Deutsche SF: Viel allzu Bekanntes, mit bedeutenden Ausnahmen
Die SF-Anthologien des Wurdack-Verlags feiern mit dieser Ausgabe Jubiläum: Dies ist die zehnte. Und wie so häufig sind auch etliche der Erzählungen für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert worden – nicht weniger als fünf von sechzehn …
Die Erzählungen
1) Frank Haubold: Die Audienz
Die ferne Zukunft. Das Mitglied eines katholischen Ordens besucht einen Angehörigen der allmächtigen, aber zurückgezogen existierenden Rasse der Tanuat auf dessen Heimatplaneten. Dieser Tanuat gibt sich die Gestalt eines jungen, adrett gekleideten Mannes. Das Anliegen des Ordensmannes: Furcht vor einer drohenden Invasion aggressiver Aliens.
Der Tanuat hat von diesen Aliens, den Mareen, gehört und bietet den Gebrauch seiner gesamten Raumschiffflotte an. Doch bevor sich Lein Castillo von seinem Freudenschock erholen kann, entgegnet der Tanuat mit einem warnenden Gleichnis.
Einst wollten die Tanuat einem Passagierschiff helfen, das sich einer Kollision mit Sternenmaterie näherte. Doch statt Dankbarkeit ernteten die Retter lediglich Gegenwehr der Passagiere, die mit Anschlägen antworteten. Und als man das Schiff endlich vom unheilvollen Kurs abgebracht hatte, reagierte das Universum mit einem Zeitbeben …
Mein Eindruck
Der lange Dialog zwischen Leon Castillo und dem namenslosen Tanuat dreht sich um das Thema Reaktion auf eine drohende Gefahr und die Risiken des richtigen Eingreifens. Die naheliegende Analogie ist die des Terrorismus. Darf der Kampf dagegen so weit gehen, dass er den Abwehrenden in seinem Charakter deformiert? Und das Gleiche gilt erst recht für die Gruppe der Abwehrenden, etwa ein Volk oder ein Orden.
Dieses ernste Thema wird leider zweifach relativiert. Das erwähnte zeitbeben wird von Leon Castillo als ein Zeichen für die Existenz Gottes, des Allerhöchsten, aufgefasst. Und was wäre das für ein Gott, der sich in jedes bisschen Aktivität seiner Kreaturen einmischen würde? Deshalb, so Leons Auffassung, zeigt sich Gott in der Wirkung – manchmal unergründlichen Wirkung – der Naturgesetze.
Die zweite Relativierung erfolgt durch vier nette Gentlemen, deren Vorbilder leider alle bereits schon tot sind, so etwa der Duke of Wellington (der bei Waterloo gegen Napoleon gewann) und die Schriftsteller William Thackeray und Graham Greene. Sie amüsieren über diese „nette Geschichte“ über Leon Castillo. Darauf ein Gläschen Portwein!
Schade, dass es der Autor nötig fand, sein gewichtiges Garn derart heiter auszugleichen. Der geradezu sokratische Dialog über Terrorismus, Abwehr und Nothilfe bietet einige gute Argumente für eine Diskussion zum Thema.
2) Bruna Phlox: Hör auf die Wahrsagerin, Nishka!
Nishka ist ein junge Frau, die im Oktober 2054 mehr im virtuellen Netz lebt als im „Realroom“. Dort, im Netz, hat sie nicht nur einen Hund namens Murry, sondern auch einen Freund namens London (alias Lokesh). Schließlich fasst sie den Entschluss, London zu besuchen. Na, wo wohl? In London natürlich. Es wird ein Albtraum …
Denn am Rande erfahren wir, dass Nishkla und Lokesh Produkte eines Langzeitversuchs sind, die ein Labor in Bombay anstellt, um herauszufinden, ob sich das Kaufverhalten bei Langzeitnutzern des Netzes unter bestimmten Bedingungen ändern lässt. Nachdem es eine erhebliche Störung durch jemand namens Dörte/Bernhard gegeben hat (er wurde „terminiert“), kann der Langzeitversuch als gescheitert gelten. Höchste Zeit also, den Versuch mit einem Paar aus dem Reallife fortzusetzen …
Mein Eindruck
Im Jahr 2054 haben die Leute offensichtlich Probleme, die sich heute bereits anbahnen. Sie können sich beispielsweise nicht entscheiden, ob ihnen ihr natürliches Geschlecht im Reallife besser gefällt als das, welches sie im Netz besitzen. Kommt darauf, wem sie dort lieber gefallen wollen – Männlein oder Weiblein. Dass man auch im Netz intim sein kann, belegt Nishka, die nur im Netz zum Sprechen fähig ist. Dort wechselt sie auch die Partner wie die Hemden.
Allerdings trägt der virtuelle Raum des Netzes seinen Namen zu Recht: Du weißt nie genau, welchen Grad an „Realität“ du selbst besitzt. Nishka etwa scheint nur ein Netzkonstrukt aus Bombay zu sein, ebenso ihr Lover Lokesh alias London. Und so kann es schon mal vorkommen, dass Lokesh ein Opfer von Hackern wird, die ihm übel mitspielen. Auch Avatare haben ein Schicksal.
3) Bernhard Schneider: Sarah
Der Chef von MetaDNA unternimmt alles, um seiner Tochter Sarah, die unter einer Erbkrankheit leidet, eine Gentherapie zu ermöglichen. Dazu verkauft er alles und begeht jede Art von Wirtschaftsverbrechen. Die Ironie dabei ist ihm wohl bewusst: Sarah ist ein Wunschkind, dessen Erbgut von MetaDNA extrem optimiert wurde. Nur wurde dabei ein kleiner Defekt übersehen.
Als die Polizeibeamten bei ihm klingeln, kann er nur daran denken, dass sie gekommen sind, um ihn zu verhaften. Dem ist jedoch nicht so. Die Beamten wollen dem Geruch nachgehen, der vom Nachbar in der Wohnung darüber gemeldet wurde. Er führt sie zum Bett, sich panisch rechtfertigend. Die Beamten prallen angwidert zurück. Im Gegensatz zu Sarahs Vater, sehen sie, dass für dieses Kind jede Hilfe bereits längst zu spät kommt …
Mein Eindruck
Eine emotional starke Geschichte mit einer umwerfenden Pointe à la Poe (z. B. „Das verräterische Herz“). Die Aussage ist deutlich eine Kritik an der sich perfekt wähnenden Gentechnik, die aber doch gegen Irrtümer und Fehler nicht gefeit ist. Trotz seiner Verbrechen haben wir größte Sympathie für den Ich-Erzähler und Vater – wenn er nur nicht schon längst dem Wahnsinn verfallen wäre …
4) Regina Schleheck: Ein Schiff wird kommen
Juliet betritt am 27. 12. 4786 den Sternenkreuzer Eden for Orbiting Seniors, kurz EOS, also „Morgenröte“. Nach der Sicherheitsprüfung geht sie in ihre Kabine und fragt sich, warum der Kapitän sie als Ermittlerin angeheuert hat. Sie baut aus Vibratoren und anderem Spielzeug Waffen zusammen, als die Ansage des Kapitäns die Passagiere willkommen heißt – noch 13 Minuten bis zum Ablegen des Riesenpotts.
Dan durchfährt sie ein blendender Schmerz – und sie findet sich erneut in dem Moment, in dem sie ihre Kabine betritt. Sehr merkwürdig. Als sie den Kapitän zum Diner trifft, ist sie die Erste. Er wirkt sehr besorgt: Ständig würden unerklärliche Zeitsprünge auftreten, berichtet er, diese wären aber rein subjektiv zu erfahren. Keinerlei objektive Messungen hätten die Zeitrücksprünge bestätigt. Klar, dass man dieser Sache auf den Grund gehen muss.
Sie erhebt sich gerade vom Tisch, als sie ein weiterer Zeitsprung trifft und sie das Bewusstsein verliert. Sie erwacht auf dem Boden ihrer Kabine und starrt einer großen Frau ins Gesicht. „Hallo!“ Die Frau meint, so etwas dürfe es gar nicht geben, denn wen sie da vor sich sehe (also Juliet), sei nur eine Figur in einem Film, der auf dem Kurzfilmfestival in Cork gezeigt werde …
Mein Eindruck
Die Autorin spielt mit einem Sprung der Realitäts- und Fiktionsebene. Juliets Leben ist offenbar die Fiktion eines Schöpfers, vermutlich eines Regisseurs. Die Zeitsprünge könnten Filmschnitte sein. Doch wie kommt es dann, dass die Handlung des Jahres 4786 in einem Film des 20. Jahrhunderts landet?
Gute Frage, die auch die schwarzhaarige Dame nicht beantworten kann. Bei ihr handelt es sich übrigens um Melina Mercouri, die griechische Schauspielerin und Politikerin. Doch das tut nichts zur Sache, außer dass sie sehr kritische Fragen zu stellen weiß.
Am Schluss flutscht die Realitätsebene Juliets wieder zurück wie ein angespanntes Gummiband – alles auf Anfang. Philip K. Dick hätte sich gefreut. Die Autorin geht gekonnt mit ihrem Stoff um. Sie schrieb das Skript für die Hörspielfassung von „Mark Brandis: Bordbuch Delta VII“ sowie weitere Folgen und wurde lt. Verlag mehrfach ausgezeichnet.
5) Christian Weis: Ausgespielt
Der Privatdetektiv Ben Kozak fliegt nach Luna City, um im Auftrag eines reichen japanischen Klienten nach dessen Sohn Riley zu suchen. Der erst 19-jährige Sprössling ist vor zwei Tagen aus dem Casino des Luna Center verschwunden. Kozak wendet sich zuerst an die Polizei und seinen alten Bekannten Danny Lee. Der stellt den Kontakt zur Casino-Aufsicht her, die Riley zuletzt gefilmt hat.
Riley spielt ein enorm schwieriges Videospiel namens StarCrash, bei dem ein Schiff Asteroiden ausweichen muss. Seine Reaktionsgeschwindigkeit ist phänomenal. Und an den Spieltischen verzeichnete Riley ebenfalls große Erfolge. In seinem Alter? Unwahrscheinlich. Aber die Aufsicht hat keine Tricks registriert. Da fällt Kozak etwas auf: In jeder Aufnahme steht eine junge Frau nicht weit von Riley entfernt.
Die Lady heißt Shu Yip und wohnt in einem Hotelzimmer. Zunächst zeigt sie sich unkooperativ, doch dann erleidet sie einen emotionalen Zusammenbruch, als sie einen mentalen Kontakt mit ihrem geliebten Partner Riley Zhong herstellt. Ist sie etwa eine Telepathin, fragt sich Kozak. Nein, sie hat einen Chip wie Riley im Hirn eingepflanzt.
Riley schwebt in Lebensgefahr, weil er von dem Mann, der beiden nach Luna City gebracht wird, erpresst wird …
Mein Eindruck
Formal hat der Autor einfach eine gewöhnliche Detektivgeschichte auf den Mond verlegt. Sie funktioniert ausgezeichnet und bleibt spannend bis zum Schluss. Das einzige Neue daran trägt auch die menschlich-tragische Dimension dazu bei: der mit Chips realisierte Telepathie-Ersatz.
6) Nadine Boos: Finja-Danielas Totenwache
Die zwei Körper liegen bereit. Auf Finja-Danielas Totenwache sollen die Erinnerungen und die Persönlichkeit der Sterbenden auf das Gehirn der bereitliegenden Klonin übertragen werden. Allerdings verläuft der Vorgang diesmal anders als erwartet.
Denn die Verwandten, die mit ihren Lovern und Nachkommen zugegen sind, streiten sich derart, dass die Sterbende zu wütend wird, um einzuschlafen. Stattdessen gehen schließlich zwei Ausgaben von Finja-Daniela zur Tür hinaus …
Mein Eindruck
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – so könnte man die Story zusammenfassen. Oder der Dritte hat einen Klon und beide steigen aus dem Programm aus. Das ist dann die satirische Variante. Nett ist der Einfall, die lieben Verwandten als Datenabbilder in elektronische Kästen zu sperren, die sich herumtragen lassen. Auch aus der Doppelung der Originale und Klone ergeben sich etliche Konflikte, die die Autorin in Fülle durchspielt.
Allerdings fragte ich mich: Wenn die humanoiden Klone Träger der Originale (oder ihrer Backups) sind, wozu sind dann die Verwandten in Kästen untergebracht? Sind dies dann Persönlichkeitsabbilder in einer Vorstufe zur humanoiden Klonierung, also zum Download in einen Körper?
Wer mehr und Spannenderes zu diesem Thema lesen möchte, sollte sich mal Richard Morgans SF-Krimi „Das Unsterblichkeitsprogramm“ reinziehen.
7) Christian Günther: Der geborgte Himmel
Das Marsprojekt ist gescheitert. Die Erde holt die Farmer wieder nach Hause. Viele sind schon abgereist, doch 37 Familien sind geblieben, weil sie auf der Erde keine Zukunft sehen – sie sind ihr entwöhnt und entwachsen. Das trifft für die Kinder erst recht zu. Doch nachdem auch der Anführer dieser Rebellen durch Unfall ums Leben gekommen ist, machen sich weitere 27 Familien auf die lange Reise zurück zur Erde, darunter der Sohn des Verunglückten, der die Geschichte erzählt, und seine Schwester.
Als sie westlich von Buenos Aires landen, merken sie schnell, dass hier auf der Erde etwas nicht stimmen kann. Kein Empfangskommando, keine Fahnen im Wind, keine Menschenseele weit und breit. Der Asphalt, auf dem das Raumschiff steht, ist von Pflanzen überwuchert – ebenso wie die Straßen der Großstadt selbst. Die letzten verstreuten Überlebenden berichten von einer Pandemie, die fast alle Menschen dahingerafft habe.
Na, das trifft sich ja bestens. Schließlich haben die „kleinen grünen Männchen vom Mars“ nichts anderes gelernt, als eine Welt zu kultivieren …
Mein Eindruck
Der Rote Planet ist nicht für die menschliche Besiedlung geschaffen, da beißt die Maus keinen Faden ab: Selbst das Schmelzen der Polkappen würde zwar die Atmosphäre verdichten, aber doch den allgegenwärtigen roten Staub nicht vertreiben, von Stürmen ganz zu schweigen.
Nach der Rückkehr zur Erde empfängt die Marsianer ein mittlerweile nur allzu bekanntes Szenario: die Welt NACH dem Menschen. Dazu gibt es bekanntlich bereits eine ganze Serie von TV-Dokus, die vor allem durch ihre CGI-Spezialeffekte zu beeindrucken wissen. Sie ist ihrerseits eine Folge von Alan Weissmans epochalem Buch „Die Welt ohne uns“. Also auch hier nichts Neues. Aber die Ironie ist doch recht nett.
8) Karla Schmidt: Lebenslichter
Berlin, etwa 20 Jahre in der Zukunft. Mara Tarmann ist Inspektorin beim Staatlichen Gesundheitsdienst, die festlegt, welchen Versicherungsbeitrag die Patienten bezahlen müssen, je nach dem ad hoc getesteten Gesundheitszustand. Eines Tages lässt ein Polizeikommissar eine ganz spezielle Brille liegen. Sie nimmt sich zwar vor, sie zurückzugeben, aber niemand meldet sich deswegen. Also setzt sie sie auf, als sie ihrem jugendlichen Lover Vadim folgt.
Die Brille zeigt die Menschen in der Magnetschwebebahn in Falschfarben. Aber noch viel interessanter sind die Daten, die in die Gläser drahtlos eingeblendet werden. Sie erfährt Vadims Alter, seinen vollen Namen, sein Herkunftsland, seinen Beschäftigungsstand und vieles mehr. Am interessantesten sind die Bewertungen der Emo-Werte: verliebt11plus und dergleichen.
Vadim bringt ihr gute Sachen zu essen mit, Sachen, die sicher ein Vermögen gekostet haben. Sie selbst kann sich für ihren alten Vater Carl (70+) und ihre Schwester Lucia (19) nur eine winzige Plattenbauwohnung leisten. Jeder Einkauf wird sofort drahtlos vom Personal Management Center (PMC), einer Art Mini-PC, abgebucht. Vadims PMC muss also frisiert sein. Aber wer ist die weißhaarige Frau, die es ihm gegeben hat? Nur Vater Carl besteht noch auf analoger Post auf toten Bäumen. Und selbst die scheint immer im Recycler zu verbrennen.
Deshalb kommt es als ein Schock, als Mara von ihrem Nachbarn Korn, einem emeritierten Arzt, erfährt, dass der Plattenbau am 30. März gesprengt werden soll. Das sind ja nur noch etwa 29 Stunden, realisiert Mara siedend heiß. Vater Carl muss alle Ankündigungen dieses kritischen Termins verbrannt haben: hoffnungslos 14+, trauernd6+.
Auf einmal muss alles ganz schnell gehen, denn sonst wird Mara und Carl die Bude überm Kopf weggesprengt …
Mein Eindruck
Die Autorin entwirft ein plausibel realistisch geschildertes Zukunftsszenario, das stark an faschistische Zeiten in Deutschland gemahnt. Ausländer beispielsweise werden „Sippenhaft“ genommen und abgeschoben, als wären wieder die Nazis an der Macht. Allenthalben Sicherheitskräfte in den Shopping Malls, alle mit Datenbrillen ausgerüstet (Anlass für einen Schwenk aufs Thema Datenschutz). Und dann die Krankenversicherung, die wehrlose Patienten ausbeutet, wenn sie nicht genügend für ihre Gesundheit vorsorgen – was das Prinzip der Krankenversicherung auf den Kopf stellt.
In all diesem Sumpf versucht Mara, sich und ihre Lieben über Wasser zu halten. Vadims Essensgeschenke sind natürlich höchst illegal und der Verkehr mit ihm eerst recht, aber was kann eine alleinstehende Frau schon tun? Sie kann jedenfalls nicht verhindern, dass Vadim samt „Sippe“ von den „Abführmitteln“ abgeführt wird. Zum Glück gibt es in höchster Not, als das Haus gesprengt wird, noch Vadims Kontakt zur Untergrundbewegung – auch wenn diese Frau schon über 80+ ist …
Die Geschichte ist anschaulich, humorvoll und flott erzählt. Sie verrät viel Verständnis für die sich zuspitzenden gesellschaftlichen Konflikte in Deutschland und ist auch in technischer Hinsicht völlig auf dem laufenden. Da kann einem in der Tat angst und bange werden. Eine warnende Geschichte von einer Könnerin.
9) Armin Rößler: Phönix
Halvard Johnssen ist ein Veteran unter den Löschfliegern auf der Welt Bayo. Deshalb weiß er sofort, dass das, was der Flugzeugeigner Pinner verlangt, barer Unsinn ist: „Passagiere?!“ Um genau zu sein, drei Passagiere, darunter ein Kameramann und eine Reporterin. Für sie wird der Wassertank verkleinert, was es nötig macht, mehr Flüge mit der guten alten „Phönix“ zu bewältigen. Denn wieder mal ist Feuerzeit, und die Brände bedrohen ein Feriendomizil mit 12.000 Urlaubern.
Am zweiten Tag berührt die Reporterin Johnssen, und er spürt einen schmerzhaften Stich. Schon am gleichen Abend fühlt er sich krank. Nachdem er verarztet wurde, klettert er am dritten Tag wieder in den Pilotensitz, obwohl er sich schwindlig fühlt. Diesmal haben die Passagiere einen Eingeborenen, einen Bayoll, dabei, der ihnen die Bedeutung der alljährlichen Waldbrände erklärt: Wiedergeburt.
Diesmal verlangen die Passagiere, unterstützt von Pinner, dass Johnssen das Löschen unterlässt, sondern auf einer kleinen Piste mitten im Dschungel landet – sie wollen sogar noch Bomben zünden! Die Urlauber würden keine Chance haben. Nur die Pistole, die auf ihn gerichtet ist, hält Johnssen von Widerstand ab.
Es ist eine Piste, die viel zu kurz für die vollgetankte „Phönix“ ist – sie krachen in die Bäume, umzingelt von Flammen. Johnssen erklärt der sterbenden Reporterin, warum er niemals Passagiere mitnimmt …
Mein Eindruck
Die Erzählung verdeutlicht, was passieren kann, wenn aus falsch verstandenem Idealismus in die schützenden Abläufe eingegriffen wird. Um dem natürlichen Zyklus der Waldbrände freien Lauf zu lassen, wird das Löschen unterbunden. Folglich kommen die Urlauber um.
Aber weil die fremden Idealisten null Ahnung von Löschflugzeugen haben, kommen sie ebenso um wie der Eingeborene und der Pilot. Was ist dadurch gewonnen? Rein gar nichts außer der Tatsache, dass die Natur von Bayo ungehindert Opfer fordern kann.
Der Autor hat seine Geschichte sehr schön anschaulich erzählt, und wenn so manchem Leser der Film „Der Flug des Phönix“ in den Sinn kommt, so ist das weder Zufall noch hinderlich, ganz im Gegenteil. Der alte Pilot Johnssen hat durchaus Ähnlichkeit mit dem sturköpfigen Frank Towns (James Stewart) im Film. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied: Wo Towns ums Überleben kämpft, resigniert Johnssen.
10) Arnold H. Bucher: Der Erste Roboter
Der US-Präsident ist gegangen, es lebe der neue US-Präsident! Allerdings gibt es einen haken beim Übergang: Der Roboter des bisherigen Amtsinhabers will nicht weichen. Da er über etliche schmutzige Staatsgeheimnisse verfügt, stellt er nicht nur eine potenzielle Gefahr für den neuen Machthaber dar, sondern kann selbst Macht ausüben.
Die Informatiker – typische No-nonsense-Typen à la Asimov – Jones und Gordon wollen den Ersten Roboter deaktivieren, doch dieser weiß sich mit Drohungen zu wehren. Allerdings stellt sich auch hier die Binsenweisheit, dass Robots nur aus Blech und Software bestehen, als nur zu wahr heraus …
Mein Eindruck
Asimov hätte seine helle Freude gehabt – genau wie schon bei der Roboterstory im Vorgängerband „Molekularmusik“ (beide sind dem Zyklus „Robotertränen“ entnommen). Wieder einmal treffen die nachvollziehbaren Interessen des Kunstmenschen auf die wechselnden Interessen der Menschen.
Kein Asimov’sches Robotgesetz findet hier Anwendung, vielmehr findet eine argumentative Konfrontation statt, die die eigentliche Aussage offenbart: Schmutzige Affären wie „Irongate“ (in Anlehnung an Watergate und Irangate) müssen um jeden Preis unter dem Teppich gehalten werden. Auch um den Preis eines Robot-„Lebens“.
11) Andreas Flögel: Lod, Lad, Chine
Lod Sidario ist vom Hohen Rat der Leds in der Region Waria (lies: Bavaria) eingesetzt worden, die Ursache für den Tod von Lod Kelario zu ermitteln. Dieser wurde in einer großen Blutlache gefunden und sein Kopf scheint fast abgetrennt worden zu sein. Der Verdacht fällt als Erstes auf die Chinen (= Maschinen) des Lods, unter denen die hübscheste, Chine Dani, herausragt. Zu Sidarios größtem Bedauern haben nicht nur Dani, sondern alle Chinen des Haushalts nichts gesehen.
Nach der Großen Seuche haben sich die Leds aus den Menschen weiterentwickelt, wie Sidarios Lebenspartnerin Lad Linaria zur allgemeinen Empörung der Leds angedeutet hat. Doch sie ist immerhin Historikerin, und Sidario vertraut ihr. Könnte es möglich sein, dass eine Art Atavismus im Spiel ist, ein Rückfall ins Animalische?
Als der halb abgetrennte Kopf der Leiche beim Anheben ins Blut fällt, überkommt Sidario eine Welle des Ekels und Grauens. Er hat einen Horror vor allen Körperflüssigkeiten – Tränen etwa und noch schrecklicheren Dingen. Ein Schneidewerkzeug muss eingesetzt worden sein, soviel ist klar. Doch von wem, wenn nicht von den Chinen? Auf Linarias Rat hin ruft Sidario Lad Bataria an, die Lebenspartnerin von Lod Kelario an …
Mein Eindruck
In einer klassischen SF-Kriminalerzählung stößt der Ermittler Sidario auf das Undenkbare: Dass animalische Regungen wie etwa Eifersucht immer noch existieren. Bezeichnenderweise sind es Frauen, die solche Regungen immer noch für vorstellbar halten, ja, sogar – ist es zu fassen? – selbst empfinden. Und sie zu unvorstellbaren Taten hinreißen.
Tja, der alte Adam und Affe im Menschen – er regt sich also auch noch in ferner Zukunft. Diese Erkenntnis ist seit Stanislaw Lems satirischen Erzählungen nicht gerade neu. Und auch sonst wirkt die Erzählung, wie von Isaac Asimovs SF-Krimi „Die nackte Sonne“ inspiriert. Derart stark inspiriert, dass man versucht ist, in Guttenberg-Manier Original und „Inspiration“ nebeneinanderzulegen …
12) Kai Riedemann: Ich töte dich nach meinem Tod
Die Leiche eines Mannes liegt nackt auf dem Boden seines Wohnzimmers, das eine recht absonderliche Dekoration aufweist: Folterwerkzeuge wie etwa Drahtschlingen. Und auch das Gemälde eines sterbenden, vom einem Pfeil durchbohrten Schwans lässt den Ermittler nicht gerade ans fröhliche Leben denken.
Tanja, die EDV-Expertin, hat sich inzwischen die Multimedia-Konsole des Toten gekrallt. Sie meldet, dass der Typ nicht weniger als 50 virtuelle Morde begangen habe. Wie das, will der Ermittler wissen, der an einen Rachemord denkt. Sie schildert ihm die Methode, aber um sie wirklich zu begreifen, muss er selbst in den Multimedia-Anzug für den Eintritt in die Virtuelle Realität überstreifen.
Auf gut Glück wählt er eines der gespeicherten Profile: Linda. Sie hat im sozialen Netzwerk mehrere Ebenen ihres öffentlichen Profils gespeichert, und dazu gehören auf den untersten Ebenen nun wirklichen die intimsten Details. Aufgrund dieser Informationen kann sich der Ermittler ein unbekleidetes 3D-Modell der Frau vorstellen. Seltsamerweise sieht sie genau wie Tanja aus …
Mein Eindruck
Dass Riedemann, Jahrgang 1957, mal Zeitschriften-Redakteur für Kurzkrimis war, merkt man seinen regelmäßig in den Wurdachk-Anthos abgedruckten Storys an. Sie entwerfen ein begrenztes Ambiente, extrapolieren ein aktuell absehbares Phänomen und wenden eine erprobte Krimipointe darauf an. So auch hier.
Den Kern des Themas bildet das, was heute bereits in sozialen Netzwerken wie Facebook und StudiVZ an privaten und sogar intimen Angaben über Privatpersonen zu finden ist. Man bräuchte diese Daten doch nur in eine VR-Software einspeisen und könnte sich ein virtuelles Gegenüber erschaffen – und dieses dann per Mobbing in den Wahnsinn oder Selbstmord treiben.
Diese Story ist effektiver und in ihrer Kritik kompetenter als so manch anderer Beitrag dieser Anthologie.
13) Heidrun Jänchen: Kamele, Kuckucksuhren und Bienen
Ein Biologenexpedition ist auf einem fremden Planeten gelandet und untersucht dessen fremdartige Flora und Fauna. Was denn nun was ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zufall oder Notwendigkeit – was bestimmt hier die Evolution? Während man noch argumentiert, entdecken zwei Forscher eine von diesen mannshohen Gurken, die wie ein Kandelaberkaktus aussehen: Dieses Exemplar sieht jedoch wie ein Mensch aus, genauer gesagt: einer Frau.
Als sie das Wesen – Pflanze oder Tier? – näher begutachten, spuckt es dem Betrachter einen Klumpen roten Schleim auf die wohlisolierte Brust. Was soll das denn, wundern sich die Kollegen – bis sie selbst angespuckt werden. Am nächsten Tag entdeckt man vier gleichartige „Kakteen“, und sie alle ähneln einem bestimmten Mann, nämlich Dimitri. Handelt es sich um Mimikry von Dimitri? Auch sie spucken roten Kleister aus, der aber völlig harmlos ist.
Ein nettes Rätsel für Exobiologen. Doch was werden sie schließlich mit ihrer phänomenalen Entdeckung anstellen? Sie beschließen, sie zu verheimlichen. Aus ganz besonderen Gründen …
Mein Eindruck
Die recht lustig und humorvoll erzählte Geschichte illustriert das Phänomen des „Pollentaxis“ in der Pflanzenwelt. Wie bestimmte Orchideen imitieren die Wesen, die ihren Pollen verbreiten und andere ihrer Art bestäuben wollen, andere Wesen, die ihnen als Vehikel dienen sollen. Nach dem Motto: „Seh ich nicht interessant aus? Komm doch mal näher!“
Doch was würde passieren, wenn man dieses geheimnis ins Universum hinausposaunen würde? Touristenscharen würden wir Heuschrecken einfallen, um sich einen Spaß aus der Mimikry zu machen. Schon bald würde man den Planeten menschenfreundlich umgestalten, bis er kaum noch kenntlich wäre. Beispiele dafür kennen die Exobiologen genügend. Also ist Schweigen Gold.
14) Jakob Schmidt: Auslese
Anja ist seit zwölf Jahren krebskrank und lebt mittlerweile, unter der Chemotherapie leidend, in einer Klinik, das Ende in Sicht. Aber die Tage sind nicht ruhig, ganz im Gegenteil. Fremdwesen, die als „Fleischengel“ bezeichnet werden, haben die Erde entdeckt. Regelmäßig picken sie sich Krebspatienten heraus, denn die Krebszellen verfügen, so die Theorie, über besondere kodierte Botschaften in ihrer DNS. Als wieder einmal so ein Fleischengel sich über ein menschliches Opfer stülpen will, um es auszusagen, feuert Anja mit ihrer Spattergun, bis das Mistviech durch den Dimensionsriss verschwindet, aus dem es gekommen ist.
Wieder mal kommt Darius zu Besuch, und Anja ist anfangs dankbar. Darius sieht nicht nur so gut aus wie ein Superheld, sondern hat Anja gegen einen Fleischengelangriff verteidigt. Ihr Retter! Doch als ihr Fickfreund erzählt, er sei freiwillig hier, noch dazu im Seligenflügel, rastet Anja, auch sonst nicht gerade die Friedlichste, völlig aus. Ist Darius auf einem Jesus-Trip? Er hat sich mit Krebs infizieren lassen und eine SETI-Botschaft in seine Krebszellen kodiert. Diese will er den Fleischengeln per Selbstopferung übermitteln.
Toller Plan! Nur dass Anja damit in keinster Weise einverstanden ist. Leider kann sie ihn nicht an seinem Plan hindern, denn sie ist viel zu schwach dafür. Die Frage ist allerdings, ob sein Plan nicht doch aufgeht. Ein halbes Jahr später bekommt sie ihre Antwort, als ein Fleischengel in ihrem Zimmer auf der Intensivstation erscheint …
Mein Eindruck
Wow, eine SF-Story so recht nach meinem Herzen! Hier werden keine Gefangenen gemacht: Die Story wird bis zur hammerharten Konsequenz vorangetrieben. Krebs als eine kodierte Botschaft, auf die die Aliens scharf sind, mit fatalen Folgen für den menschlichen Überbringer? Öfter mal was Neues, auch wenn Norman Spinrads „Carcinoma Angels“ von Ferne winkt.
Und die Sprache entspricht dem schnörkellos präsentierten Thema. Sie ist der Großstadtsprache entnommen und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, was die modernen Beziehungen zwischen Menschen betrifft. „Fickfreunde“? Sang nicht einst schon Falco im „Kommissar“ davon: „fucking friends Jack and Joe and Jill“?
Verwunderlich ist an dieser tollen Story nur, dass sie nicht für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert wurde.
15) Andrea Tillmanns: Hitze
Der Treibhauseffekt hat voll zugeschlagen. Schon am 23. April zeigt das Thermometer morgens 34 Grad im Schatten. Energie ist derartig teuer, dass Benzin fast unerschwinglich und Strom rationiert ist. Benzindiebe erleichtern die Vorruheständlerin um den Treibstoff im Tank ihres Autos. Solche Lappalien verfolgt die Polizei schon längst nicht mehr.
Gut, dass sie Milchkühe hält, Obstbäume hat und ihr Gemüse im Garten zieht. Das erleichtert das Portemonnaie. Doch als sie den jungen Dieb Stefan kennenlernt, macht sie ihn auf ihren bescheidenen Reichtum aufmerksam. Den ersten Angriff auf ihre Kühe kann sie noch abwehren, doch am nächsten Morgen sieht sie gleich vier oder fünf Mann hoch anrücken. Bloß gut, dass ihr Vater sie einst gelehrt hat, wie man mit einer Pistole umgeht …
Mein Eindruck
„Die Barbarei ist nur einen Stromausfall entfernt“, schrieb ich einmal, doch in dieser Erzählung ist es noch nicht soweit, denn es ist erst die Vorstufe festzustellen: Überfälle auf Sachen. Als nächste Stufe folgen Überfälle auf Personen, vorzugsweise Frauen. Wie es dann weitergeht, kann sich jeder selbst ausmalen.
Insofern bitet diese Story rein gar nichts Neues. Ich frage mich, was sie in dieser Auswahl zu suchen hat.
16) Karsten Kruschel: Ende der Jagdsaison auf Orange
Der Planet Orange wird vom Konzern Matsushita ausgebeutet, um aus der fremdartigen Flora und Fauna Medikamente und dergleichen herzustellen, die Milliarden erbringen. Als Scouts setzt der Konzern, der streng über seinen gepachteten „Besitz“ wacht, einheimische Siedler ein. Siedler wie Frédéric Kaufman und seine Familie. Nur dass die Siedler heimlich selbst jagen gehen. Aber niemals während der Regenzeit, wenn sich die Tiere verwandeln …
Fred und seine Frau haben vor drei Jahren Gérard bei sich aufgenommen. Der Junge ist inzwischen fünfzehn Jahre alt, sehr anstellig und mit einem unfehlbaren Orientierungssinn ausgestattet. Wie er seine Eltern verloren hat, wurde ihm noch nicht gesagt. Aber ein Vertreter des Konzerns, bewacht von drei Bodyguards, macht Andeutungen, die Fred überhaupt nicht schmecken. Der Mann erwähnt zudem den Ausbruch des Orange-Virus, das zu spontanen Mutationen und Metamorphosen führt. Keine gute Nachricht, denkt Fred in seinem elektrisch geschützten Zelt.
Sie marschieren weiter ins verbotene Landesinnere und stolpern in eine Falle: Der Jägerkollege Guillaume wurde von Matsushitas Raketen schwer verletzt und fiel in ein Spinnennetz, in dem ihn nur gefräßige Asseln aufzufressen zu drohen. Als sie ihn losschneiden, tauchen erst Späherdrohnen auf und dann der Matsushita-Vertreter selbst auf. Er flieht vor den hungrigen Sandkatzen. Fred erschießt sie eine nach der anderen. Doch gegenüber Nakayama-san bleibt er ungewöhnlich gelassen, findet Gérard.
Da bemerkt er die orangefarbenen Flecken auf Freds Haut und die sandfarbenen Härchen, die sich zu einem Fell entwickeln. Schnell weiß er Bescheid. Nicht nur Tiere verändern sich unter dem Einfluss des Orange-Virus …
Mein Eindruck
Diese schöne Novelle (rund 26 Seiten) stellt uns einen weiteren Planeten in der Sammlung Kruschels vor. Neben Vilm und Galdäa nun also Orange, eine ausgebeutete, aber umso wildere Welt, die ihre menschlichen Bewohner nicht ungeschoren lässt – wenn sie sie nicht vorher umbringt.
Natürlich hält Orange eine Lehre bereit. Es ist eine Welt, die sich und alles, was sich in ihr bewegt, fortwährend so verändert, dass es zum Überleben in diesem Strom des Lebens reicht. Mithin ist es für Matsushitas Ausbeutermethoden so etwas wie ein äußerst bewegliches Ziel. Matshushita aber wird nicht von einem Lebewesen gesteuert, sondern von der Künstlichen Intelligenz im Innern eines superschnellen (und folglich tiefgekühlten) Quantenrechners.
An der Frontlinie Oranges treffen also kühle Rechnervernunft und heißes, mutierendes Leben aufeinander – wer wird die Oberhand behalten? Die pointenreichen letzten Sätzen dieser schönen Novelle lassen keinen anderen Schluss zu, als dass „das Leben immer einen Weg finden wird“, um mal einen bekannten Spielberg-Satz (aus „Jurassic Park“) zu zitieren. Eine feine Sache.
Fehler und Zweifelsfälle
Auf Seite 52 ist ein Wort auseinandergerissen worden und entsprechend gedruckt worden. Das tut dem Leserauge ja richtig weh.
Auf Seite 95 finden wir einen Leoparden in Buenos Aires. Er ist sicherlich kein Einheimischer, sonnst müsste er ein Jaguar sein. Also kommt er wohl aus dem Zoo.
Seite 98ff lesen wir von Testtube, die nicht mit einer Tube zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um die Röhre eines CT-Scanners. Hier wurde einfach das englische Original übertragen, ohne zu bedenken, dass „Tube“ hierzulande bereits eine definierte Bedeutung hat.
Auf Seite 217 lesen wir erstaunt etwas von der „Damastklinge“ eines Schwertes. Bislang habe ich gedacht, Damast wäre ein Webstoff, musste mich aber von der Wikipedia belehren lassen, dass es auch „Damaststahl“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Damaststahl) gibt. Korrekt würde man „Damaszenerstahl“ sagen, wie es noch in Karl Mays Abenteuerromanen der Fall war. Also: „Damastklinge“ ist kein Fehler.
Unterm Strich
Zuerst las ich als KLP-Juror natürlich die Pflichtlektüre, also jene Beiträge, die für den Kurd-Laßwitz-Preis (KLP) nominiert sind. Ich musste aber feststellen, dass selbst unter diesen sechs Beiträgen nicht alles Gold war, was da zu glänzen versuchte. Immerhin konnte ich feststellen, dass die beiden Novellen „Lebenslichter“ und „Ende der Jagdsaison auf Orange“ völlig zu Recht nominiert wurden – sie sind von herausragender Qualität, was Handhabung und Einfallsreichtum angeht. Auch „Die Audienz“ ist durch das Thema Terrorbekämpfung von Bedeutung. Diesem Trio gegenüber fallen die meisten Beiträge ab.
So ist die nominierte Story „Lod, Lad, Chine“ fast schon ein Plagiat von Asimovs SF-Detektivroman „Die nackte Sonne“ von 1957 zu nennen. Das hat mich sehr geärgert. Auch „Der Erste Roboter“ ist ein Asimov-Imitat, ebenso wie „Ausgespielt“. „Der geborgte Himmel“ erinnert stark an Bradburys „Mars-Chroniken“, ebenfalls aus den Vierzigern und Fünfzigern. Offenbar haben die alten Meister erprobte Muster vorgelegt, denen sich sehr leicht folgen lässt.
Doch Ehre, wem Ehre gebührt. Vielfach haben sich die AutorInnen angestrengt, von diesen Mustern abzuweichen. „Ein Schiff wird kommen“ (noch eine Detektivgeschichte, doch diesmal à la Dick) ist ebenso originell wie „Finja-Danielas Totenwache“, dessen Vorlage wir bei Stanislaw Lem finden (in den Zusätzen zu den „Sterntagebüchern“).
Die einzige Kurzgeschichte, die mich wirklich inhaltlich und formal zu überzeugen vermochte, ist „Auslese“. Die Aliens holen sich Krebsopfer, um an die mutierte DNS der Krebszellen ranzukommen. Sie nehmen die Stelle eines erbarmungslosen Schicksals ein. Anja, die Heldin, zeigt ihnen den Stinkefinger, während sich ihr Freund zu einer SETI-Botschaft umwandeln lässt. Was ist der bessere Weg? Das muss der Leser selbst entscheiden, Nur eins ist sicher: „Keiner kommt hier lebend raus“ (Jim Morrison). Nur Norman Spinrads Story „Carcinoma Angels“ (aus den Siebzigern) hat sich meines Wissens bislang ebenso konsequent und kompromisslos mit dem Thema Krebs befasst.
Unterm Strich ist es erstaunlich, dass sich die Autoren dieser Auswahl vielfach noch auf ausgetretenen Pfaden bewegen, um wohlfeile Themen aufzugreifen. Formal und gedanklich anspruchsvolle Beiträge, wie sie noch in der vorhergehenden Auswahl „Molekularmusik“ zu finden waren (so etwa Benedict Markos „Wie man sich ändern kann“ und Uwe Posts „Vactor Memesis“) scheinen mir hier nahezu zu fehlen. Ausnahmen hiervon bilden „Finja-Danielas Totenwache“ und o. g. „Auslese“. Zeit für die deutsche SF-Szene, wieder mal etwas mehr zu wagen.
Taschenbuch: 214 Seiten
ISBN-13: 978-3938065624|
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[„Der eiserne Thron“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=998
[„Nach Norden!“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2480
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[„Molekularmusik“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6299