, Tracy – Quell der Finsternis (Der Stein der Könige)

Dem neunjährigen Gareth wird die Ehre zuteil, eine Stellung am Hofe des Königs von Vinnengael anzutreten. Und zwar als Prügelknabe des Prinzen Dagnarus. Gareth schließt schnell Freundschaft mit dem Prinzen, gerät dabei jedoch in eine Abhängigkeit, die er später bitter bereuen wird. Zur gleichen Zeit tritt der Elf Silwyth, Spion des Schildes (Kriegsherr der Elfen), die Stellung als Hofkämmerer des Prinzen an. König Tamaros erhält von den Göttern den Stein der Könige, um Einigkeit zwischen den Völkern der Elfen, Orks, Zwerge und Menschen zu schaffen. Doch der Stein hat auch einen Haken. Während Prinz Helmos, der Thronerbe, zum Paladin wird, strebt Dagnarus selber nach dem Thron. Dabei verfällt er der Magie der Leere und bringt Unheil über das Land.

Langsam und mit Ruhe führen Weis und Hickman den Leser in die Geschichte ein. Auf den ersten 250 Seiten wird beschrieben, wie Gareth Prinz Dagnarus und den königlichen Hof kennen lernt. Dies wird so ausführlich gemacht, dass man jeden Gang, jedes Zimmer und jeden Brauch direkt vor Augen hat. Es wird allerdings nie langweilig, denn mit einer Prise Humor beschrieben, lernen wir auch die anderen, dem Fantasyleser wohlbekannten Völker kennen. Doch in diesem Roman sind die Rassen alle ein wenig anders als gewöhnlich. Da wären die Orks, die in dieser Welt ein abergläubisches Volk von Seefahrern sind, deren Oberhaupt der Kapitän ist. Die Zwerge sind erstaunlicherweise ein Reitervolk (wer hätte das gedacht). Anstatt in Höhlen zu leben, lieben sie die Weite der Steppe. Und die Elfen weisen einige Parallelen zum alten Japan auf. Geistiger Führer ist der Göttliche, in Japan der Tenno (Kaiser). Der Schild des Göttlichen ist dementsprechend der Shogun (der oberste Kriegsführer). Die Elfen leben nach einem Kodex, der sehr dem der Samurai ähnelt. Verliert ein Elf seine Ehre, wird von ihm erwartet, dass er um Beendigung seines Lebens bittet. Allerdings hat ein Elf auch keine Hemmungen, einen anderen hinterrücks zu erstechen. Die Magie dieser Welt ist den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft gewidmet. Das fünfte Element ist die Leere, deren Lehre verboten ist.

Nach 250 Seiten kommt die Geschichte dann, mit einem Zeitsprung von zehn Jahren, langsam in Fahrt. Die Fronten werden immer klarer und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Obwohl die Positionen fast aller Figuren von Anfang an klar sind, gelingt es den Autoren, ein Netz von feinsinnigen Intrigen zu spinnen. Die interessanteste und tragischste Figur ist hierbei Gareth, der es einfach nicht schafft, dem Einfluss des Prinzen zu entkommen. Obwohl dieser ein durchaus sympathisches Weichei ist, ist er neben Gareth eigentlich der „Böse“. Dadurch trägt er einen entscheidenden Teil zum verhängnisvollen Schicksal Vinnengaels bei.

Überraschenderweise hat der Verlag diesmal das Buch, obwohl 637 Seiten lang, in einem Band herausgebracht. Als erster Teil einer Reihe, von der drei Teile erschienen sind, hat der Roman trotzdem eine abgeschlossene Handlung. Und ich muss sagen, dass mich das Ende doch überrascht hat. Der zweite Band, „Der junge Ritter“, spielt 200 Jahre in der Zukunft, es tauchen dort allerdings einige bekannte Figuren wieder auf. Abgeschlossen wird die Trilogie durch „Die Pforten der Dunkelheit“, das im Frühjahr 2004 erschien.

Wer schnelle Action und große Schlachten wie in denn Drachenlanze-Romanen erwartet, der wird enttäuscht werden. Doch wer Zeit und Geduld aufbringt, sich ruhig, ausführlich und nicht ohne Humor in das Buch einführen zu lassen, der wird mit einer detailreichen und faszinierenden Welt belohnt sowie einer spannenden Geschichte, deren Ereignisse sich am Ende überschlagen.

_Markus Mäurer_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Hennen, Bernhard – Wahrträumer, Der (Magus Magellans Gezeitenwelt)

Der |Piper|-Verlag gibt derzeit deutschsprachiger Fantasy eine größere Chance in seinem Programm und setzt nicht mehr nur auf ausländische Autoren. So ist im Sommer 2003 mit „Der Wahrträumer“ auch der erste Band eines 12-teiligen Zyklus, entworfen vom vierköpfigen Autorenteam |Magus Magellan|, erschienen. Anders als viele Fantasy-Romane behandelt die Saga der „Gezeitenwelt“ nicht das unerschöpfliche Thema des „Kampfes einer Schar Auserwählter gegen das (Ur-)Böse“, sondern erschafft eine eher phantastisch-realistische Welt, für die man sachkundigen Rat von Geophysikern, Archäologen, Anthropologen und Biologen eingeholt hat. Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, welche Auswirkungen der Einschlag eines Asteroiden auf die Länder und Völker der Gezeitenwelt hat – und wie die Folgen der Katastrophe Gesellschaft und Kultur verändern können.

Der Autor von „Der Wahrträumer“, Bernhard Hennen, ist allerdings kein Neuling mehr. Mit etwa fünfzehn phantastischen und historischen Romanen, wie „Die Könige der ersten Nacht“, sowie seinen Arbeiten an Rollenspielsystemen ist er schon einer der bekannteren deutschen Autoren.

Alessandra Paresi hat es nicht leicht, in ihrem Dorf zu überleben. Die meisten verachten die Waise und halten sie für einen Unglücksbringer. Nur der Stumme Tormo und der kauzige Einsiedler Orlando halten zu ihr. Dann aber scheint das Mädchen sein Glück zu machen. Durch einen überraschenden Walfang – denn es ist auch noch ein Wagnis, die am Strand angespülten Riesen des Meeres zu töten -, wird sie zur reichsten Frau des Dorfes.

Daran kann sie sich aber nicht lange erfreuen. Eine Abordnung der Priesterschaft des |Abwesenden Gottes| erscheint. Um einen immer heller leuchtenden Stern zu bannen, sollen Auserwählte sich als Märtyrer zu Tode fasten, und Alessandra soll eine davon werden. Doch das Mädchen beginnt, auf der Reise an dem Sinn ihres Opfertodes zu zweifeln und wehrt sich dagegen. Schließlich flieht sie und kehrt zurück, aber sie findet ihre Heimat vernichtet vor. Nur wenige haben das Desaster überlebt und können berichten, was geschehen ist, unter ihnen auch ihre Freunde. Der in das Meer gestürzte Stern hat eine riesige Springflut ausgelöst. Diese verheerte die Küsten.

Ihre Verfolger brechen die Suche ab, denn durch die Katastrophe bricht Chaos aus und man benötigt jeden Glaubenskämpfer und Priester, um die Ordnung im Land aufrecht zu erhalten. Denn nicht weltliche Fürsten, sondern die Kirche des |Abwesenden Gottes| regiert hier mit strenger Hand. Einer ihrer Vertreter ist Francesco, der trotz seines Versagens, die Märtyrerin zum Heiligen Berg zu bringen, zum obersten Richter einer Provinz ernannt wird. In den nun folgenden Monaten hat er alle Hände voll zu tun, um Gerechtigkeit walten zu lassen, denn Missernten, Kälte und Hunger lassen die Menschen aufbegehren. Deshalb ist es umso wichtiger, die zu bestrafen, die sich an der Not bereichern wollen, wie etwa einen reicher Kaufherrn. Und dann ist da noch ein unheimlicher |Atemdieb|, der Menschen die Kraft raubt und sie dahinsiechen lässt. Ist er nur ein Hirngespinst der Kranken und Hungernden oder tatsächlich ein übernatürliches Wesen, das zum Erbe einer längst vergessenen Vergangenheit gehört? Bei seiner Suche nach Antworten entdeckt Francesco Geheimnisse, die einem Menschen den Tod bringen können.

Neben seinen Aufgaben versucht der Priester immer noch, seinen Fehler wieder gut zu machen, und lässt Alessandra, die sich mittlerweile mit Tormo und Orlando in die Berge zurückgezogen hat, jagen, bis man ihm auch dies verbietet, da andere Aufgaben wichtiger scheinen.

Die junge Frau findet indessen Unterstützung bei einer Gruppe, die gegen die strenge Herrschaft der Kirche aufbegehrt, aber um dort wirklich anerkannt zu werden, soll sie ein Zeichen setzen, und den |Atemdieb| erledigen, der in einer Stadt sein Unwesen treibt. Das bedeutet für sie aber auch, sich unter den Augen ihrer Häscher zu bewegen. Der alte Orlando ist bei diesem Unterfangen an ihrer Seite, doch auch er ist in Gefahr, da er auf der Todesliste der Kirche steht, wie sich nun herausstellt.

Fern dieser Ereignisse versucht der Seruun, die Anfeindungen verschiedener Angehöriger seines Volkes zu überleben und eine neue Heimat bei einem anderen Stamm zu finden. Der junge |Geistertänzer| ist ein mächtiger Schamane, der nicht nur die Rituale beherrscht, sondern auch über mächtige Kräfte gebietet. In seinen Träumen vermag er, die Zukunft zu sehen, doch wer hört schon gerne auf jemanden, der nur Not, Verzweiflung und Katastrophen, wie einen langen Winter, voraussieht. Erst als seine Ahnungen eintreffen, vertraut man seinem Wort, dass es besser ist, in den Süden zu ziehen, aber auch dort sind die Nomaden Widerständen ausgesetzt – durch Einheimische, die ihr Land verteidigen…

Die Idee, eine Welt zu schildern, in der nach einer Katastrophe der Mensch des Menschen größter Feind ist und Magie eine weitestgehend untergeordnete Rolle spielt, ist in der Fantasy bisher nur selten verwendet worden, da das Thema leicht in die Science-Fiction abgleiten kann. Deshalb verzichtet Bernhard Hennen bewusst auf die Verwendung technischer oder wissenschaftlicher Begriffe, sondern konzentriert sich darauf, in zwei Handlungssträngen eine spätmittelalterliche Gesellschaft zu schildern, die von Glauben und Aberglauben in festem Griff gehalten wird. Nicht zuletzt orientieren sich Kirche und Ritterschaft ganz eng an christlichen Vorbildern; Kultur, Gesellschaft, Landschaftsbeschreibungen und Namen sind an die des westlichen Mittelmeeres angelehnt. Geschickt vermischt er kirchliche Intrigenspiele und mystizistische Geheimniskrämerei, wie sie aus vielen historischen Romanen bekannt sind, mit einem eher abenteuerlichen Handlungsstrang um die eigensinnige Harpunierin Alessandra. Schamanismus und Indianerromantik bringt dagegen der dritte Handlungsstrang um den |Geistertänzer| Seruun ein, der zunächst allein und später mit seiner Gefährtin Grasfeder ums Überleben kämpft.

Bernhard Hennen weiß in „Der Wahrträumer“ das Konzept geschickt und stimmungsvoll umzusetzen, so dass kaum Langeweile aufkommt. Leider hat der Roman auch Schwächen: Zwar besitzt jeder Handlungsstrang eine eigene Dynamik, die ihn vorantreibt, aber Bernhard Hennen gelingt es nicht, die drei Themen am Ende richtig zusammenzuführen oder aufzulösen. Gerade die letzten 50 Seiten des Buches wirken gedrängt und überhastet, als sich die Ereignisse um den |Atemdieb| und Alessandra plötzlich überschlagen, und werden nur zu einem geringen Teil aufgeklärt – fast so, als würden die Geschehnisse in einem weiteren Roman fortgesetzt werden. Beschreibungen von Umgebung und kulturellen Eigenheiten oder innerkirchlichen Intrigenspielen nehmen wie in einer Rollenspielkampagne einen großen Raum ein, während die Charakterisierung der Figuren eher in den Hintergrund tritt. Selbst die Hauptfiguren Seruun, Francesco und Alessandra bleiben blass und lassen sich auf wenige Züge zusammenstreichen, der interessante Hintergrund einiger Nebenfiguren wird nicht weiter ausgeführt. Action und Spannung wird durch äußere Elemente wie Folter erzeugt.

Daher werden vor allem Leser, die dem Rollenspiel offen gegenüberstehen, auf ihre Kosten kommen. Trotzdem bleibt zu wünschen, dass die zukünftigen Autoren des Zyklus, Hadmar von Wieser, Thomas Finn und Karl-Heinz Witzko, auch der Geschichte und den Charakteren ein wenig mehr Raum geben. Auf jeden Fall lohnt es sich, das Projekt erst einmal weiter zu verfolgen, da es sich abseits der üblichen Genrethemen bewegt.

_Christel Scheja_ © 2003
|mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ |

Heitz, Markus – Schatten über Ulldart (Die Dunkle Zeit 1)

In den letzten Jahren hat sich eine auffällige Entwicklung bei den Verlagen ergeben: Man entsinnt sich immer öfter einheimischer Autoren und schielt nicht mehr länger nur über den großen Teich, um sich dort die Sahnehäubchen abzufischen. Aus finanziellen Gründen – amerikanische Verlage haben die Kosten für Lizenzen drastisch erhöht, ohne zu begreifen, dass der deutsche Markt einen Bruchteil der Größe des englischsprachigen besitzt – werden neben Wolfgang Hohlbein und Bernhard Hennen auch immer öfter unbekanntere Autoren gefördert, die zumindest etwas Schreiberfahrung besitzen, wie etwa Markus Heitz, der Autor des Zyklus um „Die dunkle Zeit“, von dem bei |Heyne| auch zwei |Shadowrun|-Romane erschienen sind und der nunmehr mit „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“ Erfolge feiern konnte.

Vor etwas mehr als 400 Jahren überzog der Eroberer Sinured mit seinen Horden und der Macht des gebrannten Gottes Tzulan den Kontinent Ulldart mit Angst und Schrecken. Menschenopfer und Zerstörungen, Krieg, Not und Leid wurden erst beendet, als die Mutigsten der unterdrückten Völker mit Hilfe ihres Schutzgottes Ulldrael Sinured besiegten und damit auch dem Gott die Macht nahmen. Magie wurde verbannt und alle Spuren beseitigt. Ulldart kehrte zum Frieden zurück. Dennoch lebte man seither in Furcht vor einer Rückkehr Sinureds und Tzulans, die für ein Jahr angekündigt wurde, in dem alle drei Zahlen gleich waren. Doch die Jahre 111 bis 333 verstrichen ereignislos und die Menschen begannen wieder zu hoffen.

Nun naht aber das Jahr 444. Eine neuerliche Prophezeiung spricht von einem Mann, der das Schicksal Ulldarts in den Händen hält: Lodrik, der Thronerbe von Tarpol. Doch dieser ist ein fetter, fauler und träger Knabe von 14 Jahren, den man gemeinhin den „Keksprinzen“ nennt.

Die Handlung setzt ein, als sein Vater, der dem genießerischen Treiben seines Sohnes nicht länger zusehen kann, den jungen Prinzen als Gouverneur in die Verbannung schickt. Im einsamen Granburg soll er lernen, ein Mann zu werden. Nur sein Lehrer und Berater Stoiko und eine kleine Leibgarde unter dem rauen, geheimnisvollen Waljakow begleiten den Jungen, der zunächst mit seinem Schicksal hadert, dann aber plötzlich Ehrgeiz entwickelt, als er Gefühle für Norina Miklanowo, ein kluges, aber schnippisches Mädchen, entwickelt und von seiner älteren Cousine Aljascha zutiefst gedemütigt wird. Er beginnt abzunehmen, seine Waffenübungen zu vertiefen und die Politik aufmerksamer zu beobachten. Das ist auch bitter nötig, denn sein Vorgänger will Lodrik das Amt des Gouverneurs nicht kampflos überlassen, und er muss sich mehrfach der Anschläge unbekannter Attentäter erwehren.

Der Prinz reift mit Hilfe von Stoiko und Waljakow zu einem verantwortungsvollen Regenten heran, der Güte und Gerechtigkeitssinn besitzt, aber auch gnadenlose Härte zeigen kann. So gewinnt er auch das Herz Norinas, die wie er von einer besseren und gerechteren Zukunft für das ganze Volk Tarpols träumt und die Rechte des Adels beschneiden möchte. Das Glück scheint vollkommen.

Doch dann stirbt Lodriks Vater, und als neuer Kabcar, d.h. Herrscher von Tarpol, muss Lodrik seine Cousine Aljascha heiraten, um ein Bündnis mit den nachbarschaftlichen Baronien zu festigen. Das führt jedoch zu Krieg mit einem Nachbarland, das ebenfalls Ansprüche auf die Baronien erhebt. Als sei dies nicht genug, löst Lodrik durch seine tiefgreifenden Reformen zur Verbesserung der Lebensbedingungen des einfachen Volkes einen Aufstand des Adels aus.

In dieser Krisenzeit taucht der geheimnisvolle Mortva Nesreca auf, der behauptet, ein entfernter Cousin Lodriks zu sein. Trotz der Warnungen seiner väterlichen Freunde Stoiko und Waljakow hört Lodrik von nun an auf die Einflüsterungen Nesrecas, der ihm eine glorreiche Zukunft verheißt, wenn er nur seinen Weg weiter geht und Widerstände aus dem Weg räumt. Warum soll er nicht ganz Ulldart seine Reformen bringen?

Und wie durch einen Wink des Schicksals wird der Adelsrat Tarpos vergiftet und der Feind an den Grenzen besiegt – durch einen unerwarteten Helfer. Sinured ist aus den Tiefen seines Grabes auferstanden, um Lodrik beizustehen.
Berauscht von seinen Erfolgen, vertraut der junge Herrscher seinem neuen Berater immer mehr und stößt die alten Freunde von sich. Selbst Norina, seine Geliebte, muss fliehen, obwohl sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trägt. Waljakow begleitet sie, um das Kind zu beschützen, Stoiko aber landet im Kerker. Von Mortva Nesreca überzeugt, lässt auch Aljascha ihren Abscheu gegen Lodrik fallen und schenkt ihm drei Kinder.

Lodrik feiert einen Sieg nach dem anderen und glaubt immer noch, Ulldart Glück und eine glorreiche Zukunft zu schenken, denn Mortva schenkt ihm durch die Einführung von Schusswaffen einen Vorteil gegenüber den anderen Reichen.

Fünfzehn Jahre später hat Tarpol bis auf ein Reich an der Südspitze des Kontinents ganz Ulldart erobert, und auch der Fall dieses Landes steht bevor. Dann jedoch begreift Lodrik, dass er in all den Jahren nur von seinen vermeintlichen Freunden benutzt worden ist, um die Macht Tzulans zu stärken und dessen Rückkehr vorzubereiten. Er versucht noch, sich mit der Macht des Herrschers gegen seine Frau und seinen Berater zu stellen – aber zu spät. Seinen Sturz besiegelt jemand, von dem er es am allerwenigsten vermutet hätte. Nun scheint „Die dunkle Zeit“ nicht mehr aufzuhalten zu sein …

Man mag von der deutschen Fantasy denken, was man will, aber in den letzten Jahren beweist gerade die jüngere Generation, dass Romane und Erzählungen aus unseren Landen nicht nur märchenhaft, versponnen oder belehrend sein müssen, sondern auch einfach nur abenteuerlich unterhalten dürfen. Dabei folgt man hier durchaus den gängigen Trends, wie sie in Amerika vorgegeben werden. Roman-Zyklen im Stil von Rollenspiel-Romanen, die in den 80er Jahren ihren Siegeszug antraten, sind dort keine Seltenheit, wie R. A. Salvatore und Robert Jordan mit ihren Romanen beweisen, die in eigenerdachten Welten spielen.

Markus Heitz folgt mit dem Zyklus um „Die dunkle Zeit“ der Tradition. Seine Romane sind eindeutig auf die Zielgruppe ausgerichtet, die man der Fantasy allgemeinhin zuordnet, dem jugendlichen Leser, der vertraute Kulturen, in die man sich nicht erst seitenlang einlesen muss, eine spannende, aber gradlinige Handlung und einfache Charaktere bevorzugt, die sich genau so verhalten, wie man sie sich als Jugendlicher vorstellt. Nicht die Weiterentwicklung der Personen und das Zusammenspiel der Figuren stehen im Vordergrund, sondern die Präsentation von neuen Waffen, detaillierte Schilderungen von Kriegen, Kämpfen und neuen Strategien – die auf ein nachvollziehbares Maß vereinfacht sind.

Subtile Beschreibungen von Verhaltensweisen, die auf den Charakter einer Person hinweisen, fehlen ganz, es wird klipp und klar gesagt, dass Person X genüsslich die nächsten Schritte plant, um den Kabcar zu verführen, Figur Y eine sexsüchtige, machtgierige und auf ihr Äußeres fixierte rothaarige Giftspritze ist und Charakter Z ein wilder, fröhlicher Wikinger-Freibeuter mit Herz und Übermut.

Auch die übrigen Personen lassen sich auf gängige Archetypen mit nur wenigen herausragenden Eigenschaften reduzieren: den rauen, geheimnisvollen Waffenmeister mit durchschlagender Kampfkraft und liebevollem Herz oder den weisen und väterlichen Lehrer, der den jungen Helden auf den richtigen Weg zu bringen versucht.

Humorvolle, aber auf Dauer etwas nervige Abwechslung, bieten der Feinschmecker-König von Ilfaris und sein Hofnarr, die auch für den unaufmerksamsten Leser die Entwicklung der ulldartschen Politik zusammenfassen, wenn sie nicht der Erforschung der neusten Kreationen ihrer Konditoren frönen.

Die Frauenfiguren des Zyklus sind auf die heute üblichen Rollen als Geliebte des Helden mit Mutterrolle, machtgierige und intrigante Hure im Herrscherkostüm, zufriedene Hausfrau oder geschlechtslose Kameradin im Kampf gegen die anderen reduziert, führen aber kein eigenständiges Dasein.

Weitere vertraute Inhalte dürfen nicht fehlen: Magie ist hier zunächst verbannt und auf die reine Heilkunst reduziert. Natürlich zeigt der Held entsprechende Fähigkeiten und wird wie ein gewisser junger Jedi-Ritter mit der Macht seiner Gaben vertraut gemacht und zum Bösen verführt. Sie gewinnt im Laufe des Zyklus einen immer größeren Stellenwert als Waffe der Bösen und der Guten.

Wichtiger für den Fortlauf der Handlung ist die Entwicklung und Benutzung von pulverbasierenden Schusswaffen, wobei wenig auf wissenschaftliche Logik bei der Einführung und Weiterentwicklung der Waffen gelegt wird – sie sind einfach da und werden benutzt, wie man sie braucht.

Mit Kreaturen wie dem wieder auferstandenen Sinured, der untoten Priesterin Belkala, die als Vampirin Blut und Fleisch Lebender benötigt, oder nicht zuletzt den geheimnisvollen grünhaarigen und spitzzähningen Kensustrianern, die sich nicht in die Karten schauen lassen, werden auch die Monster und Fremdrassen-Fans zufriedengestellt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zyklus um „Die dunkle Zeit“ durchaus spannende, gefällig geschriebene Unterhaltung bietet, die erst im fünften Band nachlässt, da die sich dort überstürzende Handlung Brüche und Längen zeigt, als ob der Autor den Zyklus schnell zu einem Ende bringen wolle. Die fünf Romane verlangen insgesamt keine großen Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Lesers und sind gut zu konsumierende Bahn- und Urlaubslektüre – solider Durchschnitt, der einem aber nicht längerfristig im Gedächtnis haften bleibt.

Wer jedoch hintergründige, ineinander verwobene Handlungsstränge sucht, bei denen nicht alles gleich verraten wird, über interessante Charaktere mit nachvollziehbaren Entwicklungen lesen möchte, die einem im Gedächtnis bleiben, oder etwas mehr Logik in den Beschreibungen von Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur erwartet, könnte ziemlich enttäuscht werden.

_Christel Scheja_ © 2004
|mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ |

Clute, John – Sternentanz

In der Dämmerung des vierten Jahrtausends ist für den Händler Nathanael Freer alles „business as usual“. Die „Fliesentänzer“, sein Schiff, ist in den sicheren Händen von KathKirtt, einer künstlichen Intelligenz mit zwei Bewusstseinen, und einer loyalen Crew aus kybernetischen und androiden Helfern.
Freer lebt in einer Welt, in der Menschen mit zahllosen anderen Lebensformen auf tierischer, pflanzlicher oder quantenelektronischer Basis eine lockere Gemeinschaft bilden. Überlichtschnelle Raumschiffe, Nanotechnik und intelligente Daten-Netzwerke erlauben ein hohes zivilisatorisches Niveau, führen aber auch zu einer extremen Abhängigkeit von der Technik. Der so genannte „Schimmel“, eine Art Systemabsturz, verursacht durch Datenrückstau, wird in zunehmendem Maße ein schwerwiegendes Problem, dem ganze Welten zum Opfer fallen. Die weniger anfälligere, aber veraltete Technik wird plötzlich zu einer heißbegehrten Handelsware.
Freers letzter Auftrag lautete, eine Schiffsladung Materie-Compiler von dem ziemlich heruntergekommenen Planeten Schanzer an Bord zu nehmen und zu einem zunächst unbekannten Bestimmungsort zu bringen. In seinen eigenen Worten ist alles „okey-dokey“. Doch schon bald gerät er zwischen die Fronten einer uralten Auseinandersetzung, deren Wurzeln in der fernsten Vergangenheit liegen und deren Ausgang die Zukunft des gesamten Universums bedrohen kann.

Selbst wenn man eine hohe Anzahl von verschiedenen Möglichkeiten annimmt, so muss man am Ende doch feststellen, dass die Science-Fiction-Literatur sich immer wieder auf ausgetretenen Pfaden bewegt, so ähnlich, wie wir immer den gleichen Weg von der Arbeit nach Hause fahren.
Wenn wir einen Sci-Fi-Roman aufschlagen, können wir bestimmte Situationen, Schauplätze und Charaktere erwarten und in der Regel werden wir da auch nicht enttäuscht. Völlig wertungsfrei kann man feststellen, dass nahezu das gesamte Genrepotenzial mit vollen Händen verschenkt wird und man keineswegs ein Interesse daran zeigt, mal etwas völlig Anderes auszuprobieren, aber …

… aber es gibt natürlich Ausnahmen zu dieser goldenen Regel, eine kleine Gruppe von Autoren, die Sci-Fi mit Vision gleichsetzen, auf inhaltlicher ebenso wie auf sprachlicher Ebene. Es ist an dieser Stelle nicht nötig, andere Namen zu nennen, da werden wohl jedem ein paar einfallen; hier soll es vielmehr um die Frage gehen, ob wir einen weiteren Autor in diesem erlesenen Kreis begrüßen dürfen.
John Clutes „Sternentanz“ sticht auf jeden Fall aus der Masse der Sci-Fi-Literatur heraus, daran kann schon einmal kein Zweifel bestehen. Mit seinem ersten Roman hat der gefeierte und einflussreiche Kritiker Clute die Frage beantwortet, was er denn nun, da er mit „Science-Fiction. Die illustrierte Enzyklopädie“ ein Standardwerk vorgelegt hat, eigentlich mit seiner Zeit anfangen will.

„Sternentanz“ ist einfach anders, so, als läse man einen Roman aus der fernen Zukunft. Vermutlich wird man auch noch in vielen hundert Jahren Romane schreiben, aber ein Buch, das irgendwie beispielsweise aus dem 24. Jahrhundert zurückkäme, wäre vermutlich ziemlich unverständlich für uns. Das ist vielleicht die treffenste Umschreibung für „Sternentanz“; was Cute auf gerade einmal 363 Seiten packt, sind genug Bilder, Ideen und Neologismen, um eine ganze Armada an Weltraumschiffen mit Treibstoff zu versorgen.
„Sternentanz“ verhält sich zu anderen Sci-Fi-Büchern wie ein Raumschiff zu einem Kleinwagen – gewiss, beide fahren mit dir irgendwo hin, aber ersteres bringt dich auf eine Art und Weise, an die du nie gedacht hast, an Orte, von denen du nicht einmal zu träumen gewagt hast.

Darin liegt natürlich auch das Manko des Romans – „Sterntanz“ ist mit Sicherheit eines nicht: leicht zu lesen. Tatsächlich ist das Internet voll von Beschwerden über Clutes unverständliche und vermeintlich sinnfreie Sprache, aber lasst euch nicht täuschen und bildet euch eure eigene Meinung. Ein anderer Kritiker hat einmal über dieses Buch gesagt: „Wenn du der Typ bist, der einen doppelten Espresso mag, dann ist das definitiv deine Tasse Kaffee.“
Es ist vielleicht kein Buch für jeden Leser, aber das sollte es sein. In ein paar Jahren, da bin ich mir fast ganz sicher, wird „Sternentanz“ ein Klassiker sein, der zu den großen Standardtexten des Genres gehört.

_Marcel Dykiert_
|Diese Rezension wurde in Kooperation mit unserem Partnermagazin [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Egan, Greg – Diaspora

Die Menschheit steht an der Schwelle zum vierten Jahrtausend, und einiges hat sich verändert. Ein Großteil der Menschheit existiert als sich selbst bewusste Software – entweder in einer der Poleis (einer Art Rechenzentrum) oder innerhalb von Roboterkörpern, den Gleisnern, und ist untereinander komplett vernetzt. Die körperlich lebende Menschheit lebt noch auf der Erde, während die Poleis und die Gleisner das Sonnensystem erkundet und eingenommen haben. Die Körperlichen wollen nichts von den innerhalb der Software vergeistigten Menschen wissen; und so existiert ein Vertrag, der den Bewohnern der Poleis und den Gleisnern verbietet, sich bestimmten Gegenden der Erde zu nähern – etwas, das diese sowieso nicht besonders interessiert.

In die Konishi-Polis wird ein Waisenkind geboren – ein neuer Mensch, dessen Parameter jedoch nicht von realen Eltern, sondern von einer Art Geburtssoftware festgelegt wurden. Dieser Vorgang ergibt sich häufiger, will die Software hiermit doch verschiedene unbekannte Parameter in ihrer Wirkung aufeinander erkunden. Im Rahmen der Bewusstwerdung verleiht sich das Waisenkind den Namen „Yatima“ – und erkundet nicht nur die Welt der Poleis und des Netzes im Allgemeinen, sondern bricht auch zur die Erde auf, wo hie im aufgegebenen Körper eines Gleisners die körperliche Menschheit besucht. Hie und hein Begleiter werden freundlich aufgenommen – zu diesem Zeitpunkt weiß aber auch noch niemand, dass sie in wenigen Jahren wieder in die Enklave der Körperlichen zurückkehren werden, diesmal jedoch mit einer Warnung vor einer kosmischen Katastrophe, die die körperliche Menschheit vernichten wird.

Nachdem bereits die Gleisner die Grenzen des Sonnensystems verlassen haben, beschließen auch die Bürger der Poleis eine Diaspora, um ein Volk zu suchen, das ihnen die Hintergründe für die kosmische Katastrophe erklären könnte. Doch anders als die Gleisner versuchen Bürger der Konishi-Polis, die anderen Sterne durch Wurmlöcher zu erreichen. Bis dies jedoch gelingt, ist noch viel (Forschungs-)Arbeit vonnöten…

Gleich eins vorweg: Die zwischendurch auftauchenden Ausdrücke „hie“ und „hein“ im Handlungsanriss haben durchaus in dieser Form ihre Berechtigung. Denn Greg Egan verwendet diese als neutrale Personalpronomen – schließlich hat ein körperloser Mensch innerhalb einer Software nur schwerlich ein Geschlecht. Und Greg Egan verwendet dieses neutrale Pronomen fast konsequent (kleinere Ausrutscher können allerdings passieren) – wie schon in seinem vorherigen in Deutschland erschienen Roman „Qual“. Dies macht den Roman zwar einerseits am Anfang recht schwer lesbar, wer jedoch „Qual“ gelesen hat, sollte problemlos damit zurechtkommen. Allerdings verzichtet man hier darauf, diese Personalpronomen noch einmal vor dem Roman zu erwähnen – einzig und allein im umfangreichen und mehr als nur notwendigen Anhang wird kurz auf ihre Bedeutung verwiesen. Für Leser, die „Qual“ nicht kennen, wird die Sache also deutlich undurchschaubarer…

Undurchschaubar wird dieser Roman jedoch auch für so ziemlich jeden, der sich nicht mit dem neuesten Stand der Forschung in Sachen Physik und Astronomie auskennt. Denn Greg Egan bezieht sich stark auf neueste Erkenntnisse und erweitert diese in einem Umfang, der den Leser schnell an die Grenzen seines Mithaltevermögens kommen lässt. In manchen Teilen erinnert „Diaspora“ weit mehr an einen physikalischen Sachtext als an einen Roman – und dies nicht nur, weil Egan konsequent jede Lesbarkeit durch Verwendung fachspezifischer und sonstiger Fremdwörter vermeidet, worunter der Roman im Allgemeinen stark leidet. Hat Egan bei „Qual“ noch recht human mit seinen Theorien um sich geworfen, so übertreibt er es in „Diaspora“ meines Erachtens dann doch ein ganzes Stück, da er stark an die Grenzen der Abstraktions- und Vorstellungskraft des Lesers stößt und an vielen Stellen weit darüber hinausgeht. Zum wirklichen Verständnis des Romans ist wahrscheinlich eine Promotion in Physik und Mathematik erforderlich – Voraussetzungen, die wohl nur der geringste Teil der Leserschaft erfüllen dürfte… Dabei ist der Roman an sich hochfaszinierend – ein bekannter Vulkanier würde mir hier sicherlich zustimmen… Ähem…

Wenn man bereit ist, zuzugeben und zu akzeptieren, dass man weite Teile der physikalischen und mathematischen Hintergründe nicht versteht und in der Lage ist, diese als einfach so gegeben anzunehmen, sie nicht nachzuvollziehen versucht, sondern teilweise einfach darüber hinwegliest, eröffnet sich dem Leser jedoch eine faszinierende Welt. Allein schon die ersten rund 50-60 Seiten, die nur die Entstehung und Selbstfindung des Waisenkindes Yatima behandeln, sind zwar sicherlich nicht in allen Schritten wirklich nachvollziehbar, erreichen jedoch durch die innere Handlung schon ein Niveau von Spannung und Interesse, das man bei anderen Autoren lange suchen wird. Und es gelingt Egan, diese Form über den weiteren Roman durchzuhalten. Auch wenn man bei weitem nicht alle Hintergründe versteht – man will über weite Strecken einfach nicht aufhören zu lesen. Und dies ist ein Phänomen, das dem Autor bereits in „Qual“ gelungen ist und sich hier fortsetzt – wenn auch zugegebenermaßen lange nicht in diesem Maße.

Greg Egans Romane sind jedenfalls auf keinen Fall für die breite Masse geeignet – hier entwickelt sich jedoch ein Nischen-Autor, der seinesgleichen sucht. Für all jene, die „gehobene SF“ bevorzugen, ist Egan jedenfalls ein Muss – der normale Entspannungsleser sollte jedoch wohl am besten die Finger davonlassen. Und auch der Physikstudent sollte zum wirklichen oder auch nur ansatzweisen Verstehen des Romans schon einmal einen Monat in einer gutsortierten Uni-Bibliothek einplanen, wenn er die Gedankengänge wirklich nachvollziehen will.

_Winfried Brand_ © 2002
|mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ |

Meyer, Kai – Haus des Daedalus, Das

Die junge Restauratorin Coralina entdeckt bei ihren Restaurationsarbeiten in der Kirche Santa Maria del Priorato in einem Hohlraum die originalen Carceri-Kupferplatten von Giovanni Battista Piranesi. Mit der Absicht, sich als Kunsträuber zu betätigen, lockt sie ihren Bekannten Jupiter nach Rom, damit dieser als Kunstdetektiv ihr dabei evtl. helfen kann. Doch Jupiter weigert sich, an einem Kunstdiebstahl teilzunehmen, und überredet Coralina, ihren Fund zu melden, was dieser in Hinsicht der Geldschwierigkeiten, in der sie und ihre Großmutter, die Shuvani, stecken, nicht gerade leicht fällt. Doch schließlich willigt sie ein.

Später jedoch eröffnet sie Jupiter, dass sie nicht nur die 16 bekannten Carceri-Platten entdeckt hat, sondern noch eine siebzehnte, die sie bereits vorher aus der Kirche geschmuggelt hatte – zusammen mit einer vorchristlichen Tonscherbe, in die nachträglich Zeichen eingeritzt wurden. Auf der siebzehnten Platte ist jedoch neben der alptraumhaften Szenerie der anderen Stiche des Zyklus auch das Abbild eines Schlüssels enthalten. Jupiter ist nicht gerade erfreut über diesen Alleingang, doch kann Coralina ihn erst einmal davon überzeugen, dass der Diebstahl dieser Artefakte sicherlich nicht bemerkt werden wird, da sie der Öffentlichkeit unbekannt sind.

Jupiter beginnt, sich für die Geschichte dieser unbekannten Objekte zu interessieren, und stößt bereits bei seinen ersten Erkundigungen auf einen Sumpf von Intrigen und Mord. Jemandem im Vatikan scheint sehr daran gelegen zu sein, die beiden Objekte an sich zu bringen, doch bleibt Coralina und Jupiter nur eine Lebensversicherung: Sie müssen die Artefakte behalten.

Währenddessen befindet sich ein Kapuziner-Mönch auf der Flucht. Drei seiner Brüder sind beim Abstieg in ein geheimnisvolles Gewölbe ums Leben gekommen – der letzte von ihnen hat eine Videokamera und sechs Kassetten zurück an die Oberfläche gebracht, bevor er seinen Wunden erlag. Santino, der am Anfang der Treppe Wache gehalten hat, flieht nun vor dem Stier und seinen Gefolgsleuten und hat nur noch ein einziges Ziel: Die sechs Videobänder zu betrachten, bevor er ermordet wird. Er muss einfach wissen, was seinen Brüdern wiederfahren ist, die Band um Band eine titanische Treppe hinuntersteigen…

Huch? Was ist denn dies für ein Kai-Meyer-Roman?!? Gänzlich ungewohnte Aspekte eröffnen sich dem Leser, die er bisher von diesem Autor nicht gewohnt war. Zwar ist ein gewisser Einfluss des historisch-phantastischen Romans durchaus zu spüren, doch bewegt sich der Autor hier recht stark von seinen bisherigen Werken hinweg. Fast vermeint der Leser, hier die Einflüsse von King (erzählerische Virtuosität), Poe (geschickt aufgebauter Schauerroman) und Lovecraft (in den Wahnsinn treibender Horror) zu erkennen – und auf der Ebene des Kapuziner-Mönchs macht sich auch noch ein „Blair Witch“-Gefühl breit.

Kai Meyers Roman nur als reine Mischung all dieser Ingredienzen abzutun , ist zwar vordergründig vielleicht richtig, nichtsdestotrotz jedoch absolut falsch, wenn man sich dieses Werk genauer ansieht. Meyer „entleiht“ hier nur selten (stilistische) Motive, sondern erfindet sie neu, und das in einer Virtuosität, die seine bisherigen Werke bei weitem übertrifft. Mit „Das Haus des Daedalus“ hat Kai Meyer sein bisheriges Meisterstück abgeliefert.

Allein schon der Aufbau des Romans vermag den Leser von der ersten Seite an zu fesseln. Meyer gelingt das Kunststück, bereits im ersten Kapitel einen Spannungsbogen aufzubauen, den er bis zum Ende durchzuziehen in der Lage ist. Wo andere Autoren die Hälfte des Roman benötigen, reichen Kai Meyer gerade mal vielleicht 20 Seiten – ein Loslösen von der Handlung ist bereits zu diesem Zeitpunkt kaum mehr möglich. Zu stark wird man von der Intensität des psychologischen Horrors gefangengenommen, der immer wieder durch recht reale und heftig geschilderte Szenen unterbrochen wird. Kai Meyer ist dabei in der Lage, Lovecraftsche Intensitäten auch ohne Ich-Erzähler zu entwickeln. Stattdessen setzt er auf die Charakterisierung seiner Hauptpersonen, die in ihrer Plastizität die Identifikationsfiguren für den Leser bilden, der mit ihnen mitleidet und dem die Haare buchstäblich zu Berge stehen – und das rund 350 Seiten lang.

Da verzeiht man Kai Meyer gerne die kleineren Unstimmigkeiten, bei denen es manchmal scheint, als ob er mit Zahlen nicht gerade besonders gut umgehen könne. So gibt es anfangs sechs Videokassetten; unter der Brücke sieht sich Santino jedoch die zweite von dreien an…

Auch die Frage, weshalb die Mönche nun mindestens sechs Videokassetten à 4 Stunden mitnehmen, wenn sie ein ihnen unbekanntes Gewölbe betreten, ist nicht ganz geklärt… Vor allem, wenn man erfährt, dass der Eingang zu diesem Gewölbe innerhalb einer Touristenattraktion zu finden ist. Hier sollte wohl kaum die Möglichkeit gegeben sein, mal eben einen Tag Wache zu stehen, bis der letzte Bruder mit den Kassetten zurückkommt (wir erinnern uns: 6 Kassetten à 4 Stunden…), ohne dass dies irgendjemandem auffällt, oder?

Abgesehen davon ist es doch recht unwahrscheinlich, dass die drei Mönche eine Videokamera mitgenommen haben, die Standard-Kassetten für die Aufnahme verwendet. Meines Wissens sind solche Kameras eigentlich niemals in den Handel gekommen – doch trotzdem muss es sich wohl um eine solche handeln, denn die zwei Standards S-VHS und VHS-C bieten keine Aufnahmekapazität von 4 Stunden pro Kassette… (Wobei die Frage, woher besitzlose Mönche wie die Kapuziner eine Videoausrüstung bekommen haben, noch gar nicht angesprochen ist…)

All dies irritiert zwar ein wenig – aber wahrscheinlich sowieso nur den Rezensenten. Der Normalleser wird diese Gedanken wahrscheinlich gar nicht hegen – vor allem, weil er vor Spannung gar nicht dazu kommt. Und schließlich: Wer fragt schon bei Lovecraft oder Poe nach Logik?!? Manche Meisterwerke brauchen nun einmal Freiraum – auch wenn es gegen die Logik ist!

Mit dem „Haus des Daedalus“ schiebt Kai Meyer sich nun jedenfalls endgültig in eine Reihe mit Andreas Eschbach. Und da sage noch einmal jemand, die deutsche Phantastik sei tot…

Fazit (und um es noch einmal zu erwähnen): Bis zu diesem Zeitpunkt Kai Meyers Meisterwerk! Hinsichtlich der atmosphärischen Dichte und spannungsgeladenen Handlung hat man von einem deutschen Autoren selten etwas Gleichwertiges gelesen. Kai Meyer fabuliert in der Tradition der großen Phantasten wie Poe, Lovecraft und King und vermengt deren Stärken zu seinem eigenen Stil. Minimale Unstimmigkeiten kann man da gerne verkraften, vor allem, wenn sie für die Handlung nicht weiter wichtig sind…

_Winfried Brand_ © 2002
|Veröffentlichung mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung durch [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de |

Manchette, Jean-Patrick – Volles Leichenhaus

Der Name Jean-Patrick Manchette (1942 – 1995) ist eng mit der Erneuerung des französischen Krimis verknüpft. Er gilt als Begründer des Neo-Polar, der französischen Antwort auf amerikanische hard-boiled Krimis. Seine Krimis zeichnen sich durch knappen Schreibstil, Sozialkritik und bitterbösen Humor aus. Er hat aber nicht bloß die amerikanischen Tradition von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett auf französischen Boden gepflanzt, sondern diesen lakonischen Schreibstil in die Post-68er-Ära übertragen. Seine Romane sind von seiner Verachtung gegen die Bourgeoisie durchzogen, deren moralischen Abgründe er bloßlegt. Dieses Thema verbindet ihn mit Chabrol, der auch Manchettes Roman „Nada“ verfilmte.

Manchette schrieb zehn Krimis, davon einige mit dem erfolglosesten Privatdetektiv aller Zeiten: Eugène Tarpon. Ferner arbeitete er noch als Drehbuchautor, denn neben der Literatur waren das Kino und der Jazz große Leidenschaften von Jean-Patrick Manchette. Und diese Leidenschaften passen wunderbar zusammen: Sein Schreibstil ist schnell und actionreich und bietet sich als Filmvorlage an. Und über allem schwebt ein leichter Hauch von Miles Davis.

Jean-Patrick Manchette starb im Alter von nur 52 Jahren in Paris. Die Romane wurden und werden vom |DistelLiteraturVerlag| (|DLV|) neu übersetzt und veröffentlicht, ältere Veröffentlichungen erschienen bei |Lübbe| und |Ullstein|.

Helden in der Tradition Chandlers und Hammetts sind Männer, die einen „Sinn für Charakter und Ehre“ haben, „nicht wissen, was (ihre) Aufgabe ist“, „einsam“ sind und deren „Stolz darin liegt, daß man (sie) wie einen stolzen Mann behandelt, oder es tut einem verdammt leid, daß man ihm überhaupt über den Weg gelaufen ist“. Sie sprechen, wie „Männer ihres Alters reden, das heißt mit rauhem Witz, mit einem lebhaften Sinn für das Groteske, mit Abscheu für Heuchelei und mit Verachtung für Kleinlichkeit.“ Sie erscheinen „in ihrer geschäftlichen Erfolgslosigkeit fast wie sozial Deklassierte“. Ihre Einmischung oder Beteiligung beginnt eher zufällig, sie werden hineingezogen und sind aktiv am Geschehen beteiligt, ohne eine Reflektion des Falles. Auf ihrer Suche nach der verborgenen Wahrheit begegnen sie der Gewalt, und Gewalt durchdringt den gesamten Alltag, in dem die Handlung angesiedelt ist (Zitate aus Chandlers Essay „The Simple Art of Murder“).

Manchettes Held Eugène Tarpon wird mit dieser Charakterisierung gut getroffen: Er ist ein ehemaliger Gendarm, d.h. er war Teil einer Ordnungsmacht, die „in Mannschaftsbussen ohne Toiletten kaserniert“ wurden und „hin und wieder Arbeiterdemonstrationen auseinandertrieben“. Während eines solchen Einsatzes tötete Tarpon einen Menschen und quittierte den Dienst. Er wird Privatdetektiv („Im wirklichen Leben beschäftigt sich ein Privatdetektiv mit Scheidungen, Geschäftsüberwachungen, und, wenn er besser dasteht als ich, mit Wirtschaftsspionage. Nicht mit Gewaltverbrechen, … denn dann muß man die Polizei rufen … „) und hält sich mit kleinen Aufträgen mehr schlecht als recht über Wasser. Man merkt ihm noch die Gewohnheiten eines kasernierten Gendarmen an, denn er spült sein Geschirr gleich nach der Benutzung oder baut sein Schlafsofa nach dem Aufstehen ordentlich zusammen. Er ist erfolglos, hat so wenig zu tun, dass sogar sein Papierkorb leer bleibt, während sich sein Kopf mit einem Nebel düsterer Melancholie füllt. Doch anstatt sich aus dem Fenster zu stürzen, tut er etwas viel Schlimmeres: Er ruft seine Mutter an und erklärt ihr, er wolle zu ihr in die Provinz zurückkehren, will wieder heim zu Muttern. Kann man tiefer fallen? Wenig später steht ein Mädchen vor seiner Tür und bittet um seine Hilfe, weil ihre Freundin ermordet wurde. Tarpon lehnt genervt ab und stolpert dennoch in eine unübersichtliche Geschichte hinein, bei der er wenig gewinnen kann – außer der Entdeckung eigener verschütteter Gefühle.

Seine Motivation ist unklar, sein Einmischen könnte er selbst nicht begründen, und trotzdem ist er mit einem Male mitten in einem Fall. Er stolpert von Situation zu Situation, mehr ein Getriebener als einer, der die Geschichten aktiv antreibt. Er muss Prügel einstecken und kann sich selten dafür revanchieren. Er ist zynisch und ohne Illusionen, aber eine begonnene Aufgabe wird trotz aller Gegenreaktion und Gewalt zu Ende gebracht. Manchette knüpft, wie eingangs ausgeführt, an die Tradition von Raymond Chandler und Dashiell Hammett an und findet eine moderne, auf Europa zugeschnittene Form des amerikanischen „hard-boiled“ Krimis, nämlich die starke Verankerung in der Geschichte sowie im sozialen und politischen Alltag Frankreichs. „Volles Leichenhaus“ deutet diese politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen an: Besatzungszeit, die Nazis, die Kollaborateure und die alten Kameraden sowie die Unterdrückung und Ausbeutung der sozial Schwachen („…Ich jagte bedauernswerte idiotische Penner, um zu verhindern, daß sie Besitzende … um ihren Besitz brachten; …während Drogenhändler in der Nationalversammlung und sonstwo saßen …). Die Integration der Kritik an gesellschaftlichen Missständen in einen Kriminalfall ist nicht neu. Aber bei Ross Thomas, um einen dieser Autoren zu nennen, spielen die Protagonisten am Ende das schmutzige Spiel mit! Die zunächst nur am Rande blitzlichtartig erleuchteten politischen und historischen Themen bilden zum Ende den gesellschaftspolitischen Kosmos, den Tarpon, erheblich Federn lassend, in diesem Roman durchstreift und durch den er traurige Berühmtheit erlangt.

Manchette erzählt seine Geschichte sehr filmisch, mit knappen Beschreibungen, knappen Dialogen und einem trockenen Wortwitz. Die erste Szene mit dem „Heuler“ gehört wohl zum Absurdesten, was jemals in einem Krimi zu lesen war, und die dilettantische Entführung Tarpons mit zum Komischsten. Manchettes Stil ist lakonisch, trocken und trotzdem packend. „Volles Leichenhaus“ wird in einem Sog erzählt, der den Leser mitreißt und ihn nicht ruhen lässt, bis die 200 Seiten verschlungen sind. Eugène Tarpon macht süchtig … nach mehr Geschichten um Eugène Tarpon.

_Claus Kerkhoff_ © 2000
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Vaz, Mark Cotta – Hinter der Maske von Spider-Man – ein geheimer Blick hinter die Filmkulissen

Mit Spider-Man wurde einst eine Comicfigur erschaffen, die immer populärer wurde. Anlässlich der Verfilmung durch Regisseur Sam Raimi („Evil Dead“, „Army of Darkness“, „Darkman“, „The Quick and the Dead“, „The Gift“ und aktuell „Spider-Man 2“) erschien „Hinter der Maske von Spider-Man“. Ein opulentes Buch, das Eindrücke und Insiderwissen widerspiegelt.

Das Buch ist in drei Teile und insgesamt neun Kapitel untergliedert. Jedes Kapitel beschäftigt sich ausgiebig mit einem Aspekt des Spider-Man-Films. Dabei wird auch auf die Comicabenteuer des Netzschwingers eingegangen und ausgiebig der Film beleuchtet. Allerdings verliert der Autor kein Wort über andere Spider-Man-Filme, wie zum Beispiel die unsäglichen frühen Streifen amerikanischer oder gar japanischer Herkunft. Doch das ist auch nicht die Aufgabe des Buchs.

Der neugierige Leser bekommt neben dem gut übersetzten und schön angeordnetem Text auch viele Farbfotos zu sehen, die fast alle Abschnitte des Films abdecken. Seien es nun die Darsteller, die Kulisse, die Leute hinter der Kamera, die Stuntmen, die Tricktechniker und vieles mehr. Hier werden keine Wünsche offen gelassen und auch der Erfinder Spider-Mans (Stan Lee) kommt zu Worte. Dabei legt er großen Wert darauf, dass niemand den Bindestrich in Spider-Man vergisst. Immerhin soll der Netzschwinger sich von seinem Konkurrenten Superman abheben.

Neben Stan Lees Vorwort sind überall im Buch Auszüge aus diversen Comicheften des Fassadenkletterers zu finden. Allerdings sind sie amerikanischer Herkunft und dementsprechend die Sprechblasen mit englischen Worten gefüllt. Doch reicht hier Schulenglisch aus, um die wenigen Texte zu übersetzen. Die Auszüge dienen vor allem der Dokumentation von Spider-Mans Herkunft und Werdegang.

Dort werden auch die Unterschiede zwischen Comic und Film von Mark Cotta Vaz herausgearbeitet. Durch seine enge Zusammenarbeit mit den Machern des Films ist er in der Lage, viele der offenen Fragen zu beantworten. Vor allem Fans werden sich an die verstrahlte Spinne erinnern, die Peter Parker biss. Im Film ist die Spinne jedoch genetisch verändert. Auch das Verhältnis zwischen Peter und Mary Jane wird ein wenig anders dargestellt und der Leser entdeckt in diesem Buch die – logische – Erklärung dazu. Sam Raimi hat sich seine Gedanken zu dem Film gemacht und lässt sie durch Vaz nach außen dringen. Vor allem für Fans eine nette Geste.

Neben der Durchleuchtung des Mythos „Spider-Man“ steht der Kinofilm im Mittelpunkt. Ausführlich werden die Tricks erklärt, die Probleme aufgezeigt und die Darsteller ins rechte Rampenlicht gerückt. Dabei tritt Insiderwissen zutage, das in einem „Making of…“, zum Beispiel, kaum zu finden sein wird. Mark Cotta Vaz hat hier ausführlich und detailliert gearbeitet, was nun seinen Lesern zugute kommt. Dabei bringt er sein großes Fachwissen mit ein und zeigt mittels Querverweisen und sekundären Informationen weitere Details auf.

Neben ausführlichen Informationen über Spider-Man selbst, werden dem Leser auch die Darsteller nahe gebracht. Seien es nun Toby Maguire, Kirsten Dunst oder Willem Dafoe. Die hochkarätige Besetzung findet ebenso Beachtung wie die Maskenbildner oder Tricktechniker. Ausführlich beschreibt er die akribische Arbeit, die für den Film betrieben wurde, und zeigt seinen Lesern, wie genau dieses oder jenes funktionierte. Zum Beispiel erklärt er den scheinbar unkomplizierten Anzug Spider-Mans, in dem allerdings viel Know-how steckt. Für den Anzug wurden immerhin „Muskelpakete“ konstruiert und aufgedruckt, um die perfekte Illusion zu erzeugen. Selbst die Spinne wurde vom Tiertrainer in ein „Kostüm“ gesteckt, wie man dem Buch entnehmen kann.

Abgerundet wird der positive Gesamteindruck durch abschließende Filmfotos. Außerdem sind einige Storyboard-Sequenzen enthalten, die für den Film vorhergesehen waren, später aber nicht realisiert wurden. Ein informatives und flüssig zu lesendes Buch, das einfach Spaß macht und dem Leser Spider-Man nahe bringt. Sehr empfehlenswert.

_Günther Lietz_ © 2002
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/

Interview mit Kai Meyer

|Das nachfolgende Interview führte _Valentino Dunkenberger_ im April 2004 im Auftrag unseres Kooperationspartners [X-Zine]http://www.x-zine.de. Wir bedanken uns für die freundliche Leihgabe der Kollegen.|

[Kai Meyer]http://www.kai-meyer.com wurde am 23. Juli 1969 in Lübeck geboren und ist im Rheinland aufgewachsen. Er hat in Bochum einige Semester Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert {sowie Germanistik und Philosophie – Nachtrag d. Lektors} und anschließend mehrere Jahre als Journalist für eine Tageszeitung gearbeitet. Sein erstes Buch veröffentlichte er 1993 im Alter von 24 Jahren. Seit 1995 ist er freier Schriftsteller und gelegentlicher Drehbuchautor. Mittlerweile werden seine Romane in vierzehn Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau Steffi, ihrem Sohn Alexander und Hund Motte am Nordrand der Eifel. (Quelle: Autoren-Homepage)
Für September 2004 ist sein nächster phantastisch-historischer Roman [„Das Buch von Eden“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3785721749/powermetalde-21 als Hardcover und Hörbuch in Planung und wird bei |Lübbe| erscheinen, seine bei |Loewe| veröffentlichte |Wellenläufer|-Trilogie fand kürzlich erst ihren Abschluss, außerdem sind die ersten Bände der siebenteiligen |Mythenwelt|-Reihe in Kooperation mit anderen Autoren erschienen.

_X-Zine: _
Hattest du schon immer den Wunsch, Schriftsteller zu werden, oder gab es da einen Wendepunkt in deinem Leben, an dem du dich entschlossen hast, ein Buch zu schreiben?

_Kai Meyer: _
Ich wollte schon sehr früh Geschichten erzählen, ganz gleich in welcher Form. Mit siebzehn, achtzehn wollte ich eigentlich zum Film, vorher dachte ich einmal, ich könnte vielleicht Illustrator oder Comiczeichner werden. Zum professionellen Schreiben kam ich mit neunzehn durch meinen allerersten Versuch, ein Drehbuch für einen Kurzfilm zustande zu bringen. Aus dem Film wurde nichts, und so habe ich mich hingesetzt und begonnen, das Ganze als Roman aufzuschreiben. Nach etwas über dreißig Seiten habe ich mich gefragt, für wen ich das eigentlich mache, habe den Stapel mit einem höflichen Anschreiben eingetütet und an Michael Schönenbröcher bei |Bastei| geschickt. Damals dachte ich, das könnte etwas für die „Dämonenland“-Serie sein. Er hat mir dann einen sehr ausführlichen und sehr freundlichen Brief geschickt, in dem er mir erklärt hat, warum er den Roman nicht gebrauchen konnte – damals wurden in der Serie nur Nachdrucke veröffentlicht –, hat ihn aber an die Taschenbuchredaktion weitergeleitet. Dort wusste mein späterer langjähriger Lektor Reinhard Rohn auch nichts damit anzufangen und reichte die Seiten an die Redakteurin der „Mitternachtsroman“-Reihe weiter. Von ihr bekam ich schließlich eine Zusage, allerdings unter gewissen Auflagen. Meine Geschichte war eher gedacht in der Tradition von italienischen Horrorfilmen wie „Suspiria“; statt dessen wurde dann ein Gruselroman „für Frauen“ daraus – was immer genau das heißen mag.
Auf diesem Wege habe ich aber Reinhard Rohn kennen gelernt, der mir zwei, drei Jahre später die Chance gab, mein erstes Buch zu schreiben, einen True-Crime-Roman mit dem Titel „Der Kreuzworträtsel-Mörder“. Von da an ging es beständig aufwärts. Der eigentliche Durchbruch kam zwei Jahre später mit meinem ersten Hardcover „Die Geisterseher“, der erste große Erfolg mit [„Die Alchimistin“ 73.

_X-Zine: _
Woher nimmst du die ganzen Ideen für deine Bücher? Sind das spontane Einfälle oder dauert es seine Zeit, bis du die Grundstruktur eines neuen Romans ausgearbeitet und vor Augen hast?

_Kai Meyer: _
Jeder hat Ideen für Geschichten. Der Mann am Bankschalter, die Frau in der Supermarktschlange. Allerdings behandeln die Wenigsten ihre Ideen mit dem nötigen Respekt und der angemessenen Ernsthaftigkeit, sei es, weil sie einfach kein Interesse daran haben oder aber schlichtweg keine Zeit für das, was die meisten anderen Leute „Spinnereien“ nennen. Für uns Autoren sind Ideen Kapital, und das meine ich nur am Rande im finanziellen Sinne. Ich notiere mir unendlich viele Einfälle, manchmal Unfug, oft aber eben auch eine wirklich gute Idee, aus der dann tausend Seiten werden können. Aus solchen Grundideen baue ich mir über mehrere Wochen oder Monate hinweg ein Exposé, also eine Art szenisches Konzept, an dem ich mich beim eigentlichen Schreiben des Romans entlang arbeite.

_X-Zine: _
Was für Bedingungen brauchst du, um gut und viel schreiben zu können? Musst du dazu ganz allein sein oder brauchst du im Gegenteil Menschen um dich herum? Könntest du uns beschreiben, wie dein Arbeitsplatz ungefähr aussieht?

_Kai Meyer: _
Ein Rundblick über meinen Schreibtisch: Neben all dem technischen Schnickschnack wie Monitor, einem neuen und einem alten PC (den ich seit mindestens einem Jahr wegräumen will), Drucker usw. sehe ich unter anderem ungefähr fünfzig Bücher herumliegen, eigene und von anderen Autoren; eine Ablage aus Plastikfächern, deren obere beiden Etagen unter den Papierbergen, die sich darauf auftürmen, gebrochen sind; viele, viele lose Zettel und Blätter, darunter ein paar handschriftliche Leserbriefe, die ich schon lange hätte beantworten sollen; das Foto eines Mädchens, das gedacht hat, sich bei mir für die Verfilmung der |Merle|-Trilogie bewerben zu können (ein Trugschluss); die aktuelle VÄRTTINA-CD „Iki“; die Fahnen meines neuen Romans „Das Buch von Eden“, der im September erscheint; Quittungen für meinen Steuerberater; eine Sideshow-Skulptur von Tolkiens Hexenkönig auf seinem Flugungeheuer; zwei „Fighting Furies“-Piratenfiguren aus den 70ern; die Videokassette des russischen Märchenfilms „Das gestohlene Glück“; eine leere Kaffeetasse; den chinesischen Roman „Die Rebellen vom Liang Schan Moor“ (auf dem die ähnlich betitelte TV-Serie basiert); ein Kaktus; eine |Merle|-Schneekugel, die mir der |Loewe|-Verlag geschickt hat; ein Foto von mir vor dem Pub „The Eagle and the Child“ in Oxford aus dem letzten Jahr; eine Schreibfeder, die ich noch nie benutzt habe; und, ähem, ein paar Hundehaare, was bei zwei Hunden nicht ausbleibt.

Und das ist nur das, was auf meinem Schreibtisch steht. Die übrigen knapp 80 Quadratmeter meines Arbeitszimmers sehen genauso chaotisch aus, mit zig Stapeln aus Büchern, die sich überall auf dem Boden auftürmen; Bücherregalen, in die keine einzige lose Seite mehr passt; Kinoplakaten von fragwürdigen Filmen aus den 80er Jahren (u.a. „Der Zauberbogen“ und „Metalstorm“ …); ein uralter Flipper, der leider nicht mehr funktioniert; allerlei Actionfiguren, etwa zur Comicserie „Bone“; zwei Ledersofas, die halb unter Büchern und Comics begraben sind; und viel zu viele DVDs, die ich vermutlich nie im Leben anschauen werde.
All das brauche ich manchmal zum Schreiben – und manchmal lenkt es mich derart ab, dass ich lieber im Wohnzimmer oder, im Sommer fast immer, im Garten arbeite.

_X-Zine: _
Du bist mit 34 Jahren noch ziemlich jung, hast aber schon, wenn ich richtig informiert bin, an die vierzig Bücher geschrieben. Hast du einen bestimmten Maßstab, wie viel du am Tag schreibst?

_Kai Meyer: _
Ich versuche, zehn Manuskriptseiten am Tag zu schreiben, fünfmal die Woche – niemals am Wochenende. In der Regel brauche ich für einen Roman, je nach Länge, zwischen drei und sechs Monaten. An „Das Buch von Eden“ habe ich fast ein Jahr gesessen.

_X-Zine: _
Du hast großen Erfolg mit deinen Büchern, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Wie gut kannst du von dem, was du mit dem Schreiben verdienst, leben?

_Kai Meyer: _
Ganz gut. Als ich mich 1995 selbstständig gemacht habe, habe ich mir als Limit gesetzt, im ersten Jahr mindestens so viel zu verdienen wie vorher als fest angestellter Redakteur bei einer Tageszeitung. Mittlerweile ist es ein Mehrfaches davon.

_X-Zine: _
Demnächst wird deine sehr erfolgreiche „Merle“-Trilogie verfilmt. Wie und vor allem warum kam es zu der Entscheidung, diese als Zeichentrickfilm umzusetzen und nicht als Realverfilmung, was ich persönlich sehr schade finde?

_Kai Meyer: _
Ganz einfach: Es war das erste seriöse Angebot einer Produktionsgesellschaft. Deutsche Produzenten – bis auf ganz wenige Ausnahmen – können mir noch so oft erzählen, dass sie die |Merle|-Bücher real umsetzen könnten. Ich würde ihnen, nach diversen Erfahrungen im Filmgeschäft, kein Wort glauben. Aber eine Zeichentrickverfilmung ist machbar. Und die Trickompany ist das beste Animationsstudio, das wir in Deutschland haben. Abgesehen davon, dass der Regisseur Michael Schaack und der Produzent Thomas Walker sehr nette und vor allem realistische Leute sind, was in dieser Branche keineswegs selbstverständlich ist.

_X-Zine:_
Ich habe mich ein wenig auf deiner [Homepage]http://www.kaimeyer.com umgesehen und war recht erstaunt, wie viel Zeit du dir für diese Seite und deine Fans nimmst. Ich finde das sehr lobenswert, denn es gibt nicht mehr sehr viele Autoren, die einen so guten Kontakt zu ihren Lesern pflegen! Folgere ich daraus richtig, dass dir deine Fans sehr am Herzen liegen?

_Kai Meyer: _
Klar, sonst würde ich das alles nicht machen. Das Ganze bedeutet eine Menge Arbeit – dessen technische Seite mir zum Glück abgenommen wird –, aber eben auch eine Menge Spaß. Ich kann mittlerweile schon gar nicht mehr recht nachvollziehen wie es war, als ich noch keinen so nahen Kontakt zu meinen Lesern hatte. Sicher, manchmal wird es auch ein wenig zu viel des Guten – die üblichen Fragen wiederholen sich ja sehr, sehr oft, gerade in E-Mails -, aber insgesamt überwiegen die angenehmen Seiten mit großem Vorsprung. Vor allen Dingen die Arbeit an der Rubrik „Journal“, eine Art Blog oder Arbeitstagebuch, ist klasse. Mittlerweile wird sie im Monat von 8.000 bis 9.000 Leuten gelesen, was eine ganz ordentliche Zahl für eine nicht-kommerzielle und weitgehend nicht beworbene Website ist.

_X-Zine: _
Du hast gerade zum neuen Jahr ein Projekt abgeschlossen, das unter dem Titel „Das Buch von Eden“ im Herbst auf den Markt kommt. Wieso liegt zwischen Schreiben und Veröffentlichung eine so große Zeitspanne?

_Kai Meyer: _
Tatsächlich ist sie diesmal sogar sehr kurz. Ich habe das Buch am 31. Dezember abgegeben. Im Mai müssen die fertig gedruckten Leseexemplare für Buchhändler und Medien vorliegen. Damit bleiben für Lektorat, Fahnenkorrektur, Titelbild, Innenillustrationen, Satz und die übrige Herstellung gerade einmal etwas über vier Monate. Das ist sensationell knapp. Zwischen Mai und September, dem offiziellen Erscheinungstermin, läuft dann noch die erste Pressearbeit.

_X-Zine: _
Kannst du uns schon Näheres darüber verraten?

_Kai Meyer: _
Der Roman spielt im Hochmittelalter. Es geht um die Suche nach dem wahren Standort des Gartens Eden. Im Prinzip ist es eine Queste, die Geschichte einer Odyssee durch das mittelalterliche Europa und den Orient. Sehr episch, sehr umfangreich. Die Hauptfiguren sind gerade einmal sechzehn Jahre alt, aber sie werden unter anderem von Albertus Magnus und ein paar anderen wunderlichen Gestalten begleitet.

_X-Zine: _
An welchem Projekt arbeitest du gerade? Worum handelt es sich dabei?

_Kai Meyer: _
Ich beginne in den nächsten Tagen ein neues Jugendbuch mit dem Arbeitstitel „Aurora“. Auch über die Arbeit daran werde ich auf meiner Homepage wieder Tagebuch führen. Aber es ist noch ein wenig früh, um jetzt schon etwas über den Inhalt zu verraten.

_X-Zine: _
Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche dir noch ganz viel Erfolg für deine Zukunft!

Vinge, Vernor – Eine Tiefe am Himmel

Das All ist seit Jahrtausenden von der Menschheit besiedelt, aber außerirdische Intelligenz wurde dabei bislang nicht entdeckt. Als vom sogenannten EinAus-Stern nahe des galaktischen Zentrums nichtmenschliche Funksignale aufgefangen werden, scheint sich der Traum eines Erstkontaktes zu erfüllen. Das Händlervolk der |Dschöng-Ho| rüstet eine Flotte aus, um sich bei den Aliens umzusehen. Der Stern ist schon für sich genommen seltsam genug, da er in langen Zeitabständen pulsiert und auch schon mal für Jahrzehnte verlöscht.

Bei der Ankunft müssen die |Dschöng-Ho| allerdings feststellen, das sie nicht die Einzigen sind, welche sich für die Fremden interessieren. Eine zwischenzeitlich in die Barbarei versunkene Zivilisation in der interstellaren Nachbarschaft des EinAus-Sterns hat sich wieder weit genug erholt, um ebenfalls eine Expedition losschicken zu können. Leider ist die soziale Entwicklung der spöttisch „Aufsteiger“ genannten Neuankömmlinge weit hinter ihren technischen Möglichkeiten zurückgeblieben: Ihre faschistisch anmutende Gesellschaft ist auf der Versklavung und Ausbeutung Schwächerer aufgebaut. In einem Überraschungsangriff übernehmen sie auch die Schiffe der Dschöng-Ho. In den Kämpfen werden die Schiffe beider Parteien allerdings so schwer beschädigt, dass ein weiterer Weltraumflug nicht mehr im Bereich des Möglichen liegt.

Die |Aufsteiger| nutzen skrupellos das überlegene technologische Know-how der |Dschöng-Ho| für ihre Zwecke, nachdem sie alle Führungspersönlichkeiten der Händler exekutiert haben. Der Rest der versklavten Händler ist von der kaum vorhandenen Gnade der |Aufsteiger| abhängig. Die Versklavung wird durch exzellente Biotechnologie gewährleistet, welche in das Gehirn der Opfer eingreift und sie zu willenlosen Robotern macht. Wer von den Händlern gerade nicht benötigt wird, kommt in die Schlafkammern und wird „auf Eis“ gelegt.
Trotz all der scheinbaren Erfolge der |Aufsteiger| ist die übrig gebliebene Wirtschaftsbasis der verbliebenen Flotte viel zu gering, als dass ein langfristiges Überleben möglich scheint. Ohne Unterstützung einer planetaren Wirtschaft würde die Menschheit im System nach wenigen Jahrzehnten untergehen. Die planetaren Bewohner sind so wenig menschlich, wie man es nur sein kann: Sie stammen von einer Art Riesenspinne ab. Obwohl sie sich inzwischen an die Ökologie des Planeten gut angepasst haben, spricht doch vieles dafür, dass es sich bei ihnen keineswegs um Eingeborene handelt; die menschlichen Wissenschaftler vermuten eher, dass sie Nachfahren gestrandeter Raumfahrer sein könnten. Würde man ihnen ihre Geheimnisse entreißen können, hätte sich die Expedition trotz aller Verluste doch noch gelohnt! Vorerst müssen die |Aufsteiger| allerdings noch ein paar Jahrzehnte warten, denn die derzeitige technische Entwicklung wäre etwa mit der Erde um 1900 vergleichbar.

Aber während die |Aufsteiger| nun die Versklavung der Spinnen planen, proben die letzten überlebenden Händler den Aufstand…

Wie hält man eine Rebellion im Gang, wenn jedermann jederzeit überwacht wird und selbst Gedanken nicht mehr frei sind? Dieses Buch behandelt einen echten Alptraum eines Überwachungsstaates, in dem alle Menschen nur Verfügungsmasse der Aristokraten darstellen. Dagegen erscheint einem das geschilderte Leben des demokratischeren Spinnenvolkes fast schon als romantisches Idyll. Trotz ihrer körperlichen Fremdartigkeit sind die Spinnen geistig der Menschheit stark verwandt. Ich wäre ja von dieser Spiegelung menschlicher Denkungsart auf Aliens ein wenig enttäuscht gewesen, wenn Vinge nicht einen echten Kunstgriff angewandt hätte: Wir bekommen die Spinnen nämlich nicht direkt geschildert, sondern eher durch die Augen einer menschlichen Übersetzerin. Jede unpassende Vermenschlichung würde demnach das Werk dieser Sklavin sein, welche zu Analogien greift, um ansonsten nicht vermittelbare Gedankenwelten verständlich zu machen.

Vinges Werk wurde hoch gelobt und hat mir ebenfalls gut gefallen. Er hat sich auch jede billige direkte Kritik am ach so bösen Menschen verkniffen, selbst wenn sein Spinnenvolk im Vergleich mit den Aufgestiegenen als die Liebenswertere von beiden Lebensformen erscheint. Auch bei den Menschen gibt es „Gute“, während die Spinnen ebenso ihren Teil an bösartigen Intriganten aufweisen können. Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, und die Geduld, mit der die Händler um ihre Freiheit kämpfen, hat durchaus etwas Bewegendes. Ich kann es auf alle Fälle empfehlen.
Die „Tiefe am Himmel“ des Buchtitels benennt übrigens ein lebenswichtiges Überwinterungsversteck in der Spinnensprache…

_sgo_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

Crichton, Michael – Timeline

In Arizona wird ein Mitarbeiter der Firma ITC aufgefunden, der im Krankenhaus unter mysteriösen Umständen stirbt. In seinem Besitzt befindet sich der Ausschnitt eines Grundrisses. In Frankreich arbeiten Archäologen in der Dordogne. Hauptsponsor der Ausgrabungen ist ITC. Als nun der Forschungsleiter, Professor Edward Johnston, den Grundriss zugespielt bekommt, erkennt er sofort, dass die Zeichnung zu einem Kloster gehört, das gerade erst ausgegraben wird. Es kann gar keine Pläne geben. Johnston fliegt in die USA und stellt seinen Geldgeber zur Rede.

Kurz darauf entdecken Johnstons Gehilfen und Studenten eine Kammer. Dort finden sie ein Papier aus dem Mittelalter, auf dem sich ein schriftlicher Hilferuf des Professors befindet – und eines seiner Brillengläser. Doch wie kann das sein? Etwas später setzt sich der Chef von ITC – Robert Doniger – mit den Leuten des Professors in Verbindung. Mittels der Quantentheorie ist es gelungen, eine Zeitmaschine zu entwickeln. Johnston unternahm einen kleinen Ausflug und ist seitdem verschollen.

Chris, Katherine und André reisen ihrem Professor hinterher. Doch im französischen Mittelalter geht einfach alles schief. Zusätzlich zerstört ein Unfall das ITC-Labor. Außerdem werden erst nach und nach einige Punkte offenbart, die Doniger im Vorfeld einfach unter den Tisch fallen ließ. Unter anderem befindet sich bereits eine Person der Gegenwart in der Vergangenheit und erweist sich als größter Feind der Rettungsmannschaft. Diese findet zwar Johnston, allerdings sind sie ständig auf der Flucht. Scheinbar will jeder die Fremden töten …

Michael Crichton ist vor allem durch seine verfilmten Romane bekannt geworden („Congo“, „Jurassic Park“ etc.). Auch „Timeline“ schlägt in diese Kerbe und wurde von Regisseur Richard Donner verfilmt. Doch zurück zu Crichtons Roman.

„Timeline“ ist spannend zu lesen, besitzt ein ordentliches Tempo und räumt mit einigen Vorurteilen über das Mittelalter auf. Michael Crichton hat ordentlich recherchiert, wie man auch den Quellenangaben entnehmen kann. Alleine der Auftakt des Romans ist gelungen. Hier gleitet der Bestsellerautor langsam von der Realität in die Fiktion, nimmt auch während des gesamten Romans schon mal Bezug auf Personen oder Firmen der Gegenwart. Dadurch gewinnt sein Roman auch an Glaubwürdigkeit. Leider besitzt der Roman auch viele Schwachstellen, über die Crichtons guter Ruf nur schwerlich hinwegtäuschen kann.

Alleine die Motivation Donigers ist sehr merkwürdig. Er steckt sein ganzes Geld – und das seiner Teilhaber – in ein Zeitreiseprojekt, um später authentische Freizeitparks eröffnen zu können. Na ja, etwas Dümmeres als Argument ist Crichton {nach dem „Jurassic Park“ – Anm. d. Lekt.} wohl nicht eingefallen, der Doniger eigentlich als cleveren Kopf in Szene setzt.

Die Zeitreise selbst wird vom Autoren auch recht verständlich erklärt. Der Mensch wird im Computer gespeichert, in der Gegenwart zerstört und in der Vergangenheit neu aufgebaut. Eine Vergangenheit, bei der es sich allerdings um ein Paralleluniversum handelt. Dadurch wundert sich der Leser nur, warum ein Paralleluniversum Einfluss auf unsere Gegenwart in Form eines Hilfebriefs und eines Brillenglases nehmen kann. Und egal wie ähnlich es in der parallelen Vergangenheit zugeht, authentisch wäre es nicht. Außerdem zerstört die Maschine den Körper des Reisenden. Nun, damit wäre die Person tot. Auch wenn sie woanders wieder aufgebaut wird, was ist mit der Seele und sämtlichen theologischen {und philosophischen – Anm. d. Lekt.} Fragen, die dadurch aufgeworfen werden? Doch darum kümmert sich Crichton erst gar nicht. Ein weiterer Gedankengang: Wenn der Mensch vorher gespeichert wird, warum muss er erst zerstört werden, um woanders wieder aufgebaut werden zu können? Tatsächlich könnte man ihn einfach kopieren. Crichton findet zwar eine Antwort, aber die ist sehr fadenscheinig.

Tatsächlich sieht der Roman aus, als wäre eine Filmvorlage gebraucht worden, die man schön umsetzen kann. Im Kino werden selten tiefer gehende Fragen gestellt, dort soll ein Film nur zwei Stunden lang unterhalten. Das Buch trägt dem Film Rechnung. Die Protagonisten sind nur am Laufen und es gibt ständig blutige Actionszenen. Und am Ende einen überraschenden Schluss.

„Timeline“ ist ein feiner Roman, der Spaß macht und kurzweilig unterhält. Aber es ist kein großer Schlag, sondern siedelt sich mehr im Mittelfeld an. Schade, hier hätte Crichton mehr von seinem Talent zeigen können. Der Stoff besitzt genug Potenzial, das leider verschenkt wurde. Trotzdem lesenswert.

_Günther Lietz_ © 2004
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/

RatCon 2003

|Um die Wartezeit bis zur Ratcon dieses Jahres für alle Rollenspiel- und Fantasybegeisterten mit nostalgischem Verzücken zu versüßen, sei an dieser Stelle ein Bericht der Vorjahresveranstaltung als Appetithappen präsentiert. Dieser Con-Bericht wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

Die |RatCon| 2003 liegt zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, einen Tag hinter mir – Zeit für einen Bericht, der für alle Nicht-Con-Gänger die wichtigsten Ereignisse einigermaßen gerafft und schnell liefert, ohne nur aus Stichworten zu bestehen.

Die von |FanPro| in Dortmund ausgetragene Veranstaltung war – wie auch die Jahre zuvor – ein voller Erfolg: Schon Freitag am Spätnachmittag stand der doch nicht allzu kleine Platz vor dem Fritz-Henßler-Haus gerammelt voll mit Rollen- und Tabletopspielern, und meinen Nachfragen zufolge fanden sich unter diesen sogar einige, die es hier erst werden wollten. Mein Diktiergerät nahm Phrasen wie: „Ich bin hier wegen dem Rollenspiel, aber hauptsächlich wegen der vielen Freunde und Bekanntschaften aus der Internetszene, die ich hier treffen werde“ oder „Rollenspiel, Freunde, Spaß pur!“ auf, und ich versprach mir ein schönes, sonniges Wochenende. Denn auch der Wetterbericht spielte mit: Auch am Abend und in der Nacht sanken die Temperaturen nicht groß unter die noch T-Shirt-freundlichen 15 Grad, am Tag musste man häufig Schatten suchen, um es länger draußen (z. B. für eine der Spielrunden, die im Inneren keine Plätze mehr fanden und deshalb nach außen verlagert wurden) aushalten zu können.

Ebendiese Spielrunden fanden sich auch sehr schnell zusammen, sodass ab knapp nach Eröffnung um 18 Uhr bis abends (ca. 23 oder 24 Uhr) keine freien Spieltische mehr über das zentrale Vergabesystem zu beziehen waren – bis dahin beschäftigte man sich mit dem Treffen alter Bekannter (überall bildeten sich die Community-Menschenringe), dem Ausrollen von Schlafsäcken, dem Aufpumpen von Luftmatratzen oder schlicht Nichtstun und in der Abendsonne liegen. Todesmutige Spielgruppen, die sich auf Bäumen, Zäunen oder auf dem harten und sandigen Boden niederließen, waren ebenfalls zu beobachten – so auch wir. Direkt am Freitag war bis auf das sehr erfolgreiche und durchweg sehr positiv aufgenommene |Multiparallele Abenteuer| kein erwähnenswertes Programm aus dem Rollenspielbereich; die Tabletopper verzogen sich aber recht bald in ihre Sphären namens |MechWarrior|, |MageKnight| und |Battletech| und verließen diese auch nicht, um sich unter das |Pen&Paper|-rollenspielende Volk zu mischen. Nachdem eine grobe Übersicht über das Programm geschaffen wurde, plante man die Seminare für die folgenden Tage vor und ich brachte den Freitagabend bzw. die Nacht des Samstags gut hinter mich.

Am Samstag forderte der um 10 Uhr beginnende Workshop „Das ultimative Monster: Der Spieler“ von _Hadmar von Wieser_ ein recht frühes Aufstehen, das jedoch vielfältig belohnt wurde: Sowohl Spieler- und Spielleitergehirn als auch die Lachmuskeln wurden in einem gelungenen und spontanen Vortrag über die vier Typen des Rollenspielers und seine Wünsche aufs Angenehmste strapaziert, während Hadmar mit großem schauspielerischem Talent und unter Einbeziehung des zahlreich erschienenen Publikums über Crush, den Barbaren erzählte. Kaum einige Minuten Pause, dann setzte Hadmar von Wieser seine vielgelobten Vorträge fort: Diesmal jedoch mit Unterstützung durch _Tom Finn_, neben Bernhard Hennen und Karl-Heinz Witzko ebenfalls Autor des |Gezeitenwelt|projekts, die von sich selbst erzählten, ihr Projekt vorstellten und das Feedback und die Meinungen der Fans einholten. Im anschließenden Interview mit Tom Finn und Hadmar von Wieser, geführt von Oliver P. Bayer und mir, zeigten die beiden |DSA|- und |Gezeitenwelt|autoren erneut, dass sie für jede Frage der Fans eine Antwort haben – nur geben wollen sie nicht immer eine… Über den Tag hinweg fanden sich am F-Shop-Stand (der auch die druckfrischen Erstausgaben von „Stäbe, Ringe, Dschinnenlampen“ verkaufte) einige Autoren der neueren |Phoenix|-Romane ein, um sich Kritik, Lob und Unterschriftenjägern zu stellen. Der sehr sonnige Samstag klang dann in der berühmten Filmnacht aus, weshalb man am Sonntag in der Frühe die letzten verschlafenen Gesichter aus dem Kinosaal huschen und ob des hellen Lichtes im schummrigen Vorraum blinzeln sah.

Der letzte Tag der Con glänzte vor allem durch eins: Aufbruchstimmung. Diese durchzieht leider – wie auch die vorigen Jahre – den ganzen Sonntag, diesmal jedoch auch kräftig von den |FanPro|-Mitarbeitern unterstützt, die schon vorweg Zelte einklappten und die Schotten dicht machten. Der Hauptblock des Programmes war bereits vorüber, und man wartete nur auf eins: Die Podiumsdiskussion mit der gesamten anwesenden |DSA|-Redax. Vorher wurde man jedoch von der Siegerehrung des inoffiziellen Abenteuerwettbewerbs |Gänsekiel & Tastenschlag| unterhalten, in der sowohl die Juroren (Bewältigung von vielen hundert Manuskriptseiten) als auch die Preisträger und Teilnehmer viele Arbeitsergebnisse präsentieren konnten. Während des Sonntags standen viele Fans auch bei den beiden Zeichnerinnen _Caryad_ und _Sabine Weiss_, die auf Wunsch und gegen ein kleines Entgelt den eigenen Helden zeichneten. Die Podiumsdiskussion um 15 Uhr lockte schließlich doch noch alles, was von den 2.000 Besuchern auf der |RatCon| verblieben war, in den großen Kinosaal, schließlich bestand hier die Möglichkeit, die Ankündigungen neuen |DSA|-Materials zu hören und selbst mitzubestimmen, welche Projekte demnächst in Angriff genommen werden sollten. Die Informationen waren im Einzelnen:

Ein großer Marketingbereich (Tassen, T-Shirts, Schmuck, Fußmatten, Pinnwände…) wird für |DSA| und |FanPro| vom |DSA| spielenden _Oliver Nöll_ (Hersteller des |Einen Rings|) erschlossen werden: Erste Produkte (so die |Aventurien|-Pinnwand) erzielten auf der |RatCon|-Auktion Preise von bis zu 40 €.

In Zukunft werden viele alte |DSA|-Romane bei |Phoenix| neu aufgelegt werden, die |Heyne|-Romane werden mit der „Rhiana die Amazone“ nur noch als direkte Folgetitel weitergeführt werden, die einen größeren Soapfaktor haben – die bisher gewohnte Romanreihe wird |Phoenix| weiterführen (auch als Hardcoverausgaben), da die |Heyne|-Romane dem Anspruch von Autoren und Leserschaft nur selten entsprachen.

Im vielgefragten Bereich der |DSA|-Computerspiele konnte |FanPro|-Chef _Werner Fuchs_ nicht viel Neues vermelden: Zwar sei das Interesse weiterhin vorhanden, es fehle jedoch schlichtweg an den Mitteln und den geeigneten Partnern. Einer sei zwar „in der Hinterhand und im Gespräch“, aber die Entwicklungskosten würden such auf mindestens 2,5 Millionen € belaufen und so |FanPro|s Kapazitäten sehr stark belasten – zu stark für den Moment.

Verkaufszahlen zu |TDE| in Amerika lagen noch nicht vor, jedoch wird demnächst „Over the Griffin Pass“, eine Übersetzung von „Über den Greifenpass“ von Thomas Finn, und „World of Aventuria“ (Geographia Aventurica) erscheinen, die |Spielstein|-Kampagne von Don-Schauen ist ebenfalls im Gespräch. Eigenes Material für den US-Sektor ist im Moment allerdings nicht geplant und höchst spekulativ, Rückübersetzungen ins Deutsche sind aber auf keinen Fall geplant.

Nach „Götter und Dämonen“ wird es keine weiteren |DSA|-Boxen geben, die vier Kernregelwerke werden allerdings möglicherweise in Kompendien (andere Zusammenstellung, selber Inhalt) für Sammler und Themeninteressierte zusammengefasst werden. Zur |Spiel 2003| in Essen wird die Box erscheinen, eventuell auch als limitierte Sonderausgabe mit Unterschriften und einem kleinen Gimmick.

An weiteren Regelwerken folgt die Umsetzung von „Drachen, Greifen, schwarzer Lotus“ in Hardcoverform sowie die verschiedenen Regional- sowie evtl. spezifische Rassen(„Freakshow“ – Thomas Römer)bände, sofern diese nicht in den Regionalausgaben abgehandelt werden. Der Südmeerband (Piraten, Al’Anfa etc.) wird zur |Nürnberger Spielemesse| 2004 erscheinen, die Thorwalausgabe danach, möglicherweise zur |RatCon| in einem Jahr oder zur |Spiel| kurz danach.

Das „Liber Cantiones“ ist weiterhin als „Sammlerledersonderausgabe“ geplant, die jedoch nur in kleiner Stückzahl erscheinen wird.

Der Anteil der Soloabenteuer wird weiter zurückgefahren werden.

An Abenteuern sind vorerst nur Anthologien geplant, die sich bei der Spielerschaft offenbar großer Beliebtheit erfreuen.

„The Next Big Thing“ in Aventurien wird etwas mit heißblütigen Wesen mit Schuppenproblem zu tun haben – es geht um die Drachen…

Die Überarbeitung des |DSA|-Lexikons wird vorerst nicht in Angriff genommen, da sich dieses langweilige Mammutprojekt niemand vornehmen möchte – für Leidensarbeiten wie diese fehlen dann doch Mitarbeiter und zu viel Zeit, die |FanPro| lieber in neues Material gesteckt sehen will.

|DSA-Mobile| lässt ebenfalls Neues von sich hören: So schreibt Dr. Stefan Blanck „Die Grabräuber“ und Tom Finn an „Drachenfeuer“ – beide Abenteuer sollen noch dieses Jahr erscheinen.

Um 17 Uhr – also eine Stunde vor Ende der „48 Stunden Spielspaß“ – verließ ich dann schließlich die |RatCon| und werde an dieser Stelle noch kurz etwas wiedergeben, was noch keinen Platz im obigen Bericht gefunden hat:

So etwa die dringende Empfehlung, statt der FH-hauseigenen Cafeteria lieber die zahlreichen Imbissstuben der nahen Dortmunder Innenstadt zu stürmen – halbwarme, komplett weiße und fetttriefende unfertige Pommes sind nicht eben das, was man deliziös nennt und was auf einer Convention den knurrenden Magen beruhigt. Aber der Frühstücksteller für 3 € (immerhin zwei Brötchen + heißes Getränk) war noch annehmbar, auch wenn das Ei weggespart wurde. Dennoch boten zumindest am Samstag bestimmt fünf Bäckereien innerhalb eines Radius von ca. 800 Metern ums FHH eine gute Alternative.

Die Spieltischvergabe gestaltete sich dieses Jahr nach meinen Erfahrungen etwas unkomplizierter, hier hat |FanPro| offenbar aus den Riesendebakeln der letzten Jahre gelernt und den Service verbessert.

Alle anwesenden Autoren haben ein offenes Ohr für Fans – ich habe dieses Jahr mit so vielen Autoren gesprochen wie noch nie zuvor – nur anmelden sollte man sich vorher, um eine Chance zu haben und den Autoren eine zu lassen. Dann allerdings kann man nur vor spontanen, witzigen und durchaus privaten Gesprächen warnen – das |Gezeitenwelt|interview zog sich in meinem Falle unglaublich hin, weil Hadmar von Wieser und Tom Finn (etwas abseits von der Con) sehr angenehm und gesprächig waren.

Wer immer eine bunte Palette an Rollenspielshops (die allerdings nur ihre eigenen Produkte verkaufen und so keinen Preiskampf betreiben), Spielrunden aus fast allen Systemen und Seminare zum Rollenspiel und zur Fantasy sucht, ist auf der |RatCon| jedes Jahr wieder gut aufgehoben.

Con-Homepage: http://www.ratcon.de/
Veranstalter: http://www.fanpro.com
Nächster Termin: 10. – 12. September 2004

_Firunew_ für das [X-Zine]http://www.x-zine.de/

Stroud, Jonathan – Bartimäus – Das Amulett von Samarkand

In einer Welt, in der Zauberer die Regierung bilden und ein zwei Klassensystem regelt, wer zu der privilegierten magischen Schicht gehört, wächst der junge Nathanael auf und wird – wie es sich gehört – von einem Magier als Lehrling aufgenommen. Bald merkt der Junge, dass sein Talent weitaus größer ist als sein altbackener vorsichtiger Lehrmeister vermutet, ja sogar, dass er in jungen Jahren schon seinem Meister voraus ist. Heimlich studiert er die verbotenen Werke und alle Versuche des Meisters, ihn durch Angst und Drohungen einzuschüchtern, scheitern kläglich. Der spießige und kleinbürgerliche Zaubermeister ist ein Beamter von niedrigem Stand, der sich bei den hohen Tieren der Regierung einschmeicheln will und mehr durch Gefälligkeiten und Kriecherei Karriere macht als durch magisches Talent. Das wird dem Jungen spätestens klar, als ein besonders fieser hochrangiger Besucher sich über ihn lustig macht. Blind vor Wut und Enttäuschung will er sich rächen, beschwört ein paar nervige Kleinstdämonen, doch die sind keine Gegner für den fiesen Magier. Der wiederum ist extrem sauer und fährt mit dem Kind Schlitten, während sein Meister zuschaut. Nun ist der Hass in dem Zauberlehrling geboren und der Racheplan steht schnell fest. Doch dazu braucht es einen etwas mächtigeren Dämon. Flugs macht Nathanael sich daran und beschwört den Dschinn Bartimäus.

Bartimäus hätte natürlich vieles lieber getan als einem rotznäsigen Lümmel von Zauberlehrling zu Diensten zu sein. Mit allen Mitteln versucht er sich der Beschwörung zu erwehren, doch zwecklos. Er muss gehorchen. Dabei ist die Aufgabe alles andere als einfach. Doch Bartimäus ist zwar nicht der mächtigste Dämon, dafür einer der listigsten. Und so gelingt es ihm auch, den Plan des Jungen auszuführen. Aber wenn der Dämon glaubt, damit hätte es sich auch, dann irrt er sich. Denn ohne es zu wissen, hat sein Beschwörer einen Plan der finstersten Sorte aufgedeckt und die mächtigen Magier, die dahinter stehen, sind ziemlich sauer. Und so stecken Bartimäus und Nathanael in echten Schwierigkeiten.

Der Roman gehört zu einer kleinen Reihe von Büchern, die als Debüt des Schriftstellers Jonathan Stroud in den Staaten Furore gemacht haben. Bereits kurz nach dem Erscheinen wurde das erste Buch für 20 Länder lizenziert. Dabei ist jedoch die Nähe zu einer anderen Erfolgsserie wohl eher von Bedeutung als eine ungeheure schriftstellerische Leistung, die ich hier nur bedingt feststellen kann.

Üblicherweise verzichtet ein Kritiker auf einen Vergleich. Doch da der Vertrieb des Buches sich daran orientiert und zugleich eine Menge tatsächlicher Parallelen existieren, muss man den Roman in Bezug zu der Reihe „Harry Potter“ sehen. Vertrieblich ist „Bartimäus“ sicherlich das Buch, welches überhaupt als Nachfolger des Fantasy-Jugend-Bestsellers gesehen werden kann. Wir haben England als Lokation, einen jungen Zauberlehrling und fiese Magier als Gegner. Das war es allerdings auch. Einem Vertrieb mag das reichen, doch einem Kritiker nicht.

„Bartimäus“ ist ein rundum eigenständiges Buch, das nicht nur besser geschrieben, sondern auch tiefgehender als der erste |Harry Potter|-Band ist. In dem Buch findet man alles, was ein spannendes Werk ausmacht und zudem noch eine Menge Gesellschaftskritik und Nachdenkenswertes. Der Autor nutzt die Außensicht des Dämons auf die Welt der Menschen, um kritisches Gedankengut zu verbreiten. Während die „Muggles“ bei Roawling als Menschen zweiter Klasse liebevoll akzeptiert werden, bricht der Dämon Bartimäus eine Lanze für die magisch Unbegabten. Nathanael argumentiert wie ein kleiner Rassist für das faschistische Regime der Magier über die Menschheit. Durchgehend schildert der Roman aus zwei abwechselnden Perspektiven nicht nur das Abenteuer, sondern auch die alternative Welt. So wird dem Leser nicht nur die Sicht des überzeugten Zauberlehrlings beigebracht, man erhält zusätzlich noch die fast wortwörtliche Vogelperspektive des Dämons.

Faszinierend ist dabei noch der schriftstellerische Kniff, in zwei unterschiedlichen Zeitebenen zu beginnen, die sich passend zum Spannungshöhepunkt treffen. Ab dieser Eskalationsstufe nimmt der Roman dermaßen an Fahrt auf, dass ein Weglegen des Buches zur Qual wird.

„Bartimäus“ ist sicherlich kein literarisch wertvolles Vollkornbrötchen, sondern eher ein luftig leichtes Weißbrot; schnell konsumiert mit mangelndem Sättigungsgefühl. Dementsprechend bekommt man Hunger nach mehr und glücklicherweise liefern Autor und Verlag noch weiteres Lesefutter. Wer sich nicht vor der Sucht nach spannenden Büchern fürchtet, der sollte hier zugreifen.

_Jens Peter Kleinau (jpk)_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

Felten, Monika – Elfenfeuer

„Deutscher Phantastik-Preis“, ruft der helle Aufkleber auf schwarz-weißem Cover-Hintergrund (eine alte Burg, von Dunkel umhüllt). Deutscher Phantastik-Preis? Von wem vergeben? Da schweigt des Covers Höflichkeit … Nun ja – Preis, immerhin. Also lesen wir es doch mal.

Prolog: Die Nebelelfe Shari beobachtet, wie in der Finstermark, dem unwirtlichen Gebiet nördlich des Reiches Thale, Truppen zusammengezogen werden. Es ist der übliche Dunkle Herrscher, diesmal heißt er An-Rukhbar, und natürlich will er Thale erobern. Leider kann Shari die Elfen, Menschen und Druiden nicht mehr warnen …

Erstes Buch, viele Jahre später: Erzählt wird die Geschichte des Mädchens Ilahja, die in Zusammenhang steht mit der Prophezeiung des letzten Druiden von Thale, Anthork. Der sagte An-Rukhbar voraus, dass einst beim Schein der Zwillingsmonde ein Kind geboren werde, das ihn stürzen würde. An-Rukhbars Magie macht seitdem – eigentlich – alle Frauen unfruchtbar, aber hin und wieder eben doch nicht so ganz. Ilahja, die als Kind von einer geheimnisvollen Unbekannten vor dem Tod gerettet wurde, wird natürlich die Mutter dieses Kindes sein, und natürlich verhindern alle Machenschaften des Obersten Kriegsherren Tarek und des Meistermagiers Asco-Bahrran nicht, dass es zur Welt kommt. Zumal die Herren immer nach einem Sohn suchen lassen. Pech – diesmal darf ein Mädchen die Welt retten.

Zweites Buch: Das Mädchen heißt Sunnivah, wuchs bei den letzten Priesterinnen der Gütigen Göttin auf und wird nun geweiht. Ach ja: Die Gütige Göttin wurde von An-Rukhbar in ein magisches Gefängnis gesperrt, und er hat auch ihren Stab der Weisheit geraubt, ohne den sie fast machtlos ist. Sunnivah muss also den Stab zurückgewinnen und die Göttin befreien. Ihre Aufgabe darf sie gemeinsam mit Naemy, einer der letzten Nebelelfen, mit der Kriegerin Fayola und Vhait, dem Sohn des Obersten Kriegsherren, lösen (Vhait hat sich von seinem Vater losgesagt, als ihm klar wurde, wie grausam dieser ist).

Drittes Buch: Showdown. Rebellenarmeen, dämonische Halbwesen, Schlacht um Nimrod, Sunnivahs Aufstieg zum Himmelsturm; nur dort kann der Stab zurückgegeben werden (der Berg – ein beliebtes Symbol in der Fantasy …).

Zusammengefasst: nichts wirklich Neues. Doch das lässt sich gegen die meisten anderen Fantasy-Romane auch einwenden. Hell und Dunkel, Queste, Reifen des Helden/der Heldin, Prüfungen, Qualen, Kämpfe, Sieg. Aber warum liest man Romane wie „Der Engelsturm“ (Williams), „Grüner Reiter“ (Kirsten Britain) oder „Bannsänger“ (ADF) mit angehaltenem Atem und ohne sie wegzulegen – obwohl sie doch genauso vorhersehbar sind? Und warum weckt ein Roman, der immerhin den „Deutschen Phantastik-Preis“ erhielt, diese Anteilnahme nicht? Monika Felten erzählt einfach zu glatt (und manchmal, wie am Ende des dritten Buches oder im Epilog, hart an der Fürstenroman-Grenze). Richtig gefährlich wird es nie und somit auch nicht richtig spannend. Doch das ist es nicht allein – auch die Charaktere bleiben blass, sind „die üblichen Verdächtigen“; ich konnte nicht mit ihnen fühlen. Konflikte werden ebenso schnell gelöst, wie sie herbeigeführt werden; innere Kämpfe finden selten statt, und wenn ja, dann glaubt man sie kaum. Fantasy für Brave: Gib dir nur Mühe, dann klappt s auch. Ereignis auf Ereignis, Hürde auf Hürde, aber nichts davon vermag wirklich Angst um die Helden zu machen; und eine graue Wölfin sowie ein legendärer Riesenvogel sorgen dafür, dass sich auch die letzten Gefahren in Nichts auflösen. Kein Vergleich zu Szenen wie der am Rande der Schicksalsklüfte, als Frodo den Ring nicht hineinwerfen will – und die Welt praktisch am Ende ist. Auch nicht zu jener, in der die Helden auf dem Engelsturm stehen und begreifen, dass die Prophezeiung von den drei Schwertern sie die ganze Zeit in die Irre geführt hat. Da kann noch alles passieren, ist alles offen (auch hier weiß man ja, dass es gut ausgehen wird, aber wie bloß??). Doch wenn die dämonischen Cha-Gurrline über Feltens Gefährten herfallen, ist klar, dass die Wölfin und/oder der Vogel es schon richten werden – von vornherein …

Um nicht missverstanden zu werden: Es handelt sich bei diesem Buch um flüssig erzählte, handwerklich saubere Fantasy, die man sich durchaus auf einer Bahnfahrt zum Zeitvertreib gönnen kann. Und es gibt Dutzende Bücher, auch aus dem anglophonen Raum, die langweiliger oder schlechter erzählt oder beides sind. Insofern kann man für „Elfenfeuer“ das Prädikat „Akzeptabler Durchschnitt“ vergeben. Bloß: Dieses Buch hat den „Deutschen Phantastik-Preis“ bekommen. Was eine Frage und/oder eine Vermutung offen lässt. Die Frage: Ist bei der Preisvergabe alles richtig gelaufen – hat die Jury alle relevanten Bücher gelesen? Die Vermutung: arme deutsche Fantasy …

_Peter Schünemann_ © 2003
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/

Hannover spielt! 11

Zu den so genannten „Traditionscons“ gehört auch die Veranstaltung „Hannover spielt!“, die auch dieses Jahr im Haus der Jugend stattfand. Auf zwei Etagen fanden etliche Spieler am 22. und 23. Mai zum elften Mal eine Vielzahl von Spielrunden, interessanten Events und auch genügend Futter sowohl für ihren Magen als auch für die gut bestückten Regale zu Hause. Neben dem Verlag |Pegasus| waren |Truant|, die Redaktion |Phantastik| und als besonderes Highlight die Mannschaft des Rollenspiels |Degenesis| mit einem Promotionstand zugegen. Letztere bewarben die Erstausgabe des |Degenesis|-Rollenspiels mit Signierstunden, Zeichnungen und unverwechselbarem Charme. Doch Klaus Scherwinski und Marko Djurdjevic waren nicht die einzigen bekannten Gesichter auf der |H.spielt!| Florian Don-Schauen, André Wiesler, Thomas Römer, Wolfgang Schiemichen und Frank Heller waren zumindest körperlich anwesend, um nur ein paar zu nennen und gleichzeitig eine Menge anderer nennenswerter Personen zu unterschlagen. Wer Lust hat, sich auf einen Plausch mit den Machern der Rollenspielszene einzulassen, hat auf der [H.spielt!]http://www.hspielt.de/ weitaus bessere Chancen als auf jeder anderen Veranstaltung. Auf der Con geht es gemütlich zu und es fehlt die Hektik der Messe und der großen Cons.

Eine große Attraktivität der Veranstaltung sind nicht nur die wirklich vielfältigen Spielrunden, die sich auf die Räume gut verteilen. Es sind die besonderen Events. So fanden Lesungen, Workshops, ein Quiz und eine Preisverleihung statt. Die verschiedenen Aktionen wurden hervorragend angenommen und waren durchgehend gut besucht.

Sensationell gut kam das Quiz zum Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ an. |Fantasy Productions| hatten das Ratespiel bereits in ihrem Newsletter angekündigt und der Zulauf war dementsprechend groß. Der Ablauf verlief witzig und unterhaltsam. Dabei hatte sich die Redaktion wirklich knackige Fragen ausgedacht, die selbst eingefleischte DSA-Fans vor Schwierigkeiten stellten. Es war eine durchaus ernsthafte Herausforderung, die mit genügend Humor durchgeführt wurde und Lust auf mehr machte.

Ein besonderer Event war die Verleihung des |Deutschen Rollenspielpreises| 2003. Die Premiere der Preisverleihung kam nicht nur bei den Machern, sondern auch beim Publikum gut an. Der |Deutsche Rollenspielpreis| ist ein Jurypreis, der als Anerkennung für die besten Leistungen im Bereich der Rollenspiele verliehen wird. Die durchweg von bekannten Szenenasen besetzte Jury verlieh die Preise unter lautem Applaus an die |Redaktion Cthulhu|, die Macher von |Arcane Codex|, an André Wiesler und an das Team von |Projekt Odyssee|. Mit der Nominierung und der letztendlichen Preisvergabe zeigte die Jury sowohl hohe Kompetenz wie auch Fingerspitzengefühl. Die allgemein gut angenommene Aktion lässt die Hoffnung aufkommen, dass damit eine Institution geschaffen wird, die weiterhin gute Leistungen prämiert.

Die Veranstaltung bot die Möglichkeit, über das Wochenende durchzuspielen, was vom harten Kern der angereisten Rollenspieler auch gerne angenommen wurde. Am Sonntagmorgen verlangten einige durchwachte Personen mit müden Augen nach Koffein, der genauso wie die anderen Nahrungs- und Genussmittel fast zum Selbstkostenpreis angeboten wurde. Eine gute Idee war dabei die Souvenirtasse für 9 Euro, bei der so viel Kaffee oder Tee inklusive war, wie der Magen vertrug.

|Hannover spielt!| ist immer wieder eine Anreise wert. Die verkehrstechnisch gute Anbindung macht dies auch geradezu einfach. Wer in der Region wohnt, sollte sich die Veranstaltung nicht entgehen lassen. Wer weiter entfernt wohnt, dem sei angeraten entweder durchzuspielen oder die gute Infrastruktur der Messestadt zu nutzen, in der die Bettenpreise zur Nebensaison – also zur Nicht-Messe-Zeit – durchaus erschwinglich sind.

_Jens Peter Kleinau (jpk)_
|Dieser Con-Bericht wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

de Camp, Lyon Sprague – H. P. Lovecraft – Eine Biographie

Was lange währt, wird gut? Auf die ungekürzte Ausgabe der Lovecraft-Biographie mussten die deutschen Leser über 27 Jahre warten; 1975 schon hatte Lyon Sprague de Camp sie verfasst. Dem Wissbegierigen blieb nur, sich mit „Der Einsiedler von Providence – Lovecrafts ungewöhnliches Leben“ zu begnügen, einer Sammlung von Essays und Erinnerungen, die 1992 bei |Suhrkamp| erschien; und irgendwann, laut Boris Koch in „Mephisto 22“, erschien auch eine stark gekürzte Taschenbuchausgabe der Biographie. Nun aber liegt uns das vollständige Werk vor, ein 640-Seiten-Monument ohne Bilder (dafür mit vielen Fußnoten).

Eigentlich, so der Autor im Vorwort, wollte August Derleth dieses Buch schreiben – doch er starb, bevor er es in Angriff nehmen konnte. Also machte sich LSdC, der schon Artikel über Lovecraft und dessen Kollegen veröffentlicht hatte, an diese Aufgabe. Das erscheint einem legitimiert, da Sprague de Camp seit Jahren die |Conan|-Serie Robert E. Howards weiterschreibt, zum Teil nach dessen Entwürfen; Howard aber war ein enger Brieffreund Lovecrafts und zählte mit diesem und Clark Ashton Smith zu den „drei Musketieren des |Weird Tales|“, des Pulp-Magazins, ohne das wir vieles nicht hätten, wohl auch Lovecraft nicht. Kurios ist aber, dass de Camp bei intensiven genealogischen Nachforschungen tatsächlich auf seine entfernte Verwandtschaft mit HPL stieß (etwa so, wie Bilbo mit Pippin verwandt ist, glaube ich).

Doch kann man dem Autor auch zustimmen, wenn er meint, für diese Aufgabe vielleicht sogar besser geeignet zu sein: „Wo Derleth Lovecraft fast bis zur Vergötterung bewunderte, hatte ich das Gefühl, mich dem Thema objektiver nähern zu können.“ Richtig? Jedenfalls erweist sich de Camps Blick als ebenso anerkennend wie kritisch. Er würdigt sehr wohl Lovecrafts Leistungen als Erfinder guter Geschichten, als Schöpfer des |Cthulhu|-Mythos oder als Inspirator anderer; er sieht aber auch seine Schwächen auf literarischem Gebiet, allen voran die berüchtigte „Adjektivitis“. Der Leser findet im Buch kurze Inhaltsangaben zu den meisten Geschichten (ohne dass immer der Schluss verraten wird) und eine Bewertung der Texte, die oft herausfordert. Auch mit dem Schöpfer der Texte geht Sprague de Camp ins Gericht, er lässt weder Lovecrafts Unwillen (und Unfähigkeit?) aus, sich in der Erwerbswelt durchzusetzen, noch seine rassistischen Tiraden (die mitunter Hitler oder Goebbels alle Unehre machen). Andererseits betont er aber auch HPLs persönliche Konzilianz und Großzügigkeit sowie seine enorme autodidaktische Bildung und Vielseitigkeit. Er geht den Wurzeln in Kindheit und Erziehung nach, die einen Menschen von 25 sich als „alt“ und „Großvater“ bezeichnen ließen, und er verzweifelt beinahe über Lovecrafts „Talent“, sich nicht zu vermarkten. (Hier kann übrigens der angehende oder es sein wollende Schriftsteller einiges aus der Erfahrung des Profis mitnehmen, der sich seinen Rang – und sein Auskommen! – hart erkämpfen musste; man multipliziere die Schwierigkeiten aber, denn man lebt in Deutschland.)

Vieles wird präzise aufgelistet; wir erfahren ganze Tagesabläufe, Reiserouten, Einnahmen-Ausgaben-Bilanzen und dergleichen mehr. Es entsteht das Bild eines „Gentleman“, der nach dem Ideal des vermögenden vielseitigen Dilettanten lebte, ohne aber Vermögen zu haben; der sich (zu) lange an einer auf immer entschwundenen Vergangenheit und ihren Traditionen wie Vorurteilen orientierte; der nicht bereit war, von seinen Überzeugungen abzurücken. Hier trifft Sprague de Camp gut den Ton zwischen Unverständnis und Anerkennung; weder bejaht er vehement Lovecrafts hartnäckigen Widerstand gegen den Kommerz, noch lehnt er ihn rigoros ab. Ebenso steht es mit der Beurteilung des exzessiven Briefschreibers und Amateurjournalisten HPL; die enorme Leistung wird anerkannt, aber immer wieder kommentiert mit einem „Hätte er in dieser Zeit lieber Geschichten geschrieben …!“

So ist diese Biographie ein sehr persönliches Buch, das sich (so weit möglich) um Objektivität bemüht. Es macht Lovecraft und viele Personen seiner Umgebung lebendig, zeigt Zeitumstände, Widrigkeiten und Erfolge, ist farbig und engagiert verfasst, liest sich von Anfang bis Ende flüssig, lässt keine Langeweile aufkommen. Sein einziger Makel: sein Alter; in fast dreißig Jahren, sollte man meinen, hat die Forschung sich weiterbewegt, so dass Zeit für eine neue Betrachtung wäre. Hat sie noch niemand geschrieben? Wenn doch, wäre eine weitere Veröffentlichung wünschenswert. Aber vielleicht hat es noch keiner gewagt, sich mit Lyon Sprague de Camps Buch zu messen; das wäre alles andere als ein leichtes Geschäft.

_Peter Schünemann_ © 2003
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