Feige, Marcel – neue Lexikon der Fantasy, Das

Marcel Feige als Verfasser von „Das neue Lexikon der Fantasy“ hat nach der 1. Auflage (2000) im Juli 2003 eine überarbeitete Ausgabe zum Abschluss gebracht. Das Buch wurde diesmal in einer Taschenbuchausgabe publiziert; mit 562 Seiten ist es umfangreicher als sein Vorgänger (384 Seiten), etwa 100 s/w-Abbildungen (zuvor: 48 Abbildungen) vervollständigen den Inhalt. Der Verlag definiert als Zielgruppe Harry-Potter-Fans, Tolkien-Anhänger, Märchen-Freunde, Fantasy-Leser, Rollenspieler, Kinogänger, überhaupt alle, die sich für phantastische Welten interessieren. Also genau das Publikum, das beim |X-Zine| nach Informationen sucht …

Marcel Feige, alleinverantwortlicher Verfasser des Nachschlagewerkes, verrät uns gleich auf seiner Seite 1, „dass das Lexikon Informationslücken besitzt … Natürlich spielte bei der Zusammenstellung des Lexikons auch die persönliche Vorliebe des Autors eine gewisse (wenngleich zurückhaltende) Rolle.“ Nun gut, das lässt einiges erahnen, leider dämpft eine solche Bemerkung gleich die Erwartungshaltung empfindlich. Erstaunlich ist auch, dass ich an keiner Stelle den Vorschlag entdecken konnte, bei Fehlern oder Lücken den Verfasser auf diese hinweisen zu wollen. Ein gesundes Selbstbewusstsein macht ein solches Ansinnen sicher überflüssig, wer alles weiß, hat kein Bedürfnis nach Hinweisen oder Vorschlägen. Das wiederum ist für mich eine regelrechte Aufforderung, dieses Lexikon umso genauer durchzuarbeiten.

Zwei Mitarbeiter (Kuno Liesegang und Ralf Krause) werden neben Marcel Feige aufgeführt, mir ebenso wie der Verfasser selbst aus dem Dunstkreis der Fantasy-Facharbeiter in Deutschland gänzlich unbekannt (Kuno Liesegang fällt mir im Zusammenhang mit dem Horror-angehauchten Magazin „Nocturno“ ein, so wie er überhaupt mehr diesem Genre verhaftet zu sein scheint; ein Einfluss, der sich in der Auswahl der Beiträge im vorliegenden Lexikon durchaus bemerkbar gemacht haben kann).

Nach zwei Vorworten fasst Marcel Feige die „Geschichte der Fantasy“ auf sechs Seiten zusammen; er beginnt ganz früh bei Homer vor 2.800 Jahren und schmeißt zur Gegenwart den Deckel aufs Thema. 5000 Jahre Literaturgeschichte auf 6 Seiten – das kann nur ein sehr gewagter Überblick sein. Und ist demnach bestenfalls für völlig von der Fantasy Unbeleckte mit informativem Gehalt angereichert. Der von mir unkommentierte Vergleich: „Die Entwicklungsgeschichte der Science Fiction“, Seite 26 bis 150 (!), in Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke: Lexikon der Science Fiction Literatur, München 1987.

Doch das, was mich grundsätzlich interessiert, entblättert sich auf den Beiträgen danach, anfangend bei A wie „Abenteuer“ und endend bei Z wie „Zyklopen“. Marcel Feige stellt in seinem Lexikon Personen, Bücher, Filme, Spiele, Legenden, Märchen, Magazine und Firmen vor, alphabetisch geordnet, wie es sich gehört.

Unter dem Buchstaben „D“ beispielsweise entdecken wir: Dalí, Salvador; Damona King; Dämonen-Zyklus; Dämonen-Zyklus; Dark Fantasy; Dark Force; de Camp, L(yon) Sprague; De Lint, Charles; Dean, Roger; Demontower; Demonworld; Dent, Lester; Deryni-Zyklus; Deutsche Tolkien Gesellschaft e. V.; Deutscher Phantastik Preis; Dhana; Dickens, Charles; Dickson, Gordon R(upert); Der Dieb der Zeit; Der Dieb von Bagdad; Der Dieb von Bagdad; Der Dieb von Bagdad; Die Diebin von Bagdad. Die Erläuterungen zu den einzelnen Begriffen sind unterschiedlich lang geraten; zu einigen Beiträgen hätte ich mir mehr Details gewünscht, zu anderen weniger. Zu aufgeführten Roman-Serien werden die dazugehörigen Einzelbände (wo möglich, die deutschen Übersetzungen) gelistet. Querverweise führen weiter und vervollständigen die lexikalischen Einträge.

Die Auswahl ist, wie oben angesagt, von den persönlichen Vorlieben des Autors geprägt. Ich würde diese „Vorlieben“ vielleicht auch gleichsetzen mit „Erfahrungen“, denn das, was dann Eingang gefunden hat ins Buch, liest sich bisweilen wie ein Sammelsurium an Begrifflichkeiten, deren Plausibilität manchmal sehr zu wünschen übrig lässt.

„Shadowrun“ wird auf 2 ½ Seiten abgehandelt, „Dungeon & Dragons“ dagegen nur auf einer mageren Seite (wobei nur in einem einzigen Satz auf die deutschen Ausgaben hingewiesen wird.) Dabei ist lt. |FanPro| „Shadowrun … eine Science-Fiction-Hintergrundwelt, in der Geschichten und Abenteuer angesiedelt sind, vergleichbar mit den Hintergrundwelten von Science-Fiction-Filmen, -Fernsehserien und -Romanen.“

Erstaunlich sind auch Bemerkungen wie im |Dungeons & Dragons|-Beitrag: „… ist eines der ersten Rollenspielsysteme, das der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.“ Oder zu Gary Gygax: „1974 gründete er die Firma TSR und veröffentlichte eines der ersten Rollenspiele, ‚Dungeons & Dragons‘.“ Vor D&D gab es nichts Vergleichbares.

Unter einem eigenständigen Eintrag wird der „Vielflächner“ beschworen, der mehrseitige Würfel. Dieser Begriff ist mir zwar aus der Geometrie bekannt, aber im Rollenspiel noch nicht untergekommen.

Dazu schleichen sich Recherchefehler ins Innere des Lexikons. George R. R. Martins Roman-Serie „Das Lied von Eis und Feuer“ wird umfirmiert in „Das Lied von Feuer und Eis“. Klingt nicht schlecht, ist aber falsch.

Das Magazin „Magira“ wurde der Herausgeberschaft des gesondert aufgeführten EDFC e. V. (Erster Deutscher Fantasy Club) zugeordnet, was sich alleine durch einen sorgfältigen Blick in das Magira-Impressum als schlichtweg falsch erweist: „Herausgegeben von Hubert Straßl und dem Fantasy Club e. V.“

Überhaupt vermisse ich eine Erwähnung des „Fantasy Club“, noch immer der bedeutsamste Fantasy-Verein im deutschsprachigen Raum ist. (Immerhin veröffentlichte dort Dr. Helmut W. Pesch, im Lexikon zu Recht mit einem eigenen Eintrag geehrt, aber im Vorwort gleichsam herabgekanzelt als „hoffnungsvoller Nachwuchs“; dabei hat dieser bereits professionell gearbeitet, als Marcel Feige das Wort „Fantasy“ nicht einmal vorwärts buchstabieren konnte.)

Hinzu kommen widersprüchliche Beiträge wie der zu „Sword & Sorcery“: „Geprägt wird der Begriff zum ersten Mal durch Fritz Leiber, der die Abenteuer seiner beiden Helden im Schwerter-Zyklus einordnen möchte …“ (Seite 424). „Mit der Anthologie ‚Sword & Sorcery‘ prägt de Camp 1963 ein Subgenre der Fantasy und gibt ihm einen Namen: Sword & Sorcery.“ (Seite 91). Ja, wer denn nun, de Camp oder Leiber? („Der Begriff stammt von Fritz Leiber und taucht zum ersten Mal in einem Magazin namens |Ancalagon| bzw. 1961 in der Julinummer des Magazins |Amra| auf.“ Hetmann, Frederik: Die Freuden der Fantasy, Ullstein 1984)

Magazine werden von Marcel Feige angeführt, die „WunderWelten“ gehört mit Fug und Recht dazu, doch was kommt dann: die „Fantasywelt“ („eher fanmäßiges Infomagazin“). Wo lese ich etwas von der ungleich bedeutsameren „ZauberZeit“, wo ist die Rede von der „Spielwelt“ (der ersten ernsthaften Rollenspielzeitschrift in Deutschland)? Ein solch weitergereichtes Informationsdefizit ist nicht einfach mit der Hand wegzuwischen, denn dieses Lexikon bietet laut Klappentext „einen umfassenden Überblick“, von Lücken und Nachlässigkeiten kein Wort. Was also wird jemand, der sich dieses Lexikon zur Grundlage seiner Arbeit nimmt (weil nichts anderes als Konkurrenzprodukt zur Verfügung steht), womöglich in seinen Artikel aufnehmen: „Deutschlands bekannteste Fantasy-Magazine Fantasywelt und WunderWelten …“

Weshalb werden die Spielbücher mit keiner Silbe erwähnt, die immerhin ein wichtiger Schritt hin zu den textbasierten PC-Rollenspielen waren (von denen Nachfolger wie die „Ultima“-Serie nicht erwähnt werden, aber ein simpler Konsolen-Epigone wie „Zelda“ verewigt wird. Hineingehört hätten stattdessen „Baldur’s Gate“, „Neverwinter Nights“ oder „Diablo“) und in Deutschland eine breite Leserschaft amüsierten?

Ich freue mich über den Versuch, der deutschsprachigen Gemeinde ein Fantasy-Lexikon zu präsentieren. Die Mehrzahl der Beiträge in diesem Lexikon ist ordentlich geraten. Doch die Ausreißer sind nicht von der Hand zu weisen, im Gegenteil: Sie sind in mancher Hinsicht sehr ärgerlich. Damit verhindert Marcel Feige, dass dieses Lexikon als Grundlagenbuch oder Referenz empfohlen werden kann. Es fehlt zu viel, und einiges ist nicht richtig.

Wozu eignet sich dieses „Neue Lexikon der Fantasy“? Zum Schmökern, zum Nachschlagen, als eine mögliche Informationsquelle für Neugierige, die eine erste Übersicht über Fantasy gewinnen möchten.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|