Leben, ‚Laufbahn‘ und Ende des legendären Banditen Jesse James (1847-1882) werden in diesem Tatsachenroman beschrieben, wobei die Darstellung der historischen Fakten durch erzählende Einschübe aufgelockert wird. Für die Entstehungszeit sachlich und mit psychologischen Untertönen wird die Realität von der Legende getrennt: ein gelungener Versuch, der sich heute noch spannend liest.
Das geschieht:
Jesse Woodson James, geboren am 5 September 1847 in Centerville (heute Kearney), Missouri, als Sohn einer zwar verarmten aber angesehenen Familie, ist anders. Schon im Kind verbindet sich hohe Intelligenz mit einer Gefühlskälte, die nur Jesses älterer Bruder Frank und sein besonnener Cousin Cole Younger einigermaßen unter Kontrolle halten können.
Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) bietet dem heranwachsenden Psychopathen ausgezeichnete Entfaltungsmöglichkeiten. Die James-Brüder schließen sich der konföderierten Guerilla des William Clark Quantrill an, die mit Zerstörung, Plünderung und Massenmord Soldaten und Siedler des Nordens terrorisieren. Jesse tut sich hier durch Gräueltaten besonders unrühmlich hervor. Die Rückkehr in ein ziviles Leben ist nach Kriegsende deshalb unmöglich; Jesse wird von den Behörden und vom Militär gejagt.
Er zieht sich nach Missouri zurück, wo er von seinem personenstarken Clan und den meisten Bürgern gedeckt wird, und beschließt die Gründung einer Bande, mit denen er in den nächsten Jahren Banken, Postkutschen und ab 1873 Züge überfällt. An seiner Seite sind Frank und Cole Younger sowie dessen Brüder Jim, Bob und zeitweise John. Obwohl sich die Pinkerton National Detective Agency hartnäckig auf die Spur der James-Younger-Bande setzt, kann diese sich dank des planerischen Geschicks und der Rücksichtslosigkeit ihres Anführers die Verfolger vom Hals halten.
1876 geht der Überfall auf eine Bank in Northfield, Minnesota, schief. Die Youngers werden getötet oder gefasst, die James-Brüder entkommen. Erst Anfang der 1880er wird Jesse erneut aktiv, doch seine neuen Gefährten sind eher Strauchdiebe als professionelle Räuber. Die Gewalt nimmt zu, der Druck durch die Verfolger ebenfalls. Bob Ford, ein Mitglied der Bande, fädelt einen Deal mit dem Gouverneur von Missouri ein, der ihn und seinen Bruder Charles amnestieren will, wenn sie Jesse James ausschalten.
Am 3. April 1882 erschießt Bob Ford den unbewaffneten Outlaw in dessen Haus aus dem Hinterhalt. Jesse wird zur Legende und zum „Robin Hood des Wilden Westens“ verklärt, was von Frank James, der seinen Bruder Jahrzehnte überlebt, geschickt gefördert wird.
„Jesse James was a lad / that killed many a man / He robbed the Glendale train.”
Legende und Wirklichkeit: Dass sie im unüberwindbaren Gegensatz stehen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Doch die Legende hat einen Vorteil: Sie basiert nicht oder nur bedingt auf Tatsachen, so dass man ihr schwer den Boden unter den Füßen wegziehen kann. Die Realität besitzt diese Möglichkeit nicht.
Verwirren sich Legende und Wirklichkeit, wird es fast unmöglich, zu nachträglich zu trennen, zumal sich die Legende im Herzen verankert, während die Wirklichkeit nur im Kopf andocken kann, was wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen ist.
Jesse James ist zur Kultfigur geworden. Ihre Etablierung gelang seltsamerweise bereits kurze Zeit nach dem gewaltsamen (aber dramatischen) Tod, obwohl die Erinnerung an Jesse James, den Terroristen, Gewaltverbrecher und vielfachen Mörder, noch frisch gewesen sein muss. Doch Kult schert sich wie die Legende nicht um Fakten, zumal Frank James und Jesses Witwe Zerelda im Bund mit der Presse eifrig die Trommel für den Verstorbenen rührten.
„Jesse was a man, a friend to the poor / He’d never rob a mother or a child.”
So entstand das Bild vom verbitterten aber aufrechten Südstaaten-Gentleman, den erst erlittenes Unrecht im Bürgerkrieg sowie wirtschaftliche Not ins gesellschaftliche Abseits trieben. Aus Jesse James wurde ein von der Folklore gestalteter, moderner Robin Hood, der nur die wahren Feinde des braven, hart arbeitenden und ausgebeuteten Volkes schädigte: Banken, Post- und Eisenbahngesellschaften.
Diese romantische Verklärung wurde quasi zementiert, als sich das Kino Jesse James‘ annahm. Selbstverständlich eignet sich ein tragischer Held eher als Identifikationsfigur als ein eiskalter, paranoider, egoistischer Killer, der sich um die Schwachen und Armen einen Dreck scherte und zu mörderischen Wutanfällen neigte. (Eine diesem wenig schmeichelhaften Bild bemerkenswert entsprechende Charakterisierung findet sich in Walter Hills Ausnahme-Spätwestern „Long Riders“ aus dem Jahre 1979.)
„There never was a man with the law in his hand / That could take Jesse James alive.”
Will Henry gehört zu denen, die sich des Widerspruchs annahmen. Er scheint zunächst nicht der ideale Kandidat dafür zu sein, fügte er mit seinem reichen Werk dem klassischen Bild vom „Wilden Westen“ doch wesentliche Elemente hinzu. Harte aber rechtschaffene Männer in einem rauen Land, die sich gegen die Natur, unfreundliche Indianer oder Outlaws zu wehren wissen, die ‚Zivilisation‘ in die ‚Wildnis‘ bringen und nebenbei um eine schöne Frau werben, ließ er in großer Zahl auftreten. Auch in „Die James-Bande“ finden wir entsprechende Charaktere. Zu ihnen gehört Cole Younger, den Henry als Gegenpol zum charismatischen aber bösartigen Jesse James gestaltet.
Cole ist Mann, dessen Charakterschwäche ihm zwar den Absprung in ein bürgerliches Leben verwehrt, der sich aber grundsätzliche moralische Werte bewahrt hat. Er schießt nicht auf Wehrlose und Unbewaffnete, verrät seine Familie nicht, lässt seine Gefährten nicht im Stich. Vor allem geht ihm Jesses Mordlust ab, die ihn stattdessen entsetzt und endlich zum Bruch mit dem Freund führt.
„Well it was Robert Ford / That dirty little coward, I wonder how he feel / For he ate of Jesse’s bread and he slept in Jesse’s bed / And he laid poor Jesse in his grave.”
Für die psychologische Wertung der James-Vita nimmt sich Henry viel Zeit. In einem Western-Roman würde man das nicht erwarten, doch „Die James-Gang“ ist ja ein Tatsachenroman, eine eigenartige, aber gut funktionierende Mischung aus historischem Sachbuch und Fiktion. Im Leben von Jesse James klaffen große Überlieferungslücken, die durch schwer oder gar nicht zu entschlüsselnde Legenden & Lügen gefüllt werden. Jesse hat kein Tagebuch geführt. Geredet haben diejenigen, die überlebten – Frank James, Cole Younger, Zerelda James -, aber sie ließen dabei natürlich die eigene Wertung einfließen, um Jesse und die eigene Person im gewünschten Licht darzustellen.
So stützt sich Henry auf die oft dürren Quellen, die er dort mit selbst Erdachtem füllt, wo es der Geschichte ein menschliches Gesicht gibt. Wie wurde aus „Dingus“ James, dem Kind aus gutem Haus, der Räuber und Mörder Jesse James? Welche Rolle spielte seine bigotte Mutter? Wie kann ein so offensichtlich gestörter Mann eine Ehefrau finden, die ihn bedingungslos liebt und an seiner Seite bleibt? Solche Fragen verwandelt Henry in Schlüsselszenen, die den Leser tiefer blicken lassen. Henry beansprucht nicht das Recht der allein gültigen Darstellung. Immer wieder weist er auf weiße Flecken der James-Vita hin.
„Now the people held their breath / When they heard of Jesse’s death / And wondered how he ever came to fall / Robert Ford, It was a fact / He shot Jesse in the back / While Jesse hung a picture on the wall.”
Will Henry leistet insgesamt gute Arbeit. Sein Stil ist sachlich, er erzählt nach, während er mit den Fakten arbeitet – eine Herausforderung, denn schließlich sind die Geschichte und ihr tragischer Ausgang bekannt. Es ist seine Sicht, die er vermittelt, und seine Argumente weiß er gut zu präsentieren. Henry moralisiert nicht, er versucht zu deuten – für ein Buch des Jahres 1954 ist das durchaus erstaunlich.
Natürlich muss nicht in allen Details zutreffen, was Henry uns erzählt. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist verstrichen, seit „Die James-Bande“ erschien. Diverse historische Fragen konnten in der Zwischenzeit geklärt, Fehler und Missverständnisse korrigiert werden. Der Wissensdurst der Nachgeborenen ließ sie nicht einmal die Grabesruhe des Outlaws achten. 1995 wurde der Leichnam exhumiert, wurden DNS-Proben genommen. Sie belegen, dass es wirklich Jesse James ist, der 1882 auf der Farm seiner Eltern bestattet wurde, doch auch dies klärt nicht die vielen Geheimnisse, die sich um das Ende des Banditen ranken.
„Now Jesse went to rest / with his hand on his breast / The devil will be upon his knee / He was born one day / in the County Clay / And he came from a solitary race.”
Das ist heute nicht anders als 1954, und Will Henry zollt dem gerechten Tribut: Er beschränkt sich strikter denn je auf die Fakten, schildert Jesses Tod nur indirekt und lässt Bob Ford in einem zeitgenössischen Gerichtsprotokoll sprechen, was wesentlich eindringlicher wie eine romantisch ausgesponnene Sterbeszene wirkt und ein zwar in die Jahre gekommenes aber erstaunlich lesbar gebliebenes Buch würde- und wirkungsvoll abschließt.
(Die Zwischenüberschriften sind Zeilen aus der „Ballade für Jesse James“, die sich nach dem Tod des Outlaws enormer Beliebtheit erfreute und noch heute gern gesungen wird; u. a. von Bruce Springsteen 2006.)
Autor
Henry Wilson Allen wurde 1912 in Kansas City, US-Staat Missouri, geboren. In seinen jungen Jahren arbeitete er als Stallgehilfe, Ladenschwengel und Goldgräber und sammelte Erfahrungen, die ihm als Schriftsteller später zugutekamen.
Ab 1937 arbeitete Allen als Drehbuchautor für das Studio Metro Goldwyn Mayer; er schrieb (als „Heck Allen“) für Zeichentrickfilme und arbeitete von 1944 bis 1955 mit der Legende Tex Avery Gags für dessen berühmten Cartoons aus. 1952 erschien „No Survivers“, ein erster Western-Roman. Weil er Schwierigkeiten mit der MGM fürchtete, legte sich der hoffnungsvolle Autor das Pseudonym „Will Henry“ zu.
In den nächsten Jahrzehnten veröffentlichte Allen – auch unter einem zweiten Pseudonym „Clay Fisher“ mehr als 50 Romane, von denen acht verfilmt wurden. Neben vielen anderen Preisen wurde er fünfmal mit dem „Spur Award“ der „Western Writers of America“ ausgezeichnet.
H. W. Allen starb am 1991 in Van Nuys, Kalifornien, an den Folgen einer Lungenentzündung.
Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Death of a Legend (New York : Random House 1954)
Übersetzung: Walter Brumm
http://www.randomhouse.de/heyne
Der Autor vergibt: