Barbara Maienfeld wohnt zusammen mit ihrem Mann Gernot in einer schönen Stuttgarter Altbauwohnung – leisten konnten sie das durch das üppige Erbe ihrer Eltern. Doch nun liegt ein letztes Schreiben der Bank auf ihrem Tisch – die beiden sind mit den Kreditraten ins Hintertreffen geraten und stehen vor dem finanziellen Ruin. Und dennoch geben sie weiterhin das (nicht vorhandene) Geld mit vollen Händen aus. So fragen sie ihre Kinder, ob sie helfen können.
Eigentlich klingt das nachvollziehbar – doch vor dem Hintergrund der Familiengeschichte Maienfeld auch wiederum komplett abstrus. Denn Barbara und Gernot waren mitnichten die liebenden und fürsorglichen Eltern, stattdessen musste ihr Sohn Ben schon von früh auf für seine Geschwister sorgen und die Elternrolle übernehmen. Barbara und Gernot dagegen haben sich schon damals einzig um sich selbst gekümmert. Die Kinder waren eigentlich nur ein „Unfall“ und niemals geplant.
Also bleibt nur eine Lösung, um die finanziellen Probleme zu lösen. Die beiden müssen sich bei alten Bekannten melden – zwei Menschen, die seit vielen Jahren im Untergrund leben und die Tür aufstoßen zu Ereignissen, die Barbara und Gernot lieber vergessen möchten…
Auf den Spuren der RAF
Auf dem Buchrücken heißt es so schön: „Ellen Sandberg. Jeder Roman ein fesselndes Leseerlebnis.“ Und diesen Satz hätte ich bis vor ein paar Tagen ohne zu zögern unterschrieben. Sicher ein halbes Dutzend Bücher von ihr habe ich schon verschlungen und sie hat es bislang jedes Mal geschafft, mich von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Meisterlich verwebt sie in ihren Romanen eine aktuelle Handlung mit Geschehnissen aus der Vergangenheit, die einen eigentlich immer sprachlos machen.
Doch mit ihrem aktuellen Buch bin ich bis zum Schluss nicht warm geworden. Der Plot an sich ist fesselnd – dieses Mal begibt sich Ellen Sandberg auf die Spuren der RAF und zeichnet deren Geschichte nach. Barbara und Gernot Maienfeld waren damals im Dunste der RAF unterwegs, kannten auch die bekannten Vertreter der RAF, waren ganz nah dran und selbst involviert. Doch anders als frühere Bekannte mussten sie niemals untertauchen, sondern konnten ihr luxuriöses Leben ohne Einschränkungen weiterleben – mit einem Erbe, das Barbara eigentlich niemals antreten wollte. Denn das Millionenvermögen ihrer Eltern basierte auf der Ausbeutung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich. Und so trifft Barbaras Selbsteinschätzung den Kern der Sache: „Sie waren zu bourgeoisen Salonlinken verkommen, die Wasser predigten und Merlot tranken. Sprich: den Kapitalismus für das Elend der Welt verantwortlich machten, sich aber gemütlich darin eingerichtet hatten.“
Und genau hier liegt auch das Problem des Buchs begraben: Barbara und Gernot stehen im Zentrum, aber die beiden sind so dermaßen von Grund auf unsympathisch, dass sie einem beim Lesen offen gesagt völlig zuwider sind. Wenn Ellen Sandberg dann ihre Lebensgeschichte erzählt, kann man nur den Kopf schütteln angesichts von so viel Egoismus. Mit jedem Stückchen, das man aus dem Leben der beiden erfährt, werden sie einem sogar NOCH unsympathischer, sodass einem die Lust am Lesen immer mehr vergeht.
Auch die drei Kinder haben ihre Ecken und Kanten. Ihr ältester Sohn Ben ist nach Barbara und Gernot die wichtigste Figur. Immerhin, er trägt das Buch über weite Strecken und hat durchaus ganz andere Qualitäten. Sicher hat er in seinem Leben nicht alles richtig gemacht, aber die Gründe dafür liegen oftmals in seiner Kindheit.
Spannend fand ich die Geschichte um Gernots Bruder, die Ellen Sandberg stückchenweise aufdröselt. Was Gernots Bruder passiert ist, ist wirklich unfassbar, fügt sich aber stimmig in das Gesamtbild des Buches ein.
Reuevolle Lektüre
So gerne ich das Buch von Ellen Sandberg empfehlen möchte, weil ich sie als Autorin schätze und ich von ihren Büchern bislang immer begeistert war. Außerdem finde ich die Geschichte der RAF spannend und wichtig. Aber ihre Charaktere sind dieses Mal so unsympathisch, dass man ihnen beim Lesen die Pest an den Leib wünscht. Doch Barbara und Gernot lavieren sich ein ums andere Mal aus brenzligen Situationen und stehen immer auf der Siegerseite. Das mag als Kritik an einem solchen Leben zwar funktionieren, stimmt aber beim Lesen nachdenklich und macht teilweise richtiggehend aggressiv.
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3328603139
Penguin Verlag
Der Autor vergibt: