Frey, James – Strahlend schöner Morgen

Los Angeles – jeder kennt die Stadt im Südwesten Amerikas, gilt sie doch schon lange als Mekka der Kunst, vor allem des Films. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Wo sich Hollywoodvillen von berühmten Filmstars finden, finden sich auch Armutsviertel und gescheiterte Schauspieler. Der New Yorker Autor James Frey hat sich dieser Problematik angenommen und zeichnet in seinem Roman „Strahlend schöner Morgen“ ein Bild der Metropole Los Angeles, das diese Stadt in all ihren Facetten abbilden möchte.

Er benutzt dafür ein ungewöhnliches Vorgehen und mischt in seiner Geschichte Anteile von Dokumentation und Belletristik. Die einzelnen Kapitel werden nicht durch Überschriften abgetrennt, sondern mit kurzen Fakten über die Stadt, beginnend bei deren Gründung 1781. Daneben gibt es Kapitel, die sich nur auf Fakten beziehen, zum Beispiel die Aufzählung einzelner Gangs in Los Angeles, lustige und traurige Fakten über die Stadt, eine Zeittafel mit Naturkatastrophen.

Weite Teile des Buches werden jedoch von fiktionalen Personen bestimmt, die in Los Angeles leben und mit den dortigen Gegebenheiten konfrontiert werden. Einige dieser Personen haben nur einen Auftritt und verbleiben damit entsprechend anonym, andere begleiten den Leser bis zum Ende der Geschichte. Frey legt dabei eine große Bandbreite an den Tag. Da sind zum Beispiel Dylan und Mandy, zwei Kleinstadtteenager, die in L.A. ihr Glück versuchen; der Obdachlose Old Man Joe, der versucht, ein junges Mädchen vor ihren Zuhältern zu bewahren; Amberton Parker, ein arroganter Schauspieler, der seine Homosexualität verbirgt, um weiterhin der Star in Actionfilmen sein zu können; Esperanza, Tochter mexikanischer Einwanderer, die ihren Unterhalt als Putzfrau bei einer exzentrischen alten Dame verdient. Sämtliche dieser Erzählelemente betonen den Unterschied zwischen Arm und Reich, der in L.A. besonders drastisch zu sein scheint. Frey erzählt davon, was es heißt, in einer Stadt mit hoher Kriminalität zu leben, wie Existenzen dort zerstört werden, aber auch, wie manchmal kleine Wunder geschehen.

Eines ist klar: Nach diesem Parforceritt durch Los Angeles weiß man mehr über diese Stadt, als Hollywood einem jemals vermitteln kann. James Frey serviert seinen Lesern die ungeschminkte Wahrheit, aber er verurteilt nicht. Im Gegenteil stellt er die Personen, selbst die, die mit offensichtlicher Naivität nach L.A. kommen, sehr menschlich dar. Das Buch besteht eigentlich ausschließlich aus Personen. Es sind so viele, dass es manchmal schwer fällt, den Überblick zu behalten. Doch da nur wenige wiederholt vorkommen, gewöhnt man sich schnell an Freys Vorgehen. Er möchte keine wirkliche Handlung erzählen, sondern die Stadt der Engel so vielfältig wie möglich darstellen. Das ist ihm gelungen. Auch wenn es schwer fällt, als Laie die einzelnen Stadtteile und Informationen zu einem Ganzen zu fügen, bekommt man doch eine Ahnung davon, wie riesig und unübersichtlich L.A. sein muss – und wie es dort aussieht.

Ob man die Muße hat, ein fast 600 Seiten starkes Buch ohne Handlung zu lesen, nur um einer amerikanischen Stadt näher zu kommen, bleibt jedem selbst überlassen. Es ist das Erlebnis wert, denn neben einer Armada an Informationen, Eindrücken und Personen ist „Strahlend schöner Morgen“ auch handwerklich sehr gut gemacht. Da ist zum einen der Wechsel zwischen Fiktion und Non-Fiktion, zwischen bekannten Gesichtern und solchen, die nur einen kurzen Auftritt haben. Selbst diese verbleiben im Gedächtnis. Häufig wirken sie wie typische L.A.-Klischees – der gefallene Schauspieler, der als Kellner seinen Lebensunterhalt verdient; die Kleinstadtschönheitskönigin, die ihr Geld als Pornodarstellerin verdient; der Mann, der schon im Kindesalter in eine der Gangs aufgenommen worden ist – aber Frey schafft es, ihnen mithilfe seiner nüchternen Darstellungsweise und seines Wissens, das er während seiner Zeit in L.A. angesammelt hat, Authentizität einzuhauchen.

Bewundernswert dabei ist, dass Frey zwar durchgehend beinahe schon sachlich bleibt, seinen Schreibstil aber trotzdem auf die einzelnen Figuren, die er wiederholt einsetzt, anpasst. Eine Esperanza berichtet wesentlich verletzlicher und mit blumigerem Vokabular als zum Beispiel das Kleinstadtpärchen, dessen Erzählweise so grau und unscheinbar ist wie ihre Existenz. Sehr gelungen ist dabei vor allem die Perspektive um Amberton Park, den heimlich homosexuellen Schauspieler, der in einer Scheinehe lebt. Seine Sprache ist genauso abgehoben und gekünstelt wie sein ganzes Gehabe und eine wunderbare Persiflage auf die Schicht der reichen Leute.

Alles in allem hat James Frey ein bewundernswert umfangreiches und stilistisch gelungenes Buch geschrieben. „Strahlend schöner Morgen“ ist anders als vieles, was sich momentan in den Bestsellerlisten tummelt, und genau das macht den Reiz des Romans aus.

|Originaltitel: |Bright Shiny Morning|
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens
590 Seiten, Gebunden
ISBN-13: 978-3550087677|

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