Ellen Sandberg – Das Unrecht

Annett lebt ein glückliches Leben: Mit ihrem Mann Volker steuert sie auf die Silberhochzeit zu, und die beiden Kinder sind bereits aus dem Haus und stehen selbst mitten im Leben. Nur beruflich macht sie gerade eine Durststrecke durch: Sie bewirbt sich in einem Bamberger Verlagshaus um eine Stelle als Mediengestalterin, da ihre alte Stelle nur eine befristete Elternzeitvertretung war. Sie hat kein gutes Gefühl bei dem Vorstellungsgespräch, auch wenn sie den Job zu gerne hätte.

Um sie aus ihrer Verzweiflung zu holen, bietet ihr Mann Volker, der erfolgreich als Makler arbeitet, eine Stelle in seinem Büro an, die nach dem Selbstmord einer Mitarbeiterin noch nicht neu besetzt ist. Annett zögert: Sie ist zwar glücklich mit Volker, aber Tag für Tag zusammenarbeiten mag sie nicht mit ihm, außerdem sucht sie eine Stelle in einem anderen Bereich.

Um sich selbst zu finden, nimmt sie sich eine kurze Auszeit und fährt in ihre frühere Heimat Wismar. Doch dort reißen alte Wunden auf. Annett denkt an alte Zeiten zurück, an die Clique von fünf Freunden, die im Sommer 1988 viel Zeit zusammen verbracht hat. Und sie denkt an Mischa, mit dem sie einen Sommer lang sehr glücklich gewesen ist.

Inzwischen weiß sie, dass einer der Clique zum Verräter wurde, der vieles zerstört und auch Annetts Leben in ganz neue Bahnen gelenkt hat. Mit 28 Jahren Abstand möchte sie nun herausfinden, was damals geschehen ist – sie ahnt nicht, welche Flut von Ereignissen sie damit herauf beschwört…

Damals vor der Wende

Im Mittelpunkt des Buches steht Annett, die in Wismar in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist. Sie verbringt mit Freunden einen glücklichen Sommer im Jahr 1988, doch bei den jungen Männern droht die Einberufung zum Wehrdienst, obwohl alle gern studieren würden. Sukzessive erzählt Ellen Sandberg in Rückblicken von dem Sommer und dem Herbst, den Annett zusammen mit Mischa verbracht hat. Es war die ganz große Liebe. Und doch ist sie nun mit Volker verheiratet, ebenfalls sehr glücklich. Doch von Anfang an ist klar, dass mit Mischa etwas geschehen sein muss und dass auch Annett etwas Schreckliches erlebt haben muss, das ihr ganzes Leben von Grund auf erschüttert hat.

In gewohnt souveräner Art verknüpft Ellen Sandberg die zwei Zeitebenen ihrer Geschichte. Da sie recht häufig von der Gegenwart in die Vergangenheit springt, muss man dankenswerterweise nie lange warten, um in der jeweiligen Geschichte endlich weiterlesen zu können – denn super spannend sind beide Zeitebenen: 1988 nähert sich Ellen Sandberg dem Wendepunkt in Annetts Geschichte und der Erklärung, was mit Mischa geschehen ist. Und in der Gegenwart im Jahr 2016 zerbricht Annetts Leben erneut. Denn während sie den damaligen Geschehnissen auf den Grund geht und endlich herausfinden will, wer sie damals verraten hat, merkt sie, dass dieses Wissen sie in einen Abgrund zu reißen droht.

Der Spannungsbogen setzt früh an, denn schon vom ersten Kapitel an möchte man unbedingt wissen, was damals vorgefallen ist. Und der Autorin gelingt es, diesen Spannungsbogen ohne jegliche Brüche immer weiter zu steigern, bis sie sich endlich der Auflösung nähert.

Eine Frau zwischen zwei Männern

Annett ist die Hauptfigur des Buches und in den meisten Kapiteln begleitet man sie und erfährt, was sie macht und denkt. Man fühlt immer mit ihr mit, man leidet, aber man muss auch immer wieder den Kopf schütteln, weil man ihr Handeln einfach nicht nachvollziehen kann. Zu sehr hängt sie an einer Person, die ihr ganz offensichtlich nichts Gutes tun möchte. Oftmals waren ihre Handlungen für mich absolut nicht nachvollziehbar, was beim Lesen immer wieder ein ungutes Gefühl hervorgerufen hat. Auch ihre beste Freundin Sonja zeigt für meine Begriffe zu viel Verständnis für die Fehltritte einer gewissen Person – als gute Freundin hätte sie vollends zu Annett stehen müssen, ohne die Handlungen dieser anderen Person zu verteidigen, und zwar in Momenten, wo es nichts mehr zu verteidigen gibt.

Neben Annett lernen wir natürlich auch ihren Mann Volker und auch die beiden gemeinsamen Kinder etwas näher kennen, doch der Fokus liegt ganz klar auf Annett.

Ein Pageturner mit nur wenigen Abstrichen

Mich hat das Buch von Beginn an in den Bann gezogen, sodass ich es rasend schnell durchgelesen habe und zeitweise auch kaum zur Seite legen konnte. Ellen Sandberg schafft es wieder einmal hervorragend, eine Geschichte in zwei Zeitebenen zu erzählen und beide Handlungsstränge gleichermaßen spannend zu gestalten. Dadurch liest sich das Buch praktisch wie von selbst und wird auch immer spannender und spannender.

Gestolpert bin ich darüber, dass ich manches im Buch nicht ganz nachvollziehbar fand. Und auch am Ende meint sie es vielleicht einen Ticken „zu gut“, ein etwas weniger dramatisches Ende wäre vielleicht glaubwürdiger gewesen. Aber auf jeden Fall endet das Buch mit einem Paukenschlag, mit dem man nicht unbedingt gerechnet hat.

Unter dem Strich gefiel mir das Buch unheimlich gut!

Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3328602545
Penguin Verlag

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