Joger, Ulrich / Kamcke, Claudia (Hgg.) – Mammut. Elefanten der Eiszeit

Vom 1. Dezember 2005 bis 18. April 2006 fand im Staatlichen Naturhistorischen Museum Braunschweig die Sonderausstellung „Mammut – Elefanten der Eiszeit“ statt, zu der das vorliegende Werk den Begleitband darstellt. Es gliedert sich in sieben Großkapitel:

1. Eine kurze Geschichte der Mammutfunde (S. 9-24): Gewaltige Knochen findet man seit jeher überall dort, wo einst die mächtigen Urzeit-Elefanten lebten. In Deutschland taten sie dies beispielsweise im Harz oder im Braunschweiger Land, wo sich seit dem 17. Jh. die moderne Wissenschaft mit ihnen beschäftigt. Sah man sie zunächst als Überreste von Unglücksrüsslern, die von der biblischen Sintflut verschlungen wurden, erkannte man sie dann als Relikte eiszeitlicher Elefanten. Seit 1800 wurden im Eis der sibirischen Dauerfrostböden immer wieder gefrorene und vollständig erhaltene Mammuts entdeckt, die es der Wissenschaft ermöglichten, über diese Wesen so viel in Erfahrung zu bringen wie über manche heutige Tierart.

2. Die Evolution des Mammuts (S. 24-32): Mammut ist längst nicht gleich Mammut. Es gab dieses Tier nicht nur langhaarig, sondern in mehreren Arten, die ihren jeweiligen Ökosystemen perfekt angepasst waren. Aufgrund der zahlreichen Funde existiert ein Elefanten-Stammbaum, der Aufschluss über die Entwicklung dieser Arten gibt.

3. Das Wollhaarmammut – ein Elefant der Eiszeit (S. 33-44): Die Untersuchungen der Knochen und Kadaver sowie der Böden, in denen sie liegen, ermöglichen es heute das Leben der Mammuts bis in Details zu rekonstruieren. Dazu gehören sogar Einblicke in das Sozialleben der gesellig lebenden Riesentiere.

4. Das Eiszeitalter – nicht nur Eis und Kälte (S. 45-56): Das Eiszeitalter stellt sich der heutigen Forschung längst nicht mehr als Folge von Gletschervorstößen und -rückzügen, sondern als komplexe Serie kurzer und rasch aufeinander folgender Kalt- und Warmzeiten dar. Nicht selten gab es in diesem Eiszeitalter Phasen, in denen das Eis sich weit zurückzog und die Durchschnittstemperaturen sogar höher als heute lagen. In diesem Kapitel werden die komplexen wissenschaftlichen Messmethoden vorgestellt, mit denen es gelang, dies festzustellen, sowie Rückschlüsse auf die zeitgenössischen Umwelt/en gezogen.

5. Die „Mammutsteppe“ – ein untergegangenes Ökosystem (S. 57-68): Die trockenen Kältesteppen, durch die das Wollhaarmammut zog, sind keineswegs identisch mit der arktischen Tundra der Jetztzeit. Stattdessen bot die „Mammutsteppe“ nicht nur den großen Pelzelefanten, sondern einer Vielzahl anderer Tiere (Nashörner, Riesenhirsche, Löwen, Hyänen usw.) eine Heimat, die sie, selbst wenn sie nicht ausgestorben wären, heute nicht mehr vorfänden.

6. Mammutjäger – Mensch und Kultur im jüngeren Eiszeitalter Europas (S. 69-92): Mensch und Mammut waren Zeitgenossen. Wie sah das Verhältnis zwischen den beiden Lebewesen dar, die auf ihre Weise den gemeinsamen Lebensraum dominierten? Der Mensch jagte das Mammut, aber wie intensiv tat er es? Ist er sogar (mit-)verantwortlich für das Aussterben dieser Elefanten? In diesem Kapitel werden neue Erkenntnisse vorgestellt, die überraschen.

7. Das Mammut in der Kunst der Eiszeitjäger (S. 93-112): Obwohl der Mensch der Eiszeit des Schreibens nicht mächtig war, gibt es Zeugnisse, die darüber informieren, wie er das Mammut sah. Er schnitzte es in Elfenbein, die Wände zahlreicher Höhlen zeigen Bilder, welche sich sogar chronologisch ordnen lassen: Das Verhältnis zwischen Mensch und Mammut unterlag zeitlichen Wandlungen, deren Kenntnis das Bild vom eiszeitlichen Leben ergänzt.

Ein Glossar (S. 113-115) informiert über die wichtigsten Fachbegriffe, ein Autorenverzeichnis (S. 116) über die am Buch beteiligten Verfasser.

Knapp und präzise informiert dieser Begleitband zu einer Braunschweiger Ausstellung rund um das Thema „Mammut“. Hier und da macht sich die Beschränkung auf eine möglichst geringe Seitenzahl – der Katalog sollte offensichtlich möglichst erschwinglich bleiben – negativ bemerkbar – dies nicht unbedingt, weil wichtige Informationen fehlen, sondern weil man als Leser mehr erfahren möchte. (An Literaturangaben herrscht indes kein Mangel, so dass dies mit ein wenig Laufarbeit möglich ist.) Diese Reaktion zeigt, dass dem Mammut in der Gunst des Menschen eine ähnliche Rolle zukommt wie den Dinosauriern: Die großen Elefanten sind zwar ausgestorben, aber wir bedauern es und möchten mehr über sie erfahren. Die Sehnsucht ist sogar so stark, dass ernsthaft über die Möglichkeit spekuliert wird, Mammuts „auferstehen“ zu lassen.

Der Mensch schätzt also das Mammut, das er im Gegensatz zu den Sauriern noch selbst kennen gelernt hat. Es ist faszinierend, wie gut sich dies dokumentieren lässt: In der Kunst des Eiszeitmenschen spielte das Mammut eine große Rolle. Er hat sich immer wieder mit diesem Tier beschäftigt, auch wenn die jeweiligen Zusammenhänge nur vermutet werden können. Noch besser: Der Mensch ist offenbar nicht verantwortlich für sein Aussterben; konkrete Untersuchungen bekannter Tierschlachtplätze widerlegen das Bild vom Speer schwingenden Eiszeitkiller, der die Mammuts herdenweise über steile Klippen in den Tod jagt.

Mit vielen Mammutmythen räumt dieses Buch wie nebenbei auf. So ist es ganz und gar nicht so, dass in Sibirien riesige Eiswürfel auf ihre Entdeckung warten, die in ihrem Inneren so perfekt konservierte Rüsseltiere bergen, dass diese quasi aufgetaut und ins Leben zurückgerufen werden können – dies zumindest über den Umweg des Klonens. Tatsächlich sehen gefrorene Mammuts keineswegs stattlich aus. Die Kadaver enthalten keine DNS, die nach heutigem Forschungsstand fürs Elefantenbasteln taugen. Außerdem unterscheiden sich Mammuts genetisch so stark von heutigen Elefanten, dass deren weibliche Exemplare als „Leihmütter“ nicht in Frage kämen. Aus der Traum vom „Pleistocene Park“ …

Die Erforschung des Mammuts ist auch als Spiegel der menschlichen Entwicklung von großer Bedeutung. Funde in unmittelbarer oder weiterer Entfernung von Mammutkadavern schließen nicht selten schmerzhafte Wissenslücken. Viele urzeitliche Artefakte sind nur deshalb bekannt geworden, weil sie der Mensch zur Jagd und zum Zerlegen der großen Elefanten eingesetzt hat. Ein Mammut speiste eine Menschengruppe über viele Wochen und lieferte Rohmaterial für Kleidung, Werkzeuge, Jagdwaffen, Schmuck. Diese Funde liefern wiederum Informationen über ihre Besitzer. So greift im Idealfall ein Zahnrad ins andere und vermittelt das Bild einer lebendigen Vergangenheit.

„Mammut“ wartet deshalb auch mit interessanten neuen Erkenntnissen über den Neandertaler auf. Schon länger wird vermutet, dass es sich bei diesem keineswegs um einen ungehobelten Steinzeitklotz handelte. Der Neandertaler war eine zweite Menschenart, die sich von seinem jüngeren Zeitgenossen, dem heute allein überlebenden Cro-Magnon-Menschen, anatomisch und genetisch recht deutlich unterschied, ohne deshalb jedoch „primitiver“ oder „dümmer“ gewesen zu sein. Neandertaler konnten offenbar sehr wohl sprechen und sie existierten deutlich länger als bisher gedacht, ohne sich mit den „moderneren“ Nachbarn zu bekriegen.

So muss ein Buch aussehen, das neugierig macht auf Wissen – und noch mehr Wissen! Deshalb lässt sich das recht biedere Layout – beispielsweise sehen manche Karten wie mit dem Buntstift gezeichnet aus – leicht verschmerzen. Hier übertrifft der Inhalt die Verpackung – eine angenehme Abwechslung zumal in einer Sachbuchwelt, die sich heute gar zu gern der „Galileo: Halbwissen spannend gemacht“-Schule des Privatfernsehens anpasst.

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