Isau, Ralf – weiße Wanderer, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 3)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“
Band 3: „Der weiße Wanderer“

Die Wunden, die der Nationalsozialismus David geschlagen hat, haben ihn zu einem verschlossenen Einzelkämpfer gemacht. Entschlossen, nie mehr das Leben anderer Menschen zu gefährden, lehnt er jegliche Mithilfe, die über das Zutragen von Informationen hinausgeht, strickt ab. Doch die Menschlichkeit lässt sich dadurch nicht abschrecken, immer wieder erreicht ihn, fast gegen seinen Willen, die Hilfe anderer. So ist sein alter Freund und Leibwächter aus Jugendtagen, der Inder Balu, gerade rechtzeitig zur Stelle, um David das Leben zu retten, und in New York steht eines Tages unerwartet ein Mann mit Baskenmütze vor seiner Tür, den er aus Berlin kennt, und dem Rebekka ein Bild abgekauft hat. Binnen kurzem ist der Maler Ruben Rubinstein nicht nur ein „Bruder“ in Davids Sinne, sondern auch sein Geldbeschaffer und Vermögensverwalter.

Das Gros seiner Unternehmungen führt David jedoch immer noch allein aus. In Indien entdeckt er neue Spuren, die ihn auf dem Umweg über Pakistan und Korea nach Südamerika führen. Tatsächlich gelingt es David, zwei weitere Logenbrüder unschädlich zu machen. Doch seine Suche nach von Papen, den er eigentlich fassen will, bleibt vergebens. Da erhält er völlig überraschend eine Nachricht, die ihn veranlasst, nach Rom zu reisen. Noch weit überraschender ist die Entdeckung, die ihn dort erwartet …

Im Vergleich zu seinen Vorgängerbänden umfasst „Der weiße Wanderer“ nur einen relativ kurzen Zeitraum von rund zehn Jahren.
Bereits im „Wahrheitsfinder“ war David unglaublich viel unterwegs, im Vergleich zum Folgeband wirkte dieser durch die räumliche und thematische Begrenzung auf hauptsächlich Europa beziehungsweise Deutschland jedoch wesentlich kompakter und in sich geschlossener als der dritte Teil des Zyklus. Bei Letzterem bedingen natürlich die verschiedenen Etappen einander, da sie jeweils die Hinweise für das nächste Ziel liefern, die Ziele selbst jedoch haben, anders als in Band zwei, nicht unmittelbar miteinander zu tun und wirken daher ein wenig hintereinander aufgereiht.

Abgesehen davon hat David durch heimliches Üben seine Fähigkeiten vervollkommnet. Eine Bemerkung Albert Einsteins während eines Interviews hat ihn auf den Gedanken gebracht, diese auf ein bisher unerprobtes Gebiet auszuweiten, mit erstaunlichem Erfolg. Diese erweiterten Fähigkeiten zusammen mit seiner neu erworbenen Ruhe und Gefasstheit angesichts der Gefahr machen ihn für den Kreis zu einem weit ernster zu nehmenden Gegner als bisher. Seinen Gegenspielern merkt man das deutlich an. Sie sind nervös geworden!

All das verschiebt die Gewichtung innerhalb des Buches beträchtlich: von einer übermächtigen, alles überrollenden Bedrohung, der David fast völlig hilflos gegenübersteht, zu einem Duell mit einem eher ebenbürtigen Gegner, gegen den zu gewinnen nicht mehr unbedingt eine Frage der Fähigkeiten ist, sondern vor allem auch eine Frage der Zeit. Die Grundstimmung ist daher weniger von Finsternis und Verzweiflung geprägt als von gelegentlichem Frust und erbittertem Trotz.

Was mich in diesem Zusammenhang ein wenig wunderte, war, warum die Mitglieder des Kreises Davids Verfolgung plötzlich so schleifen lassen, nachdem sie ihm in den Dreißigerjahren mit solcher Zähigkeit durch sämtliche Identitätswechsel hinterhergejagt sind! Niemand versucht mehr, ihn umzubringen, niemand versucht mehr, ihm den Fürstenring abzunehmen! Stattdessen verschanzen sich die Männer in ihren Verstecken, und als David bei ihnen auftaucht, lassen sie ihn trotz ihres Verdachtes, dass er das Jahrhundertkind sein könnte, an sich heran, verplappern sich mit geheimen Informationen und versagen dann bei seiner Beseitigung!

Das gilt besonders für Ben Nedal, der ja offenbar bereits vor Davids Ankunft in seinem Haus den Verdacht hatte, dieser könnte das Jahrhundertkind sein. Natürlich wollte er die Perle, aber um diese zu erlangen, hätte er den Verdächtigen auch einfach umbringen lassen können, noch bevor dieser sein Haus betrat. Im Zweifelsfall hätte er einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt, was für einen solchen Mann wohl kaum ein Problem dargestellt hätte. Aufgrund von Davids Fähigkeiten mag es nicht gerade einfach sein, das Jahrhundertkind umzubringen. Zumindest aber hätte Ben Nedal sich im Falle eines Misserfolgs nicht verplappert! Und David hätte den Ring nicht erbeutet!

Davids Jagd nach einzelnen Logenbrüdern, insbesondere von Papen, sowie genaueren Informationen über den Kreis lässt die historischen Ereignisse ein gutes Stück in den Hintergrund treten. Als zwangsläufige Folge dieser veränderten Vorgehensweise ist der Korea-Krieg ebenso wie die Entmachtung Guzmáns in Guatemala eher eine Randerscheinung, die Davids Ermittlungen erschwert, als Zentrum der Handlung. Das gilt auch für das Rätsel um die Ringe, dessen Lösung David diesmal ungewöhnlich wenig Zeit widmet, obwohl die Frage, wie der Fürstenring zerstört werden kann, den eigentlichen Knackpunkt im Kampf gegen den Kreis bedeutet. Nur die Vernichtung Lord Belials kann das Ende von dessen Weltuntergangsverschwörungen garantieren!

„Der weiße Wanderer“ ist vom logischen Ablauf her und der Entwicklung von Davids Charakter nach in jedem Fall nachvollziehbar und passt zur Gesamtentwicklung. Dennoch bleibt er im Hinblick auf die Intensität des erzählten Geschehens ein Stück hinter seinen Vorgängern zurück. Auch der Spannungsbogen ist nicht ganz so straff gespannt wie bisher. Das Herumgezipfel mit der Suche nach von Papen in Südamerika hinterließ bei mir trotz der Ausschaltung Barrios‘ eine gewisse Unzufriedenheit, vielleicht, weil ich Davids verbissenen Wunsch, gerade diesen Mann unbedingt zur Rechenschaft zu ziehen, nicht ganz verstehen konnte, vielleicht auch, weil ich bis fast zum Ende des Buches das Gefühl hatte, der eigentlichen Lösung des Problems, nämlich der Zerstörung des Rings, kein Deut näher gekommen zu sein.
Trotzdem war auch dieses Buch immer noch interessant zu lesen, und der Schluss macht noch einmal gehörig Neugier auf den letzten Band, der außer dem Showdown auch noch einige Antworten und Lösungen enthalten dürfte. Wer jetzt aufhört zu lesen, ist selber schuld.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch 506 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15320-6

http://www.luebbe.de/
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