Kim Faber und Janni Pedersen – Blutland (Martin Juncker und Signe Kristiansen 3)

Jagd auf den Constrictor-Mörder

Martin Juncker ist gerade zur Kopenhagener Polizei zurückgekehrt, da entbrennt in der dänischen Hauptstadt ein Kampf zwischen Neonazis und Rechtsradikalen auf der einen Seite und autonomen Gruppen und Einwandererbanden auf der anderen. Dabei wird ein Neonazi erstochen, und Junckers frühere Partnerin Signe Kristiansen übernimmt die Untersuchung des Mordes. Kurz darauf wird die Leiche einer Frau in einem Naturschutzgebiet gefunden: erdrosselt und sexuell missbraucht. Martin ermittelt in diesem Fall, und zum ersten Mal seit langer Zeit arbeitet er wieder mit Signe zusammen. Denn die beiden vermuten, dass die Taten von demselben Mann verübt wurden – einem eiskalten Killer, der es vermag, auch die erfahrensten Polizisten auf die falsche Fährte zu locken. (Verlagsinfo)


Die Autoren

Kim Faber ist Architekt und Journalist bei „Politiken“, einer der größten Tageszeitungen Dänemarks.

Janni Pedersen ist Moderatorin, Nachrichtensprecherin und Kriminalreporterin bei TV2, einem der meistgesehenen Fernsehsender Dänemarks. (bearbeitete Verlagsinfos) Für „Vinterland“ erhielt das Autorenduo den „Det Danske Kriminalakademis debutantpris“.

Die Juncker und Kristiansen-Serie:

1) Winterland
2) Todland
3) Blutland
4) Mörderland

Handlung

Kommissar Martin „Juncker“ Junckersen ist nach einer Krebsoperation gerade zur Kopenhagener Polizei zurückgekehrt, da entbrennt in der dänischen Hauptstadt ein Kampf zwischen Neonazis und Rechtsradikalen auf der einen Seite und autonomen Gruppen und Einwandererbanden auf der anderen. Dabei wird ein Neonazi erstochen, und Junckers frühere Partnerin Signe Kristiansen übernimmt die Untersuchung des Mordes.

Ein Anwohner hat die ganze Szene mit seinem Handy gefilmt, das eine hervorragende Bildqualität produziert hat. Von ihrem Informanten X, dem sie das Handy-Video zeigt, erhält sie den Hinweis, dass es sich bei dem Täter wohl um Jamaal Rashad handeln könnte. Das auf die Hand tätowierte C stehe für Captain, also die Nummer 2 in einer Bande. Jamaal behauptet bei der Vernehmung, das C stehe für Camille seine Frau, doch als Signe Ermina Rashad befragt, reagiert sie auf den Namen „Camille“ gar nicht. Außerdem humpelt Jamaal auf dem rechten Bein, denn er hat bei einem seiner vielen Bandenkämpfe einen Messerstich in den Fußballen erhalten. Das muss höllisch wehtun, denkt Signe.

Martin Juncker wird von Abteilungschef Merlin zu einem neu entdeckten Fundort abkommandiert. Dort liegt die Leiche einer halbnackten Frau, die stranguliert wurde. Die Rechtsanwaltsgehilfin Eva Basel erweist sich jedoch als Jamaal Rashads ältere Schwester Jamila. Sie lebt in einem Opferschutzprogramm unter einem anderen Namen, nachdem ihre Familie gedroht hatte, sie durch Jamaal töten zu lassen, weil sie sich geweigert hatte, einen für sie ausgewählten Cousin zu heiraten.

Signe und Martin haben das zweifelhafte Vergnügen, Jamaal wegen eines Alibis für die Tatzeit am letzten Freitag um Mitternacht zu befragen. Er nennt ein paar vage Angaben, die auch ungefähr mit denen seiner Frau Ermina übereinstimmen. So ein Clan deckt sein Oberhaupt ebenso wie die Mitglieder einer Bande ihren Anführer. Signe kann Jamaal nichts anhaben

Da erhalten sie die Nachricht, dass ein verurteilter Serienvergewaltiger namens Frank Seijrs untergetaucht sei. Er hat seine Bewährungsauflagen verletzt, indem er sich nicht bei seinem Bewährungshelfer gemeldet hat. Außerdem Troels Mikkelsen, Signes eigener Vergewaltiger, nimmt sich dieses Falls an, denn der fällt in sein Ressort. Nun hat sie die Nase voll. Die Zeit der Scham und der Verheimlichung muss nach vier Jahren des Kuschens enden, beschließt sie entschlossen. Sie hat genügend DNS von Troels gesammelt, um jederzeit einen Vergleich zu ermöglichen. Nun braucht sie nur noch eine günstige Gelegenheit, um ihn dranzukriegen und aus ihrem Leben zu entfernen.

Der Mord an Eva Basel alias Jamila Rashad erinnert Juncker an die Ermordung von Martina Jensen anno 2007, einer Politikerin aus Albertlund. Ihre Arme waren genauso ausgebreitet und ihre Beine gespreizt wie bei Eva Basel, außerdem fehlten jegliche Spuren. Er hatte sich seinerzeit richtig in den Fall hineingekniet, weil Martina seiner eigenen Tochter Karolina wie ein Zwilling glich. Martinas Eltern Hanne und Bertil Jensen hatte er durch den Fall gut kennengelernt. Nachdem die Ermittlung quasi im Sand verlaufen ist, hat er sie zwei Jahre lang schuldbewusst nicht mehr besucht, doch nun wagt er sich wieder zu den Jensens: Sie haben beide Kinder verloren, halten sich aber dennoch wacker, besonders Hanne. Er bringt sie auf den neuesten Stand, bis Hanne ihn auffordert: „Schnapp ihn dir!“

Seitdem Chef Merlin eine Psychologin namens Malene hinzugezogen hat, keimt in Juncker und Signe die Hoffnung, dass sie ein Täterprofil für die beiden Morde bekommen können. Der Mörder Evas/Jamilas geht so methodisch und umsichtig vor, dass er eine polizeiliche oder militärische Ausbildung haben könnte, meint Malene.

Die Ermordung der bekannten Schauspielerin Katja Lütsach in einem kleinen mitten in der Stadt versetzt die Stadt in Aufruhr. Der Druck der Medien auf die Kripo steigt ganz erheblich an. Doch es gibt einen schier unglaublichen Glücksfall: An der Leiche findet sich die DNS eines polizeibekannten Vergewaltigers, der 2013 Marta Olufsen und Lise Sand Gewalt antat. Signe weiß, dass die DNS Troels Mikkelsen gehört: Sie hat sie dort platziert! Ausgerechnet mit ihm soll sie den Spuren in die Vergangenheit folgen. Die erste Vernehmung der sichtlich abgemagerten Marta Olufsen gerät zu einem grotesken Schauspiel. Er weiß, dass sie weiß usw.

Am nächsten Tag ist Mikkelsen tot und Signe spurlos verschwunden…

Mein Eindruck

Der Leser sollte versuchen, den Überblick über die vielen Opfer von Mord und Vergewaltigung zu behalten. Das ist nicht so einfach, denn eine Personenliste gibt es nicht. Auch die Ermittler haben dieses Problem und versuchen, es durch ständige Wiederholung der Namen im Griff zu behalten. Und weil sie sich ständig im Kreis drehen, beginnt der Täter, seine Opfer durchzunummerieren. Juncker stößt verblüfft auf die römische Ziffer VI = sechs. Daraufhin hält er Ausschau nach weiteren römischen Ziffern – und wird fündig. Das ist wirklich nett von dem Mörder, ihm und seiner Mordkommission derart auf die Sprünge zu helfen. Welche Absicht steckt dahinter, fragt er sich jedoch.

Constrictor

Der Schlüssel zum Verständnis der Mordserie ist das Wort „Constrictor“, das Juncker in der Aktenkopie findet, die sich Mikkelsen mit nach Hause genommen hat. Zu seiner „Höhle“, wie seine verbitterte Frau sein Arbeitszimmer bezeichnet, hatte niemand sonst Zutritt. Was mag „Constrictor“ wohl bedeuten, fragt sich Juncker. Er weiß aus dem Schulunterricht, dass es eine Schlange namens „Boa constrictor“ gibt, die ihre Opfer nicht gerade erwürgt, sondern vielmehr zerquetscht.

Doch der Aspekt des Erwürgens ist genau das, was an allen weiblichen Opfer auffällig ist: Es ist als wollte der Täter – oder DIE Täter – durch Würgen eine Art von Macht über Leben und Tod ausüben. Deshalb schreckt er der Mörder auch nicht vor Promis zurück: Er will die Öffentlichkeit durch den Mord schockieren. Auf diese Weise wird er zu einer Art Terrorist, der Furcht und Schrecken verbreitet. Aber um was genau zu erreichen? Frappierende Entdeckungen im verborgenen Privatleben von Troels Mikkelsen führen auf die richtige Spur.

Ein junges Mädchen wird entführt. Juncker muss zu seiner Verwunderung feststellen, als er mit dem Entführer telefoniert, dass er es mit dem Constrictor-Mörder zu tun hat. Und dass all diese Fälle ganz direkt mit ihm zu tun haben. Will sich der Täter für etwas rächen, was er, Juncker, vor Urzeiten mal getan hat? Es sieht ganz so aus: Er hat seinerzeit, also vor mindestens 20 Jahren, Troels Mikkelsen einem anderen Bewerber bei der Kripo vorgezogen. Dafür soll er nun büßen.

Showdown

Und zwar an einem sehr hohen Punkt der Stadt, genauer gesagt: auf einer Kirchturmspitze. Ende November weht hier oben, fast hundert Meter über dem Boden, ein recht frischer Wind. Dennoch findet Juncker, dass es allein seine Aufgabe ist, es mit dem Entführer und Serienmörder aufzunehmen. Er weiß längst, um wen es sich handelt. Verwirrt hatte ihn lange Zeit, dass er den Mann unter zwei völlig verschiedenen Namen kennt. Doch nun ist alles klar. Ein Mann wie Juncker, der eine Krebsdiagnose erhalten hat, ist zu allem bereit, denn Priorität hat nicht sein eigenes Leben, sondern das des entführten Mädchens.

Die Übersetzung

Die Sprache der Übersetzung ist der heutigen Umgangssprache angenähert, also gut verständlich. Die Zeiten, in denen im Hause Random House und Heyne wie im 19. Jahrhundert formuliert wurde, sind glücklicherweise vorbei.

S. 64: „wenn er sich einem Tatort näher[t]…“ Das T fehlt.

S. 83: „Die Krimis von Sjöwall Wahlöö.“ Entgegen dem Eindruck, es handle sich um Vor- und Zunamen, sind hier die beiden Nachnamen der beiden bekanntesten schwedischen Krimiautoren gemeint. Zusammen erfanden Maj Sjöwall und Per Wahlöö in den 1960er Jahren den bis heute ermittelnden Kommissar MARTIN BECK.

S. 87: „Genauso war es auch damals auch, denkt er.“ Ein „auch“ reicht völlig.

S. 118: „hätten ihn nicht seine älteren Brüder nicht[s] ins Gangstermilieu eingeschleust…“ Das S fehlt.

S. 210: „…bis zu[r] Junckers Auto…“: Das R ist überflüssig.

S. 378: „NC3“: Diese Abkürzung wird nicht erklärt. Vielleicht steckt ein „numerus clausus“ dahinter.

S. 429: “ein Match mit einem anderen Detail in einer anderen Tabelle“: Nein, hier geht es nicht um ein Tennis-Match, sondern vielmehr um eine Übereinstimmung von Details.

S. 457: Verweis auf Sjöwall/Wahlöö: Der „Mord an einer amerikanischen Touristin“, in dem Martin Beck ermittelte, geschah auf dem Götakanal, der von Göteborg nach Stockholm führt (und umgekehrt). Die Touristin hieß Roseanna, und das war auch der Titel der Originalausgabe des ersten Krimis des genannten Autorenpaars. Der US-Cop, auf den sich der Sprecher bezieht, ist der (fiktive) Vater des (ebenso fiktiven) FBI-Ermittlers, den Juncker und Signe jetzt um seine Mitarbeit bitten. Und siehe da: Sie stoßen auf zwei weitere Opfer des Constrictor-Mörders.

S. 518: „an den Türen klinge[l]n und nachfragen“: Gemeint ist das übliche Klingelputzen in der Nachbarschaft, im Englischen „Canvassing“ genannt. Das L fehlt.

Unterm Strich

Auf raffinierte Weise führt das Autorenduo den Leser zweimal in die Irre. Nach Signes Untertauchen müssen wir annehmen, dass sie Mikkelsen, den sie bis auf Blut hasst, weil er sie vier Jahre zuvor vergewaltigt hat, getötet hat. Sie ist nirgendwo zu finden – außer durch Juncker, dessen phänomenales Gedächtnis so einige vergrabene Erinnerungsschätze preisgeben muss. Und dass der Mörder der Schauspieler so unachtsam war, zwei seiner Haare auf dem Opfer zurückzulassen, kann Juncker nicht glauben. Was hat Signe bloß alles angestellt?

Die zweite Irreführung betrifft einen der beiden Täter. Er steht nämlich genau vor den Cops und lässt sich über ihre Fortschritte genau informieren. Beide Täter würgen ihre Opfer, bevor sie sie markieren, aber sind sie auch Vergewaltiger? Lange Zeit können die Ermittler die einen Opfer nicht von den anderen unterscheiden, weshalb sie sich dauernd im Kreis drehen. Der Kreis wird zu einer zielführenden Spirale, als der oder die Mörder anfangen, ihre Opfer mit römischen Ziffern zu nummerieren. Was als sehr freundliche Geste aufgefasst werden könnte, ist jedoch ein durchdachter Köder, um Juncker quasi an den Haken zu bekommen und dann die leine so lange einzuholen, bis er dort anlangt, wo ihn der Täter haben will: auf einer Kirchturmspitze. Von dort oben wäre es ein sehr tiefer Fall. Für wen, darf hier nicht verraten werden.

Die dritte Irreführung betrifft den ersten Mord, den angeblich einer der Muslime an einem der Neonazis verübt haben soll. Doch das Handy-Video eines Augenzogen widerlegt auch diese Theorie. Nur, wer ist dann der wahre Mörder? Wie man sieht, ist der Leser gut beraten, ständig aufzupassen. Glücklicherweise wiederholen die Ermittler regelmäßig ihre Erkenntnisse und offenen Fragen, so dass die Verwirrung sich sehr in Grenzen hält.

Das große Schriftbild trägt ebenfalls dazu bei, schnell im Buch voranzukommen. Eine kleine Pause hier und da wird schon von den Autoren empfohlen, denn sie haben den Text nach den Tagen unterteilt, die vergehen, bis am 22. November der Showdown erfolgt.

So fällt es auch leicht zu erkennen, welche Passagen der jeweilige Autor geschrieben hat: Kim Faber war wohl für Junckers private und sogar intime Erlebnisse zuständig und Janni Pedersen für die heiklen weibliche Intimangelegenheiten. Eine Vergewaltigung hinterlässt ja nicht bloß körperliche Spuren, sondern auch viele psychologische Konsequenzen. Eines der Opfer hat sich bereits umgebracht, und ein zweites, Marta Olufsen, ist der Magersucht verfallen. Das sind Symptome, die auf schwere psychische Probleme hinweisen. Aber Pedersen hat ihre Hausaufgaben gemacht und diese Fälle mit Fingerspitzengefühl geschildert.

Was Signe, ein weiteres Vergewaltigungsopfer, alles auf dem Kerbholz hat, darf hier nicht verraten werden. Dass sie Lynchjustiz an Mikkelsen verübt haben könnte, wird suggeriert – und das alleine wäre schon der Hammer.

Taschenbuch: 559 Seiten
O-Titel: KVAELER, 2021
Aus dem Dänischen von Franziska Hüther.
ISBN 9783764507312

https://www.penguinrandomhouse.de/Verlag/Blanvalet/1000.rhd

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